Widerstand gegen Windkraft

Die Energiewende als Soziallabor

Eine alte Windmühle steht zwischen Wohnhäusern in Kiel, im Hintergrund ein modernes Windrad.
Rückt ein Windrad näher an die eigene Wohnung, sinkt die Akzeptanz. © picture alliance / Hinrich Bäsemann
Von Gerhard Richter · 24.05.2016
In den vergangenen 25 Jahren sind in Deutschland 25.000 Windräder entstanden. Obwohl die Mehrheit der Deutschen erneuerbare Stromquellen befürwortet, wächst der Widerstand gegen die Windkraft. Was bedeutet das für die bevorstehende Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes?
50 Demonstranten setzen vor der Bremer Landesvertretung in Berlin ihre Stimme ein. Drinnen tagen gerade die Ministerpräsidenten aller 16 Bundesländer. Die Demonstranten halten Schilder hoch: "Windkraft nicht absägen". "Campact"-Aktivisten bauen ein symbolisches Windrad auf, Nabenhöhe drei Meter, eine Demonstrantin mit Merkel Maske sägt mit einer Kettensäge das Windrad um, Aktivisten richten es jubelnd wieder auf. Eine vereinfachte Darstellung der aktuellen politischen Debatte. Katrin Beushausen, jung, schlank, im roten Campact-T-Shirt führt Regie bei dieser Protest-Aktion.
"Es geht um eine Gesetzesänderung beziehungsweise um ein neues Gesetz für die Energiewende. Es geht darum, dass in Zukunft viele erneuerbare Energie-Projekte nur noch durch Ausschreibungen vergeben werden sollen." (Buhrufe…)
Corinna Klessmann: "Da gibt es im Wesentlichen drei Gründe. Der eine ist, dass in der Vergangenheit sehr viel über die Kosten der erneuerbaren Energien-Förderung diskutiert wurde. Und dass man eine stärkere Kostensteuerung anstrebt und deswegen sehr viel stärker auf Effizienz achten möchte. Und Ausschreibungen sind halt ein Instrument, um tatsächlich eine effiziente Förderung voranzutreiben. So jedenfalls die Hoffnung."
Katrin Beushausen: "Wir sind hier, weil wir glauben, dass die Energiewende in Bürgerhand bleiben muss."
Corinna Klessmann: "Zweiter Grund ist die Mengensteuerung. Also dass man tatsächlich genauer weiß, wie viel Erneuerbare werden ausgebaut. In der Vergangenheit hat man sich eher gefreut, so viel wie zugebaut wurde; war ja auch gut. Mittlerweile sagt man - auch im Sinne von Planbarkeit des Netzausbaus und anderer Faktoren - möchte man möglichst genau die Zielmengen auch treffen. Also daher die Mengensteuerung."
Welten treffen hier aufeinander. Engagierte bewegte Bürger, wie bei der Campact-Demo, die für die Energiewende eintreten, und kühle Planer, wie Corinna Klessmann, die die Energiewende steuern sollen.
Corinna Klessmann: "Ein dritter Punkt ist, dass es neuere europäische Vorgaben gibt, die sagen, Förderung für Erneuerbare soll in Zukunft wettbewerblich bestimmt werden. Also durch einen Marktmechanismus und nicht mehr indem die Regierung vorgibt, wie viel Cent Förderung es pro Kilowattstunde gibt."
Corinna Klessmann arbeitet für die Firma Ecofys, ein wissenschaftliches Beratungsunternehmen, das sich auf den Bereich erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Klimaschutz spezialisiert hat. In den letzten Monaten hat Corinna Klessmann das Bundeswirtschaftsministerium beraten, bei der aktuellen Novelle des Erneuerbaren Energie Gesetzes EEG. Dieses Gesetz ist das wichtigste Steuerungselement der Energiewende und es bestimmt den Spielraum von tausenden Akteuren. Bei den Vorberatungen gab es extra eine Unterarbeitsgruppe "Akteursvielfalt", ein Begriff, der als Ziel im EEG verankert ist.
"Das Problem ist, glaube ich, dass nicht wirklich klar ist, wer ist denn diese Akteursvielfalt? Das ist ja kein statischer Zustand, sondern das hat sich auch in den letzten Jahren schon sehr stark verändert. Man sieht zum Beispiel, dass die großen Projektierer, einen größeren Marktanteil gewonnen haben. Insgesamt hat eine Professionalisierung der Branche stattgefunden."

Bürger-Energie ist die Keimzelle der Energiewende

Die Erneuerbare-Energien-Branche ist aus den Kinderschuhen herausgewachsen. Aus den pionierhaften Anfängen ist ein hartes Geschäft geworden. Windparks sind Klimaretter und Renditeobjekte gleichzeitig. Sichtbare Zeichen der Energiewende und der gegensätzlichen Meinungen dazu.
Margit Kovacs: "Also, schön sind sie nicht. Aber wir sehen im Moment keine Alternativen."
Elfriede Kutsch: "Also, ich find' Wind und Sonne, das haben wir in diesem Land und das sollen wir voll ausnutzen. Und ich freue mich über jedes Windrad, das sich dreht."
Bernd Werner: "Windkraft ist eigentlich nur eine Verschwendung von Ressourcen und letztlich auch von Geldern die zum Fenster rausgeworfen werden. Mit Ökologie hat das ganze nichts, aber auch gar nichts zu tun."
Thomas Gärtner: "Das ist einfach eine Notwendigkeit und ich denke, man wird sich auch daran gewöhnen, das gehört zu der Zeit dazu."
Rene Mono: "Die Energiewende ist, wenn Sie so wollen, ein zivilisatorisches Projekt. Da haben die Menschen eine Möglichkeit, sich wieder in Wirtschaftsprozesse einzubringen und Wirtschaft wieder so zu verstehen, dass sie einem gesellschaftlichen Ziel folgt - und zwar unmittelbar. Es gibt jetzt auch viel Forschung zu den sozialen und psychologischen Fragen der Energiewende. Und die Ergebnisse zeigen, dass die Menschen gerade eine dezentrale Energiewende mit der Hoffnung und auch mit dem Versprechen verbinden, dass sie ein Stück weit wieder autonom werden, dass sie unabhängig werden, dass sie eigene Entscheidungen treffen können."
Rene Mono ist Vorstand der "Stiftung 100 Prozent erneuerbar". Was er hier skizziert, ist ein Wunschbild. Die Energiewende als Soziallabor, bei dem jeder mitmachen und profitieren kann, ist eine Vorstellung, die sich nur für einen Teil der Bürger erfüllt hat. Ein Windpark lässt sich rein planungsrechtlich auch völlig ohne Bürgerbeteiligung realisieren. Rücksichtslose Planer nutzen das auch aus. Von den über 25.000 Windrädern in Deutschland sind nur rund ein Viertel in Bürgerhand, sagt Boris Gotchev, der sich am Institute for Advanced Sustainability Studies in Potsdam mit Fragen der Bürgerbeteiligung beschäftigt.
"Speziell für den Bereich Wind, das zeigt eine - glaube ich - relativ aktuelle Umfrage aus dem Jahr 2015 der deutschen Windguard, kann man davon ausgehen, dass ca. 15 bis 25 Prozent der Windräder von so genannten echten Bürger-Windparks, also von Bürgern, Landwirten oder kleinen Unternehmen und Gemeinden vor Ort betrieben werden."
Diese Bürger-Energie ist die Keimzelle der Energiewende. Sie ist gegen viele Widerstände und anfangs auch ohne staatliche Anreize entstanden. Die eigentliche Schubkraft kam von einer sozialen Bewegung mit gemeinsamen Ideen und Zielen, sagt Gotchev.
"Das hängt sehr eng zusammen mit den Anti-Atomkraftprotesten, die gesagt haben: Nein zur Atomkraft, aber ja zu Alternativen. Und genau das ist die Wurzel eigentlich der Bürgerbeteiligung, die unter dem Begriff Bürgerenergie läuft."

Mit der geplanten EEG-Novelle steigt das finanzielle Risiko

Diese sogenannte Bürgerenergie ist häufig in Form einer Genossenschaft organisiert. Sie liefert nicht nur Strom und Wärme, sondern hat auch einige soziale und demokratische Nebeneffekte. Das Institut für Zukunftsenergie IZES in Saarbrücken hat im Auftrag von Greenpeace Energy und dem Bündnis Bürgerenergie Nutzeffekte untersucht. Also schwer messbare Nebenprodukte eines Windparks, die nicht als Strom eingespeist werden oder als Rendite auf einem Bankkonto landen. Effekte, die die Gemeinschaft fördern.
"Diese IZES Studie zeigt, dass Bürger-Energie viele Nutzeffekte hat; unter anderem, dass eben Menschen in die Lage versetzt werden, ihren direkten Lebensraum selbst mehr zu gestalten und dazu gehört natürlich auch die Dorfgemeinschaft und diejenigen, die - sagen wir mal – nicht typische Förderer des lokalen Gemeinwesens waren, denen wird durch Bürger-Energie eine Chance gegeben, das zu werden."
Als positive Effekte nennt die Studie den Erwerb neuer Kompetenz, zum Beispiel im Umgang mit Behörden, das Erleben von Selbstwirksamkeit und den Engagement-Transfer auf andere Bereiche bürgerschaftlichen und politischen Handelns. Das bestätigt auch Rene Mono.
"Mir erzählen Bürger-Energiegenossenschaften, dass die Genossenschaft das ist, was in den 60er- / 70er-Jahren der Stammtisch war. Was zwischenzeitlich verschwunden ist, weil alle Leute nur noch zu Hause ferngeschaut haben. Und was jetzt wieder neu entdeckt wurde, ist: nämlich ein Miteinander, ein Bezugspunkt des gemeinsamen Austausches, des gemeinsamen Handelns, ein Projekt, das man jenseits der weit gehend entfremdeten Büroarbeit tatsächlich noch hat. Und insofern glaube ich in der Tat, dass Bürger- Energie ganz viel jenseits der eigentlichen Energieerzeugung bewirken kann."
Grob geschätzt investieren die Bürger jedes Jahr rund 500 Millionen Euro in Windkraftanlagen. Das EEG lieferte bisher eine solide Planungsgrundlage mit einer garantierten Einspeisevergütung. Die wird zwar jedes Jahr ein kleines bisschen weniger, aber das ist kalkulierbar. Trotzdem ist der Bau eines jeden Windrads ein Abenteuer.
"Bürgerinnen und Bürger sind natürlich besondere Investoren, das heißt, sie geben halt nur ihr Geld, wenn eine gewisse Sicherheit da ist. Und eine Wind-Projektierung ist immer riskant. Da kann immer was dazwischen kommen. Es fängt eigentlich schon mit den Ertragsgutachten an, es ist nie wirklich klar, ob der prognostizierte Windertrag tatsächlich dann auch so ausfällt. Es kann aber auch naturschutzfachlich irgendwas dazwischen kommen. Es kann sein, es wird plötzlich ein Rotmilan gesichtet, wo er noch nie festgestellt wurde, dann kann die ganze Planung über den Haufen geworfen werden."
Mit der geplanten Novelle des EEG steigt das finanzielle Risiko beträchtlich. Die Bürger oder die beauftragen Projektierer müssen noch mehr als bisher in Vorleistung gehen und die Planung vorfinanzieren. Ein langwieriges Verfahren, das sich über Jahre hinzieht.
"Sie planen einen Park, das heißt, sie müssen Windberechnungen machen; sie müssen Ertragsprognosen machen; sie müssen natürlich Flächen finden, auf der sie das bauen, das heißt sie brauchen einen Pachtvertrag; sie müssen Vogelschutzgutachten erstellen. Sie müssen eine Bundesimmissionsschutz Genehmigung erbringen. Wenn Sie all das haben, dürfen Sie sich an der Ausschreibung beteiligen. Das heißt, dann sind sie eben in der Lage zu sagen, naja der Strom aus diesem Windpark kostet mich zum Beispiel 8,5 Cent. Diesen Betrag brauche ich und diesen Betrag gebe ich sozusagen bei der Ausschreibung an, ganz vereinfacht gesagt."

Ausnahmeregelungen für Bürger-Energiegesellschaften im Gesetzentwurf

Die Bundesnetzagentur prüft die eingereichten Projekte. Laut derzeitiger Planung wird sie künftig den Bau von 2500 Megawatt pro Jahr vergeben. Wer am wenigsten Förderung beantragt, wer also am billigsten Windstrom produzieren kann, bekommt den Zuschlag.
"Es wird also rein nach Preis sortiert, der billigste kriegt den ersten Zuschlag und so weiter, bis das ausgeschriebene Volumen erschöpft ist. Und dann sind sie halt dabei, oder sie sind nicht dabei."
Kommt das Projekt nicht zum Zug, sind diese Kosten verloren. Das sind locker 200.000 Euro. Einfach in den Sand gesetzt. Kleine Projektierer und Bürger können sich das nicht leisten, fürchtet Rene Mono. Große finanzstarke Projektierer würden dadurch bevorteilt.
"Aus meiner Sicht gibt es zwei Vorteile. Sie haben einfach Skaleneffekte, Größen-Vorteile. Sie haben mehr Verhandlungsmacht gegenüber den Herstellern, können eben Rabatte einfordern, Sonderkonditionen usw. das ist das eine und zum anderen haben sie Portfolio-Effekte. Das heißt, in der Regel natürlich wollen Projektierer, große Energiekonzerne nicht nur einen Windpark entwickeln, sondern parallel zwei, drei, vier, fünf nebeneinander und können diese auch gleichzeitig in Ausschreibungen bringen. Das heißt, wenn ein Windpark keinen Zuschlag bekommt, haben Sie immer noch die Chance, für die anderen Windparks Zuschläge zu bekommen. So können Sie eine Querfinanzierung machen, können Risiken diversifizieren, das besser verteilen und können deswegen dann auch mit einem niedrigeren Preis da rein gehen, können strategisch bieten. All das können Bürger-Energiegesellschaften nicht. Und insofern gibt es da schon strukturelle Nachteile für kleine Akteurinnen wie Bürger Energiegesellschaften."
Eine Befürchtung, die dem Bundesministerium für Wirtschaft durchaus bekannt ist. Schließlich waren auch Windkraftverbände in den Vorberatungen beteiligt. Weil die Akteursvielfalt ein schützenswertes Gut ist, wurden zwei Ausnahmeregelungen für Bürger-Energiegesellschaften in den Entwurf eingefügt.
Corinna Klessmann: "Das eine ist, die dürfen sich schon an der Ausschreibung bewerben, wenn Sie noch keine Bundes-Immissionsschutz Genehmigung haben. Alle anderen Projekte müssen tatsächlich diese Genehmigung schon vorlegen. Es ist ein relativ teurer und ein relativ langwieriger Prozess, um diese Genehmigung zu bekommen. Das heißt, die kleinen Akteure können sich schon in einem frühen Projekt-Entwicklungsstadium an der Ausschreibung bewerben. Und sie müssen auch eine geringere finanziell Strafe zahlen, wenn sie das Projekt nicht realisieren können. Also das ist die Hälfte dessen, was andere Akteure zahlen."
Ob das ausreicht, um den Bürgerenergie-Genossenschaften den Zugang zum Windkraft-Markt zu ermöglichen ist unklar. Experten wie Christoph Rasch von Greenpeace energy fürchten jedenfalls das Ende der Bürgerenergie.
Christoph Rasch: "Also bisher war es so, dass die Energiewende so was wie ein demokratisches Gemeinschaftswerk war, dass eben sehr viele Leute beteiligt waren, auch sehr viele Leute im kleinen Maße davon profitierten, weil die Windkraftanlagen auch Gewinn abgeworfen haben. Jetzt lenkt man die Finanzierungsströme und die Umsetzungsströme wieder so ein bisschen um, in die Hand der Großen und zentralisiert das Ganze wieder. Das ist natürlich ein bisschen undankbar für die, die in den letzten 15 Jahren bei dieser Energiewende mitgeholfen haben - und mitgeholfen haben, dass sie so ein großer Erfolg geworden ist bis heute. Das ist ein bisschen der kalte Händedruck am Ende."
Lässt sich die Energiewende tatsächlich von ihren Wurzeln abschneiden? Eine Frage, die aktuell im großen Soziallabor verhandelt wird.

Akzeptanz hängt von Mitgestaltung und Profit ab

Katrin Beushausens Bizeps spannt sich, sie hält ein 500 Seiten starkes Buch im Arm, schwer wie ein Telefonbuch. Engbedruckte Seiten mit rund 200.000 Namen. Diese Leute haben innerhalb von nur drei Tagen den Eilappell von Campact unterschrieben.
Michael Schmidt: "Das ist das Phänomen, wenn man das erstmal generell abfragt, sind 93 Prozent der Leute, laut aktueller Umfrage, für den Ausbau erneuerbarer Energien. Und andere Studien sagen, dass über 60 Prozent der Menschen sagen: Wir finden, es geht zu langsam, sie würden gern mehr Ausbau haben. Sie sehen darin, es ist etwas Gutes, es schützt unsere Erde. Und deswegen sind sehr viele Leute generell dafür, dass man die Energiewende so weiter betreibt und mutig ist dabei. Wir merken natürlich aber auch, dass Leute die, wenn sie gefragt werden: 'Würden Sie einen Windpark in der Nähe befürworten?', sind das natürlich nicht mehr 93 Prozent das sind dann um die 60 Prozent."
Michael Schmidt arbeitet für den Bundesverband Windenergie e.V. Mit 20.000 Mitgliedern, organisiert in Landes- und Regionalverbänden eine der stärksten Interessenvertretungen der Windenergie. Auf die hohe Akzeptanz sind die Windradbauer stolz. Aber Moment. Nur 60 Prozent würden einen Windpark in ihrer Nähe befürworten?
"Diese Zahl steigt aber dann wieder an, wenn man Leute befragt, die schon Vorerfahrung mit Windparks haben. Da sagen 75 Prozent: Ja klar, es ist kein Problem, einen Windpark in der Nähe zu haben, weil ich kenn' das schon, aber meine Lebensqualität ist dadurch nicht gesunken."
Ein Windpark ist eine technische Anlage, mittlerweile über 200 Meter hoch. Sie erzeugt neben Strom auch Lärm, wirft Schatten und verändert die gewohnte Landschaft. Dieser Eingriff in unsere Lebenswelt braucht Akzeptanz. Und die hängt entscheidend davon ab, ob wir ihn mitgestalten können, und ob wir davon profitieren, sagt Rene Mono von der "Stiftung 100 Prozent erneuerbar".
"Es gibt wissenschaftliche Studien, es gibt auch Praxisbeispiele, die zeigen Windparks, die von einem fremden Investor entwickelt wurden und auf Widerstand gestoßen sind. Und deswegen vor Ort letztendlich nicht umgesetzt werden konnten, weil die Bürger nein gesagt haben, dass die gleichen Windparks dann auf eine große Akzeptanz gestoßen sind, wenn man den Bürgern die Gelegenheit gegeben hat, sie selbst umzusetzen. Das heißt, das ist psychologisch auch vollkommen erklärbar, es ist eine andere Wahrnehmung einer Windenergieanlage, wenn ich weiß, die gehört mir zum Teil selbst, der Strom, der dort produziert wird, kommt mir auch zugute."

Brandenburger Initiativen wollen ein Volksbegehren

Aber was machen die Menschen, die eben nicht beteiligt sind? Die sich nicht als Teil der Energiewende fühlen? Und die deshalb einen Windpark in der Nähe ablehnen. Das sind immerhin ein Viertel der Deutschen. Zu ihnen gehört Bernd Werner aus dem brandenburgischen Wildberg. Um ihn herum stehen Windräder, die ihm allesamt nicht gehören.
"Ich wohne mitten im Ort. Und mein Grundstück und mein Hof sind eigentlich ziemlich umbaut von anderen Gebäuden. Und trotzdem höre ich die Anlagen bei entsprechend dem Westwind-Wetterlagen, die wir ja zu 80 Prozent haben ziemlich laut. Und eine Etage höher im Schlafraum noch lauter als unten im Erdgeschoss. Und mein Haus liegt etwa 1300, 1400 Meter davon entfernt."
Der 63-jährige Rentner ist Mitglied der Grünen und als gelernter Maschinenbauingenieur auch interessiert an alternativen Energieformen. Aber er ist auch ein erbitterter Gegner der Windparks, die um ihn herum entstanden sind. Laut Flächennutzungsplan der Gemeinde waren nur fünf Windräder mit 100 Metern Höhe erlaubt. Das Bundesverwaltungsgericht hat diesen Plan sogar richterlich bestätigt.
"Das half aber letztlich alles nichts, der Investor hat es innerhalb von fünf Jahren doch geschafft, seine Vorstellung durchzusetzen und hat dort sechs Anlagen mit 150 Metern Höhe hingebaut."
Ein frustrierendes Erlebnis für Bernd Werner und viele andere Bürger in der Gemeinde Wildberg. Zumal noch ein zweiter Windpark auf der Gemarkung der Nachbargemeinde gebaut wurde. Ohne dass sie mitreden konnten. Jetzt stehen die Windräder da - ein täglich rotierender Grund für Verbitterung und Ohnmacht.
"Ein Gemeindevertreter hat das mal auf den Punkt gebracht in einer Sitzung. 'Wir diskutieren hier, ob Meier, Müller, Schulze gelbe oder grüne Fensterrahmen in seinem Haus zur Straße hin einbauen darf, aber wenn hier für 10 Millionen Euro sechs 150 Meter hohe Windkraftanlagen gebaut werden, dann fragt uns keine Sau, was wir davon halten.' Wörtliches Zitat."
Bernd Werner ist zu einem Gegner der Energiewende geworden. Man hat seine Einwände nicht ernst genommen, man hat ihn nicht gefragt, ob er sich beteiligen will, nun zählt er zu den Leidtragenden, während andere die Gewinne einstreichen. Auch die Gemeinde hat nichts von der Stromerzeugung. Das Geld fließt in fremde Taschen.
"Es sind zwei drei Grundstückseigentümer, die ja generell etwas profitieren. Und natürlich der Investor. Der Investor hat aber inzwischen einen Teil der Anlagen an andere Betreiber abgegeben. Es sind inzwischen drei Betreiber. Die teilen sich dann auch die Gewinne."
Die Windräder in Wildberg fördern trotzdem die Gemeinschaft. An diesem Abend trifft sich Bernd Werner im Gemeindehaus mit Gleichgesinnten zur Sitzung einer Bürgerinitiative gegen den weiteren Ausbau von Windenergie. Auf dem Tisch stehen liebevoll belegte Brote, auf dem Fußboden ein Karton mit Flyern. Heute sind auch Vertreter anderer Bürgerinitiativen hier, die in anderen Orten gegen Windparks kämpfen. Über 30.000 Brandenburger haben im letzten Jahr eine Volksinitiative unterschrieben, gegen Windkraftanlagen im Wald und für größere Abstände zur Wohnbebauung. Vorbild ist die bayerische 10-H-Regel. Die besagt, dass Windräder das Zehnfache ihrer Höhe als Abstand zum Dorfrand einhalten müssen. Das hat der Brandenburger Landtag abgelehnt. Jetzt gehen die Bürgerinitiativen den nächsten Schritt des Protests und sammeln Unterschriften für ein Volksbegehren.
"Also wir haben hier im Nordwesten Brandenburgs dieses Aktionsbündnis, was hier heute zusammentrifft. Heute geht's aber schwerpunktmäßig um die Organisation weiterer Maßnahmen, damit wir genügend Unterschriften zusammenbringen, obwohl es da nur um die Anlagen im Wald geht bzw. um die 10-H-Regelung. Aber das wäre ja schon mal Erfolg, wenn man wenigstens dort unsere herrliche märkische Landschaft auch ein bisschen retten könnte."

Brandenburger Landesregierung fordert weiteren Ausbau

An diesem Abend gestalten die Bürger Plakate, richten ein Spendenkonto ein, vernetzen sich. Ebenso wie die gemeinsame Planung eines Windparks hat auch der gemeinsame Widerstand dagegen gesellschaftliche Nutzeffekte. Es fördert den Erwerb neuer Kompetenzen, zum Beispiel im Umgang mit Behörden, und lässt die Bürger Selbstwirksamkeit erleben. Die Nähe der Windräder erzwingt eine Meinung zum Thema Energiewende. Die Mitglieder der Bürgerinitiative im brandenburgischen Wildberg haben zum Beispiel die öffentliche Auslegung der Regionalplanung genutzt, um Hunderte von Stellungnahmen abzugeben. Diese Briefe landen auf dem Tisch von Ansgar Kuschel.
Ansgar Kuschel: "Für uns war es das erste Mal, dass es eine hohe Vernetzung der Bürgerinitiativen bei uns gab. Das merkt man dann auch, wenn man die vielen Einwendungen liest, Windenergie sei gesundheitsschädlich, Windenergie sei volkswirtschaftlich nicht sinnvoll, Windenergie in Brandenburg sei nicht mehr sinnvoll, weil es schon so viel Stromerzeugung gibt durch Erneuerbare. Das sind Argumente die immer wieder vorgebracht werden."
Ansgar Kuschel ist der Leiter der Regionalen Planungsstelle für die Region Prignitz Oberhavel, im deutschlandweiten Vergleich ist der Nordwesten Brandenburgs eines der besten Windgebiete. 930 Windkraftanlagen wurden hier gebaut. Nur zwei oder drei regionale Planer waren daran beteiligt, die meisten Windräder wurden von großen Firmen von außerhalb geplant und betrieben. Nur an einer einzigen Anlage sind Bürger der betroffenen Gemeinde beteiligt.
"Also es ist weiter die Ausnahme und bei den 930 Anlagen ist eine Bürger Windanlage, das ist natürlich sicherlich so Tropfen auf den heißen Stein zumindest für den politischen Anspruch, Wertschöpfung soll auch hier zur Windenergie in der Region stattfinden."
Die Brandenburger Landesregierung steht zu den Zielen der Energiewende, fordert weiteren Ausbau. Gerade ist Kuschel dabei neue Windeignungsgebiete auszuweisen. Eine knifflige Aufgabe, die sich über Jahre hinzieht. Aber er hat 35 Windeignungsgebiete ausgemacht. Darin könnte ja auch ein Bürgerwindpark entstehen. Entsprechende Beratung hat Ansgar Kuschel schon angeboten."
Ansgar Kuschel: "Wir hatten auch organisiert, dass auch Referenten zum Beispiel aus Schleswig Holstein oder Niedersachsen herkommen, wo das ein sehr gängiges Modell ist, wo auch sehr viele Bürger Anteil haben, auch wirtschaftlich Anteil haben an den Anlagen, mussten uns auch ganz oft sagen lassen: 'Jaaa, eure westdeutschen Referenten, wir sind hier aber hier in Brandenburg und wir haben hier andere Verhältnisse und wir haben ein anders gefülltes Portmonee.' Und das ist sicherlich auch richtig."
In den meisten Fällen siegt die Skepsis. Im Zweifel finden Brandenburger Windkraft lieber störend, als lohnend. Von den 2000 Stellungnahmen, die Kuschel zu den neuen Windeignungsgebieten bekommen hat, sind die meisten ablehnend. Ansgar Kuschel muss jeden einzelnen prüfen, rechtliches Gewicht haben sie nur, wenn jemand in seinen Rechten verletzt ist.
"Was hier vorgebracht wurde, kann man daraus einen öffentlichen Belang zum Beispiel Gesundheitsschutz, Lärmschutz herausfiltern und sagen, ja das steht wirklich der Bebauung entgegen. Weil, wenn ich sage, ich möchte dass mein Wohnumfeld so bleibt wie es ist, diesen Anspruch hat man eben nicht. Das führt aber zu sehr viel Frustration, muss man ganz ehrlich sagen."
Ausschnitt aus dem Lied "Die Rhöner Säuwäntzt":
Aus unserm Wald, ja da wird ein Industriepark gemacht
zweihundert Meter hohe Windräder mit Blinklicht in der Nacht
sie reden uns ein, dass man die Welt mit Windkraft retten kann
dabei zieh'n sich Industriewölfe bloß ein grünes Schafsfell an.

Deutschlandweit wächst der Widerstand

Der Widerstand gegen die Windkraft ist mittlerweile bundesweit vernetzt. Organisationen wie Vernunftkraft, Gegenwind oder Windwahn haben gut gestaltete Webseiten mit einem ganzen Arsenal von Argumenten gegen die Windkraft. Referenten von Vernunftkraft reisen über die Dörfer und halten Vorträge über die Nachteile von Windenergie. Mangelnde Rendite, mangelnde Beteiligung, Infraschall, Vogelschlag und Zerstörung von Landschaft. Dieses Lied der hessischen Band "Rhöner Säuwänzt" nimmt die Stimmung auf.
Ausschnitt aus dem Lied "Die Rhöner Säuwäntzt":
Ein paar wenige Genossen woll'n ein Bürgerwindpark bau'n, und es stört sie nicht, dass sie den Bürgern ihre Welt versau'n. Die Natur, die wird zerstört und es wird immer schlimmer, wegen einer Handvoll Ökosubventionsgewinnler.
Im ganzen Land wächst der Unmut über "Windmonster", wie die großen effektiven Stromturbinen mittlerweile beschimpft werden. Auch in Mecklenburg Vorpommern gibt es eine Volksinitiative, mit dem Ziel, den Ausbau von Windrädern zu begrenzen. Aus deren Reihen hat sich jetzt sogar die Partei "Freier Horizont" gegründet, die mehr Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie fordert, nicht nur in Bezug auf Windparks vor der Nase. Da kommt auch das Bürger- und Gemeinden- Beteiligungsgesetz sehr spät, das der Landtag Mecklenburg-Vorpommern letzten Herbst auf den Weg gebracht hat. Demnach muss ein Projektierer den Bürgern und den Gemeinden im Umkreis von 5 Kilometern jeweils zehn Prozent des Windparks als Beteiligung anbieten. Boris Gotchev:
"Vorlage ganz klar war Dänemark. Dort ist es so ein Gesetz seit 2009 in Kraft. Ziel des Gesetzes ist es die Wertschöpfung regional zu erhöhen und zu halten. Weil eben viele Investoren außerhalb des Bundeslandes Windkraftprojekte umgesetzt haben und nicht die Bürger vor Ort. Und zweites Ziel, die Akzeptanz zu erhöhen."
Auch die Landesregierung in Thüringen hat eine eigene Regelung gefunden, um die Bürgerbeteiligung zu stärken. Nicht als Gesetz, nur als freiwillige Selbstverpflichtung. Als Leitlinien für eine faire Beteiligung.
"Das kann verschiedene Formen annehmen, beispielsweise Informationen, aber auch eine finanzielle Beteiligung. Und alle Projektierer, die das machen, können sich bei der Thüringer Energie-Agentur für ein Zertifikat bewerben. Und die Grundidee ist, dass eben die Leute, denen die Flächen gehören, die Bürgermeister auch, wenn sie von Windprojektieren angesprochen werden, diese dann danach fragen können, ob sie denn ein zertifizierter Partner sind, der sogenannte faire Windenergie anbietet."
Beide Regelungen werden im Lauf des Jahres in Kraft treten. Bereits gültig und vom Bayerischen Verfassungsgericht bestätigt ist die 10-H-Regel. Demnach sind große Windräder fast nicht mehr realisierbar, kleinere Windräder wären zwar möglich, werden aber wegen ihrer geringeren Stromausbeute kaum die Ausschreibung gewinnen. Eine weiteres Element im Soziallabor Energiewende, in dem mittlerweile alle mitreden und mitreden müssen.
Die Campact-Demo ist umgezogen. Das Drei-Meter-Windrad steht jetzt vor dem Kanzleramt. Drinnen treffen sich die Ministerpräsidenten der Länder mit Angela Merkel. Draußen werden Sprechchöre angestimmt. Die Schauspielerin mit Merkel-Maske wirft die Kettensäge wieder an und sägt das Windrad symbolisch ab. Campact-Aktivisten richten es wieder auf. Campaigner Chris Methmann fordert in Richtung Kanzleramt:
"Frau Merkel, (…) Sie haben mal behauptet, Sie wären eine Klimakanzlerin. Es ist nicht ein halbes Jahr her, dass Deutschland sich verpflichtet hat, jetzt wirklich mal ernst zu machen, beim Klimaschutz. Und dem Pariser Klimavertrag zugestimmt hat, das ist kein halbes Jahr her. Und schon geht das hier los und die Energiewende wird rasiert, das lassen wir nicht zu."
Die Weichen der Energiewende werden neu gestellt. Wer sich in diesem Land, in dieser Zeit der Energiewende als Akteur fühlen will, der hat Gelegenheit wieder mal darum zu kämpfen.
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