Wettzwitschern für die Arterhaltung

Uwe Westphal im Gespräch mit Jürgen König · 05.05.2009
Gesang ist bei den Vögeln Männersache. Die Männchen stecken mittels ihres Gesangs ihr Revier ab und locken damit die Weibchen an, sagt der Ornithologe und Tierstimmenimitator Uwe Westphal. Wer am besten singt, hat in den Augen der Vogeldamen "gutes genetisches Material für seinen Nachwuchs". Aber: "Nach der Brutzeit hört der Gesang dann auch auf".
Jochen König: Warum der Gesang bei den Vögeln Männersache ist, das soll uns Uwe Westphal erzählen. Er ist Ornithologe und Vogelstimmenimitator. Gerade hat er seine zweite CD herausgebracht, auf der er - natürlich - Vogelstimmen, aber diesmal auch noch die Stimmen von Lurchen und Insekten selber - ja, wie soll man das nennen - selber einsingt sozusagen. Uwe Westphal sitzt jetzt in einem Studio des Norddeutschen Rundfunk in Hamburg. Hallo, guten Tag, Herr Westphal!

Uwe Westphal: Hallo, Herr König!

König: Singen ist bei den Vögeln eindeutig Männersache, sagt man, warum? Können die Weibchen nicht oder wollen sie nicht?

Westphal: Ja, die Männchen stecken damit ihre Reviere ab und locken ein Weibchen an. In Ausnahmefällen, und zwar bei Wasseramseln und Rotkehlchen, gibt es im Winter auch Gesänge von Weibchen, aber das lassen wir jetzt mal beiseite. Gesang ist Männersache.

König: Das heißt, also noch mal zusammengefasst: Die Männchen singen, um ihr Revier zu verteidigen, um die Weibchen anzulocken. Warum tun die das, wodurch wird das ausgelöst?

Westphal: Das wird im Frühjahr ausgelöst durch die zunehmende Tageslänge, das wiederum führt zur Ausschüttung von entsprechenden Hormonen, die dann das Geschlechtsdrüsenwachstum anregen, und dann fangen die Männchen an zu singen. Und nach der Brutzeit hört der Gesang dann auch auf.

König: Also das heißt, Weibchen können gar nicht singen?

Westphal: Die singen zumindest nicht im Brutrevier. Es gibt im Winter auch Gesänge von Rotkehlchenweibchen, Wasseramselweibchen, aber das lassen wir jetzt mal außer Acht.

König: Dieses Gezwitscher kommt unsereinem ja in der Regel vor einfach wie ein Geräusch, auch ein sehr schönes Geräusch. Dabei habe ich dann auch manchmal gedacht, dass es doch auch eine Unterhaltung ist. Ist das so? Was zwitschern die?

Westphal: Die Botschaften sind eigentlich klar. Also an ein fremdes Männchen der gleichen Art gerichtet, heißt es: Hau ab, respektiere mein Revier. Und umgekehrt an ein Weibchen gerichtet: Ich bin ein hervorragend geeigneter Bräutigam mit einem wunderbaren Revier, kann wunderschön singen, nimm mich. Ich bin ein guter Vater.

König: Also Machosprüche sind das im Grunde?

Westphal: Ja, also wenn man es so übersetzen will. Die erkennen sich allerdings auch individuell an ihren Stimmen. Also Reviernachbarn erkennen sich sehr wohl. Wenn man ein fremdes Männchen der gleichen Art dazusetzt bzw. dessen Gesang abspielt, dann reagieren die Vögel sehr viel intensiver, als wenn da ein altbekannter Nachbar singt, den sie jeden Tag hören.

König: Wie definieren Wissenschaftler eigentlich das Singen?

Westphal: Also Gesang ist eine komplexe Folge von Lauten im Gegensatz zu den einfacher strukturierten Rufen. Und in dieser Definition singen eben nicht nur Singvögel, sondern zum Beispiel auch Watvögel, Eulen, Spechte oder Tauben. Die Einteilung Singvogel/Nicht-Singvogel, die wird vorgenommen nach anatomischen Besonderheiten des Stimmapparates und nicht danach, ob der Vogel für unsere Ohren angenehm singt oder nicht.

König: Müssen Vögel das Singen lernen oder können sie es von Anfang an?

Westphal: Ja, sie müssen es in der ausgefeilten Form lernen. Sie haben eine gewisse Prädisposition und lernen dann nach dem Vorbild des Vaters oder eines anderen männlichen Artgenossen. Aber sie müssen es wirklich in der Vollendung erst lernen. Und das ist auch bei einzelnen Arten unterschiedlich. Also ein Huhn zum Beispiel hat so im Prinzip gleich das Lautrepertoire drauf, aber eine Nachtigall oder auch ein Buchfink, die müssen es lernen.

König: Das heißt, weil Sie sagten, nach dem Vorbild des Vaters oder anderer Artgenossen, man könnte einem Jungvogel - theoretisch gesehen - auch einen anderen Gesang beibringen?

Westphal: Wenn es in seine genetische Disposition passt, ja. Also wenn es nun gar nicht da reinpasst, dann nicht, aber man kann also dem auch irgendwie menschliche Melodien beibringen, wenn es passt.

König: Also fassen wir noch mal zusammen: Der Gesang ist bei den Vögeln Männersache. Mit diesem Gesang verteidigen die Männchen ihre Reviere, um dann die Weibchen anzulocken. Jetzt wollen wir mal auf Ihre Eigenschaft als Vogelstimmenimitator kommen: Wie unterscheiden sich die einzelnen männlichen Rufe jeweils voneinander? Was für verschiedene Varianten gibt es da?

Westphal: Also wenn wir jetzt mal die Amsel nehmen als ein Vogel, der gut bekannt ist. Der Gesang ist ja dieses volltönende, melodische Flöten. Und wenn jetzt aber zum Beispiel eine Katze durch den Garten schleicht, dann ertönt der sogenannte Bodenfeindwarnruf, der geht dann so: [pfeift] Und mit zunehmender Erregung geht das dann über so in ein Gezeter: [pfeift] Ganz anders klingt es aber, wenn jetzt ein Luftfeind wie ein Falke oder ein Sperber auftaucht, dann äußert die Amsel einen fast tonlosen und ganz schwer zu ortenden, ganz hohen Ruf, der klingt so: [pfeift]

Ein Ruf, den auch viele andere Vogelarten verstehen und auch ähnlich äußern. Denn eine Katze, wenn sie entdeckt ist, ist harmlos, aber der Sperber noch lange nicht. Und deswegen ist es wichtig, dass er kein Suchbild hat, er soll also nicht wissen, wer da ruft und wo der Rufer sitzt.

König: Wenn ein Vogelmann eine Vogelfrau anlocken will, denke ich mir, dass er sich da richtig ins Zeug legt. Ist das so? Und wie klingt das?

Westphal: Na ja, das ist dann eben auch der Werbegesang. Mitunter haben Vogelarten einen zusätzlichen Werbegesang und sozusagen einen Kampfgesang. Oftmals ist es dann aber auch identisch, wird nur anders verstanden. Also ein Männchen versteht einen Gesang anders als ein Weibchen.

König: Und wie klingt das, können Sie ein Beispiel geben?

Westphal: Ja, nehmen wir mal die Singdrossel, die ja nun einen sehr einfach zu merkenden Gesang hat, wobei es auch noch wieder wichtig ist, höre ich den Vogel von Nahem oder höre ich ihn von Ferne. Wir nehmen ihn mal von Ferne: [pfeift] Also das Weibchen würde da raushören, hier ist ein kraftvolles Männchen. Also wenn er schön singt, dann schließt sie auch daraus, der ist körperlich fit, das ist ja auch immer wichtig, man braucht ja gutes genetisches Material für seinen Nachwuchs. Und der hat ein Revier, das heißt, er ist durchsetzungsstark. Das ist das Weibchen, was denkt, also den könnte ich mir zumindest mal angucken. Oder ein anderes Männchen würde denken: Oh Mensch, der singt hier so kraftvoll und ausdauernd, der ist bestimmt fit und er hat ein eigenes Revier, da bleibe ich jetzt mal von.

König: "Naturexkursion mit Uwe Westphal", so heißt die neue CD, Ihre zweite. Sie enthält die Stimmen von 73 heimischen Säugetieren, Vögeln, Amphibien und Insekten. Säugetiere, Amphibien und Insekten, sind die das erste Mal dazugekommen?

Westphal: Ja, auf der ersten CD waren ja nur Vogelstimmen, aber ich habe immer schon auch insbesondere Säugetiere imitiert. Und ich habe gedacht, das wäre ja auch mal interessant, so was gibt's auf CD noch sehr selten, das mache ich jetzt auch mal. Und der Verlag war begeistert und ...

König: Zu Recht.

Westphal: Ja, und so ist das zustande gekommen.

König: Welche Insekten liegen Ihnen am besten?

Westphal: Na ja, an Insekten sind vor allem Heuschrecken drauf, Grillen, also Laub- und Feldheuschrecken, verschiedene Arten, dann sind Stechmücken drauf, 'ne Hummel ist da drauf, das Fluggeräusch einer Hummel. Und die klingen ja auch sehr nett teilweise.

König: Geben Sie mal ein Beispiel?

Westphal: Also wir können mal die Hausgrille nehmen, das Heimchen: [trillert] Oder der Nachtigall-Grashüpfer, so ein ansteigendes geräuschhaftes Schwirren: [ ... ] Und auch das dient im Prinzip genau wie der Gesang der Singvögel oder überhaupt der Gesang der Vögel dazu, ein Weibchen anzulocken, und Grillen haben auch Reviere, also die Männchen auf Distanz zu halten.

König: Wie eignen Sie sich diese Stimmen an? Lauschen Sie das den Tieren ab?

Westphal: Ja, ich bin ja viel draußen und kann diese Gesänge auch abspeichern, diese Laute abspeichern. Ich habe also mit meiner Stimme sehr viel geübt, einfach aus Spaß an der Freude, mit meiner Stimme experimentiert, verschiedenste Laute mir angeeignet. Und wenn das dann irgendwie 'nen Ton gibt, wo ich denke, ach, da könnte man den und den Vogel oder das und das Tier draus machen, dann übe ich daran weiter, auch über Wochen, Monate, Jahre notfalls, aber immer ohne Zwang. Also ich setze mir nie ein Ziel, ich will jetzt bis dann und dann, sagen wir mal, den Nachtigall-Grashüpfer oder den Gartenrotschwanz nachmachen können. Das ergibt sich einfach spielerisch.

König: Sie üben, das heißt, Sie ziehen sich in ein Zimmer zurück, sitzen dort alleine, eine Stunde, zwei Stunden, und versuchen, dem Tier nahezukommen, also der Stimme des Tieres?

Westphal: Ja, das geht aber oft auch nebenbei, also beim Autofahren oder im Badezimmer oder am Computer. Das geht einfach nebenbei oft.

König: Sie sollen auch mehrstimmige Konzerte geben mit so schönen Titel wie "Sommerabend am See" oder "Nächtliches Wiesenkonzert". Das setzt aber schon wirklich den Meister voraus?

Westphal: Das ist richtig, ja. Wobei ich das natürlich auch nicht live mehrstimmig machen kann, sondern da nehme ich dann die einzelnen Laute auf, also alle Imitate natürlich auch, und im Studio wird das dann komponiert nach den Klangbildern, die ich abgespeichert habe in meinem Innern. Also da schließe ich die Augen, dann höre ich das auch. Und danach wird es dann komponiert. Das geht relativ schnell und ist absolut lebensecht, weil teilweise die Stimmen sich ja gegenseitig beeinflussen und diese Konzerte - zum Beispiel auf dem Bauernhof oder Wiesenvogelkonzert, was auch immer, Froschkonzert, Open-Konzert, das ist dann besonders lebensecht.

König: Gesang ist bei den Vögeln Männersache. Der Ornithologe und Vogelstimmenimitator, Tierstimmenimitator Uwe Westphal. Seine neue CD "Naturexkursion" enthält die Stimmen von 73 Säugetieren, Vögeln, Amphibien und Insekten, ist erschienen in der Edition Ample. Herr Westphal, vielen Dank! Bedanken sich Vögel eigentlich auch oder verabschieden sich voneinander?

Westphal: Das glaube ich eher nicht.

König: Schade, sonst hätte ich Sie jetzt bitten können, sich doch mal sozusagen vogelesk zu verabschieden.

Westphal: [pfeift]

König: Sehr schön, ich danke Ihnen!

Westphal: Bitteschön!