"Wenn Sie die Libyer fragen, sollte das vielleicht in zwei Jahren fertig sein"

Moderation: Dieter Kassel · 04.07.2007
Das Berliner Architekturbüro Léon Wohlhage Wernik hat den Wettbewerb zum Neubau des Regierungssitzes im libyschen Tripolis gewonnen. Nach Einschätzung von Hilde Léon, Architektin in dem Büro, war für den Erfolg ausschlaggebend, Tradition und Moderne in dem Entwurf miteinander vereinbart zu haben.
Dieter Kassel Jochen Stöckmann über das Berliner Architekturbüro Léon Wohlhage Wernik. Ein Drittel davon sitzt jetzt bei mir im Studio. Die Architektin Hilde Léon, gerade zurückgekehrt aus Tripolis. Schönen guten Tag.
Hilde Léon: Guten Tag.
Kassel: Herzlichen Glückwunsch auch noch mal an dieser Stelle, denn Sie haben zusammen mit Ihren Kollegen den Wettbewerb gewonnen. In so einem Land wie Libyen, wer entscheidet das? War das am Ende ein Komitee auch aus Architekturkennern oder waren das doch Regierungsbeamte?
Léon: Nein, das war ein ganz klassischer Wettbewerb. Das war der erste internationale Wettbewerb, der in Libyen überhaupt stattfand. Es war ein Berliner Büro eingeschaltet. Und die haben im Auftrag der libyschen Regierung diesen Wettbewerb vorbereitet, haben in Abstimmung mit den Auftraggebern ein Preisgericht eingeladen, und in diesem Preisgericht waren internationale Architekten und natürlich auch Regierungsbeamte.
Kassel: Bevor Sie, und damit meine ich natürlich Ihre Kollegen und Sie persönlich, überhaupt anfangen konnten, kreativ zu werden, welche Vorgaben gab es von libyscher Seite? Also was haben Sie gewusst, was unbedingt sein muss?
Léon: Ja, es gibt immer bei einem Wettbewerb die Vorgabe des Ortes, es gibt auch ein Programm, das feststeht, aber es gibt natürlich auch Zielsetzungen und Wünsche. Und ein besonders großer Wunsch war, eine nachhaltige Architektur zu erstellen. Aber es ging auch darum, eine neue Linie zu finden zwischen dem "New Libya", wie es heißt, und der traditionellen Architektur, also Tradition und Moderne miteinander zu vereinbaren.
Kassel: Es geht um ein sehr großes Grundstück, 120 Hektar Fläche, es geht natürlich um ein sehr großes Gebäude, das Sie nun am Ende entworfen haben. Als Laie hätte ich das Gefühl, bei einem Regierungsbau in einem Land wie Libyen auf dieser Fläche, die größte Gefahr, der man erliegen könnte, ist, dass das Ganze zu pompös wird, dass das Ganze etwas wird, was die Besucher auch erschlagen kann. War das eine Angst, die Sie auch hatten?
Léon: Ja, das Programm ist schon ziemlich groß, aber es geht ja zum Glück nicht nur um ein Haus, sondern es ging um 22 Ministerien, es geht um ein 5-Sterne-Hotel und es geht um den Palast des Ministerpräsidenten und um das Gebäude des Volkskongresses. Also das Programm war schon enorm, aber nicht in einem Haus, zum Glück.
Kassel: Wenn man sich jetzt anguckt, bei diesem Wettbewerb haben Sie gewonnen, Ihr Büro, es gibt aber vier Plätze insgesamt, eins bis vier, die einzeln ausgewiesen werden, und das sind alle europäische Architekturbüros. Ein weiteres deutsches, das von Meinhard von Gerkan, dem Hauptbahnhof-Architekten, den man kennt, dann eins aus der Schweiz und eins aus Frankreich. War das von Anfang an klar, dass dort eine relativ europäische oder sagen wir zumindest internationale Architektur gewünscht ist?
Léon: Na, das Teilnehmerfeld war nur international besetzt. Es gab keinen libyschen Architekten. Es war einer eingeladen, der hat aber abgesagt. Und es gab auch ein amerikanisches Architekturbüro, das eingeladen war, nämlich Richard Meier aus New York, ein jüdischer Architekt, der dann allerdings abgesagt hat. Und weil Herr Meier abgesagt hat, konnten wir nachrücken. Wir waren sozusagen die ersten Nachrücker.
Kassel: Die Letzten werden die Ersten sein.
Léon: Wir müssen sozusagen Richard Meier noch mal dafür danken.
Kassel: Vielleicht hört er das, ansonsten werden wir ihm das schicken. Wir reden hier im Deutschlandradio Kultur übrigens gerade mit den Gewinnern des Wettbewerbs zum Neubau des Regierungssitzes in Tripolis, der Hauptstadt von Libyen. Die Gewinner sind das Architekturbüro Léon Wohlhage Wernik, und Hilde Léon ist bei uns im Studio. Jetzt bitte ich Sie um das Unmögliche, das habe ich nämlich noch gar nicht gefragt. Wir sind im Radio, wir können keine Bilder verschicken. Wenn Sie jemandem, der auch noch keine Ahnung davon hat, was das sein soll, erklären müssen, wie sieht Ihr Entwurf denn nun aus für diese verschiedenen Gebäude?
Léon: Das Wichtigste unseres Konzeptes ist, dass es einen zentralen Platz gibt, und dieser zentrale Platz ist ein grüner Platz, fast ein Park, und es ist ein lang gestreckter, rechteckiger Raum, ist fast einen Kilometer lang und 200 Meter breit, also sehr schmal und sehr lang. Ich als Düsseldorferin kann sagen, das ist so lang wie die Königsallee. Und es ist auch immer wichtig, dass man sich vorstellt, wie lang ist etwas und wie breit ist etwas. Und so haben wir auch dann angefangen, als wir das Grundstück bekommen haben, dass wir verschiedene berühmte Regierungssitze dort erst mal integriert haben, sie überlagert haben, um zu sehen, wie groß ist das Grundstück. Und da haben wir Brasilien natürlich genommen, da haben wir aber auch Axel Schultes mit seinem Kanzleramt genommen, und wir haben New Delhi genommen, um eine Vorstellung zu bekommen, wie groß das überhaupt ist. Also es ist ein lang gezogener, rechteckiger Platz. Und dort drum herum sind die ganzen Ministerien aufgereiht. Und an der oberen Schmalseite gibt es den Volkskongress, es ist eine offene Halle, ein U-förmiges Gebäude, offen. Und in dieser offenen Halle steht ein Glaskörper, und in diesem Glaskörper ist dieser "First Congress". Es ist natürlich nicht nur Glas, sondern es gibt natürlich Sonnenschutz usw. usf. Aber man muss sich vorstellen, man geht nicht in ein Gebäude einfach nur rein, sondern man geht auf ein Plateau und kann durch dieses Plateau durchgehen auf eine Terrasse und guckt dann in einen Park hinein.
Kassel: Weil Sie das Kanzleramt erwähnt haben, Sie haben den Kö-Vergleich gemacht als Düsseldorferin – da sind Sie ja geboren, darf man erwähnen. Das Kanzleramt, so wie wir es jetzt aus Berlin kennen, wie oft würde das denn ungefähr reinpassen (…)?
Léon: Das passt mit dem Paul-Löbe-Haus exakt einmal rein. Es ist genauso lang wie diese beiden Gebäude von Ostseite Spree zur Westseite Spree, das ist ungefähr ein Kilometer.
Kassel: Als Teil dieses Gebäudeensembles ist auch eine Moschee vorgesehen. Haben Sie die auch geplant?
Léon: Ja, in diesem Falle haben wir das so gemacht, dass wir ihr einen Ort auf der anderen Schmalseite zugeordnet haben, aber wir haben die Moschee selbst nicht entwickelt. Es gab schon so viel zu entwickeln. Es ging auch im Moment noch nicht darum, die Moschee zu entwickeln, sondern es ging darum, für sie einen Ort festzulegen.
Kassel: Libyen ist ein Land, über das man eigentlich relativ wenig weiß in Europa. Man weiß aber, dass es ein nicht demokratisches Land ist, es ist eine Volksrepublik offiziell. Muammar al-Gaddafi ist jetzt seit 33 Jahren dort der Diktator. Was für einen Eindruck hatten Sie von Libyen? Also manch einer mag sich das vorstellen wie Nordkorea, andere sprechen aber auch von einem Aufbruch, der da gerade stattfindet. Damit hat vielleicht das von Ihnen nun geplante neue Regierungsviertel auch was zu tun. Was für einen Eindruck hatten Sie, als Sie in Libyen waren?
Léon: Die Atmosphäre ist sehr angenehm. Die Leute sind ausgesprochen freundlich. Man spürt einen Aufbruch. Es drehen sich an allen Ecken und Enden die Baukräne. Und es gibt schon eine Suche nach etwas Neuem. Insgesamt ist die Atmosphäre, finde ich, fast süditalienisch, mediterran. Tripolis liegt ja auch im Mittelmeer, hat eine lange Uferfront. Man spürt sehr stark in Tripolis, dass Tripolis eine italienische Kolonie war, die Bauten der 30er Jahre, der italienische Rationalismus ist an allen Ecken und Enden spürbar. Also, es hat für mich fast mehr eine süditalienische Atmosphäre als jetzt eine arabische Atmosphäre. Viele können englisch, viele können italienisch oder auch französisch. Also es macht nicht den Eindruck, als wenn es völlig rückständig wäre. Die Architektur, die neuere Architektur ist sehr dürftig. Da fehlt es in den letzten Jahren sicherlich an einigem. Das wird sich ja vielleicht dann auch ändern.
Kassel: Wie ist es eigentlich, dass zum Schluss, was die Möglichkeit moderner Architektur angeht, für Architekten wie Sie und für Büros wie das Ihre. In Deutschland gibt es ja doch bei vielen Großprojekten so einen Trend, der ein bisschen in die Vergangenheit führt. Wenn ich jetzt an den Schlossplatz in Berlin-Mitte denke, diese Idee, die Fassade groß wiederaufzubauen, des alten Stadtschlosses, dann ein anderer Vorgang, aber auch die Rekonstruktion von etwas Altem, die Frauenkirche in Dresden, dann selbst bei Einkaufszentren, Braunschweig, ein Fall, wo man mitten in ein Schloss, streng genommen, wenn man sich das anguckt, um das Schloss herum ein Einkaufszentrum baut – es geht alles so ein bisschen zurück, alles soll hübsch sein wie früher. Wenn man moderne Architektur wagen will wie Sie, sind dann die interessanten Projekte inzwischen nur noch im Ausland?
Léon: Na, so grundsätzlich würde ich das natürlich nicht sagen, weil …
Kassel: Sie haben ja auch viel im Inland gebaut, aber zum Beispiel die indische Botschaft, das ist ja dann auch nichts rein Deutsches.
Léon: Es gibt hier eine große Diskussion, und die hat natürlich auch einen Grund. Deutschland war unglaublich zerstört, und es gibt da halt eben noch diesen Schmerz darüber. Und ich glaube, die große Kunst ist es einfach, als Architekt doch Linien zu finden, die die Tradition und die Moderne und die Zukunft der Architektur auch miteinander verbinden kann. Und das haben wir auch in Libyen versucht, das versuchen wir übrigens in jedem Projekt, zu verstehen, was der Ort ist, zu verstehen, was die Umgebung ist. Architektur ist einfach auch kein autistisches Fach, sondern es gibt immer etwas, was schon vorhanden ist. Und da muss man sich in irgendeiner Art und Weise integrieren und auch kommunikativ mit der Umgebung umgehen. Das heißt aber auch nicht, dass diese Art und Weise des Denkens heißt, dass ich genauso baue wie früher, sondern man muss daraus lernen und man muss daraus auch eine Idee entwickeln.
Kassel: Ganz praktisch, wann ist voraussichtlicher Baubeginn in Tripolis? Ich sage voraussichtlich!
Léon: Also für die Libyer am besten morgen. Sie sind kaum zu bremsen. Wir sagen immer natürlich, dass wir auch gut planen müssen, damit es auch ein gutes Projekt wird.
Kassel: Wie lange dauert denn so was, egal wann Sie anfangen, also aus Ihrer Sicht, gibt ja immer Zwischenfälle, aber theoretisch, wie viel Jahre baut man so was? Oder haben Sie gar keine Jahre?
Léon: Also auch da geht’s wieder darum, wenn Sie die Libyer fragen, sollte das vielleicht in zwei Jahren fertig sein, aber realistisch betrachtet dauern solche Großprojekte 10 bis 12, vielleicht sogar 15 Jahre.
Kassel: Herzlichen Dank. Ich danke Ihnen, dass Sie bei uns waren. Und in, sagen wir mal, 10 bis 15 Jahren sprechen wir uns wieder.
Léon: O.k., danke.