Wie der VroniPlag-Gründer nach falschen Titeln fahndet

Moderation: Ulrike Timm · 08.08.2011
Die Plagiate-Jäger der Internetplattform VroniPlag arbeiten normalerweise anonym. Doch jetzt hat sich der Gründer der Seite geoutet. Im Interview erzählt Martin Heidingsfelder von der Intelligenz des Schwarms und erklärt, warum man nicht jeden Doktor unter Generalverdacht stellen sollte.
Ulrike Timm: Doktorarbeiten zu schreiben macht viel Arbeit. Gefälschte Promotionen zu enttarnen auch. GuttenPlag sammelte so viel belastendes Material, fand so viel Abgeschriebenes in der Dissertation, dass Karl-Theodor zu Guttenberg nicht mehr leugnen konnte, und auch Silvana Koch-Mehrin ist ihren Job als Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments los, weil sich ihre Promotion als Plagiat entpuppte.

Die Plagiate-Jäger arbeiten im Schwarm. So nennt sich das, wenn viele Leute ihr Wissen und ihre Entdeckungen vom heimischen Küchentisch aus ins Internet zusammentragen, und sie bleiben dabei fast immer anonym. Einer hat sich jetzt geoutet, um einem öffentlichen Auffliegen durch eine Zeitung zuvorzukommen: Martin Heidingsfelder alias Goalgetter, der Gründer von Vroniplag, der Plattform, die der Tochter des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber das Abschreiben nachwies.

Martin Heidingsfelder ist nicht promoviert und ich bin froh, dass er jetzt dran ist, denn es heißt, Telefone spielen im Leben von Internetmenschen, wie er einer ist, kaum noch eine Rolle. Herr Heidingsfelder, schönen guten Tag!

Martin Heidingsfelder: Schönen guten Tag!

Timm: Was sagt denn der Schwarm dazu, dass Sie sich geoutet haben, gab es da böse Mails?

Heidingsfelder: Aus dem Schwarm überhaupt nicht. Es ist halt passiert, es musste sein, es war aus der Not geboren heraus, und das ist jetzt halt passiert und das ist halt so, Punkt.

Timm: Das war ja bislang Konzept auf diesen Plattformen, die Plagiatoren enttarnen, das ohne eigenen Namen zu tun. Warum eigentlich, macht das einen Unterschied, ob Goalgetter eine Promotion enttarnt oder ob das Martin Heidingsfelder tut?

Heidingsfelder: In der Wissenschaft ist es grundsätzlich so, dass es unwichtig ist, wer etwas sagt, sondern dass es wichtig ist, was gesagt wird.

Timm: Tja, dann kann man das ja auch mit eigenem Namen tun, das Aufdecken?

Heidingsfelder: Das könnte man. Da ist allerdings der Schwarm und die Anonymität bietet einen besonderen Schutz. Und wenn Sie jetzt mal die Medien durchblättern, was alles über meine Person gemutmaßt und vermutet wird, dann werden Sie auch schnell verstehen, warum die Anonymität als Schutz wichtig ist, um wichtige Dinge voranzutragen.

Timm: Über Ihre Person wollen wir jetzt gar nicht groß reden, aber zum Beispiel der FDP-Rechtsexperte Alexander Alvaro meint, wer an echter Aufklärung interessiert ist, müsse mit offenen Karten spielen. Was entgegnen Sie ihm?

Heidingsfelder: Sie sehen ja, was passiert. Und da kann ich also nur sagen, das ist nicht für jeden angenehm, der ein normaler Bürger oder ein kleiner Fisch in einem großen Schwarm ist wie ich, das ist nicht angenehm. Sie sind ungeschützt und wenn die "Bild"-Zeitung über sie schreibt, Sie zitiert – ich bin zitiert worden mit "Ich bin Vroniplag", das habe ich nie gesagt –, ein Zitat erfindet, dann steht das einfach im Raum und schadet meinem Ansehen und meiner Reputation unter anderem im Wiki.

Timm: Dann stellen wir es richtig: Sie sind der Gründer von Vroniplag und der Angriff ging in die Richtung, dass Sie SPD-Mitglied sind, ein nicht sehr aktives, und dass die Plagiate vor allen Dingen von CDU- und FDP-Mitgliedern und –Funktionsträgern enttarnt wurden. Und für Sie ist das in keiner Weise wichtig, oder?

Heidingsfelder: Das ist nicht wichtig. Also, ich habe zwar mit Veronica Saß, die jetzt aus dem CSU-nahen Bereich kommt durch ihre familiären Verhältnisse, als Tochter von Edmund Stoiber, natürlich einen Fall in die Hand genommen, der jetzt aus der CSU ist. Und ich bin aus Bayern, ist klar, dass der Fall mich als Bayern natürlich oder Franke, wenn man es genau nimmt, natürlich mehr interessiert. Aber ansonsten habe ich bis zum 19. Juli keinerlei Fälle vorgeschlagen und ich entscheide auch nicht, was bearbeitet wird und was nicht. Also, ich habe überhaupt keinen Einfluss darauf, weil es sind einfach sehr viele Leute und die Vorschläge kommen zum großen Teil von außerhalb, von Leuten, die zufällig was entdecken, indem sie ein Buch in die Hand nehmen und sehen, da stimmt irgendwas nicht.

Timm: Aber nach welchen Kriterien wird eigentlich veröffentlicht? Sprich, könnte ich Ihnen auch melden, scannen Sie doch mal alle promovierten Redakteure des Deutschlandradios, ich liefere deren Promotionen mal zu? Geht das?

Heidingsfelder: Wenn Sie jemanden finden, der das macht und anschaut, ja. Aber Sie können nicht die Arbeit bei uns abladen so nach dem Motto, jetzt macht mal! Sie müssen immer jemanden finden, der Ihnen hilft, der Sie unterstützt in Ihrem Vorhaben. Und Sie müssen einen Anfangsverdacht haben. Wir bekommen so viele Namen genannt einfach nur, um irgendwelche Namen zu droppen, aber da ist nichts dahinter. Wenn Sie ohne Verdacht sich bei Vroniplag im Chat melden, da wird nur noch geschmunzelt, weil da sind Sie, wenn Sie da irgendwie am Abend reinkommen, nicht der oder die Erste, sondern da war bestimmt schon mal jemand da und hat was losgelassen.

Timm: Das heißt, ohne Anfangsverdacht wäre es für Sie Denunziation?

Heidingsfelder: Ohne Anfangsverdacht wird keiner Ihren Fall dementsprechend bearbeiten. Und wenn Sie versuchen, ihn alleine zu bearbeiten, werden Sie sehr, sehr lange brauchen, um dementsprechend da voranzukommen. Es geht nur in einer größeren Gruppe, solche Fälle, die interessant sind, zu bearbeiten. Aber wir bearbeiten natürlich auch uninteressante Fälle oder Fälle von Personen, die jetzt nicht im öffentlichen Leben stehen. Also, es gibt ja auch Plattformen, die einfach nur Namen nennen und der und der hat da promoviert, ja ... Der Doktor an sich ist nicht verdächtig, bloß weil jemand einen Doktortitel hat. Also, ich finde es auch nicht schön, dass jetzt irgendwie alle Doktoren unter Generalverdacht sind. Es sind zwar viele Promotionen oder Dissertationen mit Mängeln von uns jetzt aufgedeckt worden, aber es ist nicht so, dass jetzt grundsätzlich jeder Doktor irgendwie abgeschrieben hat. Auch wenn es sehr viele sind.

Timm: Wie hoch ist denn die Schwelle, von der ab Sie sagen, der Anfangsverdacht ist so begründet, da kümmern wir uns drum? Gibt es da Kriterien?

Heidingsfelder: Na ja, Kümmern drum und Publizieren ist ein Unterschied. Also Kümmern drum: Wenn jemand ein Plagiat in einer Arbeit entdeckt, kann er relativ schnell andere finden, die sich mit drum kümmern. Allerdings, wenn nicht eine gewisse – und die Schwelle ist sehr hoch – Anzahl an Plagiaten dementsprechend gefunden wird, dann wird diese Sache auch nicht publiziert. Das Problem des Wikis ist, dass es sehr bekannt ist und dass Leute von außen verstehen, wie ein Wiki funktioniert und es sehr schwierig ist, Untersuchungen, die laufen im Wiki, und die noch nicht publiziert sind, dementsprechend geheim zu halten.

Timm: Wie hoch ist denn die Schwelle?

Heidingsfelder: Die Schwelle liegt bei zehn Prozent der Seiten der gesamten Dissertation. Wenn auf zehn Prozent der Seiten ein kleineres oder größeres Plagiat gefunden wird, dann wird es natürlich auch nach Abstimmung im Wiki – es gibt mal Fälle, wo man vielleicht noch weiter, noch länger wartet, dann wird nach Abstimmung im Wiki dann irgendwann beschlossen, das nehmen wir jetzt auf die Hauptseite. Also, genau bei zehn Prozent wird es nicht gemacht. Vielleicht bei elf oder zwölf oder wann jemand Zeit hat, der das gut kann, dann wird es gemacht.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton". Martin Heidingsfelder erzählt uns von der Arbeit des Schwarms beim Plagiate-Enttarnen. Herr Heidingsfelder, die hehre Wissenschaft ist das eine, aber wenn man dann so eine Promotion eines Politikers beim Wickel hat und auch was gefunden hat, entwickelt man dann so eine Art Jagdinstinkt, so etwas wie Goldgräber auf Schatzsuche?

Heidingsfelder: Nein, es ist natürlich schon irgendwie ein gewisses Gefühl, das in einem aufsteigt, wenn man was findet, das kennen Sie vom Ostereiersuchen und so weiter, aber ich würde auf keinen Fall von irgendwie Jagd oder ... Ja, es ist eine ruhige Arbeit. Wissenschaftliche Arbeit ist eine ruhige Arbeit, das ist mir wichtig, deswegen hat es eben nichts irgendwie mit Dasitzen und Warten zu tun. Man muss handeln, man muss suchen, es ist eher eine suchende Arbeit als irgendwie da mit einem Jagdinstinkt durch die Welt zu gehen, so ist es nicht.

Timm: Nun könnte ja aus dieser Stärke der ruhigen Arbeit eine Schwäche werden, wenn man denn doch was finden will. Ich frage Sie danach, weil, Guttenberg war ein klares Plagiat, nach allen wissenschaftlichen Auffassungen ist jedes mal herausgekommen, das ist ein Plagiat. Im Fall des niedersächsischen Kultusministers Althusmann hat, wie man so schön sagt, der Mann umgeschrieben, das gilt als wissenschaftliche Untugend, die aber verbreitet ist, das hat uns kürzlich der Medienexperte Stefan Weber hier im "Radiofeuilleton" erklärt. Dann könnte man im Prinzip natürlich Zigtausend Doktorarbeiten einsargen, wenn man das Umschreiben schon hinzuzählt. Läuft da die Jagd nicht manchmal aus dem Ruder?

Heidingsfelder: Sie haben das Wort Jagd jetzt wieder verwendet. Es ist keine Jagd, es ist eine ganz ruhige Arbeit, man muss es genau analysieren und der Fall Althusmann ist sehr komplex, wie das der Herr Weber auch sehr gut beschrieben hat. Es ist nicht auf die Schnelle zu entscheiden.

Timm: Man fragt sich ja schon, wie viel Plagiate eigentlich so in der Umlaufbahn sind, wenn man von den prominenten Sündern weggeht. Wenn zum Beispiel die Professorin Debora Weber in ihrem ganz normalen Seminar schon erst mal so 30 Plagiate gefunden hat, haben Sie eine Vermutung, wie viel gefälschte Dissertationen es geben mag?

Heidingsfelder: Nein, das ist reine Spekulation.

Timm: Zehntausende?

Heidingsfelder: Nein.

Timm: Zu wenig oder zu viel?

Heidingsfelder: Zu viel. Aber es ist reine Spekulation. Das kann man nicht sagen. Sie müssen ja auch sagen, in welchem Zeitraum, Dissertationen werden ja nicht erst seit 20, 30 Jahren geschrieben, sondern schon viel länger.

Timm: Herr Heidingsfelder, Sie sind jetzt der Fisch im Schwarm, der sich selbst enttarnt hat, geoutet, der gegen den Strom damit geschwommen ist. Einigen hat das nicht gepasst. Wie geht es jetzt weiter mit Vroniplag?

Heidingsfelder: Also, wie es weitergeht, das weiß man nicht, das ist ja auch abhängig davon, ob man neue Fälle sozusagen findet. Und das ist schwer vorherzusagen.

Timm: Aber Ihnen als Gründer und auch Moderator dieser Plattform hat man einige Rechte beschnitten. Steigen Sie jetzt aus?

Heidingsfelder: Ich bin kein Moderator der Plattform, ich habe nicht vor, in irgendeiner Form auszusteigen, sondern ich habe vor, irgendwie zeitliche Freiräume zu schaffen, damit ich wieder mehr mitarbeiten kann.

Timm: Was, glauben Sie, ist das Verdienst solcher Plattformen, was wird man in einigen Jahren als Verdienst und vielleicht auch als Schwäche benennen von solchen Plattformen?

Heidingsfelder: Ich denke, dass die Gruppe eine sehr gute Leistung für die Wissenschaft erbracht hat. Ich habe also etliche E-Mails bekommen, die auch die Leistung des Schwarms unheimlich würdigen. Ich möchte das in Kürze auch dokumentieren. Der Doktortitel ist am Ende mehr wert, wer seinen Doktor im Jahre 2011 oder danach fertig stellt, wird ein sehr hohes Ansehen genießen. Es ist natürlich etwas schwieriger, wenn der Doktortitel vorher verfasst wurde, das ist aber auch kein Manko. Ich habe beispielsweise eine E-Mail bekommen, dass jemand seine Doktorarbeit überprüfen lassen möchte, um zu beweisen, dass er nicht plagiiert hat.

Timm: Soll ich jetzt Goalgetter viele Tore wünschen oder Martin Heidingsfelder alles Gute?

Heidingsfelder: Martin Heidingsfelder alles Gute!

Timm: Dann mache ich das, Martin Heidingsfelder, Gründer von Vroniplag und ein geouteter Fisch im Schwarm der Rechercheure, die Plagiate enttarnen. Ich danke Ihnen fürs Gespräch!

Heidingsfelder: Ich danke Ihnen, Frau Timm!

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