Wie motiviert man Männer im Altenheim?

"A bisserl Charme und Bauchpinselei"

Ein Rentner sitzt mit Kopfhörern auf einem Sessel und hört Musik.
Männer im fortgeschrittenen Alter wollen Sportschau gucken, sich über Motorräder unterhalten - und manchmal auch ihre Ruhe © imago / Westend61
Von Michael Watzke · 23.05.2016
Die Pflegekräfte im Altenheim sind meist weiblich - und wissen manchmal wenig von der Welt, in der sich alte Männer gedanklich bewegen. Seminare sollen das jetzt ändern. Themenschwerpunkte: Fußball, Autos und die Werkstatt.
Anpfiff des Seminars "Männersachen 1.0" in Regensburg. An der Katholischen Akademie schauen 15 Altenpflegerinnen und ein Pfleger auf Jana Glück.
"Sie sehen mich hier gerade stehen mit einer Trillerpfeife um den Hals, denn es geht um Fußball. Und für eine einfache Interaktion für jeden Wohnbereich – ohne großen Aufwand – habe ich einen Luftballon-Fußball dabei."
Die Sozialpädagogin Jana Glück kickt den aufgeblasenen Fuß-Ballon in die Runde. Sie vermittelt "Männersachen" – also Spiele und Wege, um Senioren in Altenheimen aus dem Abseits zu locken.

Männer haben andere Bedürfnisse als Frauen

"Männer haben andere Bedürfnisse als Frauen. Also brauchen Männer für ihre Identitätsfindung, -stiftung, -orientierung auch einen Platz, wo sie mal nur unter sich sein können."
Das ist im täglichen Routine-Betrieb eines Altenheims nicht ganz einfach. Agnes Hoch beispielsweise, Pflegerin im Altenheim St. Franziskus in Berching, betreut 65 Frauen und 10 Männer. Mit letzteren tut sie sich nicht immer leicht.
"Es ist auf alle Fälle schwerer, Männer zu begeistern. Und ich finde es jetzt ganz gut, diese Fortbildung, dass man mal weiß, wie man sie anpackt. Dass man sie rumkriegt, damit sie mitkommen. Es braucht schon Überzeugungskraft."
"Folgende Themen haben wir vorbereitet: Werkstatt. Dann natürlich: Auto, Motor und Sport. Dann ein Lieblingsthema von Männern: die Sportschau."

Sammelsurium von Männer-Klischees

Das klingt aus heutiger Sicht wie ein Sammelsurium von Männer-Klischees. Aber die zu pflegenden Männer sind nun mal 70 Jahre oder älter.
"Männer dieser Generation, die in den 50er Jahren ihre Jugend- oder Hauptprägungszeit gehabt haben, die haben das so gelernt. Viele waren Familienoberhaupt, viele haben das Geld nach Hause gebracht, haben die Familie zusammengehalten und waren auch die, die das Häuschen gebaut und am Auto geschraubt haben. Und das ist das, was diese Männer auch nach wie vor brauchen in ihrem Leben. Also es geht darum, die Menschen in ihrer Identität zu stärken, die sie gelernt haben."
Das gelte für Männer mit und ohne Demenz- oder Alzheimer-Erkrankungen, sagt Rico Prager, Seminarteilnehmer aus Bad Rodach. Bei den Senioren im Diakonie-Heim braucht er es mit typischen Damen-Angeboten gar nicht erst versuchen.

Sitztanz macht kein Mann mit

"Also Sitztanz, da bekommt man keinen Mann dazu. Nur selten. Die sind auf ihren Zimmern oder bei uns im Betreuungsraum, aber machen halt nichts mit, was angeboten wird. Die müssen spezifischer mit Männer-Angeboten gefördert werden."
Eine Dame unterrichtet in einem Altenheim eine Gruppe Senioren beim Tanzen. 
Altenheim-Gruppe: Bestimmte Angebote macht kein Mann mit© picture-alliance / dpa / Fredrik von Erichsen
Rico Prager ist der einzige Mann im Seminar. Auch im Altenheim hat er fast nur Kolleginnen. Das Betreuungsprogramm für die Senioren kannte bisher kaum Abwechslung. Prager will das ändern und seine Männerrunde neu begeistern.
"Ich glaub‘ schon, dass mir das als Mann etwas leichter fällt. Aber ich hab’s schon angekündigt, dass es dann bei uns halt nicht mehr so sein wird, dass nur gegrillt, gegessen und getrunken wird. Und da gingen die Mundwinkel erstmal nach unten. Aber ich hab gesagt, ich mach‘ jetzt das Seminar, und dann schauen wir mal. Es war die Rede von Sport, vielleicht mal zum Fußball fahren. Und das finden sie auch toll."
"Ich geh mal zu meiner Stellwand, drehe sie mal um … und da gibt’s den Stammtisch und den Frühschoppen und den Herrenabend. Und natürlich haben wir hier in Bayern 'Schnauferl-Treffen'. Ein Schnauferl ist zu hochdeutsch ein Motorrad."

Männer brauchen eine Werkstatt

Lauter Dinge, die alte Männer begeistern und Erinnerungen wecken sollen. Im Seminar in Regensburg lernen die Altenpflegerinnen, eine kleine Werkstatt einzurichten, in der die Männer basteln können. Sie erfahren, dass sie regelmäßig die Bundesliga-Tabelle studieren sollen, um mitreden zu können. Außerdem sind bestimmte Kartenspiele von Vorteil, etwa Skat oder Schafkopfen, das aber nur wenige Teilnehmerinnen beherrschen.
"Ich kann nicht schafkopfen, wir tun meistens herzeln oder neunerln. Da machen meistens nur die Frauen mit, die Männer schauen zu und luren drüber und schauen, was wir für Karten haben. Und sagen, was sie besser machen würden."
Immerhin – die Männer nehmen Anteil. Viele Alte tun nicht mal mehr das, weiß Ausbilderin Rosi Schmidpeter, die in der Katholischen Akademie Ambulante und Stationäre Pflege unterrichtet.
"Viele Männer kommen deswegen ins Altenheim, weil sie eben alleine sind. Ich glaube, dass da oft sehr viel Trauer im Spiel ist. Und sich mit der Veränderung zurechtzufinden – das fällt Männern oft schwerer."
Hinzu kommen bei vielen Senioren die Folgen der Demenz. Dadurch können sich lebenslange Charakter- und Verhaltensmuster plötzlich komplett verändern.
"Manche Hemmschwellen sind einfach weg. Die Personen verändern sich, und manchmal sagen die Kinder dann: mein Vater war nie leutselig, nie gefühlsbetont. Und jetzt auf einmal weint er und ist ganz anders. Manchmal sind sie sehr betroffen, manchmal auch befreit, weil der Vater plötzlich Gefühle zeigen kann."

Ein Schlüssel zu Männer-Gefühlen ist Musik

Ein Schlüssel zu den Gefühlen alter Männer ist Musik – vor allem, wenn sie Erinnerungen weckt. Chansons der 30er Jahre, Heimatmelodien aus den 50ern und, auch, Soldatenlieder aus der Kriegszeit. Wie "Lilli Marleen" von Lale Andersen.
"Was ich festgestellt habe, was alle können, egal ob dement oder nicht: tanzen! Da kriegt man sie immer rum. Die älteren Männer können fast alle tanzen. Und wirklich gut."
Beim Tanzen fällt es gerade den Altenpflegerinnen leicht, das Eis zu brechen und die Senioren zu aktivieren. Es ist eine augenzwinkernde Art des Flirtens – oder, um in der Sprache der Alten zu bleiben: des Liebäugelns.
"… mit Charme und bissel Bauchpinselei, dann klappt das. Komplimente und immer wieder die Stärken betonen: 'Sie wissen doch, wie gern wir Sie hier haben' und 'Sie können das doch' – und dann klappt’s!"
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