Wie man einer Unterhose Leben einhaucht

30.08.2011
Der Wissenschaftshistoriker Joachim Schummer lässt Revue passieren, wie selbstverständlich Forscher in früheren Jahrhunderten versuchten, aus allen möglichen Substanzen Lebewesen zu erzeugen. Andererseits glaubt er, dass die Erfolge der heutigen synthetischen Biologie gern überschätzt werden.
Der amerikanische Tausendsassa Craig Venter weiß, wie sich Forschung populär machen lässt. Aus lediglich "vier Flaschen Chemikalien" habe er die erste künstliche Bakterienzelle hergestellt, verkündete er 2010. Die erwünschte Resonanz blieb nicht aus. "Spielt er Gott?", "Er spielt Gott!", "Wir sind Gott!" titelten Zeitungen weltweit.

In seinem klugen Buch "Das Gotteshandwerk" nimmt der Wissenschaftshistoriker Joachim Schummer diese Metapher unter die Lupe. Dabei arbeitet er sich in 16 Kapiteln quer durch die Ideengeschichte der Lebensherstellung, um anschließend Wissenschaftlichkeit, Erkenntnisgewinn und technischen Nutzen solcher Vorhaben zu bewerten. Was der Autor mit seiner klaren Sprache, historischer Genauigkeit und erkenntnisphilosophischer Schulung herausarbeitet, sollte Pflichtlektüre in Biologie-Studiengängen werden.

Craig Venter war trotz des Medienrummels beileibe nicht der erste Lebenserzeuger. Im 20. Jahrhundert traten sich die Kollegen geradezu auf die Füße: Mittels Seeigeleiern oder Amöben, radioaktiven Nährlösungen oder sich selbst vermehrenden Softwareprogrammen wollten sie Lebensschöpfungsakte begangen haben. Geschichtsvergessene Medien folgten ihnen mit einer Flut erregter Gottesvergleiche auf dem Fuße.

Die Erregung ist jüngeren Datums, wie der Autor anschaulich schildert. Bis zum 19. Jahrhundert galt das Hervorspringen von Leben aus wenig göttlichen Ingredienzien als alltäglich. Konnte nicht jeder bezeugen, dass verwesendes Fleisch oder feuchtes Brot ein reiches Spektrum an Lebensformen hervorbrachten wie Maden, Würmer und Insekten?

Zahllose alte Rezepte erklären, wie sich mit einfachsten Mitteln Lebewesen selber machen lassen. So wusste ein flämischer Arzt, dass alte Unterhosen mit Weizenkörnern gemischt in nur drei Wochen Mäuse erschaffen. Das schöpferische Wirken Gottes hingegen wurde nicht als Handwerk gedacht, sondern der Herr hauchte einer fruchtbaren Erde seinen Atem ein - das Prinzip des Lebens. Pflanzen und Kleingetier entstehen laut Bibel einfach so. Erst als Charles Darwin mit seiner Evolutionstheorie an die Herkunft des Menschen rührte, entstand als religiöse Gegenbewegung der Kreationismus. Seine Ausleger finden sich bei Journalisten, Bioethikern und Kirchen, die - anstatt ihr Unbehagen präzise zu fassen - einen Gott medial abschaffen, an dessen Existenz sie entweder gar nicht glauben oder den ihre Theologie so nicht hergibt.

Wenn die synthetische Biologie diese Dynamik nutzt, um ihre Forschungsarbeiten ins Rampenlicht zu rücken, tut sie sich keinen Gefallen, betont Joachim Schummer gegen Ende des Buches. Zwar fließen dann Fördergelder, aber der Erkenntnisgewinn bleibt auf der Strecke. Zum Beispiel Craig Venter: Wird der Mann erst einmal als Gott gehandelt, fragt niemand mehr, ob seine Arbeiten wirklich so bahnbrechend waren. Sie waren es nicht, sondern beruhten auf viel Fleißarbeit und der - öffentlich ausgeblendeten - Hilfe von Hefezellen.

Im Schlusskapitel seines Buches entlässt Joachim Schummer Theologie, Geistes- und Naturwissenschaften mit einer umfangreichen Aufgabenliste. Sie läuft auf das hinaus, was der Autor beispielhaft vormacht: präzises Denken.

Besprochen von Susanne Billig

Joachim Schummer: Das Gotteshandwerk: Die künstliche Herstellung von Leben im Labor
Suhrkamp Verlag edition unseld, Berlin 2011
240 Seiten, 12 Euro