Whistleblower Harve Falciani

"Die meisten interessieren sich für Bösewichter"

Herve Falciani, ein ehemaliger Mitarbeiter der HSBC-Bank.
Herve Falciani, ein ehemaliger Mitarbeiter der HSBC-Bank. © picture alliance / dpa / Jean-Christophe Bott
Von Julia Macher · 19.07.2016
Er macht in Spanien immer wieder auf Bestechung, Amtsmissbrauch und mangelnde Transparenz aufmerksam: Herve Falciani. In die Schlagzeilen kam der der italienisch-französische Informatiker durch den Swiss-Leaks-Skandal 2010. Unsere Autorin Julia Macher hat den Whistleblower in Barcelona getroffen.
Pressekonferenz in der Sala Conservas, einem kleinen Off-Theater in Barcelonas Altstadtviertel Raval. Herve Falciani, 44 Jahre alt, sticht heraus auf dem improvisierten Podium: Dunkelblaues Jacket, frisch gebügeltes weißes Hemd, das leicht gelockte dunkelbraune Haar akkurat geschnitten. Die Männer und Frauen neben ihm, Aktivisten der Anti-Korruptions-Plattform X.Net, pflegen einen sehr viel legereren Stil.
Falciani präsentiert ein elektronisches Bezahlsystem, aus dem eine lokale Alternative zu Systemen wie PayPal oder Visa werden soll. Einen Namen hat das Pilotprojekt noch nicht, aber Falciani hält es für zukunftsweisend, weil es auf einer offenen Technologie basiert, Nutzer schützt und sowohl die Daten wie auch die Umsätze in den Kommunen bleiben.
"Städte und Kommunen haben während der gesamten Menschheitsgeschichte immer eine zentrale Rolle gespielt; Staaten, Ideologien, die großen Entwürfe dagegen kommen und gehen. Die Auswirkungen der Politik sind immer lokal, deswegen muss da auch das Wissen sitzen."

Kommunen sollen mächtiger werden

Die Macht der Kommunen stärken, den großen Unternehmen etwas entgegen setzen: So etwas kommt gut an in Spanien, wo die Empörtenbewegung sich langsam ihren Weg in die Institutionen bahnt. Geduldig posiert Herve Falciani für Fotos, sein Terminkalender ist voll: Er berät die Transparenzkommissionen des Rathauses Barcelona und der Regionalregierung von Valencia, hat das Parteiprogramm von Podemos mitentwickelt. Der smarte Informatiker aus Monaco – ein Linker?
Ja, er sehe sich als Linker, aber in erster Linie, weil er davon überzeugt sei, das Wissen geteilt und allen zugänglich gemacht werden müsse. Diese Erkenntnis sei über die Jahre in ihm gereift.
"Ich bin in Steuerparadiesen groß geworden, wo das Geheimnis etwas ganz Grundlegendes ist. Als ich verstanden habe, was das Bankgeheimnis eigentlich schützt, habe ich verstanden, welche Macht Wissen hat – und dass es nicht gerecht ist, dieses Wissen in den Händen weniger zu lassen."
Herve Falciani hat 2009 die Daten von 130.000 Steuersündern an die Behörden übergeben und damit das weltweite Finanzsystem und die Politik erschüttert. Doch ganz so glatt, wie er ihn zeichnet, ist sein Weg zum Whistleblower nicht.
In Monte Carlo verdient der junge Systemingenieur und leidenschaftliche Pokerspieler sein Geld zunächst als Croupier. Vom Casino wechselt er zur Bank. 2006 soll er in der Genfer Zentrale der Großbank HSBC die Architektur der Kundendatenbank aktualisieren. In dieser Zeit fließen in großem Stil vertrauliche Kundendaten ab. Falciani bietet sie einer Beiruter Bank zum Kauf an. Die Schweiz bekommt Wind und erlässt Haftbefehl, Falciani flieht mit Frau, Kind und Laptop nach Frankreich, wo die Behörden großes Interesse an der "Falciani-Liste" haben und seine Auslieferung verweigern. Im November 2015 wird er in Abwesenheit in der Schweiz zu fünf Jahren Haft verurteilt. Seine ehemalige Geliebte behauptet mehrfach, Falciani habe sich durch den Verkauf der Daten nur persönlich bereichern wollen.
Falciani blockt ab. Diesen Vorwurf habe man ihm vor Gericht ebensowenig beweisen können wie den Diebstahl an sich.

Falciani nutzt seinen Wissensvorsprung gewieft

Er leiht sich einen Notizblock, skizziert die Struktur von Informatiksystemen in Großbanken. Als Informatiker habe er lediglich die Architektur des Systems gekannt, die Banker wiederum hatten nur Zugriff auf die persönlichen Daten. Die vertraulichen Informationen über die Steuersündder seien, so Falciani, auf seine Anweisung von Komplizen in eine Cloud hochgeladen worden.
"Ich selbst habe gar nichts herausgeholt. Finanzen sind nichts anderes als Information und Informationstechnik. Der Banker selbst weiß doch gar nicht wie die einzelnen Mechanismen, wie das System funktioniert. Das weiß nur der Informatiker, der Analytiker. Das ist eine Entwicklung, die vor ein paar Jahren noch niemand verstanden hat.
Herve Falciani nutzt seinen Wissensvorsprung gewieft – vor allem in Spanien. Als er 2012 auf Antrag der Schweiz in Barcelona verhaftet wird, kommt er nach wenigen Monaten wieder frei, weil er mit den Behörden kooperiert. Besser als in jedem anderen Land, sagt Falciani.
Die Pressefrau drängelt, letzte Frage, bitte. Wieviel Geld hat er von den Regierungen bekommen? Von was lebt er? Falciani weicht charmant aus: Wichtiger als das Wie sei das Ergebnis, das Was.
"Überhaupt, die Moral: Die meisten interessierten sich doch viel mehr für die Bösewichter als für die Guten. Dann verschwindet der Mann, der das Schweizer Bankgeheimnis ins Wanken brachte, zum nächsten Termin."
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