"Wenn man deutsch denkt und türkische Texte schreibt, klingt das natürlich anders"

Ünal Yüksel im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 24.10.2011
Alles, was in der Türkei funktioniert, verkauft sich auch bei den in Deutschland lebenden Türken, sagt der Berliner Musikproduzent Ünal Yüksel. Umgekehrt steht manchmal die andere Aussprache dem Export im Weg - doch deutschtürkischer Pop ist eine Erfolgsgeschichte.
Liane von Billerbeck: Seit 50 Jahren gibt es türkische Einwanderung nach Deutschland. Am 31. Oktober 1961 kam der erste sogenannte Gastarbeiter hierher. Wir lassen uns in dieser Woche erzählen, welche Wege ihre Kinder und Enkel gegangen sind. Mein heutiger Gesprächspartner, der ist sozusagen doppelt integriert. Der türkische Musikproduzent Ünal Yüksel wurde in Berlin geboren, von seinen Eltern, die glaubten, bald wieder zurückzukehren in die Türkei, mit sechs Jahren in ein Istanbuler Internat geschickt. Dort blieb er, bis er 13 war, dann holten ihn die Eltern zurück nach Deutschland, nach Berlin. Deutschland, Türkei und wieder zurück – Ünal Yüksel, herzlich willkommen!

Ünal Yüksel: Danke schön!

von Billerbeck: Sie sind Musikproduzent in Berlin, haben ein Label, Plak Ton, und haben unter anderem Muhabbet entdeckt, und man könnte auch sagen groß gemacht. Was prägt denn die türkische Musikszene in Berlin?

Yüksel: Es gibt mehrere Facetten, es gibt zum Beispiel eine türkische Musikszene, wir sagen so Hochzeitsmusiker, die sozusagen in der Woche arbeiten und am Wochenende in diesen Hochzeitssälen Musik machen. Dann gibt es eine Reihe von Clubs und DJs, die auch deutsch-türkische Musik machen, auch natürlich international, und dann gibt es natürlich Musiker, ganz viele, die im Klassik-Bereich oder Jazz-Bereich Musik machen, auch professionell. So, das ist der bunte Mix sozusagen, was der deutsch-türkische Musikmarkt hier in Berlin betrifft, würde ich sagen.

von Billerbeck: Eigentlich denkt man ja immer so an Rap und Hip-Hop bei türkischer Musik.

Yüksel: Ja, das ist leider so! Wenn man sagt Türke – also meistens wird das damit natürlich assoziiert –, dass man sagt: Türke, wenn der hier in Deutschland Musik macht, dann ist es gleich Hip-Hop. Ist es aber nicht.

von Billerbeck: Sie bringen ja auch türkische Musik auf den deutschen Markt. Wer ist das eigentlich, wer hier erfolgreich ist, und wie hört sich diese Musik an?

Yüksel: Also es gibt den Parallelmarkt, Musikmarkt, die im Grunde genommen aus der Türkei getriggert wird, und alles, was in der Türkei funktioniert, funktioniert im kleinen Mikrokosmos hier auch in Deutschland. Das heißt, wenn ein Produkt in der Türkei, ich sage mal jetzt, 100.000 Tonträger verkauft, dann verkauft er hier noch mal 20 bis 25 Prozent. Und die Medien werden natürlich auch aus der Türkei genutzt. Das heißt, die ganzen Schüsseln, die sind ja nicht nach Astra gerichtet, sondern eher nach Türksat, und da bekommt man eine ganze Menge auch in den Haushalt mit rein. Das heißt, man weiß sofort, was neu da ist. Und demnach wird natürlich auch konsumiert.

von Billerbeck: Wir wollen mal eine hören, die also dort und hier erfolgreich ist, wer ist das?

Yüksel: Sezen Aksu.

von Billerbeck: Und was ist an der so toll? Worüber singt die? Warum ist die so erfolgreich?

Yüksel: Sezen Aksu ist meiner Meinung nach die größte lebende türkische Künstlerin im Moment. Wenn man sagt, Edith Piaf für Frankreich, und dann ist es Sezen Aksu für die Türkei, eigentlich so ein bisschen kann man den Vergleich machen. Sie singt halt – sie hat Pop-Geschichte geschrieben, sie hat auch die ganzen bekannten Songs von Tarkan geschrieben, wie "Kiss, kiss" und all diese Sachen. Sie singt große türkische Chansons, aber auch türkische Tangos, bis hin zu türkischer Klassik-Musik mit Pop-Elementen. Ja, das kann man sagen, das ist halt sehr viel Sehnsucht natürlich, sehr viel Liebe, und das macht sie natürlich auf ihre eigene Art und Weise, und das ist auch das Einmalige an ihr.

von Billerbeck: Und das müssen wir jetzt hören.

Musikeinspielung Sezen Aksu

von Billerbeck: Sezen Aksu war das, und die singt am 30. Oktober hier auch im Berliner Tempodrom. Da holen Sie die her. Gibt es eigentlich auch so eine Art Rückkopplung, also Einflüsse der deutsch-türkischen Musik auf den türkischen Markt? Also das, was Deutschtürken hier produzieren, ist das auch erfolgreich in der Türkei?

Yüksel: Ja, sehr sogar. Also es gibt jetzt den erfolgreichsten türkischen Popmusiker im Grunde genommen, das ist ein Deutschtürke. Das ist ein junger Mann aus Köln, soweit ich weiß, und in den letzten 20 Jahren ist sehr viel deutsch-türkische Musik in die Türkei exportiert worden von hier aus. Von vielen weiß man das nicht, aber viele weiß man auch, und so auch einen der Berühmten. Natürlich auch Tarkan ist ja auch eigentlich hier groß geworden und in der Türkei dann hat er seinen Erfolg, sage ich mal, gestartet, und so wie zum Beispiel, auch einer der erfolgreichsten deutsch-türkischen Musiker, die in der Türkei funktionieren. Oder Cartel damals, die erste größte türkische Hip-Hop-Gruppe, kann man schon sagen. Und ich muss sagen, dass die Deutschtürken den türkischen Musikmarkt sehr geprägt haben, auch vom Sound her. Man ist natürlich anders beeinflusst hier, und alles, was man hier produziert, hört sich ein bisschen anders an. Der einzige Nachteil natürlich in der Türkei ist die Aussprache …

von Billerbeck: Die Deutschtürken sprechen ein bisschen anderes türkisch.

Yüksel: Erstens das, und zweitens ist es eine andere Phonetik natürlich. Es ist sehr sympathisch, wenn man es nicht versteckt, und wenn man mit sich selber so ein bisschen über sich selber ein bisschen lachen kann, dann ist das natürlich sympathisch. Aber wenn man so versteift sozusagen versucht, wie ein klassischer Türke türkisch zu sprechen, das kommt sehr unsympathisch, und das funktioniert meistens nicht. Und die Texte sind meistens natürlich auch so, wenn man deutsch denkt und türkische Texte schreibt, klingt das natürlich auch anders, als wenn man in der Türkei lebt und in der Türkei so als Türke beeinflusst wird. Man hört andere Musik, man ist anders beeinflusst durch die Medien, und dann kommen andere Texte, wie halt – wenn man ein Jugendlicher ist, erzählt man halt über Probleme hier in Deutschland vielleicht, wahrscheinlich.

von Billerbeck: Sie sind ja in Berlin geboren, wurden dann aber – ich habe es schon mal gesagt – mit sechs nach Istanbul geschickt, dort eingeschult, sind dann mit 13 wieder zurückgeholt worden. Also, einmal Deutsch als Erstsprache, dann in die Türkei, Türkisch gelernt, wieder zurück nach Deutschland. Wie war das eigentlich? Wie hat Sie das geprägt, dieses Hin und Her?

Yüksel: Also das ist ja eigentlich meine Geschichte, kann man so mal nehmen für die ganze zweite Generation Türken, die hier in Deutschland leben. Wir zweite Generation Türken sind … man nennt uns ja auch die Kofferkinder. So, aber im Gepäck sozusagen hin und zurück. Nie weiß man, bleibt man jetzt hier oder will man doch zurück. Das heißt, dann wird hier Schule abgebrochen, dann fängt man drüben an, ist ja kein Problem, dann nach ein paar Jahren kehrt man wieder zurück. Und so sind wir halt aufgewachsen, kann man schon sagen. Und bei mir ist es so, ich habe die deutsche Sprache zweimal lernen müssen und die türkische Sprache zweimal lernen müssen. Und das bringt Nachteile natürlich, aber auch Vorteile, also für mich. Dadurch, dass ich halt in der Türkei auch zur Schule ging, ist mein Türkisch auch sehr gut, und das kann ich jetzt in meinem Berufsleben sozusagen als Vorteil nutzen in der Türkei, kann man sagen. Aber Nachteil ist natürlich, dass ich dadurch sehr viel Zeit verloren habe, auch in der Schule, und weil ich immer das doppelt lernen musste alles.

von Billerbeck: Wollen wir natürlich noch einen Titel hören von einem jungen Sänger, den Sie mitgebracht haben, Sefo heißt er. Was ist das für ein Lied?

Yüksel: Das heißt "Allein", das ist in einer Kompilation erschienen, "Nazis aus dem Takt bringen", und das ist eigentlich ein Song aus einer Perspektive eines Rechtsradikalen sozusagen, wie man ihn als Türke wahrnimmt, oder so mal die Perspektiven umgedreht.

von Billerbeck: Sefo mit dem Titel "Allein"

Musikeinspielung Sefo

von Billerbeck: Sefo war das mit dem Titel "Allein". Bei uns zu Gast ist der Musikproduzent Ünal Yüksel. Sein Leben und seine Musik unser Thema in der Woche vor dem 50. Jahrestag der ersten türkischen Einwanderung nach Deutschland. Herr Yüksel, Sie engagieren sich ja auch in Schulen, gehen als cooler Hund, der Sie ja sind als Musikproduzent, in Berliner Problemschulen. Warum machen Sie das?

Yüksel: Warum mache ich das? Ich saß selber mal in diesen Schulen und hatte natürlich auch Erlebnisse. Eines Tages kam ein ehemaliger Schüler, ich war in einer V-Klasse, das heißt eine Vorbereitungsklasse – also eigentlich unterste Kanone, da, wo man eigentlich nur Deutsch lernt –, und kam dann ein ehemaliger Schüler in die Klasse, und der war Architekt geworden und meinte, dass der auch genau in dieser Klasse saß früher. Und da dachte ich mir: Okay, wenn du das gepackt hast, muss ich das eigentlich auch packen. Das war für mich eigentlich ein Schlüsselerlebnis. Und ja, und genau deswegen gehe ich auch in diese Schulen, die auch keine Perspektive haben, die irgendwie nach der Schule dann im Internetcafé hängen, die eigentlich schon aufgegeben haben nach dem Motto: Aus mir wird ja sowieso nichts. Und ich versuche denen zu erklären, dass aus denen gewiss was werden kann, wenn die sich ein bisschen Mühe geben. So, und mehr mache ich eigentlich nicht.

von Billerbeck: Und wenn da so ein Musikproduzent kommt, ist es natürlich beeindruckend für Kinder. Was fragen die Sie dann?

Yüksel: Ja, natürlich fragen die ganz viel aus der Hip-Hop-Welt, also weil viele auch Hip-Hop hören oder Pop-Musik und so. Und für die ist es natürlich ganz cool, wenn ich mit diesen ganzen Leuten zusammenhänge und aus deren Welt so ein bisschen erzähle, und dass diese auch natürlich vernünftig gelernt haben und dass die auch einen Beruf haben und eigentlich, und dass die sich auch ganz schön viel Mühe geben müssen, wenn sie was schaffen wollen.

Wenn ich denen das erzähle, dass zum Beispiel ein Hip-Hopper, der so ganz hart klingt und eigentlich auch ganz harte Texte schreibt, der eigentlich auch Abi gemacht hat, der halt auch irgendwie gerade mit studiert, und dann kriegen die schon große Augen. Das ist, was die eigentlich nicht kennen. Die kennen das eigentlich nur von "Bravo" und von MTV und Viva, und wenn ich denen aus dem Privatleben erzähle, wie diese Leute eigentlich drauf sind, dann ist das für die schon ganz interessant.

von Billerbeck: Erzählen Sie dann auch so Geschichten, wie es bei Ihnen konkret gewesen ist, wie Sie eigentlich auf den Weg gekommen sind, dass sie jetzt also ein Label haben und Musikproduzent sind?

Yüksel: Ja, also, ich erzähle ihnen natürlich, dass sie in erster Linie das machen sollen, was sie machen möchten, was sie lieben, und dass sie ihren Beruf machen sollten, wo sie auch Talent haben – ist natürlich auch ganz, ganz wichtig –, und dass ich von vornherein wusste, dass ich immer Musik machen werde und mein Geld mit Musik verdienen werde, und dass ich das irgendwann mal auch studiert habe und gelernt habe, mir eine Firma aufgemacht habe und so weiter und so fort. Dass es nicht einfach so mir in den Weg gelegt worden ist, sondern dass ich auch dafür kämpfen musste – und dass die auch im Leben kämpfen müssen, aber dass es sich lohnt, für eine Sache zu kämpfen, die man liebt, das erzähle ich denen.

von Billerbeck: Den, den wir jetzt hören, Tarik, auch ein Musiker – ist das auch eine Erfolgsgeschichte?

Yüksel: Ja, definitiv. Tarik ist ein blinder Deutschtürke, der hier im Ruhrgebiet lebt, und diese CD haben wir in der Türkei veröffentlicht, aber auch hier in Deutschland. Das ist auch ein Beispiel dafür, dass – egal ob man blind ist, oder taub ist, was auch immer – wenn man sich Mühe gibt, dann kann man es schaffen, dieser Titel heißt Inshallah, auf Deutsch "So Gott will". Tarik, ein Deutschtürke, der hier im Ruhrgebiet lebt.

Musikeinspielung Tarik

von Billerbeck: Tarik war das mit dem Titel "Inshallah", auf Deutsch also "So Gott will". Ausgewählt von Ünal Yüksel. Der türkisch-deutsche Musikproduzent war bei uns zu Gast in der Woche vor dem 50. Jahrestag der ersten Türkischen Einwanderung.