Wettbewerb um Pflegekräfte

Thomas Greiner im Gespräch mit Ute Welty · 03.08.2010
Der Vorsitzende des Arbeitgeberverbandes Pflege, Thomas Greiner, sieht nur begrenzte Möglichkeiten, den Mangel an Pflegekräften in Deutschland durch die Anwerbung aus dem Ausland auszugleichen - auch in anderen Ländern steige der Bedarf an qualifiziertem Personal.
Ute Welty: Ein Begrüßungsgeld für ausländische Fachkräfte, das will der Wirtschaftsminister von der FDP und das lehnt die Kanzlerin von der CDU ab. Angela Merkel will erst mal schauen, wie sich die Lage entwickelt, wenn im nächsten Jahr die Fachkräfte innerhalb von Europa ihren Arbeitsplatz frei wählen kann. Das aber ist Thomas Greiner zu wenig und vor allem: Es geht ihm alles zu langsam. Thomas Greiner ist Vorsitzender des Arbeitgeberverbandes Pflege und Geschäftsführer der Dussmann-Gruppe. Mit fast 54.000 Mitarbeitern, zu der auch die Kursana-Pflegeheime gehören. Guten Morgen, Herr Greiner!

Thomas Greiner: Schönen guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Wo sehen Sie denn sofortigen Handlungsbedarf? Eigentlich könnten Sie sich doch jetzt erst mal ruhig zurücklehnen, denn gerade die Pflegeheime der Dussmann-Gruppe haben im vergangenen Jahr prächtig zugelegt, was den Umsatz angeht.

Greiner: Ja, Sie haben natürlich mich in meinen beiden Doppelfunktionen angesprochen: Zum einen als Arbeitgeberverband Pflege muss ich einfach feststellen, wie alle große Unternehmen in diesem Bereich, dass wir heute schon in der Bundesrepublik in wichtigen Teilen einen Mangel an Pflegefachkräften haben. Das bezieht sich insbesondere auf die Regionen in Bayern, in Baden-Württemberg. Da geht es aber auch um andere große Städte wie Hamburg, wie Frankfurt, wie Köln. Dort finden wir heute schon nicht ausreichend Pflegefachkräfte und wir wissen, dass natürlich in den nächsten Jahren der Bedarf massiv steigen wird. Wir haben heute rund zwei Millionen Menschen in Deutschland, die der Pflege bedürfen, das wird sich nach allen Prognosen verdoppeln in den nächsten Jahren. Und wenn wir jetzt nicht aufwachen, dann werden wir hier in eine sehr problematische Situation laufen.

Welty: Das sagt der Verbandsvorsitzende. Und was sagt der Geschäftsführer?

Greiner: Das ist natürlich dasselbe, was für andere Unternehmen in dem Bereich gilt, gilt natürlich auch für Kursana. Wir betreiben in Deutschland über 100 Pflegeeinrichtungen und auch wir stellen fest, dass wir insbesondere im Süden der Republik heute schon Schwierigkeiten haben, ausreichend Pflegefachkräfte zu finden. Es ist kein Thema der Pflegehilfskräfte, es ist insbesondere ein Thema der Pflegefachkräfte. Bayern, Baden-Württemberg können Sie heute schon manche Stelle nicht mehr besetzen und im Sommer merken Sie das insbesondere daran, dass viele Leute, die normalerweise zu Hause gepflegt werden, in die Kurzzeitpflegen kommen, in die Einrichtungen bei Kursana, und dort nicht alles so gemacht werden kann, nicht alle Plätze zur Verfügung gestellt werden können, weil uns heute schon Pflegefachkräfte fehlen.

Welty: In welcher Funktion auch immer, was halten Sie von dieser Kontingentlösung, die ja heute in einem Zeitungsinterview angedeutet wird?

Greiner: Ich glaube, das Wichtigste ist, dass wir uns in Deutschland bewusst werden, dass ein großer Bedarf im Bereich der Pflege besteht, dass die Pflege Jobmotor sein kann für die nächsten Jahre, dass wir dazu aber einfach mehr Leute brauchen, die in der Pflege arbeiten. Und wir müssen uns glaube ich auch im Klaren sein, dass wir zunächst unsere Anstrengungen intensivieren müssen in Deutschland. Wir müssen sehen, wie viele Leute können wir in Deutschland für diesen Beruf begeistern? Ich glaube aber, dass wir hier an bestimmte Grenzen kommen. Ich habe vor Kurzem eine Untersuchung gelesen, die aussagt, dass fünf Prozent der Abgänger, der Schulabgänger in der Hauptschule, in der Realschule, nur fünf Prozent sich vorstellen können, in dem Bereich zu arbeiten. Gleichzeitig müssen wir wissen, dass es innerhalb Europas einen großen Wettbewerb gibt um Pflegefachkräfte. Wir als Dussmann betreiben Senioreneinrichtungen in Italien, in Österreich, in der Schweiz, auch in Estland. Und überall dort sehen Sie, dass es einen Wettbewerb gibt um Pflegefachkräfte. Ich glaube, das Wichtigste ist, dass wir in Deutschland aufwachen und entsprechend aktiv werden, Leute anwerben, weil wir sonst die Probleme in den nächsten Jahren nicht in den Griff bekommen werden.

Welty: Sie haben die Situation in der Schweiz angesprochen, dort wird deutlich mehr gezahlt für die Pflegekräfte. Liegt die Lösung dann nicht vor allem in höheren Löhnen? Das hätten die Arbeitgeber doch auch in der Hand.

Greiner: Es ist vollkommen richtig, was Sie sagen. Wir hatten uns zum einen stark eingesetzt für einen Mindestlohn in der Pflege, es gibt seit 1. August, also seit vergangenen Sonntag einen Mindestlohn in der Regel, dass im Osten für Pflegehilfskräfte 7,50 Euro bezahlt wird als Untergrenze, im Westen 8,50. Für Pflegefachkräfte ist das gar kein Thema, sie bekommen heute als Pflegefachkräfte, wenn man mal regionale Unterschiede mittelt, circa 2200, 2300 Euro brutto. In der Schweiz haben Sie natürlich neben dem etwas höheren Lohnniveau insbesondere die großen Differenzen im Netto. Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten Jahren auch bei den Pflegefachkräften mehr bezahlen werden, allerdings müssen wir uns im Klaren sein, wir werden nie auf ein Level kommen, dass wir netto das Gleiche bezahlen wie in der Schweiz.

Und wir dürfen eins nicht vergessen: Alles, was wir in der Pflege machen, muss bezahlt werden von den Mitgliedern der Kassen. Das muss bezahlt werden von den Arbeitnehmern, insofern haben wir in dem Bereich großen Bedarf, gleichzeitig aber einfach auch nur bestimmte Grenzen, weil Sie müssen sich klar machen, diese 7,50 Euro Mindestlohn Ost, 8,50 Euro West muss erwirtschaftet werden und von den Kassen bezahlt werden. Insofern glaube ich, dass wir nur einen Teil darüber lösen können, dass wir mehr bezahlen.

Welty: Sie fordern ja Arbeitserlaubnisse für Menschen, für Pflegekräfte auch aus den nichteuropäischen Ländern - und das schnell. Das heißt, das Angebot an Arbeitskräften würde sehr viel größer und Sie könnten sich diesem Preisdruck ja dann entziehen.

Greiner: Ich bin der Überzeugung, dass wir in Deutschland uns klar werden müssen, wir müssen die Türen öffnen, wir müssen wach werden für dieses Thema. Im nächsten Jahr kommen die Leute aus der Europäischen Union, jetzt ist die Frage, wie setzen wir das um. Sie haben heute schon Rechtsverordnungen, die das so umsetzten, dass berechtigterweise verlangt wird, Sie brauchen in der Pflege die gleiche Qualität wie deutsche Fachkräfte, Sie brauchen aber auch deutsche Sprachkenntnisse. Gleichzeitig haben Sie 16 verschiedene Regelungen über alle Bundesländer, was eigentlich Deutsch ist, wann jemand Deutsch kann. Das ist das eine.

Das andere, bei Leuten außerhalb Europa gilt für uns ganz klar, wir müssen die Leute schulen, die müssen unsere Qualitätsstandards erfüllen, die müssen auch deutsche Sprachkenntnisse haben. Nur wir müssen uns klar sein: Die Zahl der Leute, wo überhaupt bereit ist, ins Ausland zu gehen, ist überall begrenzt. Wenn sie irgendwo leben, haben Sie Familie, Sie wollen vielleicht dort bleiben, auch dort steigt der Bedarf. Wir werden uns mit anderen Ländern, wie das heute schon ist, um einen Kuchen streiten und wenn wir nicht sehr offensiv dadran gehen, haben wir Probleme, in der Zukunft genügend Pflegefachkräfte zu haben.

Welty: Thomas Greiner vom Arbeitgeberverband Pflege, ich danke fürs Gespräch hier in Deutschlandradio Kultur.

Greiner: Gerne, Frau Welty!

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