Wenn Omas Häuschen nur noch die Hälfte wert ist

Moderation: Nana Brink · 21.11.2012
Raus aus dem Dorf, rein in die Stadt: Immer mehr Menschen ziehen in die urbanen Ballungsräume, der ländliche Bereich wird zunehmend abgehängt. Was muss getan werden, damit auch die Provinz wieder attraktiv wird? Antworten von der rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministerin Eveline Lemke.
Nana Brink: Eigener Herd ist Goldes wert, das stimmte mal vor gar nicht allzu langer Zeit. Noch für unsere Eltern galt ja die Devise: Bau dir ein Haus, und du hast im Alter vorgesorgt. Die Zahlen sprachen auch eine ganze Zeit lang für sich, denn jedes dritte Wohngebäude, das zwischen 1950 und 1978 gebaut worden ist, zumindest gilt das für das Gebiet der alten Bundesrepublik, war ein Eigenheim.

Gerade in den ländlichen Bereichen scheint sich dieser Trend nun auf den Kopf zu stellen, weil die Gesellschaft immer älter wird und immer weniger Junge nachkommen, ist Omas Häuschen oft nur noch die Hälfte wert – wenn es denn überhaupt verkauft werden kann. Denn wer will weit ab vom Schuss in der Eifel oder in Dithmarschen ein Haus kaufen, das im Zweifel auch noch eine teure Ölheizung hat?

Am Telefon begrüße ich jetzt Eveline Lemke, sie ist grüne Ministerin für Wirtschaft und Landesplanung in Rheinland-Pfalz. Einen schönen guten Morgen, Frau Lemke!

Eveline Lemke: Ja, schönen guten Morgen!

Brink: Auch bei Ihnen in Rheinland-Pfalz, gerade zum Beispiel im Hunsrück, also außerhalb der Reichweite von Ballungszentren wie Frankfurt, sieht man immer mehr leere Häuser in den Dörfern. Werden die ländlichen Bereiche abgehängt von der Entwicklung?

Lemke: Also da müssen alle mithelfen, dass das nicht passiert. Es ist ja grundsätzlich ein Megatrend, dass die Menschen heute wieder in die großen Ballungsräume ziehen wollen, aber es hängt vor allen Dingen auch damit zusammen, wo sie Arbeit finden, wo sie leben. Und deswegen ist natürlich die Frage: Wirtschaft, wie sieht das aus, eine wichtige. In der Landesregierung haben wir gesagt, das Thema Demografie ist uns so wichtig, es ist eins der Kernthemen der Zukunft, was Antwort braucht, bearbeiten wir es in all unseren Ressorts. Das heißt, alle politischen Fragestellungen stellen wir immer auch unter die Frage, wie gehen wir mit diesem Trend um, dem wir ja entgegensteuern müssen?

Brink: Dann bleiben wir mal bei Ihrem Ressort, dazu gehört ja auch die Immobilienbranche. Gerade aus dem Hunsrück wissen wir, Häuser müssen weit unter Wert verkauft werden, wenn sie denn überhaupt einen Käufer finden, der Immobilienmarkt verändert sich und damit doch eigentlich auch die soziale Struktur. Was können Sie da tun?

Lemke: Ja, ich würde es umdrehen. Ich würde sagen, die soziale Struktur verändert sich zuerst, und dann verändert sich die Frage, wie mit den Immobilien umgegangen wird. Und das hat zunächst was mit der Überalterung der Gesellschaft zu tun und mit der Tatsache, dass wir jetzt vor uns auch liegen haben eine Fachkräftemangelsituation. Rheinland-Pfalz hat ja eine Wirtschaftsstruktur, wo die Betriebe auch gut, auch im Hunsrück, verteilt sind, teilweise technologisch weit entwickelte Firmen, die wirklich gute Fachkräfte brauchen. Und für die Fachkräfte ist heute aber auch das Umfeld wichtig und die weichen Faktoren, die einen Arbeitsplatz attraktiv machen. Und da können wir helfen, da ist ein Ansatz. Wir haben einen Runden Tisch Fachkräftestrategie und gehen systematisch auch mit den Betrieben auf die Suche nach Fachkräften. Denn wenn wieder junge Leute zuziehen und dafür sorgen, dass auch diese Arbeitsplätze belegt sind, dann können wir auch diese durch die Demografie entstandenen Lücken wieder füllen.

Brink: Aber kaufen Sie dann trotzdem ein Haus weitab vom Schuss, wo Sie pendeln müssen, was für Sie keinen Sinn macht?

Lemke: Na ja, also wenn man in der Nähe eines Betriebes wohnt, der auch produzierendes Gewerbe ist, und man dort arbeitet, dann wird die Pendlerei natürlich insgesamt reduziert. Das ist auch das, was wir versuchen mit dieser Planung, die wir da machen. Und sie trägt auch im Kleinen immer schon mal Früchte, aber es ist natürlich ein großes und ein langwieriges Projekt, was da vor uns liegt.

Brink: Also wenn ich Sie richtig verstanden habe, versuchen Sie, Betriebe genau auch in diesen Regionen zu fördern?

Lemke: Es gibt ja Betriebe in diesen Regionen, und uns muss an dem Erhalt der Betriebe in diesen Regionen unbedingt gelegen sein. Stellen Sie sich vor, die würden auch noch weggehen, dann würden wir das Problem damit verstärken und nicht den Druck rausnehmen. Das heißt, wir müssen unsere Wirtschaftsstruktur auch danach anpassen, wo wir diese Hidden Champions haben. Zum Teil sind das Weltmarktführer, und wir sind da mit pro Kopf Einwohner am besten aufgestellt auf dieser Welt. Das muss man sich mal vorstellen, im Südwesten dieser Republik zählt das sozusagen zu unseren Stärken, und wir setzen jetzt einfach auch mal an bei unseren Stärken. Das heißt, der Flächenumgang ist ganz wichtig, wo sitzen diese Betriebe, wie können sie sich weiterentwickeln, und da haben wir auch einige Instrumente entwickelt, zum Beispiel den Modellprozess "Mitmachen!", den wir auch im Landkreis Birkenfeld schon durchgeführt haben.

Brink: Jetzt möchte ich noch mal ganz kurz auf die soziale Struktur auch noch mal dieser Dörfer zu sprechen kommen. Wir haben gesagt, viele Häuser sind trotzdem verlassen, und dann stellt sich ja auch die Frage, was passiert da mit einer Infrastruktur, also im Bereich Gesundheitswesen, öffentlicher Nahverkehr. Und dazu hat die Arbeitsministerin, also Ihre Kollegin im Kabinett, Malu Dreyer, die designierte neue Ministerpräsidentin, Folgendes gesagt:

Malu Dreyer: Die Dörfer werden sich verändern, sie werden es natürlicherweise tun, und die Aufgabe der Politik ist es, natürlich überall eine Art Basisversorgung wirklich sicherzustellen. Das wird nicht in jedem Dorf sein, es ist heute schon nicht in jedem Dorf, aber natürlich heißt das schon jetzt auch, wir müssen pflegerische und medizinische Versorgung auch ein Stück weiterentwickeln, sodass sie wirklich dann auch erreichbar ist für die ländlichen Regionen. Auch da gibt es keinen Hausarzt mehr in jedem Dorf, aber klar ist, eine gewisse Basisversorgung muss einfach da sein und auch erreichbar sein. Und dazu gehören zum Beispiel auch mobile Services.

Brink: Sie sind ja auch zuständig im Kabinett für Landesplanung. Welche Antwort haben Sie darauf?

Lemke: Ja, verschiedene. Wir fördern ja zum Beispiel auch Innovationen. Ein Beispiel, gerade aus diesem Gesundheitsbereich, ist eine automatische Apotheke. Das ist eine Apotheke, die keinen Service, kein Personal mehr hat, aber eine Fremdüberwachung per Video und auch eine Beratung leisten kann, aber im Prinzip ist es so wie bei einem Geldautomaten. Sie gehen an diese Apotheke heran, stecken dort Ihr Rezept hinein, können auch abrechnen und bezahlen mit einer Geldkarte, und aus dem Speicher dieser Apotheke wird Ihnen dann das richtige Medikament auch ausgeworfen.

Das ist natürlich technologisch schon recht anspruchsvoll, wenn man bedenkt, dass es auf der anderen Seite auch eines Menschen bedarf, der wieder Beratung macht, damit wir all das tun, was in einer richtigen Apotheke auch passiert. Und da helfen wir mit, um solche Projekte zu entwickeln und dann die automatische Apotheke tatsächlich auch in die Dörfer zu bringen. Das sind solche Beispiele, mit denen wir zeigen können, auch dies ist Teil einer Versorgung, die wir brauchen, und die helfen wir entwickeln.

Brink: Sie denken nach über Innovationen, dann sind solche Forderungen, die von vielen Raumplanern auch kommen, gerade auch in Ihrem Bereich, nämlich dass Teile von Dörfern abgerissen werden sollen, keine Idee?

Lemke: Doch, selbstverständlich. Wir haben auch dafür ein Instrument. Dieses Instrument heißt Raum plus. Also ich will vielleicht einen kleinen Bogen machen. Wenn man sich überlegt, wie haben sich Gewerbegebiete, Industriegebiete und Flächenverbrauch entwickelt in den letzten Jahren – denn das kann jeder beobachten –, kann man sehen, dass an jeder Autobahn und vor jedem Ort immer neue Flächen ausgewiesen worden sind und man dort gebaut hat. So, und jetzt haben wir aber innerörtlich teilweise gerade das Gegenteil, da sind die Leute weggegangen und dann auf die neue Wiese.

Jetzt wollen wir natürlich diesen Trend umkehren, wir wollen, dass die Leute innerörtlich sich wieder ansiedeln, die Betriebe innerörtlich auch für Leben sorgen, das heißt aber, Flächen, die übrig sind, müssen dann auch mal entsiegelt werden. Und dafür beobachten wir das Ganze mit einem Programm, verwalten das auch, und können für die, die sich nun neu orientieren, eine Hilfe bieten ...

Brink: Also ist auch der potenzielle Abriss dann kein Tabu mehr?

Lemke: Ja, Flächenentsiegelung ...

Brink: An dieser Stelle, Frau Lemke ...

Lemke: ... da muss man ran.

Brink: Da muss man ran, und an dieser Stelle machen wir einen Punkt. Herzlichen Dank! Eveline Lemke war das, sie ist Ministerin für Wirtschaft und Landesplanung. Schönen Dank, Frau Lemke, für das Gespräch!

Lemke: Danke auch! Tschüss!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.