Werkvertrag und Leiharbeit

Heute hier, morgen dort

Auszubildende demonstrieren in Salzgitter
Auszubildende demonstrieren in Salzgitter © picture alliance / dpa / Peter Steffen
Von Thomas Klug · 17.03.2015
Bei Autofirmen gibt es sie, in Supermärkten, aber auch in städtischen Kindergärten: Leih- und immer mehr Werkvertragsarbeiter. Es sind viele. Wie viele, weiß man nicht, denn diese Arbeitsverhältnisse werden statistisch nicht genau erfasst.
Es ist nicht schön. Es ist ein Kampf. Ein Kampf der Begriffe, der Definitionen. Es wird wild behauptet, ignoriert und schön geredet. Flexibilität contra Regulierung. Es ist ein Kampf um Deutungshoheit. Doch eigentlich geht es um Geld. Der Kampf findet mit Worten statt:
Höchstüberlassungsdauer. Subunternehmerketten. Umgehungstatbestände. Stammarbeitsplätze, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, Flexibilitätspuffer. Generalauftragnehmerhaftung.
Die Begriffe sollen nicht verstanden werden. Sie täuschen vor, dass etwas sehr komplex ist und juristisch sauber ausgedrückt werden muss. Es ist nicht leicht.
Andrea Resigkeit: "Wenn Sie die Umfragen, sich ansehen, die ja immer wieder gemacht werden, was ist eigentlich das Argument für Zeitarbeit, ist es immer die Flexibilität, denn Zeitarbeit ist nicht billig. Dadurch, dass wir a) die Mindestlöhne haben, die Branchenzuschläge und natürlich auch eine Marge, ist für Firmen Zeitarbeit nicht billig, sondern ist tatsächlich ein Flexibilitätspuffer."
Annelie Buntenbach: "Es gibt ja unterschiedliche Gründe, weshalb Leiharbeitsfirmen in den Betrieb geholt werden. Der eine Grund ist, dass Spitzen in der Produktion auch bei qualifiziertem Personal abgefangen werden müssen. Die zweite Sache ist, dass Leistungen über Leiharbeiter dann billiger angeboten werden als die hausintern ansonsten per Tarifvertrag zu machen wären."
Es geht um Menschen, die von ihrer Firma in verschiedene Unternehmen geschickt, sprich verliehen werden. Und es geht darum, welche Auswirkungen diese Arbeitsform hat – auf die Gesellschaft und auf diejenigen, die so arbeiten.
Die Gewerkschaften sprechen von Leiharbeit. Die Arbeitgeber von Zeitarbeit.
Franz-Josef Düwell: "Leiharbeit. Nennt sich natürlich etwas euphemistisch Zeitarbeit. Aber das ist eben bei Interessenverbänden so, dass sie die Semantik wählen, um gut dazustehen. Aber das ist nicht nur eine semantische Sache."
Leihen? Bibliotheken verleihen Bücher. Aber Menschen verleihen? Das klingt nach alten Zeiten. Sehr alten Zeiten. Franz-Josef Düwell, ehemaliger Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht:
"Leiharbeit ist ein Begriff, der sich geschichtlich entwickelt hat. Natürlich ist es keine richtige Leihe. Wenn man Leihe als Rechtskundiger sich betrachtet, dann ist das im Unterschied zur Miete etwas, etwas man so zurückgibt, wie man es bekommen hat."
Verschwinden, wenn die Arbeit getan ist
Arbeitskraft, die gebraucht wird. Und Arbeitskraft, die schnell verschwinden soll, wenn alles erledigt ist. Ein Kurzzeit-Verhältnis, nichts Ernstes. Und vor allem nichts, was teuer werden soll. Es passt in die Zeit. Die Zeit verlangt es. Denn Konsumentenbedürfnisse, wenn sie einmal geweckt worden sind, wollen nicht nur befriedigt werden – sie wollen schnell befriedigt werden. Bevor sie einfach so vergessen sind. Die schnelle Befriedigung von Nachfrage funktioniert nur mit der Möglichkeit, schnell Arbeiter zu engagieren, die schnell wieder ausgesondert werden können. Eine Wirtschaft mit Konjunkturschwankungen funktioniere nur so.
Andrea Resigkeit: "Während wir früher so Konjunkturzyklen von so sieben Jahren hatten, wenn Sie sich volkswirtschaftlich das ansehen, haben wir heute ganz, ganz kurze Zyklen. Insofern sind die Unternehmen auf flexible Arbeitskräfte und Arbeitskraftpersonen – davon sind sie eben im Moment vollkommen abhängig. Und da kommen wir ins Spiel."
Soll heißen: Nichts ist mehr planbar, auf nichts in Verlass. Schon gar nicht auf die internationalen Krisen, die plötzlich die Nachfrage steigen oder sinken lassen oder die Produktion erschweren. Auf die potentiellen Käufer ist sowieso kein Verlass. Erst wollen sie nichts kaufen. Und wenn sie doch kaufen, dann muss alles sofort lieferbar sein. Andrea Resigkeit vom Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen:
"Unternehmer, die Zeitarbeiter anfordern, haben ja in der Regel erst mal Aufträge, die diese erledigen müssen. Da die heutige Wirtschaft so abhängig ist von bestimmten Zyklen, die sie kaum beeinflussen können, von externen Krisen, die wie wir ja auch in den letzten Monaten und Jahren gesehen haben, immer auftauchen, ohne dass wir irgendein Anzeichen vorher haben, Ukraine Beispiel oder auch die ständige Änderung in der EU, jetzt z.B. Griechenland, auf die muss die Wirtschaft reagieren, weil dort beispielsweise Auftragseinbrüche stattfinden können, ohne dass die vorher absehbar sind. D.h. wenn sie heute mit großen Unternehmen sprechen, wird meistens eine Belegschaft von 80 Prozent vorgehalten, weil nicht klar ist, wie sich die Auftragslage oder die Konjunktur entwickelt."
Für Firmen ginge es um Flexibilität. Die sei ein hohes Gut, sagt Andrea Resigkeit. Annelie Buntenbach ist misstrauisch, wenn das Hohelied von Flexibilität und Zeitarbeit gesungen wird. Annelie Buntenbach ist vom Deutschen Gewerkschaftsbund:
"Wir haben immer noch die Situation, wo in Automobilfirmen die rechte Autotür für 16 Euro die Stunde eingebaut wird und die linke Autotür für zehn Euro die Stunde, weil da eben der Kollege in Leiharbeit steht und nach wie vor nicht den gleichen Lohn für die gleiche Arbeit bekommt, der ihn aber aus unserer Sicht eben zustehen würde. Hier ist inzwischen über tarifvertragliche Regelungen, Branchenzuschläge z.B., die IG-Metall-Kampagne „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit", auch über Betriebsvereinbarungen schon eine Menge passiert. Aber das reicht noch lange nicht aus, um Leiharbeit eben als Instrument von Lohnunterbietung einzudämmen."
Die Pyramide der Subunternehmer
Zbigniew würde er gern im Radio heißen.
Zbigniew will nicht erkannt werden. Es könnte Ärger geben. Er will keinen Ärger. Nicht schon wieder. Den hat er zu oft gehabt, seit er aus Polen nach Deutschland kam. Erst der Betrieb, bei dem er angestellt war – mit Vertrag und allem. Dachte er. Dass die Firma keine Sozialleistungen für ihn zahlte, hat er erst später erfahren. Nach einem Jahr stellte sich heraus, dass es eine illegale Beschäftigung war. Er fand eine neue Anstellung. Das war seine erste Erfahrung mit Leiharbeit. Es hat gedauert, bis er das Prinzip verstand:
"Unsere Firma, also nicht die, bei der wir tätig waren, sondern der Entleiher, war ein Subunternehmer einer anderen Firma. Und wir haben unsere Anweisungen nicht direkt von dem Entleiher bekommen, sondern vom Generalunternehmer. Man muss sich das als Pyramide vorstellen."
Eine Pyramide. Es dauert, um eine Pyramide zu verstehen. Aber das Verstehen war gar nicht erwünscht. Nichts sollten die Leiharbeiter verstehen, sie sollten arbeiten. Und nicht fragen:
"Hat man z.B. gefragt, warum arbeiten wir drei Wochen lang nur in der Nacht, ohne Zuschläge zu bekommen, dann wurde sofort mit einer Kündigung gedroht. Letztendlich diese ganze Stimmung sollte dazu führen, dass man keine Fragen mehr stellt."
Zbigniew trägt Hemd, darüber eine Strickjacke, darüber noch eine Jacke. Er will nichts ablegen, setzt sich an den Tisch und nimmt einen zusammengefalteten Zettel zur Hand. Er hat sich ein paar Notizen gemacht. Um sie lesen zu können, müsste er den Zettel auseinander falten. Er redet, er schiebt den Zettel auf den Tisch von links nach rechts und wieder zurück. Er nimmt ihn in die Hand, klopft damit auf den Tisch. Nur auseinander faltet er ihn nicht wieder. Er hat sich warm geredet. Er will alles loswerden. Es muss raus:
"Am Anfang haben wir knapp acht Euro die Stunde verdient. Nach einem Monat gab es eine Änderung. Die Firma hat ihren Namen geändert. Auf einmal haben wir dann eine Information bekommen, dass wir nur 7,13 Euro pro Stunde verdienen würden. Und keine Zuschläge. Sollten wir aber eine entsprechende Leistung erbringen, würden wir einen Euro mehr bekommen pro Stunde. Diese Leistung ist aber nie definiert, man wusste nicht, was sie damit meinen. So gab es die Situation, dass einige Mitarbeiter diesen Zuschlag bekommen haben und andere nicht. Niemand konnte und wollte uns sagen, wie viel müssen wir produzieren in Zahlen, damit diese Leistung tatsächlich erbracht wird."
Den Zeitarbeitnehmern geht es gut, sagt Andrea Resigkeit:
"Sie haben vernünftige Gehälter, wir haben ja schon einen Mindestlohn, der bereits seit Jahresbeginn läuft und werden entsprechend bezahlt. Wir haben Branchenzuschläge. Also die Bezahlung, die wir früher diskutiert haben, hat sich ja bei uns völlig geändert. Wir haben ja equal pay-Lösungen nach einer bestimmten Zeit. Und ich höre, dass die Zufriedenheit der Zeitarbeitnehmer wirklich gestiegen ist. Das wissen wir auch von den Betriebsräten unserer Zeitarbeitnehmer, denn die haben sie auch."
Andrea Resigkeit ist misstrauisch. Sie sagt, sie sei es nicht. Sie wolle nur nicht, dass wieder ein Beitrag die Runde macht, in dem von Sklavenarbeit die Rede ist. Schlechte Arbeitsbedingungen. Lohnausfälle. Immer, wenn man über die Firmen ihres Verbandes spreche, ginge es darum. Ihr Verband ist der IGZ, der Interessenverband deutscher Zeitarbeitsunternehmen. Das G stammt aus der Zeit, als der Verband sich noch Gemeinschaft nannte. Die Gemeinschaft haben die Zeitarbeitsunternehmen nach zwei Jahren aufgegeben.
Leiharbeit wird gebraucht. Das Image der Leiharbeit ist schlecht. Das schlechte Image der Leiharbeit hat Gründe. Ein Grund könnte die die Mentalität sein, die deutsche – glaubt Andrea Resigkeit:
"Wenn wir wählen könnten, die Deutschen, das zeigen auch immer wieder Untersuchungen, wählen wir immer wieder Sicherheit. Das ändert sich ganz stark, wenn Sie die Jüngeren fragen, für die Flexibilität ein wesentlich höheres Gut ist als für die Älteren."
Ein zweiter Grund für das schlechte Image der Leiharbeit sei die IG Metall:
"Die IG Metall hat ja große Kampagnen gefahren auch gegen die Zeitarbeit, vor allem im Vorfeld der Bundestagswahl... Aber das war ein Grund, weshalb wir auch von den Gewerkschaften gesellschaftlich angegriffen wurden und das schließt sich auch im gesellschaftlichen Diskurs nieder."
Annelie Buntenbach: "Es mag sein, dass die Kampagne der IG Metall dem Image der Leiharbeitsfirmen nicht auf die Füße geholfen hat. Aber sie hat vielen Leiharbeitern und Leiharbeiterinnen geholfen, ihre Interessen besser wahrzunehmen und zu einer besseren Vereinbarung auch zu kommen in den Betrieben und den Tarifvertragsbereichen. Von daher war das ausgesprochen hilfreich."
... sagt Annelie Buntenbach vom Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes.
Der DGB residiert am Hackeschen Markt in Berlin, direkt gegenüber vom S-Bahnhof. Annelie Buntenbach steht auf dem Flur, redet auf einen Mitarbeiter ein und drückt ihn einige Blatt Papier in die Hand. Dann bestellt sie sich Cappuccino, und setzt sich an den Konferenztisch in ihrem Büro. Annelie Buntenbach deutet auf eine Schale mit Schokolade, während sie Zettel sortiert, die vor ihr liegen: Diagramme, Tabellen, Übersichten.
Annelie Buntenbach: "Da haben wir mit Leiharbeit in der Tat dasselbe Problem, wie wir das als Gewerkschaften auch mit Werkverträgen haben, eine Entwicklung, die immer mehr zunimmt und wo wir z.B. in der Baubranche oder in den Schlachthöfen eine Situation haben, wo nur noch so eine Art overhead festeingestellt ist bei den Firmen und alles, was darunter liegt, also nicht Leitungspersonal ist, das wird dann über Werkverträge in Subunternehmerketten gegeben. Und diese ganze Produktion wird dann nach dem Prinzip heuern und feuern jeweils im Einzelnen ausgelagert."
Annelie Buntenbach sieht im System Zeitarbeit, wie es bis jetzt geregelt ist, eine Gefahr. Das System ist anfällig für Missbrauch. Denn kurzfristige Engpässe wären selten. Leiharbeit sei ein Druckmittel:
"Das unterliegt dann keiner Mitbestimmung mehr, da gibt es keine Betriebsräte, die hier die Möglichkeiten haben die Interessen der Kolleginnen und Kollegen halbwegs wahrzunehmen. Das macht eine irrsinnige Schmutzkonkurrenz und einen Druck nach unten aus, wo dann sich Arbeitgeber kaum noch leisten können, zu vernünftigen Bedingungen zu beschäftigen. Auch das ist nicht unsere Vorstellung davon, wie dir Wirtschaft der Zukunft aussieht."
Die Leute ertragen relativ viel
Zbigniew sagt, es geht immer ums Geld.
Das hat er in den Jahren als Leiharbeiter immer wieder erlebt. Das Geld, das einem zusteht, aber nicht gezahlt wird. Das Geld, von dem weniger ausgezahlt wird, als vereinbart. Mal fehlt der Lohn für ein paar Tage. Mal fehlen Zuschläge. Und mal fehlen ein paar Monatslöhne. Die Gründe sind immer andere. Doch eigentlich ist es immer derselbe Grund: die Firma will lieber Geld behalten, als auszuzahlen. Es geht um billig – bei Arbeit und Produkt. Am Anfang waren noch die Rumänen. Die waren aufmüpfiger. Sie hatte es schlimmer erwischt.
"Der eigentliche Arbeitgeber dieser rumänischen Arbeiter hat ihnen auch Verpflegung und Übernachtung versprochen. Sie durften natürlich übernachten, aber dafür hat man 400 Euro pro Bett berechnet – und in Wirklichkeit haben sie in einem Keller geschlafen. Sie haben auch Verpflegung bekommen, aber dafür wurde die Verpflegung von ihren Löhnen abgezogen. Und am Ende des Monats hatten sie 200 Euro verdient."
Der Besenbinderhof, unweit von Hamburgs Hauptbahnhof. Draußen ein Wandgemälde: Es zeigt zornige, streikende Arbeiter, eine Erinnerung an einen Arbeitskampf in einer Waggonfabrik. Anlass war eine Lohnkürzung um 25 Prozent. Fast 150 Jahre ist das her. Drinnen erzählt Jochen Empen von der Beratungsstelle Faire Mobilität, welche Sorgen die Ratsuchenden heute haben. Es geht um ausstehende Löhne, fehlende Zuschläge. Und:
"Die Beschäftigten berichten uns also häufig davon, dass sie oder ihre Kollegen einfach auch psychisch am Ende sind, weil sie die Situation nicht mehr aushalten, diesen Druck, gleichzeitig die Angst, den Job zu verlieren, weil ihre Familien davon abhängig sind, d.h., es fällt ihnen auch nicht so leicht, den Job zu kündigen und einen neuen Job zu suchen. Mit wenig Sprachkenntnissen ist es auch nicht so einfach, einen neuen Job zu finden. Und in so einer Situation ertragen die Leute relativ viel und sind aber auch sehr verzweifelt häufig."
Zbigniew kam auch zur Beratungsstelle Faire Mobilität. Er hat viele Firmen erlebt. Aber fast immer stand er an einer Wurstverpackungsmaschine. Die Maschine war dieselbe. Der Arbeitsplatz auch. Nur: Die Firma. Sie wechselt mal den Namen, sie schaltet Subunternehmer zwischen sich und Zbigniew. Aber irgendwie ist es immer dieselbe Firma. Sie will Zbigniew. Nein, sie will nur seine Arbeitskraft. Davon will sie viel. Geben will der Arbeitgeber wenig. Deshalb denkt er sich viel aus, um viel von der Arbeitskraft zu bekommen, aber dafür wenig zu geben. Mal ist Zbigniew Leiharbeiter. Über Nacht wird er Werkvertragsarbeiter. Geändert hat sich nichts - nicht einmal die Farbe des Kittels, den er während seiner Zeit an der Wurstmaschine tragen muss. Nur der Vertrag hat sich geändert, den er mal eben zwischen Tür und Angel unterschreiben musste. Der Vertrag und das Geld. Es wurde weniger. Zbigniew ging zur Beratungsstelle Faire Mobilität. Er ist froh, dass er sie gefunden hat. Sonst hätte er es gemacht wie viele andere:
"Menschen geben oft auf, verzichten auf ihre Ansprüche. Oft geht es um mehrere tausend Euro. Und fahren wieder zurück in ihre Länder."
Leiharbeit ist inzwischen etabliert. Und schon breitet sich eine andere Form der Arbeit aus – die Werkverträge. Was ist der Unterschied? Franz-Josef Düwell, ehemaliger Richter am Bundesarbeitsgericht:
"Wenn ich das in zwei Sätzen sagen könnte, hätte ich den Stein der Weisen erfunden. Ein Kriterium und das Wichtigste ist: Wer übt das fachliche Weisungsrecht aus, wer weist den Arbeitnehmer an, was er wann und wie und wo zu tun hat. Das ist nach dem Gesetz, § 106 Gewerbeordnung, der Arbeitgeber. Und wenn es sich um einen Werkauftrag handelt, dann weist derjenige, der diesen Werkvertrag ausführt, den Arbeitnehmer an und nicht derjenige, der das Werk bestellt hat. Das hört sich jetzt sehr rechtstheoretisch an, ist in der Praxis aber relativ einfach. Man braucht nur zu sehen, wer gibt täglich die Weisungen."
Es sei relativ einfach. Das findet auch Andrea Resigkeit:
"Unsere Arbeitnehmer sind ja praktisch in den Arbeitsläufen integriert, dürfen auch z.B. an bestimmten Sachen, die im Betrieb angeboten werden, partizipieren usw., sei es Kantine usw. Sie sind ja in dem Moment ein Teil des Unternehmensablaufs. Ganz klar integriert. Während bei Werkvertragsnehmern das nicht so sein darf."
Doch scheint nur die Theorie einfach zu sein. Die Praxis? Die ist weniger einfach. Auch das sagt Prof. Düwell:
"Da gibt es große, bekannte Marken, die als Arbeitgeber nicht in Erscheinung treten wollen und dann so genannte Werkverträge vergeben. Nehmen wir nur mal ein bekanntes Automobilunternehmer, Daimler. Und da gab es in den letzten Jahren zig Verfahren, in denen dann festgestellt wurde, dass Daimler nicht sich auf die Rolle eines Auftraggebers beschränkt hat, sondern in Wirklichkeit Entleiher war."
Es gibt noch andere Möglichkeiten: die so genannten Subunternehmer. Leiharbeiter oder auch Werkarbeiter sind dann in der Verantwortung des Subunternehmers – der vielleicht wiederum einen Subunternehmer beauftragt. Es ist das System Matrjoschka – in jeder Puppe steckt noch eine weitere:
"Das kann man beliebig verlängern, diese Kette. Da muss eben für Klarheit gesorgt werden in der Abgrenzung zwischen Leiharbeit und Werkvertrag. Und diese Klarheit ist theoretisch gegeben, aber in der praktischen Durchführung schwer nachzuweisen, denn was ist jetzt eine werkbezogene Anweisung, die Wand soll grau gestrichen werden. Und was ist jetzt eine arbeitsbezogene Anweisung. Das ist wie so häufig so, dass der Teufel im Detail steckt und der Arbeitnehmer, der jetzt geltend macht, es ist kein Werkvertrag, sondern in Wirklichkeit eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung, der muss das alles darlegen und beweisen. Und das ist nicht ganz einfach."
In zahllose Unterbetriebe zerlegt
Es gibt andere Beispiele, wie Schlupflöcher im Gesetz genutzt werden. Es geht nicht nur darum, etwas zu verschleiern oder Kosten zu sparen. Wenn Leiharbeit preiswert zu haben ist, erhöht das den Druck auf den Rest der Belegschaft. Das ist die gesellschaftliche Komponente von Leiharbeit und Werkverträgen. Annelie Buntenbach vom Deutschen Gewerkschaftsbund:
"Wir haben im Moment z.B. im privaten Krankenhausbereich eine Situation, wo der Krankenhausbetrieb in zahllose Unterbetriebe zerlegt wird, wo dann jeder dieser Unterbetriebe mit einem Werkvertrag seine Leistungen erbringen soll und diese künstliche Konstruktion von Kleinstbetrieben dann in die Konkurrenz untereinander geschickt wird und sich gegenseitig zu unterbieten und dann die Leistungen für den Krankenhauskonzern möglichst billig zu erbringen. Das hat miserable Folgen für die Arbeitsbedingungen und die Entlohnung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die im Krankenhaus ja eh unter sehr schwierigen Bedingungen arbeiten und macht hier einen großen Druck aus insgesamt in der Branche. Das gilt genauso für die Flughäfen, wo ähnlich gehandelt wird. Das gilt für die Post, wenn sie sagt, sie gibt im Werkvertrag Leistungen raus, wo dann die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer 30 Prozent weniger bekommen als vorher."
Das gibt auch Andrea Resigkeit am Rande zu. Ein verbreitetes Phänomen will sie darin allerdings nicht erkennen. Andrea Resigkeit spricht von "Schwarzen Schafen", die nach und nach aus ihrem Verband ausgeschlossen wurden. Sie spricht von einem selbst erstellten Ehrenkodex der Zeitarbeitsunternehmen ihres Verbandes und von einer freiwillig gegründeten, unabhängigen Beratungs- und Schlichtungsstelle. Die Zeitarbeitsfirmen bemühen sich:
"Ich kenne keine einzige Firma jetzt ad hoc, die ihr gesamtes Personal durch Stammarbeitsplätze praktisch abgebaut hat und durch Zeitarbeitsnehmer ersetzt hat. Es gibt einige Firmen, die haben Personalgesellschaften gegründet, übrigens auch oft im öffentlichen Raum, und haben dadurch eine Art Unterwanderung organisiert. Bei allen anderen Industrieunternehmen, die wir kennen und mit denen wir zusammenarbeiten, ist immer auch mit Zeitarbeit auch die Stammbelegschaft aufgebaut worden und zwar fast parallel, d.h., es sind zusätzliche Arbeitskräfte und -plätze in beiden Segmenten geschaffen worden, einmal bei den Stammarbeitsplätzen und dann auch bei der Zeitarbeit."
Leiharbeit wird einfach nicht verstanden, sagt Andrea Resigkeit noch.
Buntenbach: "Wir haben Phänomene gerade im grenzüberschreitenden Bereich bei Leiharbeit und Werkverträgen, die mir richtig große Sorgen machen."
Annelie Buntenbach vom Deutschen Gewerkschaftsbund sieht in den unübersichtlichen Konstruktionen ein System der Verschleierung von Schwarzarbeit und Dumpinglöhnen:
Buntenbach: "Wenn z.B.in Subunternehmerketten Aufträge weitergegeben bis in das sechste, siebte Glied hinein, wo dann keiner mehr wirklich kontrolliert – und dafür ist ja die Finanzkontrolle Schwarzarbeit noch gar nicht hinreichend ausgerüstet, wenn dann keiner mehr kontrolliert, wie sind denn hier wirklich die Bedingungen. Und da sich dann Subunternehmer eine goldene Nase daran verdienen, dass sie Leute mit falschen Versprechungen hier her holen und um ihren Lohn betrügen."
Es könnte klar sein. Eindeutig. Doch selbst für Juristen wird es schwer, bei all den konstruierten Ketten von Subunternehmern klar zu sagen, wo endet die Leiharbeit. Und wo beginnt der Werkvertrag. Es gibt allerlei Lücken. Die Lücken freilich im Gesetz sind kein Zufall:
Gesetzgebung wird natürlich von Interessenverbänden beeinflusst. Es gibt eben eine starke Lobby, die diese Lücken bewusst produziert oder die Schließung dieser Lücken verhindert."
Franz-Josef Düwell: "Und vor allen Dingen erlauben diese Lücken im Gesetz eine Gestaltung, dass man die Leiharbeitstarife, die über den Mindestlohn liegen, unterlaufen kann. Denn wenn ich jetzt sage, die Verräumer, die Regale aufräumen, die sind nicht im Einzelhandelsgeschäft angestellt, sondern die sind im Rahmen eines Werkvertrages von einer Logistikfirma kommend, dann wird natürlich das Logistikunternehmen nur den Mindestlohn zahlen, weil die sagen, wir verleihen die ja gar nicht, die Leiharbeitsverträge finden keine Anwendung."
Und was sagt die Politik?
"Wir präzisieren im AÜG die Maßgabe, dass die Überlassung von Arbeitnehmern an einen Entleiher vorübergehend erfolgt, indem wir eine Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gesetzlich festlegen.
Durch einen Tarifvertrag der Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche oder aufgrund eines solchen Tarifvertrags in einer Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung können unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Stammbelegschaften abweichende Lösungen vereinbart werden. Wir entwickeln die statistische Berichterstattung zur Arbeitnehmerüberlassung bedarfsgerecht fort."
"Da ist jeder Millimeter entscheidend"
Läuft etwas schief bei der Leiharbeit? Oder ist alles in Ordnung? Der Koalitionsvertrag:
"Die Koalition will die Leiharbeit auf ihre Kernfunktionen hin orientieren. Die Koalitionspartner sind sich darüber einig, dass Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer künftig spätestens nach neun Monaten hinsichtlich des Arbeitsentgelts mit den Stammarbeitnehmern gleichgestellt werden."
"- Kein Einsatz von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern als Streikbrecher.
- Zur Erleichterung der Arbeit der Betriebsräte wird gesetzlich klargestellt, dass Leiharbeitnehmer bei den betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten grundsätzlich zu berücksichtigen sind, sofern dies der Zielrichtung der jeweiligen Norm nicht widerspricht.
Im Koalitionsvertrag von Dezember 2013 ist geregelt, dass man die Privilegierung der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung abschaffen will."
... sagt der ehemalige Arbeitsrichter Franz-Josef Düwell:
"Aber nachdem der Mindestlohn gekommen ist, gab es ja in der größten Fraktion der Koalition so eine Bewegung wie „Jetzt reicht es aber, jetzt ist genug". Und die Kanzlerin hat daraufhin auf den Arbeitgeberbundestag erklärt, sie halte sich an den Koalitionsvertrag, sie wird ihn dennoch durchführen. Das Problem ist nur, dass es jetzt um einen Kampf kommt, Kampf ums Recht, Wort für Wort. Da ist jeder Millimeter entscheidend. Vielleicht gibt es keine große Lösung, die alle Lücken schließt, sondern nur eine ganz kleine."
Die Bundesagentur für Arbeit vermittelt immer mehr Menschen in Leiharbeit. Gut für die Arbeitslosenstatistik. Selbst der Chef der Bundesagentur hat intern schon von einer Fehlentwicklung gesprochen. Annelie Buntenbach vom Deutschen Gewerkschaftsbund:
"Die Hälfte der Beschäftigten in der Leiharbeit dauern keine drei Monate. Damit liegt man immer in der Probezeit, in der Befristungsphase, wo es dann kein Problem ist und viele Leiharbeitsfirmen dann auch zu nutzen, natürlich nicht alle. Es gibt auch die, die da regulär und gut mit umgehen. Aber viele machen das dann eben so, dass sie auch dafür sorgen, dass die Leute aus diesen Phasen gar nicht herauskommen. Und dann haben wir eine Situation, dass diejenigen, die arbeitslos waren, dann in Leiharbeitsverhältnis gehen, nach wenigen Wochen beim Jobcenter wieder vor der Tür stehen und überhaupt keine Chance haben, im Laufe der Jahre wieder in die Arbeitslosenversicherung zu kommen, weil sie dafür ja innerhalb von zwei Jahren zwölf Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein müssten. Aber durch diesen Teufelskreis, in dem sie sich da bewegen, immer wieder direkt durchrutschen in Hartz IV."
Zbigniew sagt noch: Er habe es nie bereut, nach Deutschland gekommen zu sein. Er will arbeiten. Immer noch. Jetzt ist er 68 und geht noch jeden Tag in den Betrieb, an seine Maschine. Er will nicht zu Hause herum sitzen, sagt er. Er braucht das Geld. Das sagt er nicht.
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