Wie einst die Meininger Hofkapelle

Von Roger Cahn · 09.04.2011
Mit einem siebenteiligen Zyklus erkunden Bernard Haitink und das Chamber Orchestra of Europe derzeit den Klangkosmos von Johannes Brahms. Zum Auftakt des Schweizer Osterfestivals in Luzern stand die Grosse Sinfonie Nr. 1 c-Moll auf dem Programm.
Back to the roots" mag sich Bernard Haitink gesagt haben. Nachdem er Brahms mit vielen grossen Orchestern dieser Welt gespielt hat, will er den deutschen Romantiker statt mit 60 Streichern und "Doppelholz" einmal so dirigieren, wie es der Komponist wohl selbst gerne getan hatte. Mit dem Chamber Orchestra of Europe (COE) hat er sich dafür einen Klangkörper ausgewählt, der ähnlich besetzt ist wie einst die Meininger Hofkapelle – neben den Wiener Philharmonikern das andere "Hausorchester" von Brahms. Das Resultat überzeugt. Nur selten hört man in der c-Moll-Sinfonie so viele Zwischentöne und –stimmen wie in der hervorragenden Akustik im Konzertsaal des KKL Luzern.

Dabei erinnert die "Zehnte Beethoven", wie das Werk oft genannt wird, stark an den Meister, der Brahms beim Komponieren "stets über die Schulter geblickt hat"; aber weniger an dessen Neunte, denn an die Fünfte oder Siebte. Die Sinfonie kommt im Eröffnungskonzert des Lucerne Festivals "zu Ostern" ganz natürlich daher, ohne Pathos. Selbst der Choral im Finale wirkt nicht als religiöser Paukenschlag. Die kleine Streicherbesetzung schafft Raum für die filigranen Soli der Holzbläser, Haitink bringt Mittelstimmen der tiefen Streicher zum Klingen – man hört alles, was in der Partitur steht. Ein "neuer Brahms", der für einmal aus dem Schatten seiner rivalisierenden Zeitgenossen Wagner, Brahms oder Bruckner heraustreten darf, und sich so als "Fortschrittlicher" in die Reihe Beethoven – Mendelssohn – Schumann stellt. Haitink und dem COE gelingt es, das Geheimnis Brahms, dem man beim Lucerne Festival auf die Spur kommen will, um ein spannendes Details zu lüften.

Immer möchte man Brahms nicht mit kleiner Besetzung hören. Dafür hat man sich zu sehr an den Big Sound à la Furtwängler/Karajan gewöhnt. Aber die historisierende (nicht historische) Interpretation von Haitink mit dem COE hat etwas Bestechendes. Sie kommt dem bescheidenen Norddeutschen Brahms einen Schritt näher, holt ihn vom Sockel und macht ihn lebendiger.

Fazit: Das Lucerne Festival beweist mit seinem Brahms Zyklus viel Mut. Das Resultat ist eine Reise wert.

Weitere Abende im Brahms Zyklus mit Bernard Haitink finden am 11. und 13. April statt.
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