Wider den Islamismus

Rezensiert von Hamed Abdel-Samad · 07.11.2010
Die Feministin Alice Schwarzer hält das Kopftuch für ein Zeichen der Unterdrückung der Frau im Islam. Mit ihrer Sammlung von kämpferischen Artikeln leistet sie nun einen wertvollen Beitrag zur aktuellen Debatte.
"Noch ein Wachrüttler?" mag man denken, wenn man den Titel des Buches von Alice Schwarzer hört. Auch das Cover lässt vermuten, dass es sich um eine Polemik handelt. Wir sehen eine schwarz verschleierte, gesichtslose Gestalt. Steht diese Gestalt für eine verschleierte muslimische Frau, so kommt diese Frau im Buch kaum zur Sprache. Wenn damit eher der Islamismus an sich gemeint ist, wird er am Ende des Buches nicht entschleiert.

Und dennoch ist das Buch lesenswert und wertvoll für die aktuelle Debatte, weil es sich unaufgeregt um Differenzierung bemüht. Es ist eine Sammlung von Artikeln, die über mehrere Jahre in "Emma" erschienen sind und sich mehrheitlich mit dem Kopftuch als Kampfsymbol islamistischer Ideologie befassen.

"Erst seit dem Sieg des iranischen Gottesstaates im Jahr 1979 ist das Kopftuch das Symbol und die Flagge der Islamisten, des politisierten Islam, und hat in den 80er Jahren seinen Kreuzzug bis in das Herz von Europa angetreten.",

schreibt Schwarzer in der Einführung.

Auch in Deutschland sei das Kopftuch ein Mittel geworden, durch das die muslimischen Interessengruppen mehr Sonderrechte in der Schule, auf dem Arbeitsplatz und sogar im Justizwesen erlangen wollen. Wie die christlichen Vertreter verfolgten auch die Islamverbände das Ziel, die Vorrangigkeit von Glaubensfragen vor Menschenrechtsfragen durchzusetzen.

"So wie bei den Vertretern Jesu die Abtreibung steht bei den Vertretern Mohameds das Kopftuch im Fokus."

Schwarzer warnt vor einer "Schariasierung" der Gesetze in Deutschland und mahnt:

"wehret endlich den Anfängen! Das Kopftuchverbot für Lehrerinnen an deutschen Schulen hat ein Signal gesetzt. Es musste über Jahre gegen die von Islamverbänden unterstützte oder gar initiierte Welle von Protesten verteidigt werden. Das scheint gelungen zu sein. Jetzt ist der zweite Schritt fällig: Ein Kopftuchverbot für Schülerinnen. Nur dieser konsequente Akt gäbe den kleinen Mädchen aus orthodoxen Familien endlich die Chance, sich wenigstens innerhalb der Schule frei und gleich bewegen zu können."

Schwarzer lässt in ihrem Buch einige muslimische Feministinnen zu Wort kommen, die alle dem Kopftuch sehr kritisch gegenüber stehen. Besonders emotional ist der Beitrag der Algerierin Djemila Benhabib, die die Schrecken des islamistischen Terrors in ihrem Heimatland am eigenen Leib erfahren hat. In einer Rede vor dem französischen Senat im November 2009 plädierte sie nachdrücklich für ein Burkaverbot mit den Worten:

"Der politische Islamismus ist nicht der Ausdruck einer kulturellen Besonderheit, wie hier und da behauptet wird. Er ist eine politische Angelegenheit, eine kollektive Bedrohung, die mit der gewaltverherrlichenden, sexistischen und frauenfeindlichen, rassistischen und homosexuellenfeindlichen Ideologie das Fundament der Demokratie angreift."

Benhabib versteht ein Burkaverbot als einen Akt der Solidarität mit allen unterdrückten muslimischen Frauen weltweit und als Zeichen gegen die Ansprüche der Islamisten, die auch im Westen die Demokratie im Namen eines instrumentalisierten Islam unterwandern wollen. So wie die meisten Autorinnen des Buches, ist auch Benhabib bemüht, zwischen Islam und Islamismus zu unterscheiden:
"Ich sage euch: in meiner Kultur gibt es nichts, was mich als Frau dazu bestimmt, unter einem Leichentuch als zur Schau getragene Andersartigkeit zum Verschwinden gebracht zu werden (…) Nichts, was mein Geschlecht darauf vorbereitet, zerstückelt zu werden ohne dass mein Leib daran erstickt. (…) Nichts, was mich dazu verurteilt, Schönheit und Lust abzulehnen. Und wäre das der Fall, würde ich ohne Reue und Gewissensbisse den Bauch meiner Mutter, die Zärtlichkeit meines Vaters und die Sonne, unter der ich aufgewachsen bin, verfluchen."

Der Text von Rita Breuer "Wird Deutschland Islamisch?" sucht die goldene Mitte. Die Autorin untersucht die missionarischen Aktivitäten der Muslime in Deutschland und stellt fest:

"So gilt es auch selbstverständlich als Recht oder gar als Pflicht eines jeden Muslims, einer jeden Muslima da’wa zu betreiben, andere also zum Islam einzuladen (…) Für die überwältigende Mehrheit der hier lebenden Muslime von areligiös bis streng religiös, spielen diese Überlegungen keine Rolle. Doch gibt es ein mehr und mehr deutliches Bemühen konservativer Verbände und Einzelkämpfer, den Auftrag des Koran und das Vorbild des Propheten ernst zu nehmen und auch auf die westliche Welt – Deutschland eingeschlossen – zu beziehen. Mit dem Hinweis auf eine wachsende Zahl konversionswilliger Europäer soll der Islam als die zukünftige Religion Europa erscheinen, für die offen geworben wird."

Der Beitrag veranschaulicht den Ablauf eines Konversionsprozesses und die Rolle deutscher Konvertiten wie Ahmed von Denffer von der islamischen Gemeinde in Deutschland (IGD) oder salafitische Wanderprediger wie Pierre Vogel. Breuer prangert die Versuche islamischer Verbände an, im Namen der Religionsfreiheit die säkularen Gesetze des Landes zu unterwandern, indem sie sich für islamische Kleidung, partielle Befreiung vom Schulunterricht, Errichtung von Lehrstühlen für islamischen Religionsunterricht, Beteiligung von Muslimen an den Aufsichtsgremien der Medien usw. einsetzen. Von der Forderung einer umfassenden Geltung der Scharia in Europa sei man zwar mehrheitlich weit entfernt,

"doch bleibt sie für viele gläubige Muslime die ideale Lebensordnung, der sie nicht grundsätzlich entsagen wollen. Kein Gesetz darf den Menschen über Gott stellen und Weisungen aus Koran und Überlieferung relativieren."

Angesicht solcher Entschlossenheit fordert die Autorin mehr Achtung der westlichen Werte im Dialog mit dem Islam. Mit dieser Selbstachtung stehe es bei den Deutschen nicht immer zum Besten. Immer mehr gehe man auf die Ansprüche der Muslime ein auf Kosten der eigenen Werte. Zum Beispiel ein Hotel in Bad Nauheim, das sich mit Hilfe eines "Islamberaters" auf die Ankunft der saudischen Fußballmannschaft zur Weltmeisterschaft im Jahr 2006 vorbereitete, indem es sämtliche westlichen Kanäle aus dem TV-Programm löschte, die Gebetsrichtung in den Zimmern aufzeigte, die alkoholischen Getränke aus der Minibar und die Bibel aus dem Zimmer entfernte. Vergessen werde, dass die Gäste aus einem Land kamen, wo das Tragen von Kreuz zur Verhaftung führen könne.

Die von Thilo Sarrazin befürchtete demografische Entwicklung in Deutschland sieht Rita Breuer nicht. Damit es tatsächlich zu einer Islamisierung Deutschlands komme, müsse die Geburtenrate unter Muslimen hier im Lande dreimal größer als in der islamischen Welt sein, und Deutsche müssten scharenweise zum Islam konvertieren, was eher unwahrscheinlich sei. Deutschland schafft sich also nicht ab und wird nicht islamisch,

"sondern ein guter Ort für Menschen aller Weltanschauungen auch für die vielen demokratiefähigen und toleranten Musliminnen."

Die einzige Stimme, die in diesem Buch fehlt, ist die einer Muslimin, die ein Kopftuch aus Überzeugung und nicht als politisches Instrument trägt. Auch diese Muslimas gibt es, und auch sie haben das Recht auf Selbstbestimmung.

Dieses Buch beschreibt viele Phänomene richtig, doch wenn es um die Lösungsansätze geht, bleibt es bei den üblichen symbolischen Aktionen wie dem Burka- oder Kopftuchverbot und dem üblichen Appell, die eigenen Werte gegen die barbarische Weltanschauung des Islamismus zu verteidigen.

Wer sich mit muslimischen Frauen solidarisieren will, darf sie nicht nur als arme Opfer, sondern muss sie als Teil eines komplizierten Konfliktes sehen, dessen Ursprung im elementaren Denken der Muslime liegt. Die Frauenproblematik in der islamischen Welt ist viel komplexer als die einfache Formel "böse Männer unterdrücken arme Frauen". Es geht eher um ein Menschen- und Gesellschaftsbild, das von der Mehrheit beider Geschlechter geteilt und unterstützt wird. Dies erkannten bereits muslimische Feministinnen wie Nawal El-Saadawi oder Fatima Mernissi - lange bevor Alice Schwarzer ihre Leidenschaft für das Thema Islam entdeckt hatte.

Alice Schwarzer: Die Große Verschleierung. Für Integration, gegen Islamismus
Kiepenheuer und Witsch, Köln 2010
Cover "Die Große Verschleierung" von Alice Schwarzer
Cover "Die Große Verschleierung" von Alice Schwarzer© Kiepenheuer und Witsch