Sport-Physiotherapie

Wenn's zwickt und zwackt

Marco Reus wird beim Länderspiel Deutschland gegen Schottland am 7.9.2014 in Dortmund auf dem Spielfeld behandelt.
Bös verletzt? Marco Reus wird beim Länderspiel Deutschland gegen Schottland am 7.9.2014 in Dortmund auf dem Spielfeld behandelt. © dpa / picture alliance / Jonas Güttler
Von Elmar Krämer · 01.02.2015
Wann immer Leistungssportler im Fernsehen oder im Stadion zu bewundern sind, sieht man die medizinische Betreuung und die Physiotherapeuten auf der Ersatzbank. Ihre Arbeit entscheidet oft mit über den Erfolg.
Reportage ZDF-Fernsehen: "Ah, da trifft ihn unglücklich in der Laufbewegung, da bleibt Marco Reus liegen, Spiel läuft noch weiter, linker Knöchel. Oh ja, das wäre bitter."
Derartige Szenen kennt man, man hat sie tausendfach gesehen. Fußballspieler auf dem Platz, die foulen oder gefoult werden: Die einen treten gegen Schienbeine und grätschen in Sprunggelenke, die anderen rempeln wie beim Rugby. Meist geht es gut aus, manchmal auch nicht.
Wie bei Marco Reus im Testspiel der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Armenien, kurz vor der Weltmeisterschaft in Brasilien – das Aus für den Fußballprofi.
Eine Szene, in der auch die beste Betreuung nicht mehr helfen konnte. Reus zog sich einen Bänderriss zu und musste mehrere Monate pausieren.
Reportage ZDF-Fernsehen: "Wir haben heute Mittag darüber gesprochen. Joachim Löw hat gesagt, das Risiko ist halt immer dabei, aber man kann es nicht verhindern. Also ganz ehrlich, da läuft es mir kalt den Rücken herunter."
Doch wenn es sich "nur" um Prellungen, Zerrungen oder Verstauchungen handelt, dann kann dem Sportler oft schnell geholfen werden. Sicher: Schmerzen sind Leistungssportler gewohnt, erinnert sich Jens Nowotny. Der Ex-Fußballprofi war von 1997-2006 im Kader der deutschen Fußballnationalmannschaft. Er stand bei 48 Länderspielen auf dem Platz. Zeit seiner Karriere hatte er mit Knieproblemen zu tun:
"Wenn ich 'ne Bewegung nicht 100 Prozent machen kann, weil es eingeschränkt ist durch eine Blockade oder was, dann habe ich ein Problem, aber Schmerz ist kein Problem."
Oft kommen die Schmerzen auch erst nach dem Spiel oder dem Wettkampf. Wenn die Wirkung der Endorphine nachlässt. Diese werden bei starker Anstrengung ausgeschüttet und wirken als körpereigene Schmerzmittel.
"Schmerz kann man betäuben durch Wille oder halt auch durch Medikamente. Aber eine Blockade, wenn ich merke, das Band ist durchgerissen und ich habe keine Stabilität, dann kann ich das Knie nicht halten. Wenn ich aber nur Schmerzen habe, dann ist das nicht limitierend, da kann ich drüber hinausgehen."
Die meisten im Fernsehen dramatisch aussehenden Szenen gehen glimpflich aus. Da landet der Sportler zwar mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden, doch dann kommen der Arzt und der Sportphysiotherapeut. Der massiert kurz die verletzte Stelle, sprüht Eis oder legt einen Tape-Verband an und schon geht es weiter. Manchmal wirkt es wie Zauberei:
"Mit der Physiotherapie haben Sie ganz viele Möglichkeiten, auf viele Bereiche einzuwirken, auf Schmerz, auf Schwellung, auf Bewegungsstörungen, auf Haltungsstörungen. Mit Hilfe der physikalischen Maßnahmen Wärme, Kälte, Elektrotherapie, Kinesiotape, Massagen, Manuelle Therapie, Lymphdrainage stellen wir eine Alternative zur medikamentösen Behandlung da."
Josef Medler arbeitet seit fast 40 Jahren im Bereich der Physiotherapie. Mit seinem Team hat er lange die Leistungssportler aus aller Welt beim ISTAF Berlin und auch die Spieler von Alba Berlin betreut:
"Die Grundlagen der Physiotherapie liegen lange zurück. Schon vor mehreren tausend Jahren wurden zum Beispiel in China bestimmte Massageformen und Bäder mit sehr warmem und kaltem Wasser eingesetzt, um körperliche Beschwerden zu behandeln. Das Prinzip nutzt ebenfalls die Kneipp-Medizin. Auch dem Yoga, dem Tai Chi und dem Qi Gong wird therapeutische Bedeutung zugesprochen. Im alten Griechenland war man sich bewusst, dass die richtige Bewegung in Kombination mit guter Ernährung unter Umständen mehr bewirken kann als Medikamente."
Hippokrates von Kos, der wohl berühmteste Arzt des Altertums, schrieb:
"Nicht der Arzt heilt, sondern die Natur. Der Arzt kann nur ihr getreuer Helfer und Diener sein. Er wird von ihr, niemals aber die Natur von ihm lernen. Wer stark, gesund und jung bleiben will, sei mäßig, übe den Körper, atme reine Luft und heile sein Weh eher durch Fasten als durch Medikamente."
Physiotherapie wirkt immer von außen auf den Körper ein und soll ihn in seinem Selbstheilungsprozess unterstützen. Dabei werden vor allem natürliche Reaktionen des Körpers gezielt und richtig dosiert eingesetzt:
"Wer hat sich nicht schon mal reflexartig den Kopf gerieben, nachdem er irgendwo gegengelaufen ist oder hat bei einer Verbrennung die entsprechende Stelle gekühlt."
Bei akuten Sportverletzungen gilt nach wie vor die sogenannte PECH Regel. Das steht für Pause, Eis, Kompression, Hochlagern:
"Da ist die Akut-Versorgung mit gemeint, wobei heute die Kompression vor der Kühlung steht. Das sind die vier wesentlichen Faktoren, um sein Gelenk, dass ich gerade mal frisch verletzt habe (es geht meist um das Sprung- / Kniegelenk) hochlagere, erstversorge und dann eben mal 24 Stunden Ruhe halte."
Josef Medler führt seit zwölf Jahren zusammen mit dem ehemaligen Judoka und Nationalmannschaftskämpfer Karl Beilfuß ein ambulantes Reha-Zentrum in Berlin. Eine Einrichtung, die wie ein modernes Fitnessstudio wirkt. Behandelt werden viele Leistungssportler: Bundesliga-Handball-Spielerin Bianca Trumpf, der Speedbadminton-Weltmeister Ulrich Burkhardt, etliche Basketball- und Fußballprofis und natürlich auch Freizeitsportler.
Auf zwei Ebenen wird hier mit dem Körper gearbeitet. Im Kellergeschoss: Therapieliegen für Massagen und manuelle Therapie. Hier wird massiert und gedehnt, um Gelenke zu mobilisieren.
Ein idealer Patient ist für den Physiotherapeuten einer, der nicht nur kommt, weil es der Arzt verordnet hat, sondern der es wirklich will und der auch bereit ist, körperlich zu arbeiten:
"Es sieht in der Regel so aus, dass die Patienten mit einer Verordnung kommen und werden mit Physiotherapie behandelt, das heißt, mit Massage, manueller Therapie. Die Strukturen, die Gelenke, die Weichteile, die Faszien werden vorbehandelt. Damit ist es aber nicht getan, denn ein Großteil der Physiotherapie ist die Bewegung: Einmal die passive Bewegung, die die Therapeuten durchführen können, und die aktive Bewegung, die der Patient selbst durchführen muss, um einfach Leben und die physiologischen Vorgänge im Körper zu erhalten. Bewegung ist Leben und es hat bei uns Priorität, den Patienten von der passiven Therapie möglichst schnell in die aktive Therapie wieder einzuführen."
Der Patient muss also mitmachen. Für Leistungssportler ist das selbstverständlich. Medlers Patientin Bianca Trumpf, Bundesliga-Handballerin bei den Füchsen Berlin, weiß um den Nutzen der Behandlung und nimmt die Physiotherapie sehr ernst:
"Du fängst an, langsam zu Laufen. Kniehebeläufe, steigerst auf submaximal nach 15 Sekunden, dann fünf Sekunden voll und dann wieder auslaufen."
Die Sportlerin läuft auf einem kleinen Trampolin. Der Körper muss dabei den instabilen Untergrund ausgleichen:
"Gut. Zu mir drehen und wieder Ball..."
Diese Koordinationsübungen sind speziell auf die Bedürfnisse der 31-jährigen Handballspielerin zugeschnitten. Der Therapeut wirft der Sportlerin, die auf dem Trampolin läuft, einen Ball zu, sie fängt und wirft zurück. Die Konzentration ist auf den Ball gerichtet. Den wackeligen Untergrund gleicht die Muskulatur reflexhaft aus. In der heutigen Einheit werden Trumpfs Sprunggelenke überprüft.
"Kniebeuge, da sehe ich, auch das rechte Bein geht so ein bissl noch weg, bleibt aber unten. Das bedeutet, das Gelenk ist frei, super! Ok, noch einmal – gut! Ausfallschritt, rechten Fuß mal nach vorne und mal richtig in die Kniebeuge und hoch. Nochmal – super!"
Vor ein paar Monaten zog sich Bianca Trumpf im Spiel eine Bänderverletzung zu – die auszukurieren dauert Monate. In der Physiotherapie wurde sie langsam wieder an die Vollbelastung herangeführt:
"Die letzte Verletzung, wegen der ich hier war und auch lange in Behandlung, war das Sprunggelenk. Da habe ich mir zwei Bänder gerissen und erst hieß es, ich darf nicht mehr spielen in dieser Saison und dank euch (lacht) und einigen technischen Geräten hier ging das doch alles ganz fix und ich habe heute keine Probleme mehr."
In der Regel weiß der Körper, was für ihn gut ist, und erfahrene Athleten kennen die Signale.
"Gerade als Sportler hat man ein eigenes Körpergefühl, und bei Verletzungen ist es auch so, dass ich weiß, ob es eine schlimme Verletzung ist oder nicht."
Da aber der Kopf und der Wille eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, werden die Signale des Körpers auch gelegentlich beiseite geschoben, um weiterzumachen:
"Ja, das hatte ich letztes Jahr bei meinem Finger. Da ist ein Bandknöchern ausgerissen, weil ich mir den Finger verdreht hatte. Und da war ich aber so in Adrenalin und hab da nur ein Tape rumgemacht und gekühlt akut und bin nach fünf Minuten wieder aufs Spielfeld rauf und abends lag ich dann aber im Krankenhaus, weil ich so eine dicke Hand hatte. Beim Spiel habe ich es aber nicht gemerkt."
Werden physiotherapeutische Maßnahmen derart eingesetzt, ist das auf Dauer kontraproduktiv. Und noch viel schlimmer ist es, wenn der enorme Leistungsdruck im Spitzensport dazu führt, nötige Pausen zu unterdrücken und Beschwerden zu ignorieren.
Ex-Fußballprofi Jens Nowotny hat die Erfahrung gemacht, dass die therapeutische Versorgung in den Vereinen anders ist als in der Nationalmannschaft:
"Was du oft in den Vereinen hast, ist ja, dass Ärzte oder auch Physiotherapeuten unter dem Erfolgsdruck oder auch dem Druck des Trainers leiden. Dass sie vielleicht auch mal anders entscheiden würden, wäre nicht am Ende der Mannschaftserfolg so wichtig. In der Nationalmannschaft, die sehen dich noch als Individuum, weil es sind Nuancen. Ich sage mal, wenn ein Bastian Schweinsteiger nicht spielen kann, dann spielt Khedira. Das ist ja schon ein ähnliches Niveau."
So hat der Bundestrainer auch die Möglichkeit, bei Bedarf mal einen Leistungsträger auf der Bank zu lassen. In der Bundesliga ist das oft anders:
"Wenn jetzt zum Beispiel bei Bayern München ein Ribéry nicht spielen würde, dann würde ein anderer Spieler spielen, der halt schlechter ist. Also das ist schon eine Schwächung. Deswegen hat man beim Verein oftmals nicht so die Leute, die so stark sind in der medizinischen Abteilung, um klipp und klar zu sagen, was Sache ist. Also ich hatte das beim KSC, dass der Arzt zu mir gesagt hat, du hast einen Muskelfaserriss und dann geht er in die Trainierkabine, kommt raus und sagt, du hast eine Zerrung – so etwas kann durchaus schon mal passieren."
Medizin und die Sportphysiotherapie werden hier ad absurdum geführt. Der Körper ist ein kompliziertes Konstrukt aus Skelett, Muskel-Sehnen und Bänderketten. Und auch natürliche Anpassungsreaktionen können zu Problemen führen.
Bei Gelenkschmerzen zum Beispiel nimmt man oft eine Schonhaltung ein. Die kann zu Veränderungen an Muskeln und Bändern und zu Verspannungen und Verkürzungen führen. Im schlimmsten Fall mündet das in Fehlhaltungen und daraus resultierend neuen Schmerzen – ein Teufelskreis.
In der therapeutischen Behandlung werden diese verspannten Strukturen wieder gelockert, Sehnen und Bänder gedehnt und stimuliert. Der Teufelskreis soll durchbrochen werden.
Ein Karate-Training in Berlin-Kreuzberg. Mehrere Männer in weißen Karate-Anzügen mit schwarzen Gürteln schlagen auf Sandsäcke und Handpratzen ein. Kumite, also Kampf-Training. Mit dabei ist auch Peter Kuhly. Der Chefarzt in einem Berliner Krankenhaus trainiert seit rund 30 Jahren Karate und geht regelmäßig Joggen. Sportverletzungen kennt er als Arzt und Patient. Zuletzt hatte er mit einem Fersensporn zu kämpfen, hatte bei jedem Schritt starke Schmerzen:
"Und das war sehr hartnäckig, Joggen war anstrengend, Kampfsport war anstrengend, das tat immer weh. Das ist so eine Entzündung an der Faszie an der Fußsohle. Durch die Entzündung kommt es tatsächlich zu so einem Knochensporn mit der Zeit, das ist die Entzündungsreaktion an dieser Faszie, den kann man auch im Röntgenbild sehen."
Natürlich hätte der Arzt es mit Medikamenten versuchen können, doch er ging zu einer Physiotherapeutin:
"Die hat sich erst mal angeguckt, wo könnte das denn herkommen? Und hat dann festgestellt, dass ich einen Beckenschiefstand habe. Auslöser war eine Wadenzerrung auf der gleichen Seite. Offensichtlich habe ich dann fehlbelastet und das Ganze ist dann in einen Beckenschiefstand übergegangen."
Die Therapeutin dehnte das Becken, machte Mobilisierungsübungen und massierte die schmerzende Stelle am Fuß. Außerdem gab sie dem Mediziner den Tipp, auf der Arbeit Schuhe zu tragen, die dem Barfußlaufen nahekommen:
"Und da habe ich tatsächlich gemerkt, dass ich am Anfang Muskelkater hatte, als Kampfsportler und aktiver Jogger. Die kleinen Fußmuskeln wurden jetzt mehr beansprucht und dadurch hat der Fuß mehr Stabilität gekriegt und ich muss sagen, ohne schulmedizinische Therapie, waren die Beschwerden innerhalb weniger Monate weg."
Die Therapiemethoden verändern sich im Laufe der Zeit und mit neuen Erkenntnissen der Wissenschaft. Physiotherapeuten können sich nicht auf dem einmal Gelernten ausruhen, denn der aktuelle Stand der Forschung hat oft direkten Einfluss auf ihre Arbeit:
"Sportphysiotherapie bedeutet, dass wir auch immer neueste Erkenntnisse aus der Sportmedizin nutzen und die dann auch bei den Athleten und bei den Sportlern einsetzen, die dann letztendlich auch dem normalen Patienten zugutekommen."
Mediziner und Therapeuten sind sich über die zunehmende Bedeutung der Faszien in der Behandlung von Sportverletzungen einig.
Die Faszien wurden früher lediglich als Bindegewebe bezeichnet. Auch bei der weißen sehnigen Schicht, die man vielleicht vom Fleisch auf dem Teller kennt, handelt es sich um Faszien. Dehnbar und ziemlich reißfest ist die Struktur dieses Gewebes.
Physiotherapeuten, Osteopathen und Masseure behandeln sie seit jeher. Wenn der Laie beispielsweise von Verknotungen im Rücken spricht, dann behandeln die Therapeuten oft fasziales Bindegewebe. Auch wenn das lange Zeit nicht so genannt wurde.
Die Faszien führten ein Aschenputtel-Dasein. Ihnen wurde keine besondere Bedeutung beigemessen.
Bei Operationen wurden sie als lästiges Hüllmaterial behandelt und weggeschnitten – oft mit gravierenden Folgen für die Patienten. Heute weiß man mehr und die Erforschung der Faszien ist auch für die Physiotherapie von entscheidender Bedeutung.
"Also wenn man alleine mal überlegen, dass wir früher überwiegend von dem Bewegungsapparat Muskulatur, Sehnen, Bändern gesprochen haben, so sprechen wir heute auch von der Faszien-Therapie, die einen enormen Stellenwert in der Medizin hat. Die erforscht wird an der Uni-Ulm und jeden Tag neue Ergebnisse da auf den Tisch kommen. Und das wird natürlich sofort versucht, in die Therapie oder in die Sportphysiotherapie zu implantieren. Das heißt, dass unsere Arbeitsweise sich geändert hat, was zum Beispiel die Behandlung des Gewebes anbelangt, was Dehnung anbelangt, da haben sich Änderungen ergeben, wir dehnen heute anders, weil es einfach andere Ansätze gibt, wie die Wirkungsweise der Dehnung stattfindet und auf welche Gewebe die eigentlich stattfindet."
Nachdem man noch vor zehn, 20 Jahren größtenteils federnd dehnte, kam dann die Zeit, in der das verpönt war: Es sei zu gefährlich für die Muskulatur. Heute wird davon ausgegangen, dass häufig vor allem die Faszien gedehnt werden. Deren Funktion und Struktur wird immer besser erforscht. Die unterschiedlichen Faszien sprechen auf unterschiedliche Dehnungsformen an. Deshalb wird eine Kombination aus federndem und statischem Dehnen empfohlen.
Die Faszien sind ein Gewebe, das derzeit im Fokus der Forschung steht. Ihre Bedeutung für die Medizin, die Sportphysiotherapie und letzten Endes für die Athleten wird zunehmen – da sind sich alle Beteiligten einig.
Faszien spielen auch für die Kraftübertragung eine wichtige Rolle. Trainer und Sportlern verfolgen aufmerksam die Ergebnisse der Wissenschaft in diesem Bereich.
Führend in der Faszien-Forschung in Deutschland ist die "Faszia Research Group" der Uni-Ulm und deren Leiter Dr. Robert Schleip:
"Ja, im Sport hat man ja hauptsächlich auf die Muskeln geachtet, auch berechtigterweise. Jetzt kommt man darauf, dass das Bindegewebe auch eine wichtige Rolle spielt. Also ein Sportler hat bisher seine Muskeln trainiert oder die kardiovaskuläre Kondition, also Kreislauf, Ausdauertraining zum Beispiel und eventuell hat er auch noch seine sensomotorische Koordination trainiert. Die meisten Überlastungsschäden im Sport betreffen aber nicht die roten Muskelfasern, auch nicht das Nervensystem, sondern diese kollagenen Bindegewebe, also Bänderzerrungen zum Beispiel, was wir als Teil des Fasziennetzes anerkennen."
Forscher weltweit untersuchen seit einigen Jahren ganz gezielt die Frage, welche Rolle die Faszien im Sport spielen. Dazu werden immer wieder Tierbeobachtungen zu Rate gezogen. Schon vor 15 Jahren wurde beispielsweise untersucht, warum Kängurus ihre enormen Sprünge ausführen können und welche Bedeutung federnde Bewegungen dafür haben.
"Also das Känguru kann seine 13 Meter weiten Sprünge nicht deswegen machen, weil die roten Muskelfasern besonders kräftig zusammenziehen, sondern weil die roten Muskelfasern die Spannung vorher in die Achillessehne abgeben und die eine besonders hohe elastische Speicherkapazität hat. Also die können dann in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit passiv ihre gespeicherte Energie abgeben und das machen wir Menschen beim Hüpfen, beim Laufen, beim Werfen auch und haben dafür sogar eine Känguru-ähnliche Speicherkapazität, nicht in den Muskeln, sondern im faszialen Bindegewebe. Also diese Federung das ist etwas, was man jetzt im Sport genauer untersuchen und auch schulen kann."
Forscher vergleichen die Faszien mit einer Orange. Deren Saft ist in kleinen ovalen Kammern eingeschlossen, umhüllt von einer Haut. Etliche davon werden durch eine weitere Haut zu ein Stück der Orange. Alle Stücke sind noch einmal unter der Schale von noch einer dickeren weißen Haut ummantelt.
So ähnlich ist das im menschlichen Körper mit den Faszien auch. Es gibt verschiedene Formen dieses faszialen Bindegewebes, und jede hat ihre ganz spezifischen Strukturen und Eigenschaften. Faszien bilden Sehnen und Bänder, umgeben alle Organe und umhüllen und durchziehen die Muskulatur.
"Man hat früher gemeint, das sei so ein bloßes Verpackungsorgan, was man erst mal weggeschält hat in der Präparation, damit man etwas sehen kann und jetzt – das ist eben das Spannende, ist man darauf gekommen, das hat wesentliche Funktionen, die man früher unterschätzt hat. Zum Beispiel der Muskel überträgt seine Kraft ganz ganz anders, wenn man die Muskelhüllen mit dranlässt."
Nerven in den Faszien tragen zur Kraftübertragung bei. Und auch die Auslöser für bestimmte Schmerzen, die früher der Muskulatur zugesprochen wurden, vermutet man heute in faszialem Gewebe.
"Bei der Rückenstabilität kommt man drauf, dass die Lendenfaszie eine ganz wichtige Wirkung hat und vielleicht auch bei vielen Arten von Rückenschmerzen, dass die von der Rückenfaszie kommen können. Und da bin ich schon beim zweiten Thema: Die Faszien sind hochrangig innerviert mit Nervenendigungen. Nervenendigungen, die für Schmerz verantwortlich sein können. Wie schon der erwähnte Rückenschmerz gerade, oder aber auch für Propriozeption, also für Körper- und Bewegungswahrnehmung und das ist natürlich spannend."
Spannend und von unschätzbarem Wert. Sowohl für die Medizin, als auch die Trainingswissenschaft und die Physiotherapie.
Kommen viele Schmerzen, die man früher in der Muskulatur vermutete, eigentlich von den Faszien, dann hat das auch Auswirkungen auf Therapie- und Training.
Physiotherapeuten und Sportler setzen seit einiger Zeit sogenannte Faszienrollen ein. Handballerin Bianca Trumpf:
"Diese Power-Rollen, wo man die Faszien aufbricht, das machen wir grad ganz ganz viel. Das ist ja grad so eine Methode, die ganz toll ist und die uns auch super hilft, finde ich. Gerade, wenn die Muskeln verspannt sind, und wir dann nicht anrufen müssen und sagen: So, jetzt brauchen wir eine Massage, sondern einfach selber präventiv ein bisschen machen können und das ist super."
Faszienrollen gibt es in unterschiedlichen Farben und Formen. Sie sind meist aus hartem Schaumstoff. Man kann zum Beispiel mit dem Rücken oder den Oberschenkeln darüber rollen. Das soll unter anderem verspanntes Gewebe lockern. Dr. Robert Schleip:
"Zunächst mal haben Sie eine ganz starke Druckauswirkung in den oberen ein bis zwei Zentimeter in dem behandelten Gewebe, also das Unterhaut-Bindegewebe. Und da wird, wie in einem Schwamm, das dort befindliche Wasser erst mal rausgepresst und dann haben sie so einen Schwammerneuerungsvorgang, wo das eventuell abgestandene, oder auch mit Entzündungs-Zytokinen oder Zellabfall verschmutze, in Anführungszeichen, Wasser ersetzt wird, durch frisches, klares Wasser, was aus dem Blutplasma herauskommt. Das hat dann auch mehr so eine elastische Qualität und ist für den Stoffwechsel viel viel besser. Das wäre also ein Effekt, dieser Schwammeffekt."
So wird der Stoffwechsel angeregt, was auch eine schnellere Regeneration von überlastetem Gewebe und bei Muskelkater zur Folge haben soll.
"Und der dritte Effekt, der mich sehr überrascht hat, ist, dass ein gasförmiger Botenstoff, das Stickoxid, No, Natric-Oxide, dass das deutlich erhöht wird in den behandelten Bereichen und das will man haben. Das ist ein Weichmacher, der macht die Blutgefäße viel flexibler, viel elastischer. Das ist positiv für die Durchblutung und macht auch das Bindegewebe weniger spröde."
Auch in der Sportphysiotherapie gibt es Moden: Die Behandlung der Faszien ist eine davon, die wissenschaftlich immer fundierter untermauert wird.
Wer Schmerzen hat und schnell wieder trainieren will, der hält sich oft an dem kleinsten Strohhalm fest und manchmal werden aus kleinen Strohalmen der Forschung riesige Säulen der Therapie. So wie bei den Faszien zum Beispiel. Und gelegentlich ändern sich auch Lehrmeinungen und Tatsachenannahmen von einst werden zu Fehlern von heute oder zumindest relativiert. Die Forschung ist sich heute auf jeden Fall einig: Gelenke brauchen Bewegung:
"Das Bewusstsein ist auf jeden Fall in allen Sportarten größer geworden, weil die Aufklärung auch eine andere ist und die Betreuung besser geworden ist. Und es gibt heute auch mehr Möglichkeiten zu regenerieren – aktiv oder passiv."
Mehr zum Thema