Wenn die Rubab mit der Gitarre kommuniziert

Ustad Ghulam Hussain und Jörg Holdinghausen im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 27.06.2012
Unter den Taliban war die traditionelle Musik Afghanistans verboten, jetzt bemüht sich Ustad Ghulam Hussain mit seinem Team darum, sie wieder populär zu machen. In den kommenden Wochen tourt "Safar", ein Projekt deutsch-afghanischer Musiker der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar, durch Deutschland.
Stephan Karkowsky: Unter den Taliban war sie verboten, jetzt wird sie wieder gepflegt: die traditionelle afghanische Musik. Die Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar hat afghanische Meistermusiker eingeladen, damit sie diese Musik in Deutschland vorstellen. Hier treffen die afghanischen Meister auf deutsche Pop- und Jazzmusiker und gehen gemeinsam auf Tour gehen. Safar heißt dieses Projekt, zu Deutsch: die Reise. Wir haben das deutsch-afghanische Orchester ins Studio eingeladen, alle saßen traditionell auf dem Boden und hatten ihre exotischen Instrumente dabei. Für die deutsche Seite war als musikalischer Leiter anwesend der Sänger und Multiinstrumentalist Jörg Holdinghausen, bekannt als Bassist der Band Tele. Ihm zur Seite ein Meistermusiker aus Afghanistan, Ustad Ghulam Hussain, einer der berühmtesten Rubabspieler der Welt. Ihn habe ich gefragt, wie ihm die Zusammenarbeit mit den deutschen Musikern gefällt, und natürlich, welches Stück das Ensemble als Erstes spielen wird?

Ustad Ghulam Hussain: Also, ich bin kein staatlicher Ustad, kein staatlicher Meister, weil ich den Meistertitel von der Regierung her nicht bekommen habe. Aber ich bin ein Meister, weil ich ja auch an zwei Institutionen in Afghanistan lehre, Schüler dort habe und das Instrument weiterbringe. Und das Saiten- oder Streichinstrument, was Sie gesagt haben, ist in Iran, in Afghanistan, in Tadschikistan, wird unterschiedlich gespielt. Es sind unterschiedliche Spielweisen oder Nutzungen, Zupfen oder Streichen. Aber es ist eigentlich, es ist immer das Gleiche und es ist halt immer sehr verwandt miteinander.

Manche nennen es Rubab, manche Rebab, unterschiedliche Namen. Aber das ist das, was in diesem Kulturraum überall gespielt wird. Das Stück haben wir vor fünf Monaten vorbereitet und zugeschickt, das Stück heißt Argabon. Es ist beeindruckend zu sehen hier auch mit der Gitarre, da sind eigentlich Jazz-Spieler, wie sie innerhalb so kurzer Zeit mit uns so schön sich eingespielt haben, als würde man schon mindestens seit einem Jahr zusammen in dieser Formation auftreten. Es ist so schön, wir arbeiten Hand in Hand und wie Brüder zusammen, es ist kein Unterschied zwischen uns und es macht großen Spaß.

Karkowsky: Und das werden wir jetzt hören!

((Musik))

Karkowsky: Sie hörten Musik vom deutsch-afghanischen Orchester Safar. Es gab viel Kritik an der westlichen Invasion Afghanistans, hier konnten wir nun etwas hören, was durch die Entmachtung der Taliban tatsächlich gerettet wurde, nämlich traditionelle afghanische Musik, denn unter den Taliban war sie verboten. Der Meistermusiker Ustad Ghulam Hussain spielt sein Instrument, die Rubab, bereits seit über 40 Jahren. Herr Hussain, wer hat Ihnen das beigebracht, das Rubabspielen, wo haben Sie das gelernt?

Hussain: Erst einmal: Was die Taliban anbetrifft, es ist Politik. Ich bin Künstler und habe damit auch nichts zu tun und möchte als Künstler auch wahrgenommen werden. Als die Taliban in Afghanistan reingekommen sind, war ich gerade in Pakistan und ich wusste auch nicht, was die für eine Politik betreiben werden und dass Musik bei denen verboten sein soll oder unrein sein soll. Und ich habe dann Besuch mal wieder bekommen aus Afghanistan nach Pakistan, die mir erzählt haben, wie es den Musikern jetzt in Afghanistan geht unter den Taliban, dass sie die Instrumente an Bäumen, an Galgen aufgehängt haben, und den Musikern, wenn sie dann weiterspielen würden, die Finger abgehackt haben.

Und ich habe nicht verstanden, ob das jetzt deren Politik ist oder deren Gesinnung ist, warum sie das machen, woran es liegt, dass sie dann Musikern einfach die Finger abhacken müssen oder wollen, verstehe ich einfach nicht. Und für uns war das so, dass man dann eben nichts mehr mit Afghanistan zu tun haben kann. Aber ich war sicher, dass ich wieder zurückgehen werde.

Und seitdem die Taliban eben gestürzt sind, bin ich wieder zurück in meine Heimat, und seit auch Karsai an der Macht ist bis heute, kann ich wieder musizieren und bin seitdem auch in meiner Heimat. Es ist leider aber auch so, dass bei uns in Afghanistan die traditionelle Musik leider nicht so gepflegt wird, ist wenig. Es geht viel mehr in Richtung elektronische Musik und das bedauere ich sehr.

Und ich spiele seit 32 Jahren Rubab. Und am Anfang habe ich das bei meinem Vater gelernt, zwei Jahre lang. Als ich zwei war, habe ich angefangen mit Tabla, danach, nach Tabla, nach Trommel, habe ich angefangen, Keyboard zu spielen, aber es hat mir nicht so viel Spaß gemacht, wie Rubab, was ich Lust hatte zu lernen und eben bei meinem Vater zwei Jahre das gelernt habe, und dann zu einem Meister gekommen bin. Sechs Jahre bin ich bei ihm zur Schule gegangen, habe gelernt, habe bei ihm gearbeitet, sein Haus geputzt und gefegt und Wasser geholt und dort gelernt, trainiert und geübt.

Karkowsky: Jörg Holdinghausen, Sie waren schon oft als Musiker fürs Goethe-Institut in der Welt unterwegs. Bevor Sie uns gleich einweihen in das umfangreiche Programm des Projekts Safar in Deutschland in den nächsten Wochen, würden wir aber erst mal gern noch ein Stück hören!

((Musik))

Karkowsky: Deutschlandradio Kultur, Musik des deutsch-afghanischen Projekts Safar. An der Rubab der Meistermusiker Ustad Ghulam Hussain. Herr Hussain, wären Sie so freundlich und würden uns die Musiker und ihre Instrumente, die hier gespielt haben, vorstellen?

Hussain: Einmal Ustad Amruddin, der die Dilruba spielt und einer der wenigen Meister seines Faches in Afghanistan, das gibt es nicht mehr so oft. Dann ist noch dabei Ustad Ehsan Irfan, der Setar spielt, Ustad Amruddin, der Rubab spielt, dann ist Abdul Latif dabei, der Dhol spielt und auch Flöte.

Karkowsky: Dann kommt natürlich noch dazu der Bassist der Band, normalerweise Bassist der Band Tele, Jörg Holdinghausen, der die musikalische Leitung hat bei Safar. Herr Holdinghausen, Sie dürfen uns dann auch noch den Gitarristen vorstellen?

Holdinghausen: Also, Gitarre spielt bei uns der fantastische Gitarrist Arne Jansen, und dann stelle ich vielleicht auch gleich den Schlagzeuger vor, der heute leider nicht dabei sein kann, das ist der Jan Burkamp.

Karkowsky: Wie ist dieses Projekt entstanden?

Holdinghausen: Dieses Projekt ist entstanden auf Initiative eines guten Freundes von mir, das ist der Philip Küppers, der für die Hochschule für Musik in Weimar arbeitet. Und der hat das ganze Projekt ins Leben gerufen und hat das alles organisiert, der ist vor circa einem halben Jahr mal zu mir gekommen und hat gemeint, du, Jörg, ich habe da eine ganz verrückte Idee und ich habe keine Ahnung, alle halten mich für verrückt, weil niemand glaubt, dass dieses Projekt durchsetzbar ist. Und ich habe mich total gefreut und war begeistert von dieser Idee und habe gesagt, also, wenn es klappt, dann bin ich sofort dabei, Philip! Und er hat es wirklich gerissen und das finden wir alle ganz toll.

Karkowsky: Sie waren ja schon oft für das Goethe-Institut im Ausland mit Ihrer Band Tele. Waren Sie auch schon einmal in Afghanistan?

Holdinghausen: Nein, in Afghanistan sind wir leider noch nicht gewesen. Wir sind in die Nähe gekommen, wir waren in Usbekistan, genau, da haben wir gespielt und haben uns da auch sehr wohlgefühlt, aber nach Afghanistan wurden wir noch nicht eingeladen.

Karkowsky: Und wir haben das schon gehört: Sie haben von den afghanischen Musikern Stücke zugeschickt bekommen, richtig, und hatten die Gelegenheit, hier zu Hause schon einmal zu gucken, was machen wir damit?

Holdinghausen: Genau, genau. Also, wir hatten drei Stücke. Der Philip ist im Vorfeld schon runtergeflogen und war so schlau, eine Kamera mitzunehmen, und hat uns zwei Lieder aufgenommen. Die haben wir dann auf eine DVD gekriegt und haben die mit nach Hause genommen, und dann haben wir uns was dazu überlegt.

Karkowsky: Ich habe so beim Reinhören gedacht, das klingt wie ein Frage-und-Antwort-Spiel, diese Art von Musik. Liege ich da ganz falsch?

Holdinghausen: Nein, überhaupt. Also so, das ist gerade bei der Einladung ist es so, dass die Rubab ja mit der Gitarre kommuniziert und eine Frage stellt und die Antwort von der Gitarre bekommt.

Karkowsky: Was mussten Sie denn überhaupt lernen über diese Musik, über die Tonalität, wie Sie ihre westlichen Instrumente stimmen, wie Sie überhaupt schaffen, diese Tonfolgen zu spielen, die ja doch ganz anders sind als im westlichen Pop oder Jazz?

Holdinghausen: Die Tonfolgen sind gar nicht so anders, wie man das auf Anhieb denkt. Und es ist auch so, also, es stellt sich schnell die Frage so, was ist denn der Unterschied von dieser Musik und dieser Musik, und das ist auch eine berechtigte Frage. Aber mir ist und uns ist eigentlich sehr schnell aufgefallen, dass die Gemeinsamkeiten viel größer sind. Und das Erstaunliche ist, dass man sich sehr schnell treffen kann in der Musik und dass man spürt, dass das doch eine Familie ist, die da Musik macht.

Und um jetzt noch mal auf die Unterschiede zu kommen: Also, so, wie wir vorangegangen sind, um das zu verstehen, es ist so ... Es ist die gleiche Sprache, aber sie hat einen anderen Satzbau. Und der Weg war, diese Melodien zu lernen Stück für Stück. Es sind zusammengesetzte Stücke und wenn man dieses Lied hört, dann ist es erst mal so, dass man erschlagen wird von der Länge dieser Melodie. Das ist sehr komplex und man kann die nicht auf Anhieb nachspielen, sondern man muss sich da so ein bisschen reinhören und in kleinere Teile unterteilen und das Stück für Stück lernen. Und das ist aber nur der erste Schritt, weil das uns jetzt noch nicht gereicht hätte, zu sagen, ja gut, wir spielen genau die gleichen Melodien wie die Afghanen, nur nicht ganz so gut. Weil das eine Musik ist, die jetzt schon Jahrhunderte Zeit hatte, sich zu entwickeln und das dann für uns nicht der Ansatz sein kann, uns einzubilden, dass wir in drei Tagen das lernen können und das mitspielen.

Karkowsky: Und umgekehrt haben die Afghanen natürlich auch den Ehrgeiz, deutsche Stücke einzuüben. Was wird das denn dann sein? Werden das traditionelle Stücke sein oder Sachen, die Sie selbst komponiert haben?

Holdinghausen: Das wird eine Komposition von Arne Jansen sein und das zweite Stück, auf das ich auch sehr gespannt bin, das wir aber noch gar nicht angefangen haben, weil, wir sind ja auch wirklich erst seit eineinhalb Tagen hier am Gange, wird das schöne Lied "Der Mond ist aufgegangen" sein.

Karkowsky: Da werden wir uns sehr drauf freuen! Das Ensemble hat eine Riesenreise vor sich, bis zum 13. Juli insgesamt sind Sie unterwegs, am 12. Juli gibt es das große Abschlusskonzert im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Aber auch bis dahin geht die Reise durch mehrere Städte in Deutschland, zum Beispiel Rudolstadt, Bonn, Weimar. Was haben Sie dort alles vor?

Holdinghausen: Also, es ist so, dass in Weimar ein klassisches afghanisches Konzert stattfinden wird, das ist am 4.7. Und da sind auch nur die afghanischen Musiker und da wird man in den Genuss kommen, die klassische afghanische Musik zu hören ...

Karkowsky: ... und zwar im Festsaal Fürstenhaus ...

Holdinghausen: ... ganz genau. Und dann ist es so, dass am 6. schon in Rudolstadt auch ein klassisches afghanisches Konzert zu hören ist, weiß ich jetzt gar nicht ...

Karkowsky: ... am Neumarkt ...

Holdinghausen: ... am Neumarkt, okay. Und dann spielen wir im Theater in Rudolstadt mit der Besetzung, mit der wir heute auch hier im Studio waren, plus die Musiker, die gefehlt haben.

Karkowsky: Es gibt eine Website, auf der man sich informieren kann, safar-musik.de. Und eine Frage habe ich dann doch noch, eine Abschlussfrage, an Ustad Ghulam Hussain: Westliche Musiker haben ja schon immer gern östliche Einflüsse aufgenommen in ihre Musik, das fing bereits mit den Beatles und ihren Indienreisen an. Wie ist das denn eigentlich umgekehrt? Sehen Sie sich als Bewahrer und Schützer von Tradition oder gibt es auch in Afghanistan für die traditionelle Musik Einflüsse von Jazz oder Pop?

Hussain: In Afghanistan wird zu wenig traditionelle Musik gespielt, auch in den öffentlichen Medien. Da wird viel mehr westliche Musik gespielt und aufgeführt. Das hat vielleicht auch seinen Grund darin, dass die Leute viel mehr fröhliche Musik hören wollen, und die traditionelle Musik ist ja etwas melancholischer und ein bisschen langsamer. Und deswegen auch dieses Hören von der Bevölkerung, dass sie einfach ganz gerne die westliche Musik hören, wo viel mehr Rhythmus und Fröhlichkeit drin ist als das Traditionelle, die sich zurücknimmt und eher melancholischer und ruhiger ist.

Also, ich setze mich schon dafür ein und mein Ziel ist es auch, die traditionelle Musik zu bewahren und zu hüten und das auch der Bevölkerung und der Jugend auch näherzubringen, zu spielen, aufmerksam zu machen und das zu verbreiten. Leider, im Fernsehen zum Beispiel, wird es eigentlich nur einmal die Woche ausgestrahlt, das ist eigentlich viel zu wenig.

Karkowsky: Dann bedanke ich mich recht herzlich, dass Sie bei uns waren im Deutschlandradio Kultur, das man in Internetcafés in Kabul übrigens prima hören kann auf dradio.de. Ich bedanke mich also bei Ustad Ghulam Hussain, einem Meistermusiker aus Afghanistan, einem der berühmtesten Rubabspieler der Welt. Danke, dass Sie da waren! Und ich sage natürlich auch herzlichen Dank an den künstlerischen Leiter dieses Projekts an Jörg Holdinghausen!

Holdinghausen: Danke schön, schön, dass wir hier sein durften!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Webseite des Projekts Safar
Die deutsch-afghanische Musikgruppe "Safar" zu Gast im Studio bei Deutschlandradio Kultur.
Die deutsch-afghanische Musikgruppe "Safar" zu Gast im Studio bei Deutschlandradio Kultur.© Safar