Wider das Verdrängen

02.09.2011
Ein Detektiv übernimmt einen Fall, der ihn zurück in den Ersten Weltkrieg führt – den er eigentlich nur vergessen will. Der Kriminalroman des französischen Autors Didier Daeninckx "Tod auf Bewährung" schildert eine zutiefst traumatisierte französische Nachkriegsgesellschaft.
Didier Daeninckx hat in seinen Kriminalromanen sämtliche politische Tabus der französischen Gesellschaft gebrochen. Er hat den Kolonialismus angeprangert, die Kollaboration des Vichy-Regimes und die Verbrechen im Algerienkrieg. Daeninckx, Weggefährte der Kommunistischen Partei, ist geradezu besessen von seinem Kampf gegen das kollektive Vergessen und Verdrängen und hat mit fast jedem seiner mehr als 40 Bücher und zahllosen Artikel in Frankreich eine Debatte ausgelöst. In seinem frühen Roman "Tod auf Bewährung", der 1984 veröffentlicht wurde und jetzt zum ersten Mal auf Deutsch erschienen ist, holt er die vermeintlichen Helden des Ersten Weltkriegs vom Sockel, der in Frankreich auch aus nationaler Verklärung "La Grande Guerre" genannt wird.

Die Gesellschaft, die der "große Krieg" zurücklässt, könnte man trister nicht schildern. Die Männer sind tot, siechen dem Tod geweiht in Sanatorien dahin oder sind von ihren Erlebnissen im Schützengraben traumatisiert, wie der Privatdetektiv René Griffon: Er hat sich nach dem Krieg eine neue Existenz aufgebaut, indem er Frauen, deren Männer als im Krieg vermisst gelten, zur Scheidung verhilft: Er identifiziert schwer Kriegsversehrte als Ehemänner seiner Auftraggeberinnen. Griffon verdient sein Geld also mit dem Unglück anderer, doch er selbst betrachtet den Job eher als Kompensation für die grauenhafte Zeit im Schützengraben.

Dann übernimmt Griffon einen Auftrag des hochdekorierten Oberst Fantin de Larsaudière, der aus adliger Familie stammt und eine Großindustrielle geheiratet hat. Er wird erpresst, weil seine Frau ein allzu leichtes Leben abseits des ehelichen Heims führt. Als aber die Tochter einen Selbstmordversuch begeht und die Ehefrau bei der Geldübergabe ermordet wird, wird René Griffon klar, dass es nicht nur um Seitensprünge gehen kann. Er muss sich im Jahr 1920 noch einmal vertiefen in die konkreten Ereignisse eines Krieges, den er eigentlich unbedingt vergessen will. Er watet durch einen ganzen Sumpf aus Lügen - und entdeckt, dass der Oberst im Krieg leichtfertig seine Soldaten geopfert hat. Aber wie so viele hat er nach dem Krieg nicht nur seinen Namen reingewaschen, sondern lässt sich darüber hinaus auch noch als Held feiern.

Die Botschaft - die Reichen und Mächtigen kommen mit allem durch - ist ein bisschen einfach. Die spannende, undurchsichtige und vielschichtige Handlung lässt das aber schnell vergessen, genau wie die ungeheuer präzisen Schilderungen der verschiedenen Milieus, der pfiffigen Anarcho-Szene, des selbstgefälligen Adels. Die durchindustrialisierten Paris Banlieues erstehen rauchend und düster vor dem geistigen Auge auf. Vielleicht trägt das historische Kolorit manchmal etwas zu kräftige Farben, vielleicht ist der Ton zuweilen etwas zu viril: Griffon beschäftigt sich halbe Tage mit seinem neuen amerikanischen Wagen, und die andere Hälfte verbringt er mit seiner Frau im Bett.

Didier Daeninckx erzählt im wortkargen und derben Jargon echter Kerle - aber immer beißend ironisch. Und die Schilderung der zutiefst traumatisierten französischen Nachkriegsgesellschaft, die immer weiter Gewalt generiert, ist erschütternd. Nicht nur für französische Leser.

Besprochen von Dina Netz

Didier Daeninckx: Tod auf Bewährung
Aus dem Französischen von Stefan Linster
Liebeskind Verlag, München 2011
272 Seiten, 18,90 Euro