"Wir brauchen auch Tierexperimente"

John-Dylan Haynes im Gespräch mit Susanne Führer · 24.11.2008
Für John-Dylan Haynes sind die umstrittenen Makaken-Experimente an der Bremer Universität keine Tierquälerei. "Die Affen sind natürlich einer gewissen Belastung ausgesetzt", räumte der Hirnforscher vom Berliner Bernstein Center ein. Für die Grundlagenforschung seien Experimente mit Tieren aber unerlässlich. Die Forscher seien keine "Sadisten oder Unmenschen".
Susanne Führer: Prof. John-Dylan Haynes ist Hirnforscher. Er arbeitet am Bernstein Center in Berlin. Guten Tag, Herr Haynes!

John-Dylan Haynes: Ja, guten Tag!

Führer: Können Sie Nichtwissenschaftlern erklären, warum Andreas Kreiter für seine Forschung Affen braucht?

Haynes: Man steckt da in der Forschung ein bisschen in der Zwickmühle. Bei den Forschern, die mit Tieren Experimente machen, die möchten natürlich am liebsten Tiere verwenden, die dem menschlichen Gehirn am nächsten kommen. Und wenn Sie ein Tier haben, dessen Hirnstruktur ganz anders ist als beim Menschen, können Sie nur begrenzt die Erkenntnisse, die Sie dort gewinnen, auf den Menschen übertragen. Und der Makake ist das Modell der Wahl. Man benutzt dieses Tier deswegen, weil es für vielfältige Fragestellungen ein Gehirn hat, das dem menschlichen sehr ähnlich ist.

Führer: Die Versuche laufen ja bereits seit 1998. Gibt es denn seitdem wissenschaftlich wichtige Erkenntnisse?

Haynes: Auf jeden Fall. Die Forschung von Herrn Kreiter untersucht eine ganz wichtige Frage, wie Nervenzellen miteinander kommunizieren und gemeinsam bestimmte Rechenleistungen im visuellen System zustande bringen. Und diese Fragestellung ist aber nicht nur interessant für die visuelle Wahrnehmung, sondern sie ist auch sehr interessant für unser Grundverständnis vom Gehirn, nämlich für die Frage, wie überhaupt Nervenzellen miteinander zusammen bestimmte Aufgaben lösen können.

Führer: Sie Herr Haynes arbeiten ja auch in der Hirnforschung, und zwar ohne Tierversuche. Geht es auch ohne?

Haynes: Ich würde das als komplementär sehen. In unserer Forschung geht es um die Frage, wie die menschlichen Erlebnisse im Gehirn kodiert, gespeichert sind. Und wir interessieren uns vor allen Dingen für den Menschen und verwenden nicht-invasive Forschungsinstrumente, vor allen Dingen Elektroenzephalografie, die Messung von Hirnströmen und die Kernspintomografie, die Messung von metabolischen Prozessen, Hirnstoffwechsel. Und das Problem ist dabei, wir können damit etwas über den Gesamtzustand des Gehirns in Erfahrung bringen. Wir sind aber beim Verständnis der Details immer wieder darauf angewiesen, dass wir mit Forschern uns austauschen, die tatsächlich die einzelne Zelle untersucht haben. Sie können auf dieser, ich sage jetzt mal, makroskopischen, groben Auflösungsebene, die wir verwenden, können Sie nicht das Gehirn bis ins Detail verstehen und Sie können auch nicht Krankheiten auf dieser Ebene verstehen, alleine jedenfalls zumindest nicht.

Führer: Nicht-invasiv sagen Sie. Was Herr Kreiter mit den Makaken vornimmt, ist ja schon invasiv. Wer Bilder von den Tieren sieht, ist ja erst mal entsetzt. Die Sonden, die ins Gehirn der Affen operiert worden sind, die sieht man ja nicht, aber wohl den Bolzen, der ihnen am Kopf dann angebracht wurde. Und an diesem Bolzen werden sie dann in diesem sogenannten Primatenstuhl fixiert, damit sie den Kopf nicht mehr drehen können, stundenlang, durstig sind die Tiere auch, damit sie mitmachen. Herr Haynes, ist das Quälerei oder ist das anthropozentrische Sentimentalität, das so zu sehen?

Haynes: Ich glaube, die Wahrheit liegt in der Mitte. Die Diskussion ist auf jeden Fall sehr aufgeheizt, aber ich glaube, das Thema ist zu wichtig, als dass man da polarisieren sollte. Die Affen sind natürlich einer gewissen Belastung ausgesetzt. Das kann man auch nicht verleugnen. Allerdings wird diese Belastung auch häufig bei der Werbung um Spenden für den Tierschutzverein häufig übertrieben. Man sieht dann zum Beispiel in der Fußgängerzone, ich kenne das aus Bremen, da sieht man dann ein Pappmascheekopf von einem Affen und in diesen Affenkopf ist quasi ins Auge hinein oder ins Gesicht hinein so eine große Spritze reingesteckt. Und das sieht furchtbar aus und das entspricht auch nicht den Fakten, wie die Forschung in diesen Laboren vonstatten geht. Man baut da häufig auch das Bild auf, dass die Forscher quasi, sage ich jetzt mal, Sadisten sind oder Unmenschen sind, denen die Wünsche und die Befindlichkeiten der Tiere egal sind. Und nichts könnte falscher sein.

Führer: Das habe ich mich jetzt ja auch bemüht, nicht zu tun. Ich habe die Fakten geschildert, wie sie sind. Dieser Bolzen, der ihnen am Kopf anoperiert worden ist, dass die Tiere durstig sind, dass sie stundenlang in einem Stuhl fixiert werden. Das ist ja zumindest nicht artgerecht. Belastung, sagen Sie. Ist es Quälerei?

Haynes: Auf jeden Fall in meinen Augen würde ich nicht sagen, dass das eine Quälerei ist. Ich würde sagen, dass das eine Belastung ist. Eine Quälerei wäre für mich, wenn man dem Tier starke Schmerzen zufügen würde. Eine Quälerei wäre es für mich, wenn man das Ganze ohne wissenschaftliches Endziel tun würde. Und dann wäre es in meinen Augen eine Quälerei. Aber das ist eine Belastung der Tiere, so wie wir zum Beispiel auch Pferde zum Rennsport trimmen und auch häufig Tiere bestimmten Belastungen aussetzen. So wird es in diesem Fall getan. Obwohl, man muss ganz offen das auch ansprechen, in diesem Fall ist die Belastung natürlich höher.

Führer: Herr Haynes, Sie sagen, die Belastung ist stärker als bei Pferderennen zum Beispiel. Nun sind die Makaken ja auch noch mal Tiere, die uns doch etwas näher stehen als Pferde, sind zwar keine Menschenaffen, aber sie schauen uns in die Augen. Gut, das tun Hunde und Katzen auch. Die Makaken aber, die verstehen zudem Babysprache, die können sogar zählen und ein bisschen rechnen. Wie weit dürfen wir dann über sie verfügen?

Haynes: Wir müssen in meinen Augen da sehr sorgfältig abwägen und ich würde auch der Forderung nach einem sehr verantwortungsbewussten Umgang mit diesen Tieren auf jeden Fall recht geben. Gerade deswegen, weil uns die Affen am nächsten sind, müssen wir besonders vorsichtig sein, was wir diesen Tieren zumuten. Und in meinen Augen hat sich das in der Vergangenheit ja auch gezeigt, dass wir immer wieder stärkere Richtlinien bekommen haben, wie vor allen Dingen mit Affen umzugehen ist in solchen Experimenten. Und in meinen Augen müssen wir auch weiterhin da sehr verantwortungsbewusst mit umgehen, das heißt zum Beispiel, die Tierversuche möglichst gering zu halten. Das heißt, dass man die Tiere, früher hat man das gemacht, da hat man die Tiere geopfert, nachdem man das Experiment gemacht hat, heute leben die Tiere mehrere Jahre und man versucht sie zum Beispiel in Gruppen zu halten in der Regel. Das sind alles auch Maßnahmen, mit dem natürlich versucht, diesem traurigen Umstand, dass man dieses Experiment nun mal machen muss, Rechnung zu tragen.

Führer: Nun lautet eines der Ergebnisse der Hirnforschung ja, dass Fühlen und Denken sich nicht trennen lassen. Hieße das nicht in diesem Fall logischerweise, dass man auf Tierversuche mit Affen ganz verzichten müsste?

Haynes: Ich gebe Ihnen recht, dass in einer idealen Welt, wir natürlich gerne auf Affenexperimente verzichten würden. Ich würde auch gerne darauf verzichten. Die Frage ist, was es bedeutet als Konsequenz davon, wenn man auf diese Affenexperimente verzichtet. Und da muss man sich dann auch klar machen, wenn man auf diese Experimente verzichtet, dass man auch auf eine Reihe von Entwicklungen in Richtung Linderung von Krankheiten verzichten muss. Ich gebe Ihnen mal ein paar Beispiele. So ist es zum Beispiel so, dass bei Schielen früher es üblich war, wenn Kinder geschielt haben, dass man eine Operation erst spät in ihrem Leben gemacht hat, im sechsten Lebensjahr. Nun hat die Grundlagenforschung gezeigt, dass es eine kritische Periode gibt, wo das visuelle System von Primaten noch flexibel ist, sich noch umgestalten kann und man hat jetzt diese Operation, werden jetzt sehr früh infolge dessen umgesetzt. Wir können nicht verstehen, wie das Gehirn so was realisiert, wenn wir nur, wie in unserer Forschung von außen drauf gucken auf das Gehirn. Wir brauchen bis zu einem gewissen Maß brauchen wir auch Tierexperimente. Ansonsten müssen wir den Menschen, die unter diesen Krankheiten leiden, sagen, wir können für Sie leider nichts tun, diese Entwicklungslinie wird jetzt gestoppt.

Führer: Der Hirnforscher Prof. John-Dylan Haynes vom Bernstein Center in Berlin. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Haynes!

Haynes: Okay, vielen Dank, tschüs!