Wim Wenders dreht in 3D

"Menschen in die Seele schauen"

Regisseur Wim Wenders posiert am 10.02.2015 in Berlin während der 65. Internationalen Filmfestspiele auf dem Fototermin zu "Every Thing Will Be Fine". Er lacht.
Regisseur Wim Wenders posiert in Berlin auf dem Fototermin zu "Every Thing Will Be Fine". © Jens Kalaene, dpa picture-alliance
Moderation: Susanne Burg · 28.03.2015
Wim Wenders hat seinen neuen Film "Every Thing Will be Fine" in 3D gedreht - der Regisseur ist fasziniert von der Technologie. Der Film kreist um die Frage: Wie geht ein Mensch mit der Schuld um, ein Kind getötet zu haben? Das Drehbuch zum Film hatte ihm der Norweger Björn Olaf Johannessen zugeschickt.
Susanne Burg: Das Drehbuch kam quasi zu Ihnen geflogen, der Norweger Björn Olaf Johannessen hat's Ihnen zugeschickt. Was hat Sie an dem Drehbuch gereizt, dass Sie beschlossen haben: Ja, daraus möchte ich einen Film machen?
Wim Wenders: Das war einfach gut geschrieben, es handelte von was, was mich interessiert hatte, es hatte gute Charaktere. Und es hatte eine ganz eigene Art, mit Zeit umzugehen. Ich habe noch nie einen Film gemacht, der über so einen langen Zeitraum spielt, zwölf Jahre. Und das Drehbuch hatte eine ganz intelligente Art, Zeit zu erzählen und Sprünge zu machen und das, was dazwischen war, einfach auszulassen, sodass man sich dann hinterher immer etwas zusammenrechnen musste, ohne dass es ein Puzzle wurde. Ich fand das ein wunderschönes Buch. Ich habe es ja nur deswegen bekommen, weil ich dem jungen Mann mal einen Preis gegeben hatte, vier Jahre vorher, den Sundance, und ihn auch ermuntert hatte, mir sein nächstes Buch zu schicken. Und das war's dann.
Burg: Sie erwähnten eben die Entwicklung über die Zeit und auch die Auslassung. Der Film funktioniert ja sehr stark über Auslassungen, der Protagonist Tomas ist Schriftsteller, aber der Film geht eigentlich um was, was jenseits der Sprache liegt, nämlich: Wie geht ein Mensch mit der Schuld um, ein Kind getötet zu haben, auch wenn es ein Unfall war? Es ist gerade eben die Sprachlosigkeit von Tomas, mit der er umgehen muss und die auch für seine Umwelt sehr schwierig ist. Wie haben Sie sich überlegt, das in Bilder zu übersetzen?
Wenders: Das war einer der Gründe, weshalb ich diesen Film in 3D machen wollte, weil, dieses neue Medium kann auf eine andere Art auf den Grund schauen. Diesen beiden Augen entgeht nichts, die sehen deutlicher und klarer einem Menschen in die Seele. Und Menschen sind präsenter. Und ich habe mir gedacht, dass man mit dieser neuen Sprache halt auch die Innerlichkeit eines Mannes, der so nicht so viel sagt und erst dazu gebracht werden muss durch andere, sich zu öffnen, dass man das auch gut zeigen könnte. Und es ist eine sehr emotionale Geschichte, der geht ja auch durch die Hölle. Und alle Personen machen sich Vorwürfe, nicht nur er, viele in dieser Geschichte denken, hätte ich doch, wäre ich doch, was wäre gewesen, wenn. Schuld ist ja niemand, aber an dem Trauma hat man doch zu knabbern und diese Fragen belasten einen. Und Thomas belasten sie am meisten, weil, er war der, der am Steuer war.
Montreal - eine seiner Lieblingsstädte auf diesem Planeten
Burg: In 3D zu erzählen stellt ja auch ganz neue Herausforderungen für einen Regisseur. Nun haben Sie Erfahrungen gesammelt durch "Pina", aber die Wirkung in 3D ist eben eine andere, man hat als Zuschauer ein anderes Zeitempfinden und auch Raumempfinden. Was hat das für den Dreh bedeutet?
Wenders: Man muss sich auch anders auf die Räume einlassen, nicht nur auf die Schauspieler. Die Räume spielen auf eine entscheidende Art und Weise auch mit, weil, man sieht auch immer, man spürt den Raum, man sieht den Hintergrund auf eine andere Weise. Und die Menschen sind auf eine andere Weise in diesem Raum. Und wir als Zuschauer sind auf eine andere Art und Weise bei ihm. Und ich habe lange, lange gesucht, zwei Jahre lang, bis ich die Hauptlocations hatte, also vor allem der Ort, wo dieser Unfall stattfindet, und das Haus, in dem die Mutter lebt. Da habe ich dann schließlich was ganz Archetypisches gefunden, was etwas abgelegen ist, aber genau so habe ich mir das vorgestellt, dieses kleine rote Holzhaus in diesem kleinen Tal. Und auch die Stadt spielt eine wichtige Rolle, das ist Montreal geworden, eine meiner Lieblingsstädte auf diesem Planeten, ich kenne Montreal seit 30 Jahren, bin fast jedes Jahr mal da und habe noch nie da gearbeitet. Und das war auch irgendwie klar, das ist eine Stadt, zu der ich ein Verhältnis habe, und da kann ich gut drehen. Und ich muss zu Orten ein emotionales Verhältnis haben, um da auch eine Geschichte spielen lassen zu können.
Burg: Und trotzdem, was hat das für den Dreh bedeutet? So eine Kamera ist ja auch viel unflexibler, als wenn Sie mit anderer Technik gedreht hätten!
Wenders: Denkt man sich so! Letzten Endes haben wir sie flexibler gemacht, als je eine Kamera von mir war. Wir haben ein paar besondere Werkzeuge benutzt. Die Kamera steht zum Beispiel nie ruhig, sie ist immer in Bewegung, weil auch unsere Augen nie ruhig stehen. Wir haben ja nie den Kopf im Schraubstock, sodass wir ganz fest gucken, sondern auch wenn wir uns jetzt angucken, bewegen wir uns ein bisschen. Und unsere Kamera macht genau das, die fährt immer ganz unmerklich vor und zurück und zur Seite. Und das konnte der Kameramann selbst machen mit einem kleinen Gerät, was auf dem Stativ stand, einem Slider, damit konnte er selbst minimale Schienenbewegungen fahren. Und wenn er sich gefühlt hat, ist er herangefahren oder weiter zurück. Aber er konnte es selbst als der, der die Kamera führt, machen, er war nicht abhängig von anderen, die ihn dann bewegen. Und das hat, glaube ich, auch so in dem Sinne noch niemand gemacht.
Die Schärfe ist nur da, wo die Kamera hinschaut
Burg: Sie haben sich ja schon immer für neue Technologie interessiert. In "Buena Vista Social Club" haben Sie zum Beispiel mit digitaler Kamera gearbeitet, das war damals auch noch nicht so gewöhnlich. Was begeistert Sie an neuen Technologien?
Wenders: Nicht die Technik an sich, obwohl ich zugebe, dass ich auch ein ziemlicher Gadgetfreak bin und mir auch viel zulege, was ich dann nicht brauche. Aber an Filmtechnik interessiert mich nur eine Sache, nämlich: Kann ich damit etwas machen, was ich vorher nicht machen konnte? Kann ich was erzählen, was man so vorher nicht erzählen konnte? Und 3D war ganz offensichtlich, kann was erzählen, was man vorher nicht erzählen konnte.
Burg: Gleichzeitig ist ja interessant, dass bei Ihrem neuen Film jetzt – "Every Thing Will Be Fine" – die Filmsprache eine eher klassische ist.
Wenders: Ja und nein. Wir haben weniger geschnitten, das ist vielleicht von daher ein bisschen klassischer, als man das in einem normalen Film tun würde. Aber ich habe noch nie einen Film gemacht, wo die Kamera so in Bewegung ist, so minimal in Bewegung ist. Ich glaube, es gibt auch keinen 3D-Film, wo der Fokusbereich so im Vordergrund liegt und der Hintergrund oft abfällt. Das 3D, was man sonst sieht, ist immer, überall ist alles scharf. Und das haben wir mal ganz anders gemacht, wir haben die Schärfe nur dahin gelegt, wo die Kamera hinschaut, also auf den Vordergrund. Und ich glaube, das ist in vieler Hinsicht vielleicht klassisch, es gibt große Totalen und Landschaften, aber auf der anderen Seite ist es bestimmt ein Film, wie es den noch nie gegeben hat.
Burg: Es ist auch Ihr erster Spielfilm seit einigen Jahren, nach "Pina" und "Das Salz der Erde" und Ihrem Anteil in "Kathedralen der Kultur". Ihre Dokumentarfilme haben ja auch eine ganz eigene Dramaturgie und auch Choreografie. Dennoch, welchen Einfluss hat das lange Arbeiten an Dokumentarfilmen auf die Arbeit an einem Spielfilm? Hat sich Ihr Verhältnis zur Fiktion verändert?
Wenders: Die ganze Landschaft hat sich ein bisschen verändert. Man konnte früher mal jedes Jahr einen Film machen, also einen Spielfilm machen. Der Rainer Werner Fassbinder hat jedes Jahr vier gemacht. Heute braucht man ganz realistisch drei, vier, fünf Jahre. Und an "Every Thing Will Be Fine" haben wir tatsächlich fünf Jahre gearbeitet, und es hat auch so lange gebraucht und hat auch anderthalb Jahre am Schnitt gebraucht. Und ich habe währenddessen in der Tat sowohl "Kathedralen der Kultur" als auch meinen kleinen Beitrag über die Philharmonie hier in Berlin und auch über zwei Jahre hinweg immer wieder "Salz der Erde" in Frankreich und Brasilien gedreht. Und das ist das Tolle an Dokumentarfilmen: Sie geben einem die Möglichkeit, den fiktiven Filmen auch die Zeit zu lassen, die sie heutzutage brauchen.
Alte Wenders-Filme sind "für die Zukunft gerüstet"
Burg: Und wie ist es inhaltlich? Hat das auch einen Einfluss auf den Inhalt, auf ein Herangehen an einen Spielfilm?
Wenders: Tja, das war schon für mich ein Erstling, dieses "Every Thing Will Be Fine". Ich habe ja erst bei "Pina" gemerkt, dass so was möglich sein können müsste, also eine intime Geschichte in 3D erzählen. Und deswegen ist es schon eine ganz eigene Herangehensweise gewesen. Aber zum Beispiel "Das Salz der Erde", was ich zwischendurch gemacht habe, das Thema von "Salz der Erde" und das Thema von Verantwortung für Menschen, die man hat, was der Salgado einem so eindringlich vor Augen führt, das hat auch schon auf diesen Film abgefärbt.
Burg: Sie feiern in diesem Jahr einen runden Geburtstag, Ihren 70., und machen schon sehr lange Filme. "Ein amerikanischer Freund" ist beispielsweise fast 40 Jahre alt. Wenn wir eben von Filmsprache gesprochen haben, wie schauen Sie heute auf die älteren Filme?
Wenders: Ja, das sind ja alles Erwachsene geworden, es waren ja mal meine Kinder, aber "Der amerikanische Freund" ist ja auch schon 38 Jahre alt. Und "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter" ist 42 Jahre alt. Also, das ist schon eigentlich so weit weg von mir, dass ich es schon fast wie einen Fremden betrachten kann. Natürlich tue ich das nicht, es ist schon was, was ich gemacht habe, aber es ist so weit weg. Und durch die Restaurierung habe ich auch noch mal so eine gewisse Distanz geschaffen. Weil, ich habe diese Filme in die Lage versetzt, in die Zukunft gehen zu können, und mich nicht mehr zu brauchen, die sind alle für die Zukunft gerüstet und können ab jetzt so gesehen werden, wie sie gesehen werden wollten, und eben nicht mehr so museal, sondern wie so alte verschrammelte Filmkopien, wo man in erster Linie denkt, na, das ist ein alter Film, sondern die sehen alle so aus, als wären sie gerade neu. Und das hat auch Spaß gemacht. Und das hat mir aber auch so ein bisschen eine Distanz zu denen gegeben. Ich habe die noch einmal in bestem Glanz erstrahlen lassen und jetzt habe ich mich aber auch verabschiedet!
Burg: Wim Wenders, herzlichen Dank!
Wenders: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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