Wenn Hunde gähnen

04.08.2009
Der Schweizer Wissenschaftsjournalist Reto U. Schneider zeigt ungewöhnliche Wege, die Forscher in ihrer Arbeit gehen. So erhängte sich ein rumänischer Arzt gleich zwölfmal, um zu erfahren, wodurch der Tod am Strick herbeigeführt wird.
Um zu verstehen, wie die Welt funktioniert, was Menschen antreibt, wie Krankheiten geheilt werden können, machen Wissenschaftler - bis heute - die ungewöhnlichsten Experimente. Manche dieser Experimente sind in die Wissenschaftsgeschichte eingegangen, andere sind in den Schubfächern der Forscher wieder verschwunden, haben sich als Sackgassen erwiesen oder waren schlicht falsch.

"Sie sind die Seele der Wissenschaft", schreibt Reto U. Schneider, Redaktor beim "Neue Zürcher Zeitung-Folio", über die Versuche im Vorwort zu "Das neue Buch der verrückten Experimente" - und ihnen gehört das Herz des Schweizer Journalisten. Anfangs erschienen seine Berichte über die ungewöhnlichen Experimente als Kolumnen im NZZ-Folio, das tun sie noch heute, vor vier Jahren dann wurde das erste Buch veröffentlicht. "Das Buch der verrückten Experimente" wurde kurzerhand zum Bestseller und sogar zum "Wissenschaftsbuch des Jahres 2005". Jetzt also der zweite Teil, "Das neue Buch der verrückten Experimente", dem, wenn man dem Autor Glauben schenken darf, noch viele weiter folgen sollen.

An die 100 Experimente werden auf den knapp 300 Seiten des zweiten Bandes beschrieben. Ihnen allen ist gemein, dass der Autor sie akribisch recherchiert hat. Er ist ihren Ursprüngen gefolgt, beschreibt die genaue Durchführung, hat mit den Forschern gesprochen, zeigt Bilder, verweist auf Videos im Internet und erklärt letztendlich die Bedeutung des jeweiligen Versuches für die Wissenschaft. Seite für Seite taucht man so tiefer ein in diese mitunter obskure Welt der Forscher, wo etwa die Größe der Pupille oder der Blutdruck beim Jawort ganze Forscherleben bestimmen.

Dass ist oft lustig, manchmal auch banal, kann aber auch traurig bis schaurig werden. Etwa wenn es um die Experimente des rumänischen Gerichtsmediziners Nicolas Minovici geht, der erforschen wollte, was beim Erhängen passiert und sich deshalb gleich zwölfmal selbst erhängte. Neben Frakturen des Kehlkopfes und Zungenbeins brachte das dem Arzt monatelange Schmerzen ein, wie auch die Erkenntnis, dass man beim Erhängen nicht erstickt, sondern der Tod vielmehr wegen der unterbrochenen Blutzufuhr des Gehirns eintritt.

Nicht weniger schaurig ist der Versuch von S.G. Laverty, der beim Versuch, Alkoholismus zu behandeln, seine Patienten in Todesangst versetze und ihnen ohne ihr Wissen ein Muskellähmendes Medikament verabreichte. Während die Versuchsteilnehmer also an Alkoholflaschen riechen mussten, setzte ihre Atmung aus. Mit zwiespältigen Ergebnissen übrigens: Viele wollten den Schock erst einmal mit einem Whisky runterspülen, andere bekamen später immer noch Atemnot, wenn sie nur Alkoholhaltige Mittel riechen mussten. Der sogenannten Aversionstherapie tat das keinen Abbruch. Bis heute werden Alkoholiker mit einem Mittel behandelt, das bewirkt, dass ihnen von Alkohol sofort heftig übel wird.

Wie auch schon im ersten Buch geht Reto U. Schneider chronologisch vor und schreibt somit selbst sehr gekonnt und leicht verständlich ein Stück Wissenschaftsgeschichte. Das älteste im Buch beschriebene Experiment fand 1654 statt: Der Magdeburger Bürgermeister Otto von Guericke zeigte, dass selbst 20 Pferde zwei Halbkugeln nicht auseinanderreißen konnten, weil sie von Vakuum und Luftdruck zusammengehalten wurden. Das jüngste vorgestellte Experiment stammt aus dem Jahr 2008 und beweist, dass Hunde sich in über 70 Prozent der untersuchten Fälle vom Gähnen eines Menschen anstecken lassen. Das ist mehr als bei Menschen untereinander, die bringen es gerade mal auf 50 Prozent.

Besprochen von Kim Kindermann

Reto U. Schneider: Das neue Buch der verrückten Experimente
C. Bertelsmann, München 2009
304 Seiten, 19,95 Euro