Wenn sogar das Herz klingt

Von Christian Grasse · 17.09.2010
In der ostbrandenburgischen Kurstadt Bad Freienwalde treffen sich jeden Montag die Sangesbrüder des Handwerkermännerchores - und das schon seit 62 Jahren. Willkommen ist jeder, dem das "Singen das Herz öffnet". Daneben werden vor allem Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung groß geschrieben.
"Wir haben einen Uhrmachermeister, wir haben einen Optikermeister, wir haben zwei Fleischer, drei Elektriker, etliche Bauleute, einen Landwirt. Jede Menge Handwerker."

Jeden Montagabend treffen sie sich, die knapp 30 Sangesbrüder des Bad Freienwalder Handwerkermännerchors. Seit über 60 Jahren schon feiern, streiten, lachen und singen sie gemeinsam. Dass bei der wöchentlichen Probe auch mal der ein oder andere zu spät kommt, wird von Chorleiter Endrik Salewski scherzhaft hingenommen:

"Die Leute, die zu spät kommen, wollen wir noch mal extra begrüßen. Kommt rein! Und fünf Euro fürs Zuspätkommen, bitte!"

Bevor sich die Bad Freienwalder Sangesbrüder gesanglich einstimmen, wird erstmal der Körper in Schwung gebracht. Strecken, Kopfkreisen und ein tiefes Brummen sollen Körper und Stimme lockern.

Nach den Aufwärmübungen werden Lieder einstudiert, Passagen geprobt und die verschiedenen Sänger aufeinander eingestimmt. Damit bei den regelmäßigen Auftritten alles gut geht und das Repertoire der Sangesbrüder stimmt. Das ist vielseitig, erklärt der Musiklehrer Endrik Salewski, der den Chor bereits seit 25 Jahren leitet:

"Wir singen aus der Klassik, aus der Romantik, aber auch Literatur aus der Gegenwart, befassen uns oft mit Liedern, die noch von guten Chorbearbeitern stammen, die auch den Männerchor begleitet haben, zum Beispiel Professor Fritz Höft. Insgesamt ist die Literatur etwas, das zu gewissen Anlässen herausgesucht wird."

Wie zum Beispiel das aktuelle Herbstprogramm. Dafür proben die Männer im Moment. Das breite Repertoire und die Geselligkeit, die der Chor ausstrahlt, führte die singenden Männer, die nicht alle notgedrungen Handwerker sein müssen, schon an viele Orte: Quer durch Deutschland, nach Italien und Österreich. Alfred Liebisch singt schon seit 32 Jahren den ersten Tenor im Handwerkermännerchor. Für den 70-jährigen ehemaligen Maschinenbauer bleibt ein Auftritt jedoch unvergessen:

"Das Beste, glaube ich, war in Bad Pyrmont, Carmina Burana mit mehreren Chören und Orchestern zusammen. Das hat mich sehr bewegt. Wir waren ja nur ein Nebenchor, aber es gab eine halbe Stunde lang Applaus. Das wollte gar nicht mehr aufhören. Also das hat mich wirklich begeistert."

Als Alfred Liebisch 1978 anfing im Chor zu singen, besuchte Alexander Hesse gerade die zweite Klasse. Damals hätte er bestimmt nicht gedacht, dass der Handwerkermännerchor einmal sein Leben verändern würde. Als der Optiker 1997 nach Bad Freienwalde zog, dauerte es keine zwei Wochen, bis er zum Sangesbruder wurde. Wie sich später herausstellte, brachte das nicht nur seine Stimme, sondern auch sein Herz zum klingen:

"Mein schönstes Erlebnis war, dass ich meine Frau beim Frühlingsball vom Männerchor kennengelernt habe. Also meine jetzige Frau habe ich dem Chor zu verdanken. Und das konnte ich auch würdigen, indem ich bei der Hochzeit den Chor eingeladen habe. Und da habe ich dann auch ein Ständchen bekommen, also ein großes Ständchen - und hab mich ganz doll gefreut."

Die gemeinsame Freude am Singen, der Zusammenhalt und die Unterstützung - auch außerhalb des Chores - zeichnet den Bad Freienwalder Handwerkermännerchor aus. Bei der Probe wird deutlich: Hier treffen sich Freunde. Bei all der Harmonie muss aber auch mal streng durchgegriffen werden. Vor allem, wenn der Chorleiter seinen ehemaligen Lehrer beim Quatschen erwischt:

"Psst. Jochen, denk daran, in der Schule brauchen wir Ruhe und jetzt quatschst du hier."

Jochen Traub (ehemaliger Lehrer von Endrik Salewski):

"Das war ein wichtiger Hinweis, Endrik!"

Endrik Salewski:

"Ja, Ja, das hast du immer zu mir gesagt, als ich in der ersten Reihe gesessen habe!"

Jochen Traub:

"Er sagt, ich war sehr streng zu ihm, das stimmt. Aber umgekehrt ist er auch sehr streng zu uns und das wird auch von unserer Seite aus akzeptiert."

So wie Jochen Traub und Endrik Salewski kennen sich die meisten Chormitglieder bereits seit Jahrzehnten. Ob sich diese Tradition auch in Zukunft fortsetzen wird, ist fraglich. Die alternde Stadt Bad Freienwalde und das Wegziehen der jungen Leute belastet nicht nur den Chor, sondern die ganze Region. Deshalb gibt es eigentlich nur einen Wunsch des Chores, erklärt Endrik Salewski:

"Ja, ich würde mir natürlich wünschen, dass junge Menschen, die ihre Ausbildung absolvieren, wieder den Weg nach Hause finden, in unser Brandenburg und nach Freienwalde und dadurch eben die Chance haben, solche Vereine hier zu besuchen und das Leben mitzugestalten. Das wäre wichtig, dass die Jugend zurückkommt und dass wir hier nicht veraltern."