Wer sticht den Spargel?

Von Claudia van Laak · 26.05.2006
Etwa 325.000 ausländische Erntehelfer haben im letzten Jahr auf Deutschlands Feldern Spargel gestochen, Wein und Gurken geerntet. In diesem Jahr wird diese Zahl sinken, dürfen doch die landwirtschaftlichen Betriebe nur noch 80 Prozent der ausländischen Helfer vom letzten Jahr beschäftigen. Mindestens zehn Prozent der Erntehelfer müssen aus Deutschland kommen.
Ein weiteres Problem: für die Saisonarbeiter aus Polen müssen in diesem Jahr erstmals Sozialbeiträge abgeführt werden. Die unsichere Situation hat dazu geführt, dass ein Teil der polnischen Helfer nicht angereist ist, die Beelitzer Spargelbauern können einen Teil ihrer Felder nicht abernten.

Der Spargelanstich jedes Jahr Ende April ist in Brandenburg ein gesellschaftliches Großereignis. Auf einem sandigen, staubigen Spargelfeld in der Nähe von Beelitz haben sie sich versammelt: Brandenburgs Landwirtschaftsminister Dietmar Woidke, der Innenminister und stellvertretende Ministerpräsident Jörg Schöhnbohm, die diesjährige Spargelkönigin Christiane Eiserberg. Alle drei stehen in einer Ackerfurche und tun so, als ob sie Spargel stechen könnten. Wichtig ist es, den Fotografen und Kameraleuten die besten Bilder zu liefern.

"Herr Woidke, herschauen, Herr Schönbohm, hier zu uns, perfekt, und die Spargelkönigin auch noch einmal in die Hocke, den Spargel noch mal zeigen. Klick, klick."

Nachdem die Politiker den Medienvertretern brav die Bilder geliefert haben, geht es ans Essen. Der erste Beelitzer Spargel mit Schnitzeln, Kartoffeln und Sauce Hollandaise. Die Tanzgruppe des Beelitzer Karnevalsvereins bildet die passende Kulisse. Die Frauen tragen einen dunkelblauen Rock mit weißer Spitze, darüber eine blaue Schürze, eine weiße Spitzenbluse und eine weiße Kopfbedeckung, genannt Hegeländer. Auch die Beelitzer Spargelfrauen tun so als ob – ihre Kostüme sind der Arbeitskleidung der Spargelstecherinnen Anfang des 20. Jahrhunderts nachempfunden.

Spargelfrauen-Umfrage: "Die Spargelfrauen auf dem Acker, das war eben Rock, Schürze und Hegeländer, schöner Baumwollstoff, luftdurchlässig und der Hegeländer als Sonnenschutz.
1860 ging's hier los, und ich habe mir sagen lasen, dass da auch polnische Saisonarbeiterinnen da waren. Es ist eine körperlich anstrengende Arbeit, gerade wenn es warm ist, es ist schon für den Rücken nicht ohne."

Diejenigen, die heute die harte körperliche Arbeit machen, dürfen beim gesellschaftlichen Großereignis "Spargelanstich" nicht mit dabei sein. Polnische Männer in blauen Latzhosen und Gummistiefeln werfen von weitem ein Blick auf das Fest, dann verschwinden sie müde und schweigend in ihren Wohncontainern. Manfred Schmidt, der Vorsitzende des Beelitzer Spargelvereins, hat sie Szene beobachtet. Er kommentiert lakonisch:

"140 Jahre lang hat's die deutsche Frau gemacht, und ab 1990 konnte es nicht mal mehr der deutsche Mann."

Was er damit meint, erklärt Schmidt anhand eines Bildes. Das vergilbte Foto zeigt Frauen mit Strohhüten auf den Köpfen, in der Ackerfurche kniend und Spargel stechend. Die männlichen Aufseher stehen mit Stöcken in der Hand daneben.

Schmidt: "Ich habe alte Zeitungen gefunden aus der Jahrhundertwende. 1900 hatten wir hier in Beelitz schon viele Saisonarbeitskräfte. Da hat man geschrieben, es waren Frauen aus Schlesien, Ostpreußen, Ungarn, Ukrainer waren dort, und da stand unter anderem drin, am fleißigsten waren die schlesischen Madel."

Aber auch Frauen aus Beelitz haben Spargel gestochen. Bis zur Wende. Dann waren die Brandenburger arbeitslos, es kamen die Polen. Der Vorsitzende des Beelitzer Spargelvereins versteht das bis heute nicht.

Schmidt: "Gerade Anfang der 90er Jahre hatten wir eine hohe Arbeitslosenzahl, auch in Beelitz, ja, ich war Gott sei Dank nie arbeitslos, hatte aber erfahren müssen, dass die Deutschen, die nicht Spargel stechen wollten, natürlich auch nicht Hunger leiden mussten. Sie waren sozial versorgt, saßen neben dem Spargelfeld und haben eben geangelt, wenn ein Fluss in der Nähe war, und die Polen haben eben gestochen."


Sie kommt jedes Jahr pünktlich mit dem Spargel. Die Frage, warum ausländische Erntehelfer auf den Feldern stechen, wenn doch so viele deutsche Arbeitslose zuhause sitzen und auf Kosten der Allgemeinheit Däumchen drehen. Und jedes Jahr findet sich wieder ein Politiker, der fordert: Polen raus, deutsche Arbeitslose ins Spargelbeet. Brandenburgs Landwirtschaftsminister Dietmar Woidke seufzt:

"So einfach ist die Welt nicht. Es ist eine sehr, sehr schwere körperliche Arbeit, so dass von den Arbeitslosen auch wirklich nur ein Teil davon in Frage kommt, und die müssen auch noch die entsprechende Einstellung mitbringen, eine andere Arbeitskraft kann ich auch den Spargelbauern nicht zumuten."

Die Regel der Arbeitsagentur lautet: Deutsche Arbeitskräfte gehen vor. Die Spargelbauern bekommen nur eine Genehmigung für ausländische Saisonkräfte, wenn sich keine Einheimischen finden. Das wird oft vergessen, sagt Landwirtschaftsminister Woidke.

"Jeder Betrieb, der Saisonarbeiter aus Polen beschäftigt hat in den letzten Jahren, musste vorher eine Bescheinigung von der Arbeitsagentur vorlegen, dass entsprechende Arbeitskräfte eben nicht in der Region vorhanden sind und jedes Jahr pünktlich zu Saisonbeginn beginnt die Diskussion aufs Neue, ja, die Deutschen können doch alle aufs Spargelfeld."

Von den deutschen Arbeitslosen sei kaum jemand für das Spargelstechen geeignet, sagt Edelgard Woythe. Die Chefin der Potsdamer Arbeitsagentur meint, dass weniger als zehn Prozent der deutschen Arbeitslosen diese harte Arbeit machen könnten.

"Aber dann kommen ja noch private Besonderheiten dazu. Man darf nicht gebunden sein durch Kinderbetreuung. Man darf nicht gebunden sein durch häusliche Pflege von einem Angehörigen und so weiter. Dies lässt einen Einsatz in solchen Tätigkeitsbereichen nicht zu."


Die Bundesregierung hat in diesem Jahr die Zahl der ausländischen Erntehelfer beschränkt. Die Betriebe dürfen nur noch 80 Prozent der ausländischen Saisonarbeitskräfte des letzten Jahres beschäftigen. Mindestens 10 Prozent müssen Deutsche sein. Das Interesse der Deutschen an diesem Job sei in diesem Jahr größer geworden, hat die Chefin der Potsdamer Arbeitsagentur festgestellt. Trotzdem ist Edelgard Woythe nicht glücklich über die jetzt geltenden starren Quoten. Mit bürokratischen Vorgaben werde man den Landwirtschaftsbetrieben nicht gerecht.

Woythe: "Es ist schön, wenn viele Deutsche diese Gelegenheit nutzen, aber sie müssen es auch können, sie müssen es auch wollen. Denn sonst ist dem Arbeitgeber nicht geholfen, der muss seine Ernte einfahren. Sonst produzieren wir Insolvenzen in den landwirtschaftlichen Betrieben, und dann gehen noch mehr Arbeitsplätze verloren."

Spargelbauern in Brandenburg berichten über schlechte Erfahrungen mit deutschen Arbeitslosen. Viele seien nicht motiviert, kämen nicht pünktlich, blieben nach ein paar Tagen der Arbeit fern. Sieben Tage in der Woche 8 bis 10 Stunden am Tag bei Wind und Wetter hart körperlich arbeiten, und das bei einem Tariflohn, der in Brandenburg bei 3 Euro 78 in der Stunde liegt, das ist eben nicht jedermanns Sache. So arbeiten in der Regel die Deutschen in der Sortierung und im Verkauf, die Polen auf dem Feld. Aber es gibt auch andere Beispiele.

Grün, grau und weiß sind die Farben, die auf der Bundesstraße 158 kurz vor der polnischen Grenze ins Auge stechen. Grün das Getreide, grau die sandigen Spargelfelder, weiß die Folie, mit denen die Spargeldämme abgedeckt sind. Mit den weißen Planen wird der aufgeschichtete Sand gegen den Wind, der kostbare Spargel gegen die Kälte geschützt.

Am Rande des Felds stehen eine blaue Chemie-Toilette und ein alter Bauwagen. Daneben ein kleiner Tisch und Campingstühle, auf denen die Spargelstecher in den Pausen verschnaufen können. Etwa 20 Erntehelfer sind auf dem Feld an der Arbeit. Alle sind deutsche Arbeitslosengeld-II-Empfänger. Ein harter Job, sagt Detlef Mahlitz, während er sich mühsam aufrichtet und mit der linken Hand den Rücken abstützt.

Mahlitz: "Klar, gibt ein krummes Kreuz, das stimmt. Na ja, was will man weiter machen, irgendwo muss man ja sein Geld verdienen, finanziell ist das ein total unterbezahlter Job. Was will man machen, wenn man zuhause ist, und die zwei Monate, das hält man schon durch, muss man."

Für den braungebrannten 46-Jährigen ist es die zweite Spargelsaison. Eine Gelegenheit, ein bisschen Geld zu verdienen und zwei Monate lang dem trostlosen Alltag als Arbeitsloser zu entfliehen. Die Älteren, die aus der Landwirtschaft stammen, halten durch, hat er beobachtet. Die Jüngeren geben oft nach ein oder zwei Tagen auf. Hier stechen nur Deutsche, sagt seine Kollegin Madeleine Wohl, eine sportliche Mittdreißigerin.

Wohl: "Det war von Anfang an so, dass es hier keine Polen gab, nur ein paar, und die wurden abgeschafft. Und det ist ja auch so, dass die Deutschen auch arbeiten wollen, und das ist auch ganz gut so, so wissen wir, dass wir Arbeit haben jedes Jahr, und wenn es nur für zwei Monate ist."

Ausschließlich deutsche Arbeitslose beschäftigen wie der Landwirtschaftsbetrieb in Neuenhagen, das können sich die Beelitzer Spargelbauern nicht vorstellen. Auf den Feldern der Erzeugergemeinschaft Schlunkendorf, einem der größten Betriebe in der Region, arbeiten in dieser Saison rund 1000 Erntehelfer. Über 90 Prozent davon stammen aus Polen, ein kleinerer Teil aus Rumänien und Moldawien, nur 50 Deutsche sind dabei.

Waldemar Skurowa trägt um den Hals ein schmales Goldkettchen mit einem Amulett, das die Jungfrau Maria zeigt. Gegen die brennende Sonne auf dem Spargelfeld schützt er sich mit einer blauen Baseball-Mütze. Der kräftige, braungebrannte Pole hält in der einen Hand ein langes Messer, in der anderen eine Art Maurerkelle.

Skurowa: "Pro Reihe gibt es einen Spargelstecher, und wenn man eine Reihe durch hat, geht man zur anderen Reihe. Vorsicht, ich drehe jetzt die Folie um."

Der polnische Erntehelfer schneidet den Spargel unten ab, zieht die Stange aus der Erde, legt sie neben sich in eine graue Kiste, die auf einem Handwagen steht, schiebt mit der Kelle Sand in das entstandene Loch. Auf der Kiste befinden sich zwei Aufkleber. Auf dem einen steht die Nummer des Feldes, auf dem anderen die des Erntehelfers. "Feld-Pole 731". So weiß der Chef sofort, welches Feld und welcher Saisonarbeiter den höchsten Ertrag liefern. Geschäftsführer Bernhard Falkenthal wirft einen kritischen Blick auf seinen polnischen Erntehelfer. Waldemar Skurowa arbeitet schnell. Er weiß genau, unter welcher aufgebrochenen Erdkrume sich eine reife Spargelstange befindet.

Falkenthal: "Profi. Wenn ick hier lang gehe und sehe die Kiste, sehe ich sofort, wie lange er schon da ist. Hier sehen Sie, eine Stange wie die andere drin, glatt, gerade. Profi."
Das Problem für den Spargelhof Schlunkendorf in diesem Jahr: Die polnischen Erntehelfer kosten das Unternehmen etwa ein Drittel mehr als sonst. Die Landwirtschaftsbetriebe müssen für ihre Saisonarbeiter Sozialabgaben abführen, seitdem Polen Mitglied der Europäischen Union ist.

Falkenthal: "Wir müssen 47 Prozent auf den Nettolohn der Polen noch einmal nach Polen überweisen. Wenn der polnische Erntehelfer 2000 Euro mit nachhause nimmt, muss ich noch einmal 1000 Euro nach Polen überweisen für die Sozialversicherung, was früher nicht war. 47 Prozent ist ein gewaltiger Satz, das wird einigen, selbst gesunden Betrieben in dem Jahr den Garaus machen, echt."

Eigentlich werden die Sozialabgaben zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber geteilt, doch der Spargelhof Schlunkendorf übernimmt für seine Leute auch den Arbeitnehmeranteil. Müssten die polnischen Erntehelfer noch etwas von ihrem Lohn abgeben, würde sich die weite Anreise für sie nicht mehr lohnen. Der Hof stünde dann ohne Erntehelfer da. Spargelbauer Falkenthal sieht nur einen Ausweg: Er muss stärker mechanisieren, um die Zahl der Arbeitskräfte senken zu können. Deshalb hat er 150 kleine Maschinen gekauft, die die Folie auf den Dämmen automatisch umdrehen, damit die Stecher immer ein freies Feld haben.

Außerdem hat der Spargelhof 200.000 Euro in drei vollautomatische Sortiermaschinen investiert. Das spart 80 Saisonkräfte, sagt Geschäftsführer Falkenthal.

Falkenthal: "Der große Vorteil dieser Sortiermaschinen ist, ich brauche an den Sortierautomaten nicht unbedingt Fachkräfte. Hier ist die folgende Situation, dass die Erntehelfer nur noch eine Aufgabe haben, ich leg jetzt nur noch die Ware raus und leg sie in die Kiste."

An den Spargel-Sortiermaschinen stehen ausschließlich Polinnen. Sie tragen gelbe Gummistiefel, Handschuhe und weiße Gummischürzen. Greifen in die Metallkisten und legen die vorsortierten gewaschenen Spargelstangen in blaue, rosa-, türkis-, und lilafarbene Plastikkisten. Zuvor hat die Maschine die Spargelstangen auf die vorgeschriebene EU-Länge von 23 Zentimetern geschnitten. Ein Band befördert den Abfall automatisch aus der Halle heraus auf einen Hänger.

Noch mehr Arbeitskräfte durch Maschinen zu ersetzen, ist fast nicht möglich. Die Spargelbauern müssen sich mit den neuen Sozialabgaben für ihre polnischen Erntehelfer arrangieren. Das Problem: aufgrund der neuen Bestimmungen sind eine ganze Reihe von Saisonkräften zuhause geblieben. Vorarbeiter Piotr Michalowicz hat in seiner Heimat, den Masuren, Spargelstecher geworben und kennt die Schwierigkeiten.

Piotr Michalowicz: "Die besten Arbeiter sind in diesem Jahr nicht gekommen. Sie warten ab, was mit dieser Regelung passiert, aber sie wissen eben genau, dass ohne die Polen auf den Spargelfeldern nichts läuft, dass eben die Politik geändert werden muss in Bezug auf die Erntehelfer."

Im Moment sieht es nicht danach aus – bislang konnte sich Deutschland nicht mit Polen auf ein Abkommen einigen, um das Verfahren zur Zahlung der Sozialabgaben zu vereinfachen. So müssen die Landwirte in einem umständlichen bürokratischen Prozess für jeden Erntehelfer mehrere Bescheinigungen überprüfen und ausfüllen sowie die Abgaben umgerechnet in Zloty an verschiedene Sozialversicherungsträger in Polen überweisen.

Falkenthal: "Ich müsste für den Spargel pro Kilo 50 bis 70 Cent aufschlagen, um das jetzt abzupuffern. Das ist nicht möglich, so dass einige Betriebe nicht überleben werden. Ich habe zuviele Lohnkosten und kriege das über die Kosten nicht umgelegt. Ich kann den Preis am Produkt nicht erhöhen, das ist das Problem für uns."

Die Kosten steigen, polnische Erntehelfer bleiben aus und können so schnell nicht ersetzt werden. Das bedeutet für Brandenburgs Spargelbauern, dass ein Teil des Spargels in diesem Jahr nicht rechtzeitig geerntet werden kann. In Schlunkendorf wachsen direkt an der Straße grüne Stangen aus den sandigen Dämmen. Für einen Spargelbauern, der das ganze Jahr auf die achtwöchige Erntezeit hinarbeitet, ein katastrophaler Anblick.