Wim Wenders

Das Grauen in der Dunkelkammer

Wim Wenders posiert im Oktober 2014 in Rom.
Wim Wenders posiert im Oktober 2014 in Rom. © AFP PHOTO/ TIZIANA FABI
Moderation: Susanne Burg · 25.10.2014
Für seinen Dokumentarfilm "Das Salz der Erde" lässt Regisseur Wim Wenders den Fotografen Sebastiao Salgado in einer Dunkelkammer sein Werk betrachten. Die Konfrontation mit den teils grausamen Motiven sei für alle besonders hart gewesen, erzählt Wenders im Interview.
Susanne Burg: Sie lassen im Film Sebastiao Salgado viel selbst über seine Fotos erzählen. Sie haben das aufgenommen, indem Sie Salgado die Fotos gezeigt und dabei gefilmt haben. Warum haben Sie sich für dieses Verfahren entschieden?
Wim Wenders: Das war unser zweiter Versuch. Wir haben schon einmal vorher unseren Weg durch seine ganze Fotogeschichte gepflügt und in zwei Wochen seine gewaltige Arbeit über 30 Jahre ein Jahr nach dem anderen durchgegangen, und es war eher konventionell, so an einem Tisch. Wir haben die Bücher durchgegangen, haben ganze Riesenstapel von Fotos durchgegangen, wir standen auch an Wänden voller Fotografien. Und nach einer Weile kam es mir so vor, als ob das nicht so besonders toll wäre, und ich habe dann auch gemerkt, dass, wenn er wirklich konzentriert war und nur auf ein Foto geschaut hat und nur in dem Bild drin war mit seiner Erinnerung, dann war ganz was anderes los, als wenn er zu mir geredet hat und mit Bewusstsein von den Kameras. Das war dann eher ein bisschen routiniert.
Und dann habe ich mir gedacht, ich müsste ihn eigentlich komplett allein lassen können mit seinen Fotos. Und dann haben wir einen zweiten Versuch gemacht, das war gut, weil ich kannte jetzt all die Bilder und auch einen Großteil seiner Geschichten und konnte ihm jetzt eine andere Dramaturgie aus seinen Bildern zusammenbauen, und dann haben wir ihn in eine Dunkelkammer gesetzt, in der es für ihn nichts anderes zu sehen gab als seine eigenen Fotos auf einem durchlässigen Bildschirm. Und dieser Bildschirm, das kennt man vom Fernsehen her, das ist ein Teleprompter. Da haben die Fernsehsprecher normalerweise ihre Texte drauf und man denkt, die können alles auswendig, aber sie lesen es ab. Und wir haben also auf diesen Teleprompter Sebastiao seine eigenen Fotos gezeigt. Und dann hat er nichts gesehen als seine Bilder und hat drüber geredet, war mit denen allein, hat auch mich nicht gesehen, auch die Kamera nicht gesehen, hat aber dabei, so wie jeder Fernsehsprecher, auch tatsächlich in die Kamera geschaut.
Also, er war ganz intim in seinen Fotos und in seiner Erinnerung und zum Publikum gewendet. Das war dann ganz schön und viel, viel intensiver, und dadurch, dass ich jetzt schon so eine Dramaturgie an Fotos hatte, musste ich auch nur noch ganz wenig eingreifen und eigentlich kaum noch fragen. Ich habe hinter der Kamera gesessen, hatte so mein iPad auf dem Schoß und habe so ihm langsam ein Bild nach dem anderen eingespielt.
"Manchmal hat ihn die Erinnerung übermannt"
Burg: Und der Effekt ist ja wirklich, dass er eintaucht in diese Bilder, auch in seine Erinnerung. Er hat ja Fotos gemacht, die viele grausame Dinge dargestellt haben. Er war in den 80er-Jahren während der Hungerkatastrophen in der Sahelzone, in Äthiopien, hat die Vertreibung aus Ruanda 1994 dokumentiert. Was hat es mit ihm angestellt, wieder einzutauchen in diese Ereignisse, also vielleicht auch Szenen, die Sie nicht in den Film hineingenommen haben?
Wenders: Wir haben natürlich noch viel mehr gedreht, als jetzt im Film ist. Um das in wirklicher Zeit zu gucken, würde man eine Woche vor dem Monitor sitzen. Wir haben wirklich sehr, sehr viel mehr gedreht. Und manchmal war es dann auch so, dass er dann nicht mehr konnte, und dann hat ihn auch die Erinnerung übermannt, weil so eine konzentrierte Erinnerungsarbeit hatte er auch noch nie gemacht vorher.
Auch für uns war es manchmal sehr schwer, auch später im Schneideraum mit den Bildern so massiv konfrontiert zu sein, und wir haben dann auch manchmal ausschalten müssen und sagen müssen, so, wir können jetzt auch nicht mehr. Und das ging ihm manchmal so. Manchmal hat ihn dann auch die Erinnerung übermannt, und dann mussten wir mal raus vor die Tür gehen und aus der Dunkelkammer austreten.
Wim Wenders steht bei der Premiere des Films "Das Salz der Erde" in der Lichtburg in Essen.
Wim Wenders steht bei der Premiere des Films "Das Salz der Erde" in der Lichtburg in Essen.© picture alliance / dpa / Marcel Kusch
Burg: Diese ganze Gewalt, das Elend, der Tod - all das hat Salgado ja auch nicht unberührt gelassen, auch in der Zeit, als er die Fotos gemacht hat. Er sagt im Film, dass Mitte der 90er-Jahre, nach den Massakern in Ruanda und den Jugoslawien-Kriegen, seine Seele krank geworden wäre. Sie lassen es im Film so stehen. Warum haben Sie diesen Aspekt nicht weiter verfolgt? Also, welchen Preis diese Reisen für ihn auch psychisch hatten, und warum er dann trotzdem auch lange Zeit noch weitergemacht hat. Er ist ja wieder nach Ruanda gefahren und dann auch in den Kongo 1997.
Wenders: Wir haben es so stehen gelassen, weil er dann weiter fotografiert hat, weil es ihn dann nicht losgelassen hat, und weil das dann als Konsequenz hatte, dass er, nachdem er also wirklich den Genozid in Ruanda dokumentiert hatte und mittendrin war und auch nicht raus konnte und monatelang drin stand, und dann einfach nicht mehr konnte und dann tatsächlich seine Kamera niedergelegt hat und dann tatsächlich nicht mehr fotografiert hat, also diesen Beruf des sozialen Fotografen beendet hat. Und weil er das so konsequent gemacht hat, habe ich dann die Bemerkung ein paar Jahre vorher, "ich war am Ende und seelisch krank", so stehen lassen, weil die wirkliche Konsequenz kam dann bei der nächsten Reise.
"Als Zyniker weiter fotografieren, das wollte er nicht"
Burg: Das heißt?
Wenders: Aufgehört. Nicht mehr fotografiert, tatsächlich diesen Beruf an den Nagel gehängt, weil er sagte, er hätte nicht mehr an die Menschheit glauben können. Und als Zyniker weiter fotografieren, das wollte er auch nicht, und deshalb hat er dann tatsächlich den Mut gehabt, seinen Beruf aufzugeben. Das machen nur wenige mit solcher Konsequenz. Viele würden dann nach einer Weile ja doch weiter fotografieren. Aber er hat dann nicht weiter fotografiert. Dass das nicht das Ende des Fotografen Sebastiao Salgado war, ist dann die zweite Hälfte unserer Geschichte, und das ist auch etwas, was ich nicht wusste, was ich dann erst langsam entdeckt habe.
Wie er dazu gekommen ist, dann noch mal so ein riesengroßes fotografisches Projekt anzufangen wie "Genesis", das der Natur gewidmet ist und der Schönheit unseres Planeten – also sozusagen der entgegengesetzte Blick als der auf all das Elend vorher. Und wie er dazu gekommen ist, ist eigentlich schon mirakulös, weil er hat das nicht absichtlich gemacht. Hat nicht gesagt, so, jetzt habe ich genug Elend fotografiert, jetzt gucke ich mal, ob es nicht auch was Schönes gibt, sondern es ist die Natur selbst, die ihn von seinem Leiden, seinem Leiden des Sehens und des Mitgefühls geheilt hat und ihm dann vor Augen gehalten hat, dass es auch eine ganz andere Art von Leben auf diesem Planeten gibt.
Burg: Diese anderen Fotos, die eben noch die Grausamkeit des Lebens beschreiben, des Krieges, die sind ja sehr, sehr überwältigend. Und wenn man über die Fotos spricht von Salgado, dann kommt häufiger ja auch immer wieder die Frage, inwieweit Leid dann mit diesen Fotos auch verkauft wird. Also, wenn es eben in solchen gut komponierten Bildern präsentiert wird. Warum thematisieren Sie das nicht?
Wenders: Das wäre ein Einfaches gewesen zu thematisieren, aber dann hätte ich mich auf eine Diskussion eingelassen, die in meinen Augen eine Nicht-Diskussion ist. Wir haben darüber geredet, wir haben auch über seine Ästhetik geredet und auch über den Konflikt, denn es ist ihm ja oft vorgeworfen worden, dass er das Leiden ästhetisiert. Da haben wir auch drüber geredet, aber ich habe es alles aus dem Film herausgehalten, weil ich auch keine Metaebene von dem Fotografen oder dem Künstler, der sein eigenes Werk sozusagen reflektiert, wollte ich nicht machen. Und, wie gesagt, ich finde es auch eine völlige Un-Diskussion, weil letzten Endes führt das zu der Frage, darf man Elend abbilden? Und natürlich muss man es abbilden, man darf es auch abbilden.
"Sein Blick ist immer ein respektvoller Blick geblieben"
Unser ganzes Nachrichtenwesen und überhaupt unsere menschliche Kommunikation, wenn man Elend nicht abbilden und zeigen dürfte, wäre ja sinnlos. Die Frage ist also dann, darf man es in schönen Bildern verpacken? Und das ist meines Erachtens eine völlige Nicht-Diskussion, eine Un-Diskussion, weil was wäre denn die Alternative? Dass man unästhetische, hässliche Bilder macht, aus der Hüfte schießt? Eigentlich gibt es von diesen Kritikern, die ihm sagen, er verkaufte das Leiden, auch keine Alternative. Es hat auch niemand bis jetzt erklären können, was es denn als Alternative gäbe. Wie soll ich denn dann fotografieren? Eben nicht gut kadrieren und keine guten Bilder machen, sondern bewusst schlechte Bilder? Dann will auch niemand die sehen.
Ich finde im Gegenteil, dass man, wenn man vor jemandem steht, der seiner Würde beraubt ist, der im Kriegszustand ist, vertrieben worden ist, in einer Hungersnot lebt - Menschen, die also tatsächlich sehr oft in sehr würdelosen Situationen sich befinden, dass ein Auge wie das von Salgado ihnen wirklich sehr oft diese Würde zurückgegeben hat und dass sein Blick immer ein respektvoller Blick geblieben ist. Und letzten Endes kann es um nichts anderes gehen. Und wenn einer ein gutes Bild macht und es schön kadriert und sich Mühe gibt hinterher bei den Abzügen, dann ist das eigentlich eher eine Art der Ehrerbietung seinen Subjekten gegenüber als der Missachtung.
Der Fotograf Sebastiao Salgado steht vor seinen eigenen Fotos im Nationalmuseum in Singapur.
Der Fotograf Sebastiao Salgado steht vor seinen eigenen Fotos im Nationalmuseum in Singapur.© dpa / picture alliance / Sor Luan
Burg: Ihre letzten Dokumentarfilme waren alles, ich sage mal, Hommagen, an Pina Bausch, an BAP, an den Buena Vista Social Club. Ist es für Sie wichtig, Filme zu drehen über Persönlichkeiten, über Künstler, die Sie schätzen? Oder, anders gefragt, wie sehen Sie Ihre Rolle als Dokumentarfilmer?
Wenders: Es gibt ja eine ganze Menge Haltungen, mit denen man ans Dokumentarfilmen herangehen kann. Es machen ja auch viele gute Dokumentarfilmer Filme, weil sie etwas kritisieren wollen oder weil sie Zustände anprangern wollen. Meine Haltung, aus der heraus ich Lust habe, einen Film zu machen, ist eigentlich vor allem die, dass ich etwas ganz toll finde und sehr schätze oder sogar liebe und das mit möglichst vielen Leuten teilen will. Und aus dieser Haltung heraus sind einige meiner Filme entstanden wie "Buena Vista Social Club", da dachte ich, Mensch, müsste die ganze Welt kennen, diese Musik. Oder "Pina" oder auch der Film über Yohji Yamamoto oder jetzt der Film über Salgado - eigentlich aus der Haltung wirklich, dass ich möchte, dass andere Leute das kennen und schätzen lernen, und so eine Art Virus, den ich weitergeben möchte, aber es ist eher ein guter Virus.
"... dass man das vielleicht auch unkritisch sieht"
Burg: Insofern stellt sich die Frage für Sie wahrscheinlich gar nicht, inwieweit man da nicht auch Gefahr läuft der zu großen Verehrung?
Wenders: Die Gefahr besteht natürlich, sobald man was richtig toll findet, unbedingt. Also die Gefahr, dass ich die alten Männer in Havanna zu Beatles hochstilisiert habe - weil dann sind sie letzten Endes, die letzten Jahre ihres Lebens, wie die Beatles um die Welt gezogen und hatten die beste Zeit ihres Lebens, wie sie mir selbst gesagt haben. Das ist natürlich möglich, dass man etwas so hoch hebt, dass es dann ein bisschen auch zur Heldenverehrung wird. Das ist mir vielleicht am ehesten noch mit den alten Herren vom Buena Vista Social Club – aber ich war einfach so begeistert von denen und konnte dann auch nicht fassen, dass wir wirklich diesen Weg vom Schuhputzer bis zur Carnegie Hall, den Triumph da mit gefilmt haben. Das ist natürlich eine Gefahr, wenn man was wirklich toll findet, dass man das dann vielleicht dann auch unkritisch sieht.
Burg: Das heißt, Sie sehen das heute ein bisschen anders?
Wenders: Tja. Ich habe da allerdings auch nichts anderes gedreht, als dass ich das toll finde. Vielleicht ist das dann auch in meiner Haltung so, dass ich es schwer finde, sozusagen die Gegenargumente mitzudrehen, warum man was dagegen haben könnte. Oder jetzt bei Salgado: Ich habe halt die Diskussion um die Ästhetisierung des Leidens herausgelassen, weil ich es tatsächlich eine blöde Diskussion finde. Und die in den Film reinzunehmen - dann hätte ich was reingenommen, nur, um es wiederum zu widerlegen. Und das ist dann auch müßig, finde ich.
Burg: Wim Wenders. Sein neuer Film "Das Salz der Erde" kommt am Donnerstag in die Kinos. Vielen Dank, Herr Wenders!
Wenders: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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