Wer faire Preise zahlt, fühlt sich besser

Ludger Heitbrink im Gespräch mit Ute Welty · 27.11.2012
Einkaufen ist "kein unschuldiger Akt", sagt Ludger Heitbrink, Philosophie-Professor in Kiel. Wenn ein Discounter eine Jeans für 15 Euro anbiete, dann sollte einem schon der gesunde Menschenverstand sagen, dass da bei den Standards in der Produktion etwas nicht stimmen könne.
Ute Welty: Die verheerende Wirkung von Feuer macht weder vor Menschen im Südschwarzwald halt noch vor Menschen in Bangladesch. Während nach dem Brand in einer Behindertenwerkstatt in Titisee-Neustadt noch nach den Ursachen gesucht wird, drängt sich bei den Bränden in den Textilfabriken in Bangladesch ein furchtbarer Verdacht auf: Womöglich ist hier am Brandschutz gespart worden, um möglichst billig produzieren zu können, damit wir möglichst billig einkaufen können. Socken für drei, T-Shirts für fünf, BHs für zehn Euro.

Immerhin werden die Dumpingpreise inzwischen hinterfragt, das jedenfalls hat Ludger Heitbrink in seiner Untersuchung festgestellt, Professor in Kiel mit dem Schwerpunkt Praktische Philosophie, und ich wollte von ihm wissen, seit wann er diesen Trend erkennen kann, dass die Menschen sehr wohl überlegen, was kaufe ich wo zu welchem Preis, und was kostet es wirklich.

Ludger Heitbrink: Diesen Trend gibt es jetzt schon seit einigen Jahren zunehmend in Deutschland, aber auch weltweit, und man kann jetzt nicht genau sagen, dass der zu einem bestimmten Zeitpunkt begonnen hat. Der hängt mit mehreren Faktoren zusammen: Wir haben mehr Geld zum ausgeben, wir sind aufmerksamer, was in unserer Umwelt und in der Welt draußen passiert, und es gibt immer mehr Initiativen, die auf Missstände im Konsumbereich aufmerksam machen.

Welty: Jetzt ist das theoretische Hinterfragen ja das eine, das praktische Handeln das andere. Wie groß ist die billige Versuchung?

Heitbrink: Die ist sehr groß, nach wie vor. Also es ist ja so, dass Untersuchgen zeigen, dass die Menschen beim Einkaufen meistens ihren Kopf ausschalten und intuitiv zu irgendetwas greifen. Und das ist natürlich auch der Preis, der dann eine ganz große Rolle spielt. In Umfragen sagen über 50 Prozent der Konsumenten, ja, wir sind an nachhaltigen Konsumartikeln interessiert, aber der Marktanteil liegt etwa bei sechs bis acht Prozent. Es gibt also eine große Kluft zwischen der Einstellung und dem Handeln der Konsumenten.

Welty: Steckt da auch der Gedanke dahinter, dass dieses eine nicht gekaufte Billig-T-Shirt die Welt nicht besser macht, dass sich das verspielt?

Heitbrink: Sicherlich, der Konsument weiß natürlich, dass er als Einzelner relativ wenig Einfluss hat, andererseits, wenn er länger drüber nachdenkt, wird er feststellen, wenn alle einzelnen Konsumenten in einer bestimmten Richtung handeln, wird sich schon etwas in Bewegung setzen, die Unternehmen reagieren da drauf, der Konsument ist ein Marktfaktor, und entsprechend werden Unternehmen dann auch ihre Produkte und Produktstandards, also auch Sicherheitsstandards, etwa im Textilbereich, ändern.

Welty: Aber wie viel Macht hat denn der einzelne Konsument tatsächlich, gerade im viel zitierten Zeitalter der Globalisierung, wo ja noch nicht mal Deutschland alleine entscheidet, wenn man die Riesenmärkte in Nord- und Südamerika zum Beispiel mit einbezieht?

Heitbrink: Ja, die einfachste Macht, die der Konsument hat, ist, die Billigartikel nicht mehr einzukaufen. Wenn Discounter Jeans für 15 Euro anbieten, dann sagt der gesunde Menschenverstand – oder sagen wir, er sollte es zumindest schon sagen –, da stimmt irgendetwas nicht. Man kann keine Jeans für 15 Euro verkaufen, ohne dass irgendwo bestimmte Standards unterschritten werden. Also sollte man einfach nicht mehr bei Discountern einkaufen gehen. Das wäre der erste vernünftige Schritt.

Welty: Und der zweite?

Heitbrink: Der zweite wäre da, bestünde darin, sich genauer zu informieren über die Produkte, die man kauft, sich möglicherweise dann bei Unternehmen beschweren – es gibt im Internet sehr viele Möglichkeiten, auf die Verkaufspolitik von Unternehmen Einfluss zu nehmen –, und die dritte Möglichkeit besteht darin, sich dann gegebenenfalls auch zu Initiativen zusammenzuschließen. Wir haben ja in der Vergangenheit eine Reihe von Initiativen erlebt, die bei Discountern dafür gesorgt haben, dass die Arbeitsbedingungen verbessert wurden, dass bestimmte Produkte aus dem Sortiment genommen worden sind am Schluss.

Welty: Was ist mit denen, die aufgrund ihrer finanziellen Situation gar keine Alternative haben?

Heitbrink: Ja, es ist sicherlich richtig, dass es auch ein Preisproblem ist, und es wäre eine Überforderung von Leuten mit geringem Einkommen, dass man nur noch dort einkauft, wo dann ein bestimmtes, sagen wir mal, höheres Preisniveau dafür sorgt, dass die Waren dann auch verlässlich sind. Andererseits weiß man ja aus eigenen Erfahrungen, dass Sparen durchaus möglich ist, und ich denke, man sollte vielleicht dann einfach mal auf irgendeinen Genussartikel verzichten und dafür dann bei der nächsten Jeans zwei oder fünf oder zehn Euro mehr drauflegen. Das hat ja auch den Effekt, dass man sich hinterher besser fühlt.

Welty: Können Sie Menschen verstehen, die sich nicht nur finanziell, sondern auch intellektuell überfordert fühlen, weil sie immer und überall überprüfen müssen, was zu welchen Bedingungen hergestellt wird? Und weil ja noch nicht einmal ein hoher Preis garantiert, dass alles mit rechten Dingen zugeht und zugenäht wird?

Heitbrink: Absolut, ich verstehe das vollkommen. Wir leben ja in einer Welt der Informationsüberflutung, und gerade im Konsumbereich hat die Anzahl der Labels und Zertifikate, die auf irgendwelchen Unterhosen kleben, enorm zugenommen, und die Schwierigkeit für uns alle ist ja immer die, herauszufinden, was ist hier verlässlich, und was ist nicht verlässlich. Also da wäre das auch ein Aufruf an die Verbraucherpolitik, in Zukunft dafür zu sorgen, dass die Anzahl der Informationen etwa über Labels abnimmt, aber dafür klarer gestaltet ist.

Welty: Woran orientieren Sie sich beim Einkaufen?

Heitbrink: Ich bin da wahrscheinlich ganz normaler Konsument. Also wenn ich unter Zeitnot einkaufe, dann muss ich zugeben, dass ich dann auch bisweilen einfach zum nächstbesten Apfel oder zur nächstbesten Waschpulververpackung greife, ohne genauer hinzuschauen.

Aber ich versuche gleichwohl, mein Konsumverhalten zu ändern, weniger Fleisch zu essen, bei Lebensmitteln auf die Herkunft zu achten und bei Textilien schon genauer hinzuschauen, anhand der Informationen, wo kommt denn die Jeans her, wo ist das T-Shirt gefertigt worden, hängt etwa irgendein Zertifikat daran, das glaubwürdig ist, und das beeinflusst meine Entscheidung schon erheblich.

Welty: Was muss passieren, damit aus diesen individuellen Überlegungen so etwas wird wie eine Massenbewegung, und sich Dinge tatsächlich verändern?

Heitbrink: Eine Massenbewegung wird es wahrscheinlich dann, wenn zwei Dinge zusammenkommen: Das ist sicherlich weiter die Preisgestaltung, Unternehmen müssen versuchen, Produkte, die nach Sozial- und Umweltstandards gefertigt sind, auch günstiger anzubieten, das ist, denke ich, auch von den Marktpreisen her möglich.

Auf der anderen Seite ist es für die Konsumenten erforderlich, dass sie sich mehr Gedanken über ihre Einkaufsgewohnheiten machen. Wir müssen unser Verhalten, glaube ich, gerade im Konsumbereich überdenken. Das ist eben doch etwas kompliziertere Aktion, wenn wir einkaufen, das ist nicht einfach nur, dass man irgendeine Sache aus dem Regal nimmt, bezahlt und nach Hause geht, sondern an den Dingen, die wir konsumieren, hängen enorme Ketten, die riesige Auswirkungen auf die Umwelt und auf unsere sozialen Standards haben, und das machen solche Ereignisse jetzt in Bangladesch dann immer wieder deutlich, dass Einkaufen kein, sagen wir mal, einfacher und auch kein unschuldiger Akt ist. Also wir müssen im Grunde mit einem höheren Bewusstsein einkaufen.

Welty: Nur Mut zum Denken, sagt Ludger Heitbrink, Professor im Kiel mit dem Schwerpunkt Praktische Philosophie. Ich danke für dieses Interview in der "Ortszeit"!

Heitbrink: Danke schön, gleichfalls!


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