Wie die Erde den Menschen verträgt

Von Martin Zähringer · 20.01.2013
Weltweit haben sich Staats- und Regierungschefs darauf geeinigt, in Zukunft nachhaltiger zu wirtschaften. Doch die Wege zu diesem Ziel sind umstritten. Unser Autor hat drei Titel ausgewählt, die sich mit Wachstumsprognosen, Biotreibstoff und marxistischer Ökokritik beschäftigen.
"Die Grenzen des Wachstums" sind seit 40 Jahren bekannt. Seither steht ein Alternativbegriff im Raum: die Nachhaltigkeit. Nur nachhaltiges Wirtschaften könne den globalen Kollaps verhindern, lautete 1972 die Botschaft.

Im Herbst 2012 erklärte der Herausgeber des damaligen Berichts im Deutschlandradio Kultur, die Welt sei weit davon entfernt, das Prinzip Wachstum durch das Prinzip nachhaltige Entwicklung zu ersetzen. Dennis Meadows antwortete auf die Frage, ob im Verzicht auf Wachstum noch eine Chance läge:

"Es ist keine Frage der Chance, es ist eine Frage der Möglichkeit. Wenn Sie Auto fahren und irgendwo mitten auf dem Land das Benzin alle ist, würden Sie ja auch nicht sagen: Unsere einzige Chance ist, anzuhalten. Sie würden sagen: Wir halten an. Die Frage ist nicht: Sollen wir anhalten - oder nicht? Wir werden anhalten. Das Benzin ist alle!"

Meadows hält das für die Prognosen angewandte systemdynamische Weltmodell für nicht mehr zeitgemäß. Er liefert keine Berichte mehr an den Auftrageber, den Unternehmer- und Ökonomenverein "Club of Rome". Das hat nun der norwegische Ökonom Jorgen Randers übernommen. Und dieser neue Bericht liegt nun vor. Der Titel: "2052. Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre".

"Bei meinen Bemühungen zur Erstellung der Prognose ließ ich mich von zwei Fragen leiten: 'Wie wird sich der Konsum über die nächsten 40 Jahre entwickeln?' und 'Unter welchen Bedingungen - in welchem gesellschaftlichen und natürlichen Umfeld - wird dieser zukünftige Konsum stattfinden?'"

Eine Globalprognose von Jorgen Randers lautet: Die Weltbevölkerung wird 2040 mit 8,1 Milliarden ihren Höchststand erreichen. Sie geht dann schnell zurück, aber nicht aufgrund miserabler Umweltbedingungen, sondern weil die in den Städten lebenden Menschen aus ökonomischen Gründen nicht mehr so viel Nachwuchs brauchen. Die Weltwirtschaft wird 2,2 mal so groß sein wie heute, was zu einem wesentlich größeren ökologischen Fußabdruck führt und natürlich die Ressourcen schneller erschöpft.

Steigende Gefahr von sozialen Spannungen und Revolten
Trotzdem sinkt die Produktivität, weil die reicheren Länder einen größeren Anteil an Dienstleistungen und Pflege aufweisen. Das wiederum führt zum Schrumpfen der Bruttoinlandsprodukte, was die Umverteilung von Einkommen und Vermögen erschwert, und dies wird unter Umständen zu Ungerechtigkeit, sozialen Spannungen und Revolten führen.

"Nachhaltigkeit - Kapitalismus - Wirtschaftswachstum - Konsum einschränken - Nachhaltigkeitsrevolution - Anpassungskosten - Systemwechsel - Katastrophenkosten - Energieeffizienz - Landraub - Klimaintensität - Wachstumsgrenzen - Ökosysteme - Flucht in die Großstadt - Artenvielfalt - Megastädte - Umverteilung - Klimachaos - Slum-Urbanismus - Kollektive Kreativität - Commons - Energiesicherheit - choice editing, Konsumentenerziehung."

Es ist zu empfehlen, dieses Buch quer und mit einem eigenen Kompass zu lesen. Die Prognose ist so dynamisch wie die Welt selbst und also nicht klar geordnet. Dafür sind modische Konzeptbegriffe reichlich vorhanden. Sie stammen von 34 Kollegen und Freunden des Herausgebers, die ihre jeweils eigenen Kurzprognosen liefern: Investmentmanager, Diplomaten, Unternehmensberater, Biologen und Umweltaktivisten, Ozeanografen und Solaringenieure, Weltbankökonomen, Nachhaltigkeitsberater für Konzerne wie Nike - kurz: die ganze Soziologie des "Club of Rome".

Am Ende steht nichts Neues: Wir brauchen eine höhere Energieeffizienz und mehr erneuerbare Energie. Ungewohnt ist eher, wie emotional Randers diese Erkenntnis vermittelt. Der Anblick von Rodungsmaschinen in seinen geliebten Urwäldern habe ihm körperliche Schmerzen und anhaltende psychosomatische Probleme verursacht. Bis eine befreundete Psychologin ihm empfahl, mit dem Verlust leben zu lernen:

"Den Schmerz aktiv bearbeiten, wie man das auch nach dem Verlust der Mutter oder eines guten Freundes tun sollte. Die Tatsache akzeptieren, dass dieser Urwald verschwunden war und dass weitere folgen würden. Der Zukunft ins Auge sehen und sie annehmen. Sich an die Tatsachen gewöhnen. Aufhören, sich Sorgen zu machen."

Randers hat dem ganzen Bericht einen persönlichen Impetus gegeben. Leider trägt das übertrieben dramatische Ich nichts zum Verständnis der Wissenschaft bei. Die hyperkomplexen Verfahren der Systemdynamik lassen sich eben nicht erzählen. Da hat der Kollege Meadows vom ersten Bericht mehr rhetorische Durchschlagskraft:

"Die Frage lautet also: Wo halten wir an, wie machen wir das, werden wir die Bremse ziehen und an einer sicheren Stelle anhalten oder werden wir anhalten, indem wir mit etwas anderem zusammenstoßen oder irgendwo drauffahren?"

Wir haben bereits 770 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre geblasen. Noch immer werden 87 Prozent des weltweiten Energiebedarfs mit fossilen Energieträgern gedeckt. In den USA werden 70 Prozent der Energie mit Kohle erzeugt. Da bieten sich Alternativen wie Biotreibstoff an. Damit beschäftigt sich James Smith, Professor für Afrika- und Entwicklungsstudien in Edinburgh. Auch er hat ein Buch geschrieben. Vielsagender Titel: "Biotreibstoff. Eine Idee wird zum Bumerang."

Smith arbeitet mit dem Assemblage-Begriff des französischen Philosophen Gilles Deleuze. Damit ist hier ein virtuelles Netzwerk gemeint. Es besteht aus Verbrauchernachfrage, politischer Entscheidung, unternehmerischer und technologischer Expertise, aus Kapital und geopolitischer Strategie:

"Globale Assemblagen stehen für jene konkreten Strukturen, durch die globale Formen von technischer Naturwissenschaft, ökonomischem Rationalismus und Expertensystemen ihre Bedeutung und Gestalt erlangen."

Das hört sich abstrakt an, ist aber anschaulich vermittelt. Smith erforscht die globalen Zusammenhänge eines Wirtschaftszweiges, der mit Biotreibstoff Profit machen will. Angefangen bei Nahrungsmittelpflanzen wie Soja und Raps, über Nutzpflanzen wie Rutenhirse oder auch Pappeln und Weiden bis zu genetisch verändertem Ausgangsmaterial.

Eine vierte Generation wären maßgefertigte Rohstoffe und Mikroben. Damit könnte man also weitermachen, wenn die fossilen Brennstoffe erschöpft sind. Derzeit ist nur die erste Generation der Biotreibstoffe relevant, die aus Nahrungsmittelpflanzen:

"Sie können in bestehenden Raffinerien hergestellt werden, gebräuchliche Fahrzeuge und Transportsysteme antreiben und für die Langlebigkeit gegenwärtiger Verbrauchsmuster und Lebensweisen sorgen. Kurz, sie dienen den Interesse jener, die derzeit noch Raffinerien besitzen, Autos fahren und Ressourcen verbrauchen."

Cover Jorgen Randers: "2052"
Cover Jorgen Randers: "2052"© Oekom Verlag
Warum Biotreibstoff nicht nachhaltig ist
Agrosprit hat sich zu einem einträglichen Produkt gemausert. Leider garantiere er gar keine Nachhaltigkeit, schreibt Smith. Vielmehr diene Biotreibstoff dazu, die Wachstumslogik abzusichern. Aufschlussreich sind seine lokalen Studien über Anbau und Nutzung in Brasilien, in den USA, Indien und Tansania.

Im Fall von Indonesien mit seiner extensiven Palmölproduktion zeigt der Autor, wie Moore trockengelegt und damit CO2-Speicher vernichtet werden. Dadurch verschlechtert sich ganz eindeutig die CO2-Bilanz. Aber so rechnen die Biotreibstoffhersteller nicht. Ebenso wenig interessiert die Kunden und Konzerne in der EU, was auf den lokalen Märkten passiert:

"Indonesiens Erfahrung versinnbildlicht die Krux der Nahrung-versus-Treibstoff-Debatte. Aus Palmöl hergestelltes Speiseöl ist ein Grundnahrungsmittel der indonesischen Küche. Von dem Weltmarktpreis für Palmöl angetrieben, ist der Verbraucherpreis für Palmöl bis 2007 um 40 Prozent gestiegen, in Malaysia um 70 Prozent. Palmöl ist im Gegensatz zu Jatropha genießbar, und sogenannte genießbare Öle haben in den letzten Jahren von allen Lebensmitteln die höchsten Preissteigerungen zu verzeichnen."

Die amerikanischen Umwelt- und Wirtschaftswissenschaftler John Bellamy Foster und Fred Magdoff verbinden im dritten Buch das Thema Wachstum und Nachhaltigkeit mit einem schon älteren Anliegen. Das ist grundsätzliche Kapitalismuskritik mit einem selbstbewussten Titel: "Was jeder Umweltschützer über den Kapitalismus wissen muss".

In der Zustandsanalyse orientieren sie sich am "Konzept der planetarischen Grenzen". Dieses Konzept benennt neun kritische Grenz- oder Schwellenbereiche des Erdsystems, die so lauten:

"1. Klimawandel, 2. Versauerung der Ozeane, 3. Ozonabbau in der Stratosphäre, 4. biologisch-geochemische Fließgrenze (Stickstoff-Phosphatkreislauf), 5. weltweiten Trinkwasserverbrauch, 6. veränderte Landnutzung, 7. Verlust der Artenvielfalt, 8. Aerosolbelastung der Erde und 9. chemische Verschmutzung."

Beim Überschreiten dieser kritischen Grenzen wird es problematisch. Unberechenbare ökologische Wechselwirkungen sind dann genauso möglich wie selbstverstärkende Rückkoppelungseffekte. Ein Beispiel dafür ist das rapide Schmelzen des arktischen Eises: Wenn die weiße Meereisfläche verschwindet, wird sie durch schwarz-blaues Meerwasser ersetzt. Diese Wasseroberfläche kann das einstrahlende Sonnenlicht kaum noch reflektieren. Stattdessen absorbiert das Wasser die Sonnenwärme und verstärkt so die Klimaerwärmung.

Cover James Smith: "Biotreibstoff. Eine Idee wird zum Bumerang""
Cover James Smith: "Biotreibstoff. Eine Idee wird zum Bumerang""© Wagenbach Verlag
Abkehr vom "kapitalistischen Wachstumsdogma"
Der Klimawandel nimmt auch bei diesen Autoren eine zentrale Stellung ein. Foster und Magdoff sehen eine weltweite ökologische Krise kommen durch den Anstieg des Meeresspiegels, das Abnehmen der Gebirgsgletscher, die Erwärmung der Ozeane, katastrophale Dürren, wärmere Winter und geringere Ernteerträge.

Sie argumentieren, ein Problem der meisten grünen Ökologen liege darin, dass sie nicht nach dem Warum dieser Veränderungen fragten. Und unterziehen dann selbst "das kapitalistische Wachstumsdogma" einer nicht ganz unbekannten marxistischen Analyse, wobei allein das Streben nach Profit als Ursache des Fiaskos erscheint. Gegen die Gefahr eines großen planetarischen Bruchs setzen sie einen Bruch mit dem System:

"Es ist wichtig, mit einem System zu brechen, das auf einem einzigen Motiv basiert - der stetigen Akkumulation von Kapital und dem daraus folgenden Wirtschaftswachstum ohne Ende. Dieser Bruch ist eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für die Schaffung einer neuen ökologischen Zivilisation."

Die marxistische Ökokritik aus Amerika kommt etwas schulbuchmäßig daher und ist auch als Einführung gedacht. Umfangreichere Titel der Autoren gibt es beim gleichen Verlag. Die ökologische Zivilisation der amerikanischen Marxisten erscheint vielleicht als Utopie, aber auch die nicht mehr ganz so utopisch wirkende Schule der Tiefenökologie kommt ja ursprünglich aus Amerika.

Leider sieht die Praxis im Land der allerhöchsten Energieumsätze anders aus. Dazu sei noch einmal Dennis Meadows zitiert, der vor 40 Jahren in Europa für den Debattenanstoß sorgte:

"Wir leugnen sogar den Klimawandel. Wenn wir also nicht einmal daran glauben, dass sich das Klima infolge menschlichen Handelns verändert, sind wir in den USA mit Sicherheit politisch noch nicht so weit, über andere Arten von Wachstumsgrenzen zu sprechen."

Jorgen Randers: 2052. Der neue Bericht an den Club of Rome: Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre
Oekom Verlag, 432 Seiten
24,95 Euro, als eBook 19,99 Euro

James Smith: Biotreibstoff. Eine Idee wird zum Bumerang
Wagenbach Verlag, 144 Seiten
15,90 Euro, als eBook 12,99 Euro

John Bellamy Foster, Fred Magdoff: Was jeder Umweltschützer über den Kapitalismus wissen muss
Laika Verlag, 156 Seiten
19,80 Euro


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Cover Foster/Magdoff: "Was jeder Umweltschützer über den Kapitalismus wissen muss"
Cover Foster/Magdoff: "Was jeder Umweltschützer über den Kapitalismus wissen muss"© laika diskurs
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