Wiener Burgtheater: "Europa im Diskurs"

Populismus als Kampfbegriff?

Das Wiener Burgtheater
Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern vermutete bei der Matinee, dass es nach Brexit und Trump einen Lernprozess bei den Wählern geben könnte. © picture-alliance / dpa / Georg Hochmuth
Von Hanna Ronzheimer · 02.04.2017
Wenn sich der österreichische Bundeskanzler Christian Kern auf die Bühne des Burgtheaters setzt, dann muss ihm das Thema wichtig sein. Gestritten wurde über den Begriff des Populismus, den der Schweizer Rechtspopulist Roger Köppel als Totschlagargument kritisierte.
Der Begriff "Wolf im Schafspelz" ist in Österreich seit der Bundespräsidentenwahl vom letzten Jahr eine geläufige politische Vokabel. Er bezeichnet rechtspopulistische Politiker, die sich auf öffentlichen Bühnen gekonnt handzahm geben, deren braunes Fell aber in manchen Momenten dann doch unter dem weißen Schafspelz hervorschimmert.
Auf den Schweizer Rechtspopulisten Roger Köppel, der an diesem Vormittag inmitten einer hochkarätigen Diskussionsrunde im Wiener Burgtheater saß, kann man dieses Bild nicht wirklich anwenden. Vielleicht ist er einfach zu professionell.
Roger Köppel: "Solange man jetzt mir zum Beispiel vorwirft: Also Köppel, das ist ein Populist! Ganz ehrlich, dann sage ich innerlich: Danke vielmals! Offensichtlich gibt es jetzt kein vernünftigeres Argument mehr oder irgendetwas Inhaltliches, das man gegen mich anwenden kann. Dieser Populismusvorwurf ist zu einer begrifflichen Allzweckwaffe geworden, mit dem Ziel, den Diskussionsprozess zu beenden." (Applaus)

Populismus ist ein Chamäleon

Von Aufregung oder Empörung über einen rechtspopulistischen Redner war an diesem Vormittag im Wiener Burgtheater jedenfalls absolut nichts zu spüren. Im voll besetzten Theater hatte sich ein vornehmlich älteres, gutbürgerliches Publikum eingefunden, trotz strahlend-sommerlichen Wetters.
Die erste zu klärende Frage war: Was verstehen wir überhaupt unter Populismus? Dass der Begriff so inflationär verwendet wird, hat viel damit zu tun, dass er so schwer zu fassen ist, meint die Politikwissenschaftlerin Karin Priester, der sich auch der Soziologe Heinz Bude anschließt.
Karin Priester: "Ich bin immer sehr zögerlich, Populismus zu definieren, weil es ein extrem flexibles, Chamäleon-artiges Phänomen ist, das man eigentlich nur von Land zu Land definieren kann. Es gibt aber einen roten Faden, ganz zweifellos. Nämlich die Polarisierung zwischen Wir und den anderen."
Als linker Populist wird derzeit auch der österreichische Bundeskanzler Christian Kern unter anderem von deutschen Medien bezeichnet, weil er mit staatlichen Anreizen die Beschäftigungspolitik für ältere Arbeitnehmer ankurbelt. Roger Köppel verteidigt Kern hier. Die beiden "Populisten" scheint heute Vormittag fast mehr zu vereinen als zu trennen.
Roger Köppel: "Sie sagen ja, Herr Bundeskanzler Kern ist ein Populist – dann muss ich nicht mehr über sein Programm sprechen, wie er mehr Arbeitsplätze in Europa bringen will, ich finde zum Beispiel Herrn Kern - ich wäre froh, wenn wir Sozialdemokraten hätten in der Schweiz wie Ihr Bundeskanzler." (Lachen, klatschen)
Kern: "Nana na!" (Klatschen)
Köppel: "Die müssen Sie in die Schweiz einladen, halten Sie vor den Sozialdemokraten eigentlich mal Vorträge, dann haben die dort vielleicht etwas weniger Populisten, die Konzepte verbreiten, die am Schluss nicht funktionieren können."
Der Populismus ist ein Kampfbegriff, der am besten aus dem Wortschatz gestrichen werden sollte: Immer wieder beharrt Roger Köppel auf dieser Meinung. Herrschende Kreise in Politik und Medien wollten mit dieser Wortkeule die Opposition mundtot machen.
Und genau darin liege das Problem. Die Argumentation der sogenannten Populisten dürfe nicht ignoriert, sondern müsse Ernst genommen und Bedarfsfall widerlegt werden. Der Politikwissenschaftler Jan Werner Müller versucht das auch gleich:
"Also auf die Gefahr hin, mich auf die Dramaturgie von – deutscher Sozialwissenschaftler gegen arme verfolgte Minderheit von Schweizer Populisten – einzureihen, würde ich noch einmal eines unterstreichen wollen: Ich würde mich wehren gegen den Gedanken, wer diesen Populismus-Vorwurf bringt, ist jemand, dem inhaltlich nichts mehr einfällt. Wenn Herr Erdogan sagt, über sich und seine Partei, wir sind das Volk, und dann an seine Kritiker in der Türkei gewandt – wer seid ihr? Oder wenn ein Trump-Berater sag: Wer uns kritisiert, wie die Medien, ist ein Feind des Volkes! Da wird ja ein moralischer Alleinvertretungsanspruch gegenüber dem Volk gestellt. Und dann zu sagen, da müssen wir aber inhaltlich was kritisieren, nein, da muss man sagen, da läuft irgendwas mit der Demokratie schief, wenn jemand sowas macht."

Anzeichen für eine politische Trendwende?

Leben wir nun in einem Zeitalter des Populismus, oder ist diese Mode schon wieder an uns vorbeigezogen? Die österreichische Bundespräsidentenwahl oder auch die letzte Wahl in den Niederlanden könnten erste Anzeichen für eine politische Trendwende sein.
Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern vermutet, dass es nach Brexit und Trump einen Lernprozess bei den Wählern geben könnte. Doch auch die etablierten Parteien müssen sich dringend einen neuen Weg überlegen, um den Populisten nicht immer wieder unfreiwillig den Weg zu ebnen.
Christian Kern: "Ein Farage wäre undenkbar ohne einen David Cameron oder einen Boris Johnson gewesen, und das muss man ganz klar sagen, dass es hier eine Bewegung in dem Spektrum gibt, wo dieses Hinterherlaufen hinter diesen Bällen, die da ins Spielfeld geworfen werden erst recht wieder zu den Konsequenzen führen kann, die wir eigentlich vermeiden wollen. Also da muss man wirklich aufpassen, dass man eine Flamme nicht mit Kerosin versucht zu löschen."
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