Wie Kafka auf Kuba

Rezensiert von Uwe Stolzmann · 24.03.2006
Mit 30 Jahren Verspätung erscheint Jorge Edwards' bitter-ironischer Reisereport aus Kuba endlich auf Deutsch. Dennoch klingt der Text noch heute aktuell. Als der Schriftsteller aus Chile nach Havanna aufbrach, war er voller Hoffnung …
Am 7. Dezember 1970 reist Jorge Edwards, ein Dichter und Diplomat aus Santiago de Chile, nach Havanna. Edwards - Jahrgang 1931, Spross einer großbürgerlichen Familie und ehemaliger Jesuiten-Zögling - schwärmt trotz seiner Erziehung für die Revolution. Daheim, in Chile, hat eben Salvador Allende die Macht übernommen. Der neue Präsident träumt von einem friedlichen Übergang zum Sozialismus; er braucht Gleichgesinnte, Bundesgenossen, er hofft auf Fidel Castro.

Unter Allendes Vorgängern sind die Beziehungen zum revolutionären Kuba abgebrochen worden. Jorge Edwards, zum Gesandten und Handelsattaché ernannt, soll die zerrissenen Bande flicken helfen. Seine Mission auf der Insel: Wege bahnen für den später einreisenden Botschafter, Kontakte knüpfen, die Amtsgeschäfte vorbereiten.

Edwards verehrt Castro, und er kennt Kuba; 1968 hat er als Jurymitglied dort an einem Literaturwettstreit der renommierten "Casa de las Américas" teilgenommen. Er kennt auch die herausragenden Dichter des Landes, mit einigen ist er befreundet: Heberto Padilla, José Lezama Lima.

Der Chilene reist mit großen Erwartungen. ("Alle prophezeiten mir einen großartigen Empfang.") Er will das sozialistische Experiment aus der Nähe studieren und erhofft sich Inspiration für den chilenischen Weg. Er freut sich auf die Zeit in Havanna, mit Enthusiasmus beginnt er die Arbeit - und erlebt eine bittere Enttäuschung.

Anfangs glaubt er an Missverständnisse, an Schlamperei, nein, er will es nicht wahrhaben: Chiles Gesandter wird auf der Zuckerinsel schlicht ignoriert. Keine protokollarischen Ehren, keine angemessene Betreuung, die zuständigen Beamten sind nicht zu greifen.

Residenz und Amtsräume der neuen Vertretung: zwei Zimmer in einem Hotel. Castro verspricht dem Gast gleich nach der Einreise ein Gebäude zur Einrichtung einer Botschaft ("Gib ihm das beste Haus!"); irgendwann, nach langem Drängen, zeigt man ihm eine Ruine.

Die Irritation des Besuchers verwandelt sich in Skepsis, Misstrauen, das Misstrauen bald in böse Gewissheit: Kubas Führung behandelt den Linken Jorge Edwards wie einen Staatsfeind. Rund um die Uhr wird er ausspioniert - man durchwühlt seine Räume, belauscht seine Gespräche, setzt Spitzel auf ihn an.

Edwards fühlt sich gehetzt, er reagiert paranoid. Das "erste freie Territorium Amerikas" entpuppt sich als Polizeistaat - Kuba, ein Alptraum wie aus Kafkas "Prozeß". Erst spät erfährt der Chilene, was man ihm vorwirft: Er ist ein "bürgerlicher Intellektueller", obendrein Schriftsteller, demnach doppelt verdächtig.

Denn namhafte Schriftsteller aus dem In- und Ausland formieren sich in jener Zeit - zu einer Phalanx der Kritik gegen das neo-stalinistische Regime Fidel Castros. Der "Comandante en Jefe" rächt sich für die Widerworte: Er beschimpft linke Autoren; Heberto Padilla, ein angesehener Lyriker, wird in Havanna Opfer eines Schauprozesses.

Für Edwards ist der Alptraum nach dreieinhalb Monaten vorbei. Der Diplomat soll seinen nächsten Posten antreten, in Frankreich, unter Botschafter Pablo Neruda. Castro hätte den unliebsamen Gast, diese "Persona non grata", am liebsten der Insel verwiesen. Er tut es nicht. Doch er schickt einen diffamierenden Bericht (samt einer Akte mit belastendem Material) an Salvador Allende …

In Paris beginnt Jorge Edwards sofort mit der Niederschrift seines Rapports. In einem dokumentarischen Roman schildert er - mit etwas Verbitterung und viel Ironie – die Kluft zwischen dem Traum von der neuen Gesellschaft und der Realität. Er ahnt: Gewalt gegen "Abtrünnige" und totale Überwachung sind keine Fehler der kubanischen (oder sowjetischen) Spielart des Sozialismus; der Fehler liegt im System.

Ende 1973 soll die Chronik erscheinen, zu ungünstiger Zeit: Pinochet hat eben geputscht, Allende ist tot, alle "fortschrittlichen Kräfte" vereinen sich im Kampf gegen die chilenische Diktatur. Kritik von links an einem "linken" Regime? Kommt ungelegen.


Das Buch hat trotzdem Erfolg, es wird oft übersetzt. In Lateinamerika – das war vorauszusehen - landet das Werk zweimal auf dem Index, in Kuba und Chile, und Jorge Edwards ist bis heute stolz auf diese Zensur gleich zweier Diktatoren. Mit Unverständnis registriert er seinerzeit, dass das Buch auch in Deutschland nicht erscheinen kann.

Miit 33 Jahren Verspätung dürfen wir den gallebitteren Reisereport nun endlich lesen, und seltsam - der Text klingt noch immer aktuell. "Es ist nie zu spät für die Wahrheit", meint Hans Magnus Enzensberger, "vor allem wenn sie mit Edwards’ Witz und Intelligenz erzählt wird."

Jorge Edwards: Persona non grata
Aus dem chilenischen Spanisch von Sabine Giersberg
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2006, 288 Seiten