Westlicher Lebensstil

Konsumkultur muss sich rechtfertigen

Zwei Frauen auf der Tanzfläche einer Disco.
Sind Freizeitvergnügungen und Hedonismus unverzichtbar für den westlichen Lebensstil? © dpa / picture alliance / Jens Kalaene
Von Markus Bauer · 20.01.2016
Auf die Terroranschläge von Paris folgte der Aufruf, den westlichen Lebensstil, den Hedonismus zu verteidigen. Dabei werde vernachlässigt, dass weltweit die Armen für unsere Konsumkultur bezahlen müssten, kritisiert der Journalist Markus Bauer.
Es waren junge Leute aus Paris und aus aller Welt, die in Cafés und Restaurants, in einer Musikhalle und vor einem Fußballstadion angegriffen wurden. Sie vergnügten sich in ihrer Freizeit, wie dies in allen Großstädten üblich ist. Und es waren junge Leute, die an einem Freitagabend im November vorfuhren und mordeten.
Sie waren aufgeputscht von Drogen und Hass – auf ein Leben, das nicht das ihre war: weder früher als kriminell aufgefallene Underdogs in Wohnsilos der Vorstadt noch heute als religiöse Konvertiten aus den Reihen islamistischer Gruppen.
Und ja, es war ein Angriff nicht nur auf das Leben, sondern auf das Lebensgefühl. Nicht erwartete Brutalität und krude Korangläubigkeit werden noch lange die Überlebenden schattenhaft begleiten, wenn sie an Tatorten vorbei durch ihre Stadtviertel laufen.
Auf Pariser Terroranschläge folgte Debatte über Hedonismus
Als Abwehr entstand der schnelle Ruf, der westliche Lebensstil sei angegriffen worden und müsse nun erst recht verteidigt werden. Darauf folgte eine Debatte über Sinn und Wert des Hedonismus. So geführt, dürfte sie die Motive der Terroristen auf unbedachte Weise sogar noch rechtfertigen.
Denn zu verteidigen sind Grundrechte und Freiheit, auch frei zu sein von religiösen und politischen Zumutungen, frei zu sein von Gewalt, die sich an Stelle der Willensbildung durch Diskurs durchsetzen will.
Auch soziale Teilhabe ist zu verteidigen, die erlaubt, sich ein Leben in der Großstadt leisten zu können. Denn nichts ist für die Demokratie gefährlicher, als gesellschaftliche Gruppen an den Stadtrand zu drängen und zu vernachlässigen, sie von Chancen fernzuhalten, von Kommunikation und Wohlstand auszuschließen.
Unversehens gerät die Debatte bereits da an einen wunden Punkt, der meist ignoriert oder verdrängt wird. Einen bestimmten Lebensstil verteidigen zu wollen, gar als westlichen Wert zu preisen, wirkt auf all jene wie eine Kampfansage, die diesen Lebensstil nie erreichen werden, die glauben, den Preis für fremde Lebensqualität zahlen zu müssen.
Preis für westlichen Lebensstil zahlen die Armen
Denn anders als Grundrechte erklärt der Lebensstil das Materielle zum Wert - von Autos über Smartphones bis hin zur Kleidung. Gerade die Möglichkeit, permanent und preiswert modische Dinge anschaffen zu können, bieten die meisten großen Hersteller mit und ohne Marken nur deshalb, weil sie rigoros in Billiglohnländern produzieren lassen.
Unvergessen ist eines von vielen fahrlässigen Unglücken, als 2013 in Rana nahe Dhaka, der Hauptstadt von Bangla Desh, eine Fabrik einstürzte und 1100 Menschen ihr Leben verloren, vor allem Frauen, die gegen Hungerlohn für westliche Firmen nähen. Die aber zeigten sich davon kaum beeindruckt. Obschon sichere Arbeitsplätze und faire Löhne ihre Produkte nur unwesentlich verteuern würden.
Unternehmen und Staaten, die im Namen des westlichen Lebensstils auftreten, hinterlassen im Süden der Welt rund um den Äquator marginalisierte Landschaften. In einer gut vernetzen, immer enger zusammenrückenden Welt sind solche Missstände immer weniger zu übersehen. Die einst stumme Anklage wird hörbar lauter, während das schrille Verteidigen von Lebensstilen nur plump wirkt.
Nur weltweiter Interessenausgleich wirkt glaubwürdig
Dabei sind es nicht einmal die Armen, die sich ausgenutzt fühlen, die uns angreifen, nicht die Armen, die sich vor trüben Aussichten als Flüchtlinge nach Europa retten. Doch es sind die reichen Gesellschaften, die starrköpfig nicht bereit sind, für die zerstörerischen Folgen des Klimawandels, für die verheerenden Folgen ihrer Exportgeschäfte gerade stehen zu wollen.
Wer unseren Lebensstil verteidigen will, wird nur glaubwürdig, wenn dafür eintritt, dass sich Interessen weltweit ausgleichen, dass sich europäische Handelspolitik entsprechend verpflichten lässt. Die problematische Konsumkultur der reichen Staaten sollte nicht in jedem Fall als ein Vorbild für die erfolgreiche Entwicklung der armen Nationen gelten.

Markus Bauer, 1959 im Saarland geborener Buchautor und Journalist lebte nach Studium der Germanistik und Geschichte fünf Jahre als DAAD-Lektor in Rumänien.
Er schreibt in der "Neuen Zürcher Zeitung" zu kulturellen rumänischen Themen. Ein Buch zur Kulturgeschichte des Karpatenlandes erschien 2009 unter dem Titel "In Rumänien. Auf den Spuren einer europäischen Verwandtschaft" im Transit Verlag Berlin.

© Markus Bauer
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