Wie der Vater so der Sohn

Von Mareike Knoke · 20.04.2010
Konrad Zuse gilt als Computer-Pionier, der 1941 mit der "Z3" den Prototypen für unsere modernen PCs konstruierte. Nun stellt Horst Zuse die große Rechenmaschine anhand alter Pläne seines Vaters her.
Horst Zuse: "Dieses Klappern ist etwas, das man bei einem modernen PC nicht hören kann: Es ist nämlich die Taktfrequenz. Wir hören hier etwa fünf Hertz, also fünf Schaltungen pro Sekunde. Ein moderner PC mit drei Gigahertz hat drei Milliarden Schaltungen pro Sekunde. Also, das ist ein feiner Unterschied von sechshundertmillionenfach ..."

Liebevoll lässt Horst Zuse den Blick über Dutzende blauer Plastikrelais und blinkender Lämpchen wandern. Sie hängen an einem schrankähnlichen Gestell, das gut zwei Meter hoch und etwa einen Meter breit ist und auf dessen Rückseite sich ein Durcheinander von roten, blauen und orangefarbenen Kabeln windet. Auch der Parkettfußboden des Arbeitszimmers ist mit dünnem, buntem Draht bedeckt.

Seit ein paar Monaten arbeitet der Informatiker in seiner Berliner Altbauwohnung an dem Nachbau der "Z3" - der Mutter aller modernen Computer.

Horst Zuse: "Also, ich nehme den Schraubenzieher in die Hand, den Lötkolben. Und die Abisolierungen mache ich auch alle selbst. Und jeden Tag geht's ein Stück weiter. Und jeden Tag klappert sie ein bisschen mehr. Sie rechnet schon gut. In ein paar Wochen wird das Rechenwerk fertig sein, dann kommen die beiden Speicherschränke dran."

Horst Zuses blaue Augen strahlen hinter dem randlosen Brillengestell, das graue Haar umrahmt ein freundliches Gesicht. Der 65-Jährige ist Professor an der brandenburgischen Fachhochschule Lausitz und trägt zweifellos das Informatiker-Gen seines Vaters Konrad Zuse in sich. Der konstruierte vor fast 70 Jahren die "Z3" - die erste vollautomatische Rechenmaschine weltweit.

Das Gerät ist ein sogenannter Gleitkommarechner, der alle gängigen Rechenarten beherrscht und das Ergebnis über einen Lochstreifen ausspuckt. Die Erfindung machte Konrad Zuse berühmt. Weil das Original im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde, versucht der Sohn nun, den Rechner mit Hilfe der alten Schaltpläne seines Vaters zu rekonstruieren.

Zuse: "Also, es ist eine kreative Herausforderung, die mir persönlich sehr viel Spaß macht. Es ist ein richtiges Anti-Aging-Programm fürs Gehirn."

Die "Z3" und ihre Nachfolger haben Horst Zuse sein Leben lang begleitet. Am 17. November 1945 wird er im bayerischen Hindelang als ältestes von fünf Kindern geboren. Ende der 40er-Jahre zieht die Familie in die Nähe von Hünfeld in Hessen, wo der Vater die Zuse KG gründet.

Alte Fotos zeigen den kleinen Horst, wie er als Vierjähriger sehr interessiert einen fabrikneuen Rechner untersucht. Später dann darf er Säcke voll alter Bauteile aus der Firma mit nach Hause nehmen und bastelt an Relais-Schaltungen für seine Märklin-Eisenbahn.

Zuse: "Wenn ich heute mal zurückdenke, wie viel elektrische Schläge ich als kleiner Junge abgekriegt habe. Also, manchmal sage ich mir: Meine Güte, dass das gut abgegangen ist."

Horst Zuse bleibt bei seiner Begeisterung für elektrische Schaltungen und studiert, wie der Vater, Elektrotechnik an der TU Berlin. Er spezialisiert sich schnell auf die damals noch junge Informatik. War der alte Zuse stolz auf seinen Sohn?

Zuse: "Na ja, der hat schon meine Entwicklung betrachtet und er hat immer gesagt, dass er sich um mich überhaupt keine Sorgen macht. Ich denke mal, dass ich von allen der Ähnlichste zu ihm auch bin. Das sagen auch viele Freunde von ihm, dass ich in meiner Art ihm doch sehr ähnlich bin, aber offener bin."

Als Kind hat Horst Zuse seinen Vater eigentlich nur aus der Ferne erlebt. Zu Hause kümmert sich die Mutter um ihn und die Geschwister. Der Vater schenkt ihm zwar teure Baukästen zum Geburtstag, lebt aber vor allem für seine Firma, seine Computer und seine Vorträge. Für liebevolle Zuwendung bleibt wenig Zeit.

Zuse: "Ja, das mit der Zuneigung, das ist eine schwierige Frage. Er war ja sehr in sich gekehrt und hatte auch Probleme, diese Gefühle zu zeigen. Und meistens hat er es über eine etwas humorvolle Art getan, die auch nicht immer überall gut ankam."

Trotz allem prägt der berühmte Vater den Sohn nachhaltig. Auch wenn der sich zunächst dagegen sträubt, sich beruflich abgrenzt und eigene Wege gehen will. In den 80er-Jahren entwickelt Horst Zuse an der TU Berlin FAKYR, ein System zum Speichern und Wiederauffinden von Datensätzen, das dort bis heute angewandt wird.

Zuse: "Natürlich wusste ich zu dieser Zeit, was mein Vater macht, und da gab's manchmal auch ein bisschen Streit mit ihm, dass er sagte: Du könntest mich ja eigentlich mal ein bisschen mehr unterstützen, mal ein bisschen mehr herumfahren zu meinen Vorträgen. Ich habe das immer abgelehnt und gesagt: Nh-nh, meine Karriere ist meine Karriere, sieh zu, wie du das machst."

Seine ablehnende Haltung ändert sich erst nach dem Tod des Vaters, 1995. Da entdeckt er Konrad Zuses Werk neu:

"Und ich habe dann angefangen, mir das Werk meines Vaters genau anzuschauen, weil ich ja alle Unterlagen hier habe. Und ich habe dann gesehen: Meine Güte - sind das elegante Schaltungen, elegante Ideen."

Heute spricht er gerne über seinen Vater, er ist stolz auf dessen Erfindungen und hält Vorträge darüber. Und all das passt wunderbar zu seinem Privatleben: Seit 1991 ist er verheiratet - mit einer Informatikerin.

Zuse: " ... und sie versteht natürlich, wenn ich ihr zeige, was da geschieht. Und sie weiß auch, wie solche Maschinen arbeiten. Na ja, sie sagt manchmal: 'Ach, du bist ein verrückter Kerl! Wie kann man nur so was bauen.' Aber es macht, ich sag's Ihnen ganz ehrlich, einen Heidenspaß, diese Maschine zu bauen."