Western

Die radikalen Wurzeln der USA

Der Monument Valley Navajo Tribal Park im Norden von Arizona.
Der Monument Valley Navajo Tribal Park im Norden von Arizona, im Südwesten der Vereinigten Staaten. Bruce Holberts Western spielt im Nordwesten der USA. © picture alliance / ZB / Wolfgang Thieme
Von Thomas Wörtche · 18.09.2014
Bruce Holberts Spätwestern "Einsame Tiere" über einen Sheriff, der sich eigentlich schon zur Ruhe gesetzt hatte, und einen Serienkiller erschreckt durch extreme Gewalt, imponiert durch die Inszenierung von Natur - und verblüfft mit ungewöhnlichen Figuren.
"Es gibt keine einfachen Erklärungen", sagte der amerikanische Autor Bruce Holbert in einem Interview. Und einfach ist an seinem Debüt-Roman "Einsame Tiere" tatsächlich überhaupt nichts. Was ist das überhaupt: ein Serialkiller-Roman, der in den 1930er-Jahren im Nordwesten der USA, wo es am Unwirtlichsten zugeht, spielt?
Ein Neo- oder Spätwestern, weil es zwar Autos und Technologie gibt, aber die Hauptfiguren sich auf Pferden durch die Berge bewegen und die Tötungsarten, sagen wir, arg atavistisch sind? Oder einfach ein historisch ausgerichteter "roman noir", so schwarz, dass Düsternis hell erscheinen würde?
Einfach gesagt erzählt der Roman eine "Standardsituation" des Spätwesterns seit Sam Peckingpahs "Ride the High Country" oder Don Siegels "The Shootist": Ein Sheriff im Ruhestand macht sich noch einmal auf, um einen Schurken zu jagen und zur Strecke zu bringen, aber er passt in die "neue Welt", die auch die Natur verändert, nicht mehr hinein.
Der Schurke wiederum folgt dem narrativen Muster des Serialkillers als irren Künstlers: Er arrangiert grauenhaft abgeschlachtete, zerstückelte und bizarr zu Tode gebrachte Leichen als ob es Kunstwerke mit einer message wären, weil er in einem "höheren Auftrag" handelt.
Keine trennscharfen Unterscheidungen
Das soziokulturelle Milieu ist das des "country noir" – es geht um die Zeit der Depression. Die Behörden, hier das Bureau of Indian Affairs und die Tribal Police agieren willkürlich, mit brutaler Gewalt. Man darf dieses Setting durchaus als Gegenrede zu Tony Hillerman etwa verstehen, der diese Art Polizeiarbeit in den 80er-Jahren in seinen Krimis über die amerikanischen Ureinwohner gefeiert hatte. Aber: Bei Holbert gibt es zwischen Gesetz und Verbrechen keine trennscharfen Unterscheidungen mehr.
Diese Überblendung verschiedener Grund-Narrative der Populären Kultur hat ihren guten Sinn – denn es geht um die Story, um das Narrativ als "demon", wie Holbert selbst erklärt: Der Killer mordet, weil er bestimmte "Erzählungen" vom richtigen und falschen Leben auslöschen oder korrigieren möchte.
Und sieht man den Roman im Kontext anderer, radikaler Versuche, die amerikanische Geschichte neu zu sehen, dann wird ein Trend, eine Linie deutlich: TV-Serien wie "Deadwood" oder "True Detective", Romanciers wie Daniel Woodrell und James Carlos Blake gehen radikal an die Wurzeln der heutigen USA, die mit ihren überhöhten "Werten" nicht nur außenpolitisch, sondern auch innenpolitisch in die Krise geraten sind. Schusswaffen, neuer Rassismus, Hinrichtungen, christliche Fundamentalismen, Mitleidlosigkeit und Gleichgültigkeit gegen Mensch und Natur, überhaupt alle Sünden einer auf Gewalt basierten Kultur werden von diesen "neuen Western" reflektiert.
Kein einfacher Roman
Holbert geht nicht nur auf die "Werte" ein, sondern gräbt noch tiefer: Er problematisiert und demontiert die Grundnarrative dieser Gesellschaft und zeigt, wie schmerzhaft ihre Ausrottung dennoch sein könnte.
Der Roman erschreckt durch extreme Gewaltschilderungen, imponiert durch die Inszenierung von Natur und verblüfft mit Figuren, die wir alle zu kennen glauben: Die Holbert aber ganz anders dreht und beleuchtet und denken, empfinden und handeln lässt als sie uns eben durch die eingeschliffenen Narrative geläufig zu sein scheinen – keine einfachen Erklärungen eben. Ein faszinierenden Roman, der in keiner Hinsicht einfach ist.

Bruce Holbert: Einsame Tiere.
Aus dem Amerikanischen von Peter Torberg.
Liebeskind, München 2014.
303 Seiten, 19,80 EUR

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