Wie umgehen mit Erdogan & Co.?

Klarheit ist manchmal besser als Diplomatie

Bundeskanzlerin Angela Merkel traf am 04.09.2016 den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu einem bilateralen Gespräch kurz vor dem offiziellen Beginn des G20-Treffens.
Kanzlerin Angela Merkel bei einem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan im September 2016. © dpa / picture alliance
Von Memet Kilic  · 23.03.2017
Die AKP will nun doch keine Spitzenpolitiker mehr zu Wahlkampfauftritten nach Deutschland schicken. Ein Verdienst der konsequenten Haltung der Bundesregierung? Der Grüne Memet Kilic sieht eher eine völlig wirkungslose Diplomatie gegenüber Autokraten am Werk.
Hallo, Ihr deutschen Nazis!
Entschuldigen Sie bitte, das ist mir nur so rausgerutscht! Ich schaue in letzter Zeit zuviel türkisches Fernsehen. Mein Führer, der ein Oberlippenbart trägt und zu der großen, mit Fahnenmeer versehenen Menge nicht spricht, sondern brüllt und Journalisten, Oppositionelle und Akademiker ins Gefängnis wirft, hat euch so bezeichnet. Er ist stark!

Eskalation statt Diplomatie

Putins Propaganda-Fernsehen erklärt, Merkel stehe in der Tradition von Adolf Hitler. Putin selbst sagt, dass das russische Militär stärker als jeder potenzielle Aggressor sei. Putin kann oben ohne auf einem Pferd reiten. Er ist stark! Merkel-Beleidigungen gehören bei Trump zum Standardrepertoire. Er ist so stark!
Dauer-Eskalation ersetzt in letzter Zeit die klassische Diplomatie. Wie soll aber ein Rechtsstaat reagieren, wenn immer mehr Länder dieser Welt auf verbale Krawalle und diplomatische Eskalation setzen? Darauf hören wir seit Jahren viele scheinbar vernünftige Argumente: Man solle vernünftig und ruhig reagieren, sich nicht auf die gleiche Ebene begeben, verbal abrüsten.

Demokraten, traut Euch!

Ich vertrete seit Jahren eine unpopuläre, andere Meinung. Bereits 2011 habe ich als Abgeordneter des Deutschen Bundestages die Bundesregierung aufgefordert, Erdogan öffentlich zurechtzuweisen. Erfolglos. Denn was hat die große Politik stattdessen getan? Einige wenige Beispiele:
Erdogan bezeichnete die türkeistämmigen Abgeordneten des Deutschen Bundestages als Personen mit verdorbenem Blut, weil sie der Armenier-Resolution zugestimmt hatten. Frau Merkel distanzierte sich von der Armenier-Resolution, um Erdogan zu besänftigen. Erdogan zitierte wegen eines Satirelieds im Fernsehen den deutschen Botschafter zu sich. Frau Merkel hat nicht den türkischen Botschafter über die Medien-, Meinungs- und Kunstfreiheit unterrichtet, sondern auf vorgebliche "Deeskalations-Diplomatie" gesetzt.
Während die verfolgten Journalisten aus der Türkei sich auch in Deutschland verstecken müssen, werden die Berater von Erdogan fast wöchentlich in den Polittalkshows des deutschen Fernsehens hofiert. Welche geheime Vernunftstrategie steckt dahinter? Haben die öffentlich-rechtlichen Medien keinen Sinn für eine wehrhafte Demokratie?

Keine Werbung für Diktatur und Todesstrafe in Deutschland

Bereits zwei Mal hat das Bundesverfassungsgericht erklärt, dass über die öffentlichen Auftritte von ausländischen Staatsoberhäuptern oder anderen Regierungsmitgliedern in Deutschland die Bundesregierung entscheide. Die Bundesregierung nutzte aber diese Rückendeckung nicht aus, sondern versteckte sich hinter einer vorgeblichen Deeskalations-Strategie.
Selbst wenn die AKP nun angeblich auf weitere Auftritte in Deutschland verzichtet, bleibt eine klare und deutliche Aussage unverzichtbar: Ausländische Regierungsmitglieder und Staatsoberhäupter dürfen nicht auf deutschem Boden für die Errichtung einer Diktatur und die Einführung der Todesstrafe werben. Demonstrationsfreiheit darf nicht gegen Menschenrechte in Stellung gebracht werden.

Farbe bekennen gegen Despoten, Autokraten und Diktatoren

Autoritäre Persönlichkeiten und ihre Anhänger neigen dazu, die Zurückhaltung ihrer Gegner als Schwäche zu verstehen. Sie setzen dann noch einen drauf. Sich tot zu stellen, hilft vielleicht im Wald gegen einen Bären, aber nicht gegen einen vor Selbstbewusstsein strotzenden Autokraten. Um weitere Provokationen dieser Art einzudämmen, müssen die führende Politikerinnen und Politikern in Rechtstaaten Despoten, Autokraten und Diktatoren öffentlich zurechtweisen.
Deren Anhänger in Deutschland und Europa müssen merken, dass sie die freiheitlich demokratische Grundordnung nicht missbrauchen können, um für ihre Führer Stimmung zu machen. Es ist eine wesentliche Aufgabe auf allen Ebenen, die zivile Gesellschaft zu stärken, damit sie den Feinden der Demokratie entgegentritt. Leisetreterische Diplomatie bewirkt hier nichts Gutes.

Memet Kılıç, Bündnis 90/Die Grünen, 50 Jahre alt, kam 1990 nach Deutschland. Er ist Mitglied der Anwaltskammern Ankara und Karlsruhe und Vorsitzender des Bundesintegrationsrates. Zuvor war er Bundestagsabgeordneter – mit Sitz im Innenausschusses sowie Integrationspolitischer Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion (2009-2013), ferner Mitglied des Rundfunkrates des Südwestrundfunks (1998-2008) sowie des "Beirates für Fragen der Inneren Führung der Bundeswehr" (2002-2010).

© Quelle: privat
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