Wenn Monster wirklich Feuer spucken

Von Mirko Heinemann · 23.08.2012
Der Leipziger Künstler Toni Reintelseder baut riesige Ratten, Drachen oder Schildkröten aus Stahl und setzt diese Metallmonster mit Dampfmaschinen in Bewegung.
Eine niedrige Baracke im Leipziger Stadtteil Gohlis. Eine Tür mit einem Schild, auf dem steht: "Alles-Manufaktur." Darin ein kleiner Raum mit Bohrmaschinen, Drehbänken, Schraubzwingen. Vor einer Werkbank sitzt Toni Reintelseder, 33 Jahre alt, in Arbeitshosen und Muskelshirt. Seine langen Haare hat er mit einem Stirnband nach hinten gebunden, sein Kinnbärtchen endet in einem kunstvoll verzwirbelten Zopf. Er beugt sich über eine Maschine aus Messing mit vielen Leitungen, die an eine italienische Espressomaschine erinnert.

Toni Reintelseder "Nu, es besteht im wesentlichen aus Zylinder, da läuft der Kolben drin, und der Steuerschieber. Je nach Kurbelwellenstellung wird dieser Steuerschieber inne bestimmte Position gesetzt, wo die Maschine ihren Dampf erhält."

Es ist eine Dampfmaschine, von Toni Reintelseder selbst gebaut.

Wir gehen ins Nebenzimmer. Eine trübe Glühbirne taucht den Raum in ein gespenstisches Licht. Am Eingang steht ein Skelett aus Stahlblech, im Halbschatten dahinter sind schemenhaft Objekte mit aufgesperrtem Kiefer und scharfen Krallen zu sehen. In der Ecke liegt ein Reptil mit Flügeln und langem, schuppigem Schwanz. Aus dem Regal lugt eine staubsaugergroße Ratte hervor.

"'Ne Dampfratte. Die kann ich mal runterholen. Die ist etwas verrußt …"

Auf dem Rücken trägt die Ratte einen überdimensionierten Schornstein.

"Die geht auch mit Holzfeuerung. Und die läuft. Die kann ich auch einstellen, je nachdem ob sie geradeaus läuft oder im Kreis."

Der gelernte Anlagenbauer lebt allein. Seine Leidenschaft für alte Technik begann mit einem Motorrad mit Beiwagen, ein Oldtimer, den er selbst repariert. Das Hobby wurde zum Beruf: Seinen Lebensunterhalt bestreitet Toni Reintelseder mit der Anfertigung von speziellen Metallteilen, etwa für Hersteller von Fahrstühlen. In seiner Freizeit arbeitet er an seinen Kunstobjekten oder beschäftigt sich mit der Kultur der Wikinger.

Daher stammt auch sein Hang zu Drachen und anderen Fabeltieren. Reintelseder verkleidet die Skulpturen mit Stahlblechen, die er selbst zuschneidet, zurechtdengelt und verlötet. Die Oberfläche behandelt er mit Salzsäure. So wirken sie, als seien sie schon viele Jahre alt.

"Es soll auch nicht nachvollziehbar sein, wann eine Maschine entstanden ist. Mich frug auch letztens jemand, ob die Ratte 100 Jahre alt ist. Da hat wirklich jemand gedacht, die Ratte ist von 1899 oder sonstwann. Das ist auch der Reiz dabei, etwas so zu gestalten."

Steam Punk, zu deutsch Dampf-Punk, so nennt sich dieser Stil. Steam Punks lieben das Design des frühindustriellen Zeitalters. Rustikale Technik, wie sie Jules Verne in seinem Buch "20.000 Meilen unter dem Meer" beschrieb. Toni Reintelseder zählt sich zwar selbst nicht zu der Bewegung der Steam Punks – aber die Begeisterung für alte Maschinen teilt er mit ihnen.

"Das ist die Technik an sich, was mich fasziniert hat. Halt der Kolben in der Kurbelwelle, und dann alles über Dampfantrieb, Hitze, und dann Wasser - das hat was Uriges. Das hat was von einem Organismus."

Vorsichtig zieht Toni Reintelseder eines der Objekte aus dem Wandregal. Es ist ein elegant geformter Drachen mit langem Schwanz, scharfen Krallen und filigranen Flügeln, knapp zwei Meter lang. Er füllt Spiritus in einen Öffnung und zündet den Brenner mit dem Feuerzeug. Nach wenigen Minuten erwacht das Tier zum Leben. Es beginnt aus dem Maul zu dampfen und mit den Flügeln zu schlagen.

"Deswegen gestalte ich vieler meiner Maschinen als Tiere oder Drachen. Man füllt Wasser auf, Feuerchen rein, und es bewegt sich was, es lebt".

Reintelseders Maschinen arbeiten mit einem Dampfdruck von bis zu drei Bar, ein Druck, wie er in Autoreifen herrscht. Explodieren können seine Aggregate nicht, glaubt er. Doch wer eines seiner Kunstwerke erwerben will, muss sich zuvor einer Einweisung unterziehen.

Nach einigen kleineren Ausstellungen wird Toni Reintelseder im kommenden Herbst beim internationalen Forum für angewandte Kunst im Leipziger Grassimuseum ausstellen - erstmals vor ganz großem Publikum. Ein bisschen nervös ist er schon. Aber er weiß um seine Einzigartigkeit.

"Das macht ja auch niemand, was ich baue. Ich will, dass die Leute das sehen. Ich will es der Öffentlichkeit präsentieren."


Info:
Am 25. und 26. August wird Toni Reintelseder seine Dampf-Skulpturen auf dem ersten Steampunkfestival "Aethercircus"ausstellen. Ausstellungsort ist das Rathaus von Stade bei Hamburg.