Wiesbaden

Feindbilder hinterfragen

Gewalt zwischen Demonstranten und der Polizei auf dem Maidan.
Gewalt zwischen Demonstranten und der Polizei auf dem Maidan - auch das ist Thema auf dem Filmfestival © dpa / picture-alliance / Sergey Dolzhenko
Von Wolfgang Martin Hamdorf · 13.04.2014
Menschenrechte und die Demokratisierung verkrusteter Strukturen sind wichtige Themen für die Filmemacher in Wiesbaden. Neben dem polnischen Film haben die Krise in der Ukraine und die Wahlen in Ungarn einen besonderen Stellenwert.
Brutal schlagen die Polizisten auf die Demonstranten auf dem Maldan Platz in Kiew ein. Eine der acht Episoden des Films "Ukraine_Voices (Die Stimmen der Ukraine)" schildert die Eskalation der Gewalt und die unmögliche Liebe zwischen einem Polizisten und einer Demonstrantin. Ein anderer erzählt vom Engagement eines orthodoxen Priesters für Homosexuelle, ein dritter über den langen Weg eines Opfers brutaler Polizeiübergriffe hin zum europäischen Gerichtshof.
In der Machart sehr unterschiedlich sind es Bestandsaufnahmen einer zerrissenen Gesellschaft. Für den Koordinator des Projektes den Regisseur und Kameramann Dima Tiazhlov ging es in erster Linie um neuen Blick auf die Ereignisse:
"Es war uns wichtig, die vielen Stimmen hörbar zu machen, die anderen Stimmen. In den Medien tauchen doch immer nur die großen Namen auf, die wichtigen Politiker. Das mag auch wichtig sein, aber die ganz normalen Menschen und ihre Probleme bleiben außen vor. Deswegen sind unabhängige Dokumentarfilme so wichtig, um die vielen Stimmen festzuhalten, denn sonst kann man nicht verstehen, was jetzt passiert, was vorher passiert und was vielleicht später passieren wird."
Die aktuellen Entwicklungen im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine waren in Wiesbaden auf vielen Ebenen präsent. Die Leiterin des Festivals Gabi Babic sieht in der öffentlichen Diskussion alte Feindbilder reaktiviert, Wiedergänger des Kalten Krieges.
"Ja, dass wir uns plötzlich konfrontiert sehen mit zwei Blöcken, die wir eigentlich für überwunden geglaubt haben und wir uns in der Pflicht sahen, jetzt hier als Festival, dass auf unsere Weise auch zu kommentieren, nämlich indem wir ein Panel organisieren, wo wir alle russischen und ukrainischen Gäste, die erst auch einmal da sind zu diesem Zeitpunkt, einladen zu einer Diskussion, damit sie uns auch berichten und informieren, wie sie den Konflikt wahrnehmen aus der Perspektive von Kulturschaffenden, aus der Perspektive der Filmszenen und ob es eben auch Aktionen gibt, Petitionen, Solidarisierungsaktionen mit den demokratischen Kräften. Das war uns wichtig."
Einig, und trotzdem ratlos
So trafen sich Filmemacher, Regisseure und Produzenten aus Russland und der Ukraine zu einer ersten Bestandsaufnahme, ein Fronten überschreitender Ideenaustausch. Man war sich einig, aber auch ratlos. Mit dabei war auch die junge russische Regisseurin Natalia Mikhaylova.
"Es ist ein bisschen schwierig, für mich zu sagen, was mir gerade diese Diskussion gebracht hat. Ich finde es ist wichtig, diesen Dialog zu halten, es wäre möglich russisch-ukrainische Filmproduktionen oder wie gestern besprochen wurde, einen Fernsehsender aufzumachen, da wäre ich sofort dabei, aber ich plane jetzt keinen Film über die Ukraine zu machen, obwohl ich natürlich sehr viel darüber nachdenke. Es beschäftigt mich sehr."
Ein junger Mann betet. Nach monatelangen Folterungen im Nordkaukasus konnte er endlich ins sichere Norwegen entkommen. In Wiesbaden präsentierte Natalia Mikhaylova ihr Dokumentarfilmdebüt "Zelims Bekenntnis" über einen jungen Mann, der tagelang von Sicherheitskräften gefoltert wurde, damit er Verbrechen gesteht, die er nicht begangen hatte. Für die Regisseurin auch Resultat eines hoch finanzierten Kampfes gegen islamistischen Terrorismus, den Moskau seit Jahren im Nordkaukasus führt:
Natalia Mikhaylova: "Die Polizeistationen und die ganzen Behörden, sie machen wirklich Geld damit, wenn sie die Fälle aufklären, dann bekommen sie Gelder dafür, und sie machen es wirklich für die Statistik. Sie müssen so eine Quote erfüllen und wenn die Quote nicht erfüllt ist, wenn sie nicht genügend richtige Terroristen gefangen haben, dann schnappen sie sich wirklich jemand Unschuldigen."
Gesellschaftliche Transformationsprozesse
Auch die ungarische Regisseurin Eszter Hajdú geht einem Verbrechen nach: Drei Jahre hat sie in Budapest den Prozess gegen vier Neonazis verfolgt. Sie hatten 2009 sechs Roma umgebracht, darunter ein fünfjähriges Kind. Am Ende entstand ein beklemmendes dokumentarisches Kammerspiel, auch über unterschwelligen Rassismus im Alltag:
Eszter Hajdú: "Ungarn ist da kein Einzelfall. Nach den Serienmorden gegen Türken in Deutschland hat die Polizei doch genau die gleichen Fehler gemacht, wie in Ungarn. Zunächst einmal hat man die Morde der türkischen Gemeinschaft untergeschoben, in Ungarn haben sie auch versucht die Roma mit den Morden zu belasten. Ich glaube, dass die Behörden bei Morden aus rassistischen Motiven doch oft von starken Vorurteilen geleitet werden und deswegen brauchen wir eine starke Justiz als Kontrollorgan."
Die Menschenrechte und die Demokratisierung verkrusteter Strukturen sind wichtige Themen für die Filmemacher in Wiesbaden, Dokumentar- und Spielfilme die in faszinierender Vielfalt die Facetten gesellschaftlicher Transformationsprozesse in Mittel- und Osteuropa nahe bringen.
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