Westerwelle-Votum "absurde Forderung"

Lasse Becker im Gespräch mit Nana Brink · 12.05.2011
Der Vorsitzende der Jungen Liberalen, Lasse Becker, hat die Forderung des neuen FDP-Fraktionsvize Martin Lindner nach einer Vertrauensabstimmung über Guido Westerwelles Verbleib im Bundeskabinett kritisiert. Lindner habe manchmal den Hang, "eine absurde Forderung nach der nächsten aufzustellen", sagte er.
Nana Brink: Mitte der Woche gab es bei der FDP das große Stühlerücken. Noch mal zum Mitschreiben: Der ehemalige Wirtschaftsminister, Rainer Brüderle, wird Fraktionschef, neuer Wirtschaftsminister wird der designierte Parteichef, Philipp Rösler, und sein Amt als Gesundheitsminister übernimmt heute der ehemalige Staatssekretär, Daniel Bahr. Ach ja, und die ehemalige Fraktionsvorsitzende, Birgit Homburger, wird Parteivize. Die Ämter sind also neu verteilt, aber auf vielen Sitzen alte Bekannte. Und die FDP hat sich tatsächlich vor ihrem Parteitag, der morgen in Rostock beginnt, noch einmal personell verändert – vielleicht nicht ganz so, wie man das gehofft hatte: Gestern Nacht noch zog die Europapolitikerin Silvana Koch-Mehrin die Konsequenzen aus ihrer Plagiatsaffäre und gab ihre Ämter zurück. Am Telefon ist jetzt Lasse Becker, Vorsitzender der Jungen Liberalen – einen schönen guten Morgen, Herr Becker!

Lasse Becker: Schönen guten Morgen!

Brink: Zum Zustand der FDP vor dem Parteitag fällt mir eigentlich nur das Sprichwort ein: Wer den Schaden hat, muss für den Spott nicht sorgen?

Becker: Na ja, das trifft es vielleicht in Teilen, wobei ich auch glaube, dass in der öffentlichen Wahrnehmung gerade der Wechsel zu mehr Verantwortung für Christian Lindner und Philipp Rösler durchaus positiv aufgenommen wird, ich zum Beispiel auch teilweise überrascht bin, wie positiv medial manche Veränderungen in Fraktionsspitze und Parteiführung der letzten Tage auch aufgenommen wurden, Stichwort Wechsel am Fraktionsvorsitz, was mich durchaus überrascht hat.

Brink: Trotzdem, ist die FDP für ihren Parteitag gut aufgestellt?

Becker: Na ja, wir werden einen spannenden Parteitag haben, und ich würde Ihnen an einer Stelle eben zu Ihrer Einführung auch widersprechen: Wer am Ende wo an welcher Stelle in der Parteiführung und im Parteipräsidium sitzt, das entscheidet der Parteitag am kommenden Wochenende. Insofern muss man da deutlich sagen, dass man das auch dem Parteitag nicht vorgreifen sollte, sondern die Entscheidungen abwarten sollte.

Mit Philipp Rösler und mit Christian Lindner hätten wir natürlich eine Führungsspitze, die mit mehr Glaubwürdigkeit punkten könnte, als es die alte Führungsspitze konnte. Auf der anderen Seite muss man auch an anderen Positionen vielleicht auch erst mal abwarten, was die Leute in den verschiedenen Ämtern auch bewirken.

Dass wir JuLis durchaus eine Skepsis gegenüber Rainer Brüderle hatten, das ist nun hinlänglich bekannt, auf der anderen Seite muss man abwarten, wie er es zum Beispiel hinbekommt, was die größte Herausforderung sein wird, im Fraktionsvorsitz eben nicht nur mit dem Thema Wirtschaft wahrgenommen zu werden, sondern gleichzeitig Bürgerrechte zu schützen, gleichzeitig zum Beispiel für ökologische Nachhaltigkeit einzutreten. Da kommt ihm als Fraktionsvorsitzender natürlich eine andere Bedeutung zu, und ich bin gespannt, ob er – und momentan sage ich es ehrlich auch noch durchaus etwas skeptisch – ob er die erfüllen wird. Da wird man schauen müssen.

Brink: Auf die Inhalte kommen wir gleich noch zu sprechen, aber haben Sie den Eindruck, dass das Personengeschacher jetzt aufhört, oder gehört das einfach zum Politikgeschäft so dazu?

Becker: Na ja, in der letzten Woche war mit Sicherheit manche Entscheidung so, dass ich als jemand, der nicht ganz nah dran ist, aber doch schon etwas näher, sie nicht immer sofort auf Anhieb nachvollziehen könnte. Um es etwas diplomatischer auszudrücken: Ich hoffe, dass das mit dem Parteitag am Wochenende aber beendet ist.

Brink: Das scheint aber nicht der Fall zu sein, denn der neue Fraktionsvize, Martin Lindner, will auf dem Parteitag eine Abstimmung über den Verbleib von Guido Westerwelle im Auswärtigen Amt. Der Machtkampf geht ja weiter.

Becker: Na ja, also a) Martin Lindner hat manchmal den Hang dazu, eine absurde Forderung nach der nächsten aufzustellen. Ich erinnere mich, wie diverse Vorschläge da von ihm in der Vergangenheit auch nicht gerade immer das Bild der FDP bereichert haben, sondern teilweise obskur haben wirken lassen. Das sollte man dann halt nicht mit einer Mehrheit hinterher in der Partei verwechseln. Auf der anderen Seite wird es natürlich so sein, dass man auf dem Parteitag auch darüber diskutieren muss, wie das Gesamttableau ist ...

Brink: Aber jetzt mal ganz ehrlich, Herr Becker, gehen Ihnen denn nicht diese Störfeuer irgendwie auch auf den Geist?

Becker: Natürlich geht es einem auf den Geist, wenn man verschiedene Varianten hört, die viel zum Inhalt haben, aber nicht etwas, was Deutschland voranbringt, und nicht etwas, was auch die FDP aus der Krise rausbefördern kann. Aber auf der anderen Seite, wenn die FDP-Fraktion Martin Lindner zum Fraktionsvize wählt, dann sollte das die FDP-Fraktion auf ihrer nächsten Sitzung intern klären, was die Folgen von solchen Äußerungen sind. Das steht nicht mir dann an, da öffentlich zu sagen.

Meine Erfahrung sagt, dass man über Minister im Bundesvorstand und in der Fraktion entscheidet und nicht auf Parteitagen. Das war in der Vergangenheit immer so. Wir haben zum Beispiel, als jetzt Daniel Bahr und Philipp Rösler, was ein positiver Aspekt der letzten Woche ist, als die beiden in die neuen Ämter kommen sollten als Minister, hat der FDP-Bundesvorstand da per Telefonkonferenz genauso wie die Bundestagsfraktion in Sitzungen drüber entschieden.

Brink: Gut, dann lassen Sie uns über die Inhalte reden. Sie sind Vorsitzender der JuLis, wie überzeugen Sie junge Menschen, FDP zu wählen?

Becker: Na ja, bei den JuLis kann man einerseits feststellen, dass man häufig gesagt bekommt, hm, irgendwie entsprecht ihr gar nicht so dem Klischee, das man von der FDP hat, das ist teilweise positive Überraschung. Auf der anderen Seite, bei den Inhalten, muss man klar sagen, dass wir von der FDP einfordern, dass sie sich breiter aufstellt und das natürlich auch selbst beherzigen.

Es ist wichtig, einen klaren ordnungspolitischen Kompass bei Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik zu haben, den haben auch wir JuLis, dass wir zum Beispiel zwar glühende Befürworter Europas und der Idee Europas sind, zum Beispiel uns einen europäischen Bundesstaat vorstellen können, aber gleichzeitig Mechanismen wie dem europäischen Rettungsschirm skeptisch gegenüberstehen, die dann eben Gefahr laufen, dass wir hinterher nicht demokratisch legitimierte Verschieberei von Risiko, von Staaten, die Risiko bewusst eingehen, auf Staaten, die sich für einen anderen Weg entschieden haben, haben.

Auf der anderen Seite, thematische Breite heißt eben, dass man neben der Wirtschafts- und der Finanzpolitik auch Antworten liefert bei der Sozialpolitik, beim Schutz der Bürgerrechte, bei ökologischer Nachhaltigkeit. Das ist natürlich ein wichtiger Punkt gerade für die junge Generation, dass man zum Beispiel mit Blick auf das Internet beim Datenschutz wichtige Schwerpunkte setzt, dass man aber auch beim Schutz der Bürgerrechte, Stichwort löschen statt sperren, oder Vorratsdatenspeicherung möglichst Linie hält. Und das ist unsere klare Erwartungshaltung auch an die Partei, und da muss man deutlicher den Fokus noch drauf setzen.

Brink: Also nicht nur Steuererhöhungen?

Becker: Steuererhöhungen hat es ja nun in der Tat nicht gegeben ...

Brink: Ich meine natürlich Steuersenkungen. Pardon.

Becker: Bei der Frage Steuersenkung haben wir JuLis immer gesagt, es sollte jetzt in der aktuellen Situation um Haushaltskonsolidierung gehen. Es sollte auch um die Frage gehen, wie man das Steuersystem vereinfacht bekommt, egal ob man damit hinterher jetzt Mindereinnahmen anstreben wollte – das wollen wir gar nicht –, sondern es geht darum, dass man wirklich das System vereinfacht.

Und die Frage Steuersenkung, da muss man jetzt momentan, glaube ich, festhalten, in der aktuellen Diskussion sollte man vielleicht weniger die ganze Zeit drüber reden, als wenn man irgendwann den Spielraum durch Haushaltskonsolidierung erkämpft hat, dann einfach machen.

Brink: Vielen Dank, Lasse Becker, Vorsitzender der Jungen Liberalen! Vielen Dank für das Gespräch!