Winston Churchill

Porträt eines ehrgeizigen Exzentrikers

Der britische Staatsmann Sir Winston Churchill (1874-1965) grüßt aus einem Fahrzeug heraus mit der für ihn typischen Geste, dem Victory-Zeichen.
Winston Churchill grüßt aus einem Fahrzeug mit der für ihn typischen Geste, dem Victory-Zeichen. © picture alliance / dpa / Central Press
Von Klaus Pokatzky · 23.01.2015
Winston Churchill gilt nicht nur als bedeutendster britischen Politiker des 20. Jahrhunderts. Er konnte auch geschickt mit Worten umgehen und bekam 1953 den Literaturnobelpreis. Der Journalist Thomas Kielinger hat eine fundierte und amüsante Biografie über ihn geschrieben.
Mark Twain begrüßte am 13. Dezember 1900 in New York den "Helden von fünf Kriegen, Autor von sechs Büchern und künftigen Premierminister von England". Da war zwei Wochen vorher Winston Leonard Spencer-Churchill gerade mal 26 geworden und besuchte die Heimat seiner aus amerikanischer Millionärsfamilie stammenden Mutter. Aber fünf Kriege, darunter in Indien, im Sudan und in Südafrika, als Kriegsberichterstatter und Offizier zugleich, hatte er hinter und noch die beiden Weltkriege vor sich. Den Ersten als Marineminister und dann als Rüstungsminister; zwischendurch als Bataillonskommandeur an der Front in Frankreich – mit den Begrüßungssätzen für seine Soldaten: "Wer mich unterstützt, für den werde ich sorgen. Wer gegen mich ist, den werde ich brechen. Good afternoon."
Churchill erinnert an Ludwig XIV.
Sein Biograph Thomas Kielinger: "Churchill war nie ein konventioneller Militär und auch später nie ein konventioneller Staatsmann." Wohl wahr. Der "world leader" und gleichermaßen "word leader", war schließlich "Abenteurer, Militär, Autor, Abgeordneter, Minister, Maler, Journalist, Kriegsführer, Staatsmann". Er war das alles: erst nacheinander – und auf dem Höhepunkt, im Kampf gegen Hitler "auf den Sockel des Erretters gehoben", war er alles zugleich.
Damals bat der Kriegspremier nach dem Frühstück im Bett seine Berater ins Schlafzimmer und dirigierte die Geschäfte – "hoch gegen sein Kissen aufgerichtet", die Zigarre im Mund, sein schwarzer Kater Nelson räkelte sich dabei an seinem Fußende. Das erinnerte an Ludwig XIV., nur ohne Zigarre und Kater Nelson, gegen den sein großer Ahn, der Herzog von Marlborough, so erfolgreich gekämpft hatte. Abends hat er dann gern getrunken – und auch dazu eines seiner berühmten Zitate hinterlassen: "Der Alkohol hat weniger aus mir genommen als ich aus ihm."
"In diesem Augenblick der britischen Geschichte unersetzlich"
Das war, als Hitlers Armeen triumphal siegten, und Churchill (anfangs nur mit vorsichtiger Unterstützung durch den amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt) sich jedem Friedenschluss mit Hitler verweigerte – gleichwohl im Januar 1942, bei einer Debatte im Unterhaus über ein Misstrauensvotum, den Kommandeur des deutschen Afrikakorps, Erwin Rommel, als "großen General" lobte. Er war eben "für den Krieg geboren, zum Frieden bestellt" und "in diesem Augenblick der britischen Geschichte war er unersetzlich", schreibt Thomas Kielinger, nachdem er zuvor aufs Spannendste den Werdegang des Sohnes von Lord Randolph Churchill geschildert hatte.
Die Jugend, in der er als Schüler einmal mit der Rute gezüchtigt wurde, weil er Zucker aus der Vorratskammer des Internats gestohlen hatte. Seinen Weg in die Politik in den Fußstapfen des Vaters, der Finanzminister gewesen war. 1900 wird er mit 25 Jahren das erste Mal ins Unterhaus gewählt, da ist Victoria Königin: 52 Jahre später, Victorias Ururenkelin Elisabeth II. regiert, sitzt er immer noch im Unterhaus. Erst bei den Konservativen, dann bei den Liberalen, dann wieder bei den Torys. Mit infamen Ausfällen gegen die Arbeiterpartei und zugleich als Antreiber für soziale Reformen.
"Eigentlich war er immer 'konservativ', mit kleinem 'k'", charakterisiert Thomas Kielinger, "verpflichtet dem Empire, der Monarchie und der leutseligen Verantwortung für die weniger Privilegierten". Als er im Mai 1940 zum Kriegspremier ernannt wird, hat er fast alle bedeutenden Ministerposten der britischen Politik hinter sich und daneben geschrieben, 34 Bände waren es am Ende, in meisterhaftem Stil. 1953 bekam er den Literaturnobelpreis und sagte nur: "Ich wusste gar nicht, dass ich so gut schreiben kann."
Herrliche Anekdoten
"Dank Hitler", so sein Biograph Kielinger, wurde er dann "zu einer dominanten Figur der Zeitgeschichte", im Alter von 65 Jahren, mit einer Arbeitswoche von 90 Stunden, samt Herzanfällen und Lungenentzündungen. Sein Rezept: "Ich ging jeden Tag so bald als möglich nach Mittag auf mindestens eine Stunde zu Bett." Am Wochenende entspannte er in Chequers, dem Landsitz der Regierung, tagsüber in Arbeit versunken und abends im Heimkino.
Als ihm am 10. Mai 1941 die Landung von Rudolf Hess in Schottland berichtet wurde, sagte er nur: "Hess oder kein Hess – ich will jetzt die Marx Brothers sehen." Und die Absetzung Mussolinis am 25. Juli 1943 teilte er seinen Beratern während eines Donald-Duck-Filmes mit.
Es sind diese herrlichen Anekdoten, die aus einer scharfen Analyse eines "Tonangebers seiner Selbst", eines „ehrgeizigen Exzentrikers“ und einem gründlichen historischen Parforceritt vom viktorianischen ins zweite elisabethanische Zeitalter eine auch amüsante Lektüre bereiten. "Dieses Feld ist schon ziemlich durchgeackert", hat Churchill 1950 der amerikanischen Reporterin Virginia Cowles gesagt, als die ihm eine Churchill-Biographie ankündigte.
Ein Leben voller Gegensätze
Das Beackern hatte da aber noch gar nicht angefangen. Sebastian Haffner veröffentlichte seine lesenswerte Biografie 1967. Und der Brite Martin Gilbert acht Bände samt bisher 16 Dokumentarbänden ab 1966. Vor allem auch daraus schöpft Thomas Kielinger, "Welt"-Korrespondent in London seit 1998, für seine "Spurensuche in einem Leben voller Gegensätze". Ein Leben, das am 24. Januar 1965 mit 90 Jahren zu Ende ging, auf den Tag genau 70 Jahre nach dem Tod seines Vaters.
Dem war allerdings nicht vergönnt gewesen, was vor Sohn Winston Leonard zuvor nur Lord Nelson und dem Herzog von Wellington widerfuhr: ein Staatsbegräbnis. An dem Sarg in der Westminster Hall defilierten Hunderttausende. Und Big Ben hörte um zehn Uhr auf, die Stunden zu schlagen. Zu dem, was ihn nun erwartete, hatte er auch ein Zitat hinterlassen: "Ich bin bereit, meinem Schöpfer zu begegnen. Ob mein Schöpfer allerdings bereit ist für die Prüfung, mich zu treffen, ist eine andere Frage."

Thomas Kielinger: Winston Churchill. Der späte Held
C.H. Beck, Januar 2015
400 Seiten, 24,95 Euro

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