Wie man die Flut bändigt

Von Peter Kaiser · 15.06.2013
Zwar sinken langsam die Pegelstände in den vom Hochwasser betroffenen Gebieten - aber das nächste Hochwasser kommt bestimmt. Meteorologen und andere Klimaforscher suchen fieberhaft nach Wegen, künftige Extremwetterereignisse unter Kontrolle zu bringen.
Wie konnte es zur diesjährigen Hochwasserkatastrophe kommen, was veranlasste den vorhergehenden Dauerregen und werden sich Wetterextremereignisse in Zukunft häufen? Das sind Fragen, mit denen sich Klimaforscher und Meteorologen derzeit beschäftigen. Ein eingefrorener Jetstream gilt als Mitverantwortlicher für das Wetterextrem. Der Jetstream ist ein schlauch-, oder tunnelartiges Feld höchster Windgeschwindigkeiten in einer Höhe von zehn bis 12 Kilometern.

Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe, Meteorologe am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, , erläutert zum Jetstream:

"Wir müssen uns das in der Nordhemisphäre ja so vorstellen, dass wir einen Wechsel von Hoch- und Tiefdruckgebieten haben. Das heißt, wir haben eine wellenförmige Bewegung in der Atmosphäre. Und in die ist der Jetstream eingebettet."

Der Jetstream, sagen Klimaforscher, kann manchmal eine Art Falte bilden. Das heißt, er verlässt seine normale Bahn. Das geschah etwa bei der Oderflut 1997, oder im Oktober 1998, als der Rhein und die Necker über die Ufer traten. Meistens ist diese Falte nach ein paar Tagen wieder verschwunden. Im Mai 2013 aber blieb sie wie eingefroren wochenlang erhalten.

Gerstengarbe: "Solche Situationen führen dann, wenn man Pech hat, in einer Region entweder zu einem Ausfall von Niederschlag, oder, wie im Moment, zu viel Niederschlag. Wenn wir Mitteleuropa betrachten, dann hatten wir in den letzten Tagen eine sogenannte Trogwetterlage."

In Folge eines eingefrorenen Jetstreams, wie im Mai 2013, als wie an einer Perlenschnur gezogen, etliche Tiefdruckgebiete über Zentraleuropa lagen, kann es zu den Trogwetterlagen kommen, das sind ausgedehnte Gebiete mit geringem atmosphärischem Luftdruck.

Gerstengarbe: "Und dann kriegen wir den gesamten Niederschlag, der sonst über eine große
Fläche verteilt wird, über eine relativ kleine Fläche. Und zusätzlich verstärkt hat diesen Effekt noch die Tatsache, dass wir schon starke Niederschläge hatten, die Böden also ziemlich feucht waren, dann ist die Kapazität für den Regen in den Boden hinein nicht mehr gegeben."

Eingefrorene Jetstreams können aber auch dafür sorgen, dass Hochdruckgebiete auf der Stelle verharren. So geschehen im Hitzesommer 2003, der Tausende Opfer forderte.

Gerstengarbe: "Extreme heißt nicht nur Starkniederschläge, nicht nur Überschwemmungen - denken Sie 2003 an die Dürre, die wir hatten, denken Sie voriges Jahr an die Dürre in den USA, die größte, die sie bisher überhaupt beobachtet hatten, das kommt dann auch noch dazu. Plus zum Beispiel die Intensivierung der Tornados. Die Tendenz ist so, dass die Extremereignisse deutlich zugenommen haben. Innerhalb der letzten drei Jahrzehnte hat sich eine Verdoppelung eingestellt, und das ist nicht einfach nur Zufall, sondern das hat mit der globalen Erwärmung zu tun."
Doch was ist zu tun, wenn es zukünftig häufiger zu Überflutungen in diesem Ausmaß kommt?Wohin mit dem Wasser? Einen möglichen Lösungsansatz haben die Forscher um den Hydrologen Achim Schulte von der Freien Universität (FU) Berlin präsentiert. Sie wollen die Fluten schon an den Quellen im Hochland stoppen. Dazu der Geograph Christian Reinhardt von der FU:

"Unsere Konzepte und Ideen basieren auf dem Konzept des dezentralen Wasserzurückhaltens, die Idee besteht darin, dass man anstelle eines großen Hochwasserrückhaltebeckens auch sehr viele kleine Maßnahmen über ein Gebiet verteilen kann."

Kleine Becken können dezentral im Hinterland oder direkt an den Quellen gebaut werden. Je nach Region könnten solche Becken bis zu 50 Prozent einer Flut zurückhalten, bevor sie die Ortschaften erreicht. Doch man kann noch mehr an dezentralen Massnahmen zum Flutwasserrückhalt unternehmen.

Reinhardt: " ... wie zum Beispiel die Aufforstung von Vorländern, um die Fließgeschwindigkeit zu verringern - wenn wir zum Beispiel über Aufforstungsmaßnahmen reden, dann wird es einfach im Bodenspeicher zurückgehalten. Das geht. Es gibt eine ganze Reihe von Einschränkungen, zum Beispiel ist der Waldtyp sehr entscheidend oder ob Sie einen Laubwald haben oder einen Nadelwald, die Bodeneigenschaften spielen eine ganz große Rolle ..."

Die Wiederaufforstung von Wäldern um Quellflüsse herum, lohnt sich. So kann etwa ein Hektar Buchenwald an einem Sommertag bis zu 50.000 Liter Wasser verdunsten. Generell sind Birken, Pappeln und Weiden Bäume, die viel Wasser brauchen, und sich darum zur biologischen Entwässerung durchnässter Gelände eignen. Solche Lösungen, sagen die Wissenschaftler, sind zum einen "Ad on-Lösungen", also zusätzlich zu den großen Maßnahmen wie Deichverstärkungen zu sehen. Andererseits dauert eine Umsetzung lange.

Reinhardt: "Der Punkt ist, wenn man viele kleine Massnahmen umsetzen muss, ist das planungstechnisch komplizierter, als wenn man eine große Massnahme plant."

Zehn Jahre sind für Hochwasserschutzplanungen eine vergleichsweise kurze Zeit. Wohl auch deshalb, weil es meist Widerstände von Anwohnern und Landwirten gibt. Beispiel Sachsen, wo seit dem letzten Hochwasser 2002 zwar Schutzkonzepte längst geplant sind, doch vielfach noch nicht umgesetzt werden konnten. Besonders hier sollte, nach den verheerenden Fluten in diesem Jahr, die Kommunikation zwischen den Planungsbehörden und den Bürgern besser werden - bevor die nächste Jetstreamfalte über uns einfriert.