Wie der Osten sich erinnert

Von Claudia van Laak, Susanne Arlt und Ulrike Greim · 03.03.2009
Das Jubiläumsjahr 2009 biete die Chance, ein realistisches DDR-Bild zu vermitteln. Die Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt Wolfgang und Sachsen, Wolfgang Böhmer und Stanislav Tillich, wollen, dass die Bürger auf "ihre" friedliche Revolution stolz sind und sich nicht in Sehnsüchte nach den "alten Zeiten" in der DDR ergehen.
Was aber tun die ostdeutschen Bundesländer, um von der DDR ein realistisches Bild zu vermitteln? Mit wie viel Engagement und wie viel Geld unterstützen sie eine nach ihren Wünschen gestaltete Erinnerungskultur?

Wie sich der Osten erinnert: DDR-Museum in Perleberg

DDR-Museen gibt es viele in den neuen Ländern, mit unterschiedlichen Konzeptionen und Ansprüchen. Da gibt es private Sammler, die alles ausstellen, was ihnen in die Hände fällt - sie setzen auf die Ostalgie. Da gibt es öffentliche Häuser mit wissenschaftlich-politischem Anspruch, wie das Zeitgeschichtliche Forum in Leipzig. Und da gibt es Einzelkämpfer wie den früheren Pfarrer Hans-Peter Freimark im brandenburgischen Perleberg, der sein Geld und seine Zeit in das "DDR-Geschichtsmuseum" investiert. Aufklären und aufarbeiten ist sein Ziel. Claudia van Laak hat das Museum besucht.

Ein altes Straßenschild zeigt die Richtung: "Berlin, Hauptstadt der DDR". "35 Jahre DDR - 35 Jahre erfolgreiche Friedenspolitik" verheißt das handgemalte Banner daneben. Wenn die Ausstellung geöffnet ist, flaggt Hans-Peter Freimark wie früher am 1. Mai, nur dass auf der DDR-Fahne zusätzlich die Worte "Gegen das Vergessen" zu lesen sind.

Der frühere Pfarrer Hans-Peter Freimark ist von einer Sammelwut besessen. Seit mehr als 25 Jahren wühlt er sich durch Haushaltsauflösungen und streift über Flohmärkte. Seine in Perleberg ausgestellte Bibliothek verfügt über 6000 Bände, dazu kommen mehrere tausend Objekte - von der Stasiwanze über Privatgeschirr von Erich Honecker bis zu einem kompletten Klassenzimmer. Alles begann Anfang der Achtzigerjahre, erzählt der hochgewachsene Theologe mit dem blaukarierten Flanellschal.

"Das war unmittelbar nach dem Verbot des Abzeichens "Schwerter zu Pflugscharen". Das war 1981/82. Da haben wir gesagt, wenn wir die Originale jetzt nicht sammeln, dann wird uns später keiner mehr glauben, was damals los war."

Heikles wanderte auf den Dachboden seiner Kirche oder gleich ganz oben in den Turm. Zwar hatte die Stasi einen Nachschlüssel zum Gotteshaus - wie Hans-Peter Freimark später erfuhr - doch die verbotenen Dokumente entdeckten die Schnüffler nicht. Mehr als 20 Jahre lang wurde die Pfarrersfamilie bespitzelt - es existieren 3500 Seiten Akten.

Die von der Stasi heimlich genommene Geruchsprobe steht jetzt in einer Glasvitrine in Freimarks Museum. Gleich darunter die Werkzeuge der Staatssicherheit - Kameras in Kugelschreibern, verschiedene Wanzen – alles hergestellt beim Klassenfeind.

"Ich sehe viele Museen, die es anders machen. Da geht es um Alltagskultur, da geht es manchmal auch um die Verherrlichung der DDR. Freunde sagen, es muss alles vernichtet werden, was an die DDR erinnert, auch das Andenken. Das sehen wir ganz anders, wir müssen draus lernen, was gewesen ist."

Neben den politischen Räumen über die SED, die Staatssicherheit oder das Militär zeigt das Museum von Hans-Peter Freimark auch den Alltag in der DDR. Eine Wohnung samt Badezimmer, einen Konsum - "Bitte nur ein Paket Spee nehmen!" - und eine HO-Gaststätte mit Speisekarten und passender Musik.

Einen Teil der Ausstellung hat der frühere Pfarrer dem Verhältnis von DDR und Bundesrepublik gewidmet. Zu sehen und zu hören: ein Propagandafilm von Karl-Eduard Schnitzler für Kinder.

"Im Osten und Süden haben wir Freunde. Starke Freunde, mit denen uns eine große Idee eint. Im Westen steht der Feind. In einen solchen Staat fahren, heißt zum Feind fahren, auch wenn dort Tante und Oma wohnen.

Zuerst lachen einige drüber, dann werde sie sehr betroffen, bis zu Tränen. Nicht nur Leute aus Westdeutschland, auch die von hier, die das mitgemacht haben, bis zu Tränen, ja."

Im Raum nebenan hat Hans-Peter Freimark ein altes gelbes Westpaket aufgebaut - mit einer Büchse Kaffee, mit Schokoladentafeln, Jeans und Damenstrumpfhosen. Über 6000 Tonnen Kaffee sind allein im Jahr 1978 aus der Bundesrepublik in die DDR geschickt worden, erzählt der Sammler.

"Es gibt nun Leute, die herkommen und sagen, guck, ist doch alles aus dem Aldi. Dann frage ich zurück: Und, habt ihr Euch gefreut oder nicht. Na klar, haben wir uns gefreut. Na, dann meckert doch nicht."
Es sind die kleinen handschriftlichen Zettel in der Ausstellung, die mehr beeindrucken als die großen bekannten Propagandaplakate. "Hiermit beantrage ich vom 1.8. bis 14.8.1990 den Ferienplatz Saalendorf im Kreis Zittau" - hat jemand mit krakeliger Handschrift auf ein vergilbtes Stück Papier geschrieben. "Ich bin seit 1980 Mitglied im FDGB und hatte noch nie einen Ferienplatz."

Hans-Peter Freimark blättert im Gästebuch seines Museums. Neben Lob und Unterstützung melden sich auch die Kritiker zu Wort. "Hier tobt noch der Kalte Krieg" hat jemand geschrieben. Der 63-Jährige schüttelt den Kopf.

"Trotz alledem läuft hier kein Hass, keine Abrechnung, nichts. Wir wollen eine faire Aufarbeitung haben. Dass das einigen nicht passt, damit lebe ich."

Hans-Peter Freimark und seine Frau Gisela haben das DDR-Geschichtsmuseum zu ihrer Lebensaufgabe gemacht. Die zuvor leer stehenden Gebäude haben sie privat gekauft, Gisela Freimark hat hier ein kleines Cafe eingerichtet – mit nostalgischen Kaffeemühlen und Blümchengeschirr, ganz ohne DDR-Propaganda – zum entspannten Plaudern nach den harten Tatsachen in der Ausstellung nebenan.

Über das Engagement des Ehepaars schütteln einige in Perleberg den Kopf. Selbst gute Freunde können nicht verstehen, dass wir uns immer noch um diesen untergegangenen Staat kümmern, sagt Gisela Freimark.

"Wo sie ja auch erlebt haben, dass wir sehr bedrückt wurden in diesem Staat. Und da sind sie knallhart, dass sie sagen, das ist absolut nicht zu verstehen. Seid doch dankbar, dass es vorbei ist. Und wenn wir sagen, wir möchten aber gerne, dass die Geschichte nicht vergessen wird, das können sie bis jetzt nicht so ganz nachvollziehen. Wir hoffen, dass das noch kommt."

Direkte finanzielle Unterstützung erhält das Ehepaar nicht - weder die Stadt Perleberg, noch der Landkreis Prignitz oder das Land Brandenburg machen Fördermittel locker für das Museum. Einzige Hilfe sind zwei 1-Euro-Jobberinnen.

"Im Augenblick geben wir unser Erspartes darein - und unsere Zeit."

Der Bundesbeauftragte für den Aufbau Ost Wolfgang Tiefensee hat angekündigt, insgesamt 15 Millionen Euro für zwei Denkmäler in Berlin und Leipzig bereitzustellen, die an die Friedliche Revolution von 1989 erinnern sollen. Hans-Peter Freimark und seiner Frau würde schon ein Bruchteil dieser Summe reichen - für die Heizung ihres DDR-Geschichtsmuseums. Dann könnten sie auch im Winter Schulklassen und andere Interessierte durch die Ausstellung führen.

Wie der Osten sich erinnert: Sachsen-Anhalt

In den neuen Bundesländern ist eine Debatte über die Qualität des Geschichtsunterrichts entbrannt. Eine Studie der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur brachte im vergangenen Jahr Erschreckendes zu Tage. Weniger als die Hälfte der deutschen Gymnasiasten sollen laut der Studie wissen, wann der Arbeiteraufstand in der DDR stattfand. Und mehr als sieben Prozent halten Erich Honecker für den zweiten Bundeskanzler der BRD. Der SED-Forscher Klaus Schroeder macht die Lehrerschaft für die Wissenslücken verantwortlich.

Vor allem ältere Lehrer vermitteln noch immer ein unzureichendes DDR-Bild, jüngere seien dagegen mehr um Objektivität bemüht. In Sachsen-Anhalt werden darum in diesem Jahr noch einmal den Geschichts-, Politik, und Sozialkundelehrern spezielle Fortbildungsmaßnahmen zur deutsch-deutschen Geschichte angeboten. Unsere Landeskorrespondentin Susanne Arlt hat eine zehnte Schulklasse in Magdeburg besucht und dabei festgestellt, dass die Qualität des Unterrichts vor allem vom Engagement der Lehrer abhängt - egal wie alt sie sind.


Geschichtsunterricht in der 10.4 am Hegel-Gymnasium in Magdeburg. Die Jungen und Mädchen sitzen in einem Kreis, in ihrer Mitte haben Ursula Bütow und Hans Grabow Platz genommen. Vom Altersunterschied könnten es ihre Großeltern sein. Beide sind über 60 Jahre alt und bereits pensioniert. Ursula Bütow und Hans Grabow wollen den Gymnasiasten heute aus ihrem Alltag in der DDR erzählen.

Ursula Bütow und Hans Grabow: "Ich habe den Eindruck, dass viele Jugendliche nicht genau wissen, wie man in der DDR gelebt hat. Und dass man kein richtiges Standbein jetzt in dieser Bundesrepublik bekommt, wenn man die DDR sich schönredet. Dann ist das heute schlecht zu verkraften, man sagt dann immer ach hätte ich doch lieber wieder das Alte zurück, und wie soll ich denn als junger Mensch die Kraft schöpfen für das Neue, wenn ich dem Alten hinterher trauere. Ich halte es für besonders wichtig die verschiedenen Aspekte, die die DDR ja durchaus hatte, dass die ganz wichtig sind, um auch bei der Jugend das Demokratieverständnis zu festigen."

Wann die Deutsche Demokratische Republik gegründet, die Mauer errichtet, Erich Honecker Staatsratsvorsitzender wurde, das haben die Gymnasiasten längst im Geschichtsunterricht durchgenommen. Doch um das System DDR wirklich begreifen zu können, sagt Geschichtslehrerin Ute Mühler, die selbst zehn Jahr in der DDR Geschichte unterrichtete, müssen die Schüler mehr aus dem Alltag der damaligen Zeit erfahren. Und damit sie nicht nur aus dem Leben einer DDR-Lehrerin erfahren, hat Ute Mühler die beiden Zeitzeugen Ursula Bütow und Hans Grabow eingeladen. Sie arbeitete jahrelang als Gesundheitsfürsorgerin, er als Maschinenbauingenieur in einem großen Kombinat. Der 16-jährige Schüler Phillip Benkwitz ist gespannt auf das Zeitzeugengespräch.

Philip Benkwitz: "Ich kann nicht soviel mit meinen Eltern darüber reden. Also ich finde es reicht für das Grundwissen aus. Man kriegt nicht alles mit, aber es ist eigentlich auch nicht zu realisieren, soviel mitzukriegen, was da eigentlich auch passiert ist."

Ute Mühler: "Alltag in der DDR, wie ist das Leben damals in der DDR verlaufen, waren die Menschen unzufrieden oder glücklich, was hat dazu beigetragen, dass heute so viel verklärt wird …"

Eine Studie der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur brachte im vergangenen Jahr Erschreckendes zu Tage. Weniger als die Hälfte der deutschen Gymnasiasten wissen, dass der Arbeiteraufstand 1953 in der DDR stattfand. Und mehr als sieben Prozent halten Erich Honecker für den zweiten Bundeskanzler der BRD. Mangelnde Wissensvermittlung ist vermutlich einer der Hauptgründe für solch desolates Wissen. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer geht noch einen Schritt weiter. Er warnt vor einem selektiven, verklärten Erinnern an die DDR. Fast 20 Jahre nach dem Fall der Mauer rufen sich die Menschen meistens nur noch ins Gedächtnis, was ihnen damals wichtig war. Der unangenehme Rest werde verdrängt, ärgert sich der CDU-Politiker.
Wolfgang Böhmer: "Ich bin bestimmt nicht jemand, der sagt, es gibt nur eine einzige Meinung, die richtig sein kann. Aber was ich vermeiden möchte ist, dass jeder nur sich an das erinnert, was ihm besonders ins Konzept passt. Und dabei sind wir, dass wir im Grunde genommen, kein ausgewogenes Erinnerungsbild suchen, sondern die Bestätigung gewisser Vorurteile."

Sachsen-Anhalt bemüht sich darum um einen modernen Ansatz im Geschichtsunterricht. Das Thema DDR soll nicht nur theoretisch abgehandelt werden. Die Schattenseiten der DDR lernen die Schüler auch ganz praktisch kennen. Klassenfahrten zu den Gedenkstätten in Marienborn oder dem ehemaligen Stasiknast Roter Ochse in Halle stehen auf dem Lehrplan.

In der zehnten Klasse liegt der Schwerpunkt auf der Entwicklung beider deutscher Staaten nach 1945. Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz betont, dass die Geschichte der DDR und die der BRD in ihrer Gesamtheit betrachtet werden müssen.

Zurück in die Klasse 10.4 des Hegel-Gymnasiums in Magdeburg. Die Schülerinnen und Schüler haben ihre Fragen vorbereitet. Ein sechszehnjähriger will wissen, ob auch Mitarbeiter der Stasi in den Betrieben angestellt waren. Na klar, antwortet Hans Grabow. Der Alltag in der DDR bestand ja vor allem aus Arbeit, der Arbeitsplatz war sozusagen der Hauptaufenthaltsort aller DDR-Bürger. Da durfte die Stasi nicht fehlen.

Hans Grabow: "Dann gab es da in der Kaderabteilung eine bestimmte Gruppe, die nannten sich Kaderinstrukteure, und diese Kaderinstrukteure, das war eigentlich ein offenes Geheimnis, haben für die Staatssicherheit gearbeitet, das heißt jeder der eine Personalakte in dieser Kaderabteilung hatte, wurde auch von der Stasi durchleuchtet."

Schüler und Ursula Bütow: "Ich hätte mal ne Frage wie sah denn das Gesundheitssystem damals aus? Für Otto-Normalverbraucher war das schon in Ordnung. Ich fand das gut. Ich habe natürlich keine Goldkrone bekommen, mein Vater hat keinen Herzschrittmacher bekommen, aber heute geht´s um´s Geld, früher um Beziehungen."

Wie viele Wochenstunden musste man damals in der DDR arbeiten, wohin durfte man in den Urlaub fahren, mussten auch sie sich stundenlang für den Sonntagsbraten anstellen, hatte man viel oder eher weniger Freizeit, konnte man abends noch eine Ausstellung besuchen? Eine Stunde lang erzählen Ursula Bütow und Hans Grabow aus ihrem Alltag und vor allem eins bleibt dabei hängen: Das menschliche Glück, sagen beide, konnte man finden, mit dem politischen Modell DDR habe das aber nichts zu tun gehabt.

Schüler und Zeitzeugen: "Würden Sie sich die DDR wieder zurückwünschen, oder finden Sie das Staatswesen an sich heute besser als damals. Also ich würde mir die DDR nicht eine Sekunde zurückwünschen, Aber auch nicht eine Sekunde, ich hätte niemals so offen wie heute sprechen können.

Also dem möchte ich mich anschließen, aber jetzt kommt ein kleines Aber. Ich hätte mir nach der Wende gewünscht, dass bestimmte Dinge aus dem Gesundheitswesen und Bildungswesen aus der ehemaligen DDR übernommen worden wären. Die haben nämlich von der Organisationsform besser funktioniert wie heute."

Wie der Osten sich erinnert
Konzeptlos: Thüringen streitet noch um die richtige Art des Erinnerns


Im Jahr 20 nach der Wende wissen viele Kinder und Jugendliche nicht, was die DDR war. Dass die Eltern und Großeltern in einer Diktatur lebten, und wie die aussah, das ist kaum präsent. Dabei gibt es etliche Orte, an denen man die jüngste Geschichte noch hautnah erleben kann. Doch die werden – wie das Beispiel Thüringen zeigt – zum Teil mit minimalem Budget auf Vereinsbasis erhalten und geführt.

Ein Konzept des Landes, wie an die SED-Diktatur erinnert werden kann und soll, das gibt es noch nicht. Denn noch streiten Zeitzeugen und Experten mit dem Kultusministerium um die richtige Art und Weise. Ulrike Greim berichtet über den Stand der Diskussion zu Grenzmuseen, Archiven und den ehemaligen Gefängnissen.


"Die Zelle befindet sich dahinten."

Michael Anhalt, ein junger Mann Ende 30, führt zu den Hafträumen, in denen seine Eltern gesessen haben. Wegen versuchter Republikflucht. Im Bezirksgefängnis in Erfurt. Da war er sieben und verstand die Welt nicht.

"Ich war knapp zwei Jahre in so einem Vakuum: Auf der einen Seite ‚Klassenfeind’, auf der anderen Seite sieben, acht, neun Jahre alt, mit dem Wissen, dass meine Eltern im Gefängnis sind."

Jetzt erst, lange nach der Wende, kann er hierher gehen. Lange, bevor seine Eltern es können. Er muss leise reden, weil die Atmosphäre immer noch so drückend ist, als würde ein Feind mithören. Stasi-Knast bedeutet, so sagt es Michael Anhalt, ein Brechen der Persönlichkeit.

"Durch Bettnummer und Zellennummer als Anrede, stundenlange Verhöre, tagelange keine Verhöre, karges Essen, die Ungewissheit, was mit den Kindern ist, die Isolationshaft ..."

Abgeschlossen von der Welt und doch mittendrin: das Gebäude der Stasi-U-Haft liegt in Erfurt direkt im Zentrum, in der Andreasstraße, im Haus hinter dem heutigen Amtsgericht am Domplatz. Ein idealer Ort für eine zentrale Gedenkstätte, fand auch eine Expertenkommission und empfahl, diesen authentischen und bis heute erhaltenen Ort auszubauen. Zu nutzen nicht nur - wie bisher - für gelegentliche Ausstellungen und einzelne Veranstaltungen, sondern als institutionalisierter Bildungsort.

Volkhard Knigge, der Direktor der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora beobachtet und berät die Landesregierung.

"Die Andreasstraße wird sich mit der kritischen Erinnerung an das SED-Unrecht, an die Auswirkungen, Ausformungen der SED-Diktatur in Thüringen beschäftigen. Also nicht nur eine Mikrogeschichte eines Gefängnisses, das nur begrenzt von der Stasi genutzt worden ist, erzählen. Es wird sich in diesem Kontext mit natürlich politischem Widerstand und politischer Verfolgung beschäftigen."

Die ehemalige U-Haft in Erfurt soll – das beschloss jüngst das Thüringer Kabinett - zum Zentrum aller Gedenkorte an das SED-Unrecht ausgebaut werden, was da wären: die Grenzmuseen im Schifflersgrund, in Teistungen, Point Alpha und Mödlareuth und zwei weiterer Haftanstalten in Gera und Suhl und zum Beispiel das Archiv für Zeitgeschichte in Jena.

Der Freistaat Thüringen hatte die Frage nach einem Konzept für diese Gedenkstätten jahrelang vor sich her geschoben. Mehrere Kultusminister haben hier keinen Pflock eingeschlagen. Der jetzige tut es notgedrungen, Bernward Müller. Denn die bisherige Förderung läuft aus, und für die neue, die nun aus Landesmitteln bestritten werden muss, braucht es schlicht und ergreifend ein Konzept.

Müller: "Die Mittel aus dem Verkauf der Mauergrundstücke gehen zu Ende. Und wir sind eben dabei, in diesem Konzept - jetzt auch in Vorbereitung im Blick auf die ersten Haushaltsansätze - über die Höhe von Mitteln nachzudenken."

Das heißt: die Gedenkstättenlandschaft, die sich lokal und hauptsächlich auf Vereinsbasis entwickelte, wurde bisher unsystematisch mit der Fördergießkanne bedacht. Frei nach der Devise: wer am lautesten schreit, bekommt das meiste Geld. Mit dem Effekt: wer gar nicht ruft, oder zu spät, wie die kleine Gemeinde Probstzella, mit ihrem letzten Grenzbahnhof, der geht leer aus.

Der schaurige DDR-Plattenbau wurde, obwohl die Grenzmaschinerie gut nachvollziehbar war, abgerissen. Noch ein Grenzmuseum wollte sich der kleine Freistaat nicht ans Bein binden. Andere Mittelgeber fanden sich nicht. Kurz vorher hat der Probstzellaer Bürgermeister, Marco Wolfram, noch einmal durchs Haus geführt.

"Die Leute, die meist mit dem Leipziger Zug nach Probstzella gekommen sind, und dann in den Interzonenzug eingestiegen sind, die sind hier rein, sind dann durch die Kontrollgänge durch, Passkontrolle und Zollanmeldung. Und dann ist drüben der zweite Stauraum, wo sie sich dann aufhalten mussten, bis sie einsteigen konnten. Und dort war dann ein kleiner Mitropastand, Intershop und Staatsbank, wo dann auch die Westdeutschen ihre Zwangsumtausche machen konnten."

Point Alpha dagegen, der so genannte heißeste Punkt im kalten Krieg, an dem die Konfrontation von Ost- und Westblock mit Händen zu greifen war, da investierte der Freistaat Thüringen gemeinsam mit dem Land Hessen kräftig 9,2 Millionen Euro in eine Stiftung, die gerade anfängt zu arbeiten.

Für die gesamte Gedenkstättenarbeit im Land ist nun wohl kaum noch so viel Geld drin, aber - wie gesagt, die Verhandlungen laufen noch. Umstritten ist auch der organisatorische Rahmen. Hier stehen sich einige Opfervertreter und das Land Thüringen unversöhnlich gegenüber.
Das Land hat sich dafür entschieden, die Arbeit an eine bestehende Stiftung anzubinden, die Stiftung Ettersberg, bisher tätig im wissenschaftlichen Segment in der vergleichenden Diktaturenforschung. Sie soll die Gelder lenken, die Arbeit der Gedenkorte professionalisieren. Volkhard Knigge gehört dem Vorstand der Stiftung Ettersberg an.

"Der Geschichtsverbund soll all die Initiativen zusammen fassen, bündeln, ihnen Prägnanz geben, ihnen Sichtbarkeit geben, die eine solche Aufarbeitungsarbeit betreiben und voran bringen sollen."

Die Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Hildigund Neubert, die selbst ihren Hut für die Bündelung der Gedenkstättenarbeit in den Ring geworfen hatte, sitzt dagegen empört in ihrem Büro. Sie spricht davon, dass die Opfer gerade der U-Haft Andreasstraße mit dieser Entscheidung entmündigt würden.

"Also ich denke, dass ein Teil des Problems tatsächlich darin besteht, dass das Kultusministerium durch eine hinhaltende Informations-, vorenthaltende Verhandlungstaktik gegenüber den Zeitzeugen Vertrauen zerstört hat, und dass die Stiftung Ettersberg in keiner Weise irgendeine Anstrengung unternommen hat, Vertrauen aufzubauen."

Das Land weist dies zurück und moderiert nun Gespräche zwischen Opfern und Wissenschaftlern, um beide Kompetenzen zusammen zu bringen. Das ist ihr Ziel. In diesem Jahr, also im Jahr 20 nach der Wende, soll es noch erreicht werden.