"Wenn dieses Bild der Freude gilt, dann hat es seinen Zweck erfüllt"

Von Ellen Häring de Vázquez · 18.03.2009
Kaum angekommen, springt es mich auch schon förmlich an: Ein witziges Strichmännchen mit schwarzem Gesicht und roten Lippen, es kommt im Stechschritt auf mich zu - die Schultern hochgezogen mit grimmigem Blick, auf dem Kopf ein lächerlicher, hellblau gemusterter Helm. "Meine Bilder werden immer wilder" - Bilder von John Elsas, steht auf dem Plakat an der Litfasssäule.
Nie gehört, diesen Namen. Den Mann will ich kennenlernen. Nun sind Bilder zwar nicht unbedingt das, was sich für eine Radioreportage anbietet. Aber zwischen zwei Terminen im Rathaus und beim Solarbeauftragten war Zeit genug, um in Fürth ins jüdische Museum zu entwischen.

Alte Gemäuer voller bedrückender Erinnerungen. Hier lachen aus schlichten Holzrahmen lustige Figuren, zusammengeklebte Collagen aus Kartonresten, Buntpapier und gestreiftem Einwickelpapier, keine größer als eine Kinderhand.

Hier und da ein Pinselstrich (da fehlt eine Haarlocke!) und am Ende ein Knittelvers: "Er ging auf Abenteuer aus und nüchtern eilt er jetzt nach Haus", so kommentiert John Elsas das Plakatmotiv zur Ausstellung.
Phantasiefiguren mit spitzen Köpfen und getupften Röcken wechseln sich ab mit Streichholzfiguren in geblümten Kleidchen und einem skizzenhaft angedeuteten Schulranzen:
"Wenn ich aus der Schule geh, tut mir wirklich gar nichts weh. Geh ich in die Schul' hinein, fühl ich Schmerz an einem Bein."

John Elsas lebte in Frankfurt am Main und arbeitete dort als Börsenmakler. Er kam aus einer angesehenen jüdischen Familie und starb 1935 eines natürlichen Todes, bevor ihn die Nazis umbringen konnten. Damals war er 84 Jahre alt. Er begann erst mit Ende 60 zu zeichnen, kleben und schnippeln, die ersten Bilder und Verse waren Geschenke für seine Enkel. Der inzwischen schwerkranke Mann fand Gefallen daran und schöpfte Kraft und Optimismus aus seinem kreativen Schaffen. Er sammelte Papierreste, Verpackungen, Stoffreste, sicher türmte sich das ganze Sammelsurium in seinem Krankenzimmer. Vielleicht bat er auch seine Enkel, auf der Straße alles aufzulesen, was ihnen begegnete, denn er selbst konnte das Haus nicht mehr verlassen. Mit was mag er wohl geklebt haben, als es noch kein Fixogum gab?

Phantasie, Witz und kritischen Verstand zeigen die Bilder: Ein großer, schwarzer Kopf klebt auf einem kurzen, schwarz-gelb gepunkteten Körper. Ein spitzer Finger zeigt nach vorne auf einen ebenfalls schwarz-gelb gepunkteten Hund, der dämlich glotzt. "Das gefährlichste Tier auf dem Erdenrund, ist ein auf den Mann dressierter Hund."

Auch seinen eigenen Berufsstand nimmt er auf die Schippe: Ein eleganter Herr mit Koteletten und rotem Zylinder, blickt – die Arme in die Hüften gestemmt – mit zusammengekniffenen Augen auf imaginäre andere herab. "An der Börse muss man gleich verlieren, nur hierdurch ist man zu kurieren."

Rund 25.000 Bilder schuf John Elsas bis zu seinem Tod, darunter eine Vielzahl politischer Collagen. Er wehrte sich künstlerisch gegen die Nazis, zeigte sinnlos hinter einer Fahne marschierende, gleichförmige Figuren und dichtete: "Ich sag' in der Hanswurstenwelt, eine Fahne gut gefällt." Gleich nach seinem Tod verpackte die Tochter in weiser Voraussicht alle Bilder in Versandkisten und brachte sie in ein bis heute unbekanntes Versteck. Tochter Irma überlebte den Holocaust nicht, und so wusste niemand von dem Nachlass, bis die Kisten 1999 zufällig auftauchten.

Was für ein Geschenk, diese Bilder sehen zu können! Wie viel Lebensfreude, Humor, und Optimismus steckten in John Elsas, dessen ungewöhnliche Kunst um ein Haar in Holzkisten vermoderte! Welches Glück, dass jemand sie gefunden hat!
Betrunken von dieser zauberhaften Ausstellung sitze ich auf meinem Bett im Hotelzimmer und bedauere ausnahmsweise zutiefst, dass ich auf der Suche nach Geschichten für das Radio bin - und nicht für das Fernsehen.

www.juedisches-museum.org