Wiederaufbau von zerstörten Städten

Lernen aus dem Zweiten Weltkrieg

Syrische Familien auf der Flucht aus Ost-Aleppo - im Hintergrund sind zerstörte Gebäude zu sehen.
Aleppo, ein Bild des Grauens: Was passiert nach dem Krieg? Wie wird die Stadt wieder aufgebaut? © dpa / picture-alliance / Aleppo Media Center / Handout
Liane von Billerbeck im Gespräch mit Leo Schmidt · 07.12.2016
Eine Konferenz an der Brandenburgischen Technischen Universität beschäftigt sich derzeit mit der Frage, wie man mit zerstörten Städten und deren kulturellem Erbe nach bewaffneten Konflikten umgehen soll. Die Experten blicken vor allem zurück – auf das zerstörte Europa nach dem Zweiten Weltkrieg – und wollen aus dem damaligen Wiederaufbau lernen.
Die syrische Stadt Aleppo ist inzwischen in weiten Teilen zerstört – Bilder, die uns von dort erreichen, zeigen meist nur noch Trümmerhaufen. Wie kann – und soll - man eine Stadt in diesem Zustand wieder aufbauen, wenn irgendwann einmal die letzte Patrone verschossen, die letzte Bombe abgeworfen worden ist?
Leo Schmidt, Professor für Denkmalpflege an der Brandenburgischen Technischen Universität, blickt zurück, auf Europa vor 70 Jahren, das ebenfalls in Schutt und Asche lag. Er spricht von einem "tröstlichen Ansatz", denn die städtebaulichen Wunden in den europäischen Städten seien schließlich auch geheilt worden – wenn auch mit vielen Fehlern, aus denen man lernen müsse.
"Städte werden eigentlich nie zerstört, wenn man das wörtlich nimmt. Sie werden schwer beschädigt, und es ist immer was da, auch sehr viel da, an das man anknüpfen kann."
In Aleppo beispielsweise sei zwar viel Schaden angerichtet worden, zugleich gebe es unter dem Schutt aber noch "immense Strukturen".
"Das muss man ernst nehmen. Das hat man nach dem Zweiten Weltkrieg oft nicht gemacht, da ist alles abgeräumt worden. Tiefenenttrümmerung in vielen deutschen Städten, wo die Römerzeit, das Mittelalter weggebaggert worden ist."
Alles wieder so aufzubauen, wie es vorher war, betrachtet Schmidt allerdings auch nicht als Lösung.
"Eine Stadt bleibt nie statisch. Es wäre sicherlich unangebracht zu sagen, wir wollen genau das wiederhaben, was vor dem Krieg da stand. Man muss natürlich immer eine Beschädigung einer Struktur zum Anlass nehmen, nachzudenken, wie soll es denn weitergehen?" (ahe)


Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: In Cottbus-Senftenberg, an der dortigen Brandenburgischen Technischen Universität, kann man den weltweit seltenen Aufbaustudiengang Weltkulturerbe studieren. Und dortselbst, in Cottbus, geht heute eine internationale Konferenz zu Ende, in der Wissenschaftler und Experten über die Zerstörungen und Gefährdungen dieses Weltkulturerbes durch Kämpfe und Kriege in der Gegenwart diskutiert haben und auch über Methoden zum Wiederaufbau solcher Kulturstätten. Leo Schmidt ist Professor für Denkmalpflege dortselbst, an der Brandenburgischen TU in Cottbus-Senftenberg und jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Leo Schmidt: Guten Morgen!
von Billerbeck: Was waren denn die wichtigsten Fragen, die dort diskutiert wurden, und vor allem, konnten Sie Antworten finden?
Schmidt: Wir sind da noch dabei. Aber es geht uns in diesem ganzen Kontext hauptsächlich um städtische Strukturen. Da denkt man natürlich an so Städte wie Aleppo mit 5.000 Jahren ununterbrochener Besiedelung und was man da wohl machen kann, wenn hoffentlich bald mal die Waffen schweigen und man eben an Wiederaufbau, an Konsolidierung denken kann.

Aleppo: 5.000 Jahre ununterbrochene Besiedlung

Und dazu haben wir aus aller Welt Leute zusammengebracht, die Erfahrungen diskutieren. Im 20. Jahrhundert gab es ja unglücklicherweise viele Erfahrungen mit Kriegszerstörungen von Städten und dem, was danach kommt. Und daraus kann man natürlich Lehren destillieren, die man vielleicht eben auch in der einen oder anderen Weise dann in Zukunft in Syrien anwenden kann.
Zu sehen sind die Trümmer der zerstörten Stadt Köln im Zweiten Weltkrieg - undatierte Aufnahme
Köln im Zweiten Weltkrieg: Aus den Fehlern beim Wiederaufbau lernen© picture-alliance / dpa / Royal Air Force
von Billerbeck: Wenn diese Experten wie zum Beispiel aus Russland, aus Großbritannien und aus Ägypten kommen, worin unterscheiden sich denn die Ansätze, wie man mit solchen zerstörten Kulturschätzen umgeht, aus deren Erfahrungen eben?
Schmidt: Das Spannende ist eigentlich, dass man doch eigentlich sehr schnell eine gemeinsame Sprache, einen gemeinsamen Ansatz dort gefunden hat. Die ganz großen Unterschiede zeichnen sich da gar nicht ab. Es ist etwas, wo man eben auch, wo auch die ganze Zunft der mit dem Kulturerbe Befassten, eigentlich seit Jahren unterwegs ist, dass es eine Verschiebung gibt von der Konzentration auf, sagen wir mal, das Gebaute, das Gemachte, das Materielle hin zu den sozialen und psychologischen Komponenten, also hin zum Menschen. Und was eben die Objekte und die Orte für die Menschen bedeuten, welche Rolle die da haben. Und da finden wir uns eigentlich alle gut zusammen.
von Billerbeck: Nun verbindet man ja meistens die Idee von Kultur mit der Geschichte, mit solchen Orten wie der Oasenstadt Palmyra in Syrien oder den afghanischen Buddha-Statuen. Sie haben Aleppo schon erwähnt. Da erleben wir ja in den letzten Monaten, dass ganze Stadtgefüge unterzugehen drohen, dass Hunderttausende Menschen und eben auch Baudenkmäler zerstört, ermordet, verletzt werden. Wie lässt sich denn eine solche Wunde überhaupt je wieder heilen?
Schmidt: Nun ja, also ich meine, da ist es eigentlich auch ein fast tröstlicher Ansatz, wenn man einfach mal schaut, was Europa vor 70 Jahren an Zerstörungen hat hinnehmen müssen in den unterschiedlichsten Ländern im Zweiten Weltkrieg und dass das ja schließlich auch geheilt worden ist, wenn auch mit vielen Schwierigkeiten hier und da, aus denen wir, wie gesagt, auch lernen können.

Städte werden nie zerstört, nur beschädigt

Ein ganz wichtiger Faktor ist dabei zu wissen: Städte werden eigentlich nie zerstört, wenn man das also wörtlich nimmt. Sie werden schwer beschädigt, und es ist immer was da, immer auch sehr viel da, an das man anknüpfen kann.
Wenn Sie denken, Aleppo, 5.000 Jahre ununterbrochene Geschichte der Besiedelung. Da ist oberflächlich natürlich einiges an Schaden angerichtet. Aber was da noch an immensen Strukturen und Qualitäten wirklich auch unter dem Schutt vorhanden ist, das muss man ernst nehmen.
Das hat man nach dem Zweiten Weltkrieg oft nicht gemacht, da ist alles abgeräumt worden – Tiefenenttrümmerung in vielen deutschen Städten, wo das Mittelalter, die Römerzeit weggebaggert worden ist und wo man dann die autogerechte Stadt oft drüber gemetert hat und auf die Weise eine zweite Zerstörung durchgezogen hat, die viel schlimmer war als die erste. Daraus wollen wir eben auch lernen und diese Erfahrungen weitergeben.
von Billerbeck: Haben Sie denn inzwischen überhaupt einen Überblick, also Sie und Ihre Kollegen meine ich, international, wie sehr Krieg eben auch Kultur und Kulturstätten bedroht und zerstört?
Schmidt: Das ist auch ein großes Projekt, das ist von der Universität (…) in England haben wir eben auch berichtet bekommen, wie da Dokumentationsmethoden, auch natürlich mit den modernsten Techniken, entwickelt werden, wo man eben teils natürlich auch über Satelliten, teils aber auch vor Ort dabei ist, eben auch diesen Überblick zu schaffen und das in einem Netzwerk zu generieren. Und dann kommt natürlich auch die Frage der Bewertung, der Einschätzung der Situation jeweils vor Ort dazu, und das sind gigantische Aufgaben, gar keine Frage, aber man muss natürlich jede Konzeption auf etwas aufbauen, auf einem Kenntnisstand, wie es überhaupt vor Ort aussieht und wo die Qualitäten und die Werte sind, die man für die Menschen dann auch bewahren und weiterentwickeln will.
Ruinen der zerstörten Antikenstadt Palmyra in Syrien.
Ruinen der vom IS zerstörten Antikenstadt Palmyra: Auch in Syrien gibt es für Denkmalpfleger viel zu tun© dpa / picture alliance / Mikhail Voskresenskiy
von Billerbeck: Gibt es da auch neue Ansätze der Denkmalpflege, die diskutiert werden, also auch die Gretchenfrage, wiederaufbauen oder nicht wiederaufbauen?
Schmidt: Das sind ja überhaupt keine neuen Ansätze. Das ist eigentlich das, wo sich die Denkmalpflege seit 200 Jahren drum streitet. Wir sind da natürlich einfach auch von dem Ansatz her – wenn man mit städtischen Strukturen zu tun hat, dann hat man ja immer mit Prozessen zu tun.
Eine Stadt bleibt ja nie statisch, und es wäre sicherlich ganz unangebracht, in diesen Situationen einfach zu sagen, wir wollen genau das wieder haben, was vor dem Krieg da stand.

Den Krieg nicht aus der Erinnerung ausblenden

Sondern man muss natürlich immer eine Beschädigung einer Struktur auch zum Anlass nehmen, nachzudenken, wie soll es denn weitergehen, wie sieht also die Anpassung, die Veränderung aus für die nächste Generation, die natürlich durchaus auch beinhalten soll und muss, dass man sich auch daran erinnert, dass diese Beschädigungen und diese Zerstörungen stattgefunden haben, also dass das nicht einfach so ausgeblendet wird aus der Erinnerung.
von Billerbeck: Der Kunst- und Architekturhistoriker Leopold Schmidt war das von der Brandenburgischen Technischen Universität in Cottbus-Senftenberg. Ich danke Ihnen!
Schmidt: Dankeschön, Tschüs.
von Billerbeck: Tschüs. Und über das Symbol Aleppo, die umkämpfte und schwer zerstörte Stadt, hören Sie mehr dann gegen 7:10 Uhr.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema