Wie steht es um unsere Moral an der Ladenkasse?

Moderation: Dieter Kassel · 17.12.2011
Weihnachten naht und damit die Konsumschlacht schlechthin. Die Geschäfte fahren in dieser Zeit ihre höchsten Gewinne ein. Aber Weihnachten ist nur ein Beispiel für unsere auf Konsum ausgerichtete Welt: Wir shoppen in jeder Lebenslage, Einkaufscenter und Discounter boomen. Gleichzeitig wächst die Zahl derer, die sich den Billigprodukten verweigern und auf Nachhaltigkeit setzen.
"Grundsätzlich ist jeder Einkaufsakt politisch. Jeder Konsument stimmt an der Kasse ab, ob moralisch oder nicht", sagt der Kulturwissenschaftler Prof. Dr. Ludger Heidbrink. Auch, wenn man nicht darüber nachdenke, wo und was man kaufe – die Folgen seien letztlich politisch – denn sie gipfelten in der Frage, welche Geschäfte überleben, bis hin zu den Herstellungsbedingungen der Waren.

Dem Direktor des Center for Responsibility Research am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen geht es nicht darum, den totalen Konsumverzicht zu predigen, sondern "von einem quantitativen zu einem qualitativen Konsum zu kommen. Wenn man sich diese Malls anschaut, was die Leute dort anstellen: Sie konsumieren nicht, sie kaufen. Wir leben in einer Kaufgesellschaft!"

Seine Forderung:

"Leute konsumiert mehr und kauft weniger."

Denkanstöße zu diesem Thema hat Ludger Heidbrink als Mitherausgeber in dem Sammelband "Die Verantwortung des Konsumenten. Über das Verhältnis von Markt, Moral und Konsum" zusammengetragen. Seine Beobachtung:

"Es gibt eine Glückstretmühle: Je mehr man einkauft, umso mehr will man haben. Aber Konsum ist keine Befriedigungsform, deshalb kaufen die Leute ja immer mehr, denn sie hoffen auf Glück. Im Gegenteil: Er macht eher unglücklich bis hin zum Suchtverhalten. Am Ende wissen es die Leute auch, sie klagen über die immer gleichen Malls, dass sie all den Kram nicht brauchen."

"Der 'homo oeconomicus', die Idee, dass Einkaufen ein rationaler Akt ist, das ist Fiktion", entgegnet der Psychologe Norbert Wittmann. Der Vorstandsvorsitzende der Unternehmensberatung Gruppe Nymphenburg berät Firmen und Geschäfte, wie sie ihre Produkte am besten an die Kunden verkaufen.

"Eine ganze Reihe der Einkäufe sind Impulseinkäufe, es passiert ganz selten, dass nur das gekauft wird, was auf dem Einkaufszettel steht. In dem Moment, in dem man sich als Käufer in die Warenwelt begibt, mit 'zig Varianten, die alle schreien: 'Kauf mich!' - da kommt dann das Moment des Impulsiven hinein."

Dabei spielten Faktoren wie Geruch, Verpackung, Markenimage bis hin zur Verkaufsatmosphäre eine große Rolle. Waren landeten binnen Millisekunden im Einkaufswagen.

"Ethisches Handeln oder bewusstes Einkaufen, das rangiert in dem Moment ganz hinten, da denkt man nicht an den Bauern aus Nicaragua, eher 'das schmeckt mir'. Diejenigen, die das denken, haben eine ganz andere Entscheidung getroffen: Sie gehen erst gar nicht zu Aldi, sondern eher in den Bio-Supermarkt."

Interessant für beide: Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Ludger Heidbrink:

"40 Prozent der Verbraucher sagen in Umfragen, dass sie umweltfreundliche Waschmittel verwenden, doch der tatsächliche Marktanteil liegt nur bei fünf Prozent."

Seine Frage:

"Wie kann man den Verbraucher überlisten, den Verlockungen des Marktes zu widerstehen? Warum fällt es dem Einzelnen so schwer, sein Konsumverhalten zu ändern?"

"Wie steht um unsere Moral an der Ladenkasse?"
Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit Ludger Heidbrink und Norbert Wittkamp. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Literaturhinweis:
Ludger Heidbrink, Imke Schmidt, Björn Ahaus (Hg.): "Die Verantwortung des Konsumenten. Über das Verhältnis von Markt, Moral und Konsum"
Campus Verlag Oktober 2011