Wenn der Mensch Stille braucht

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 13.09.2008
Sich in ein Kloster zurückzuziehen, um vor dem Alltag zu flüchten, wird in Deutschland immer beliebter. Fromme Brüder und Schwestern bieten Ruhebedürftigen unterschiedlichste Programme: Meditation und Exerzitien, Abspeckkuren unter Aufsicht oder auch das Klosterleben pur. Ins "Wellness Kloster" oder lieber ins "Kloster zum Mitleben"? - Der Gast kann sich entscheiden.
Die Chorgebete in der mittelalterlichen Abteikirche des Zisterzienserklosters in Marienstatt sind gut besucht. Wie hier, ziehen überall in Deutschland die alten Abteien Touristen und Gläubige an und mancher möchte auch gerne länger bleiben. Klöster bieten Unterkünfte, Kurse oder Meditation an, oder einfach die Gelegenheit eine Auszeit vom Alltag zu nehmen.

Arnulf Salmen: "Zum einen sind das natürlich religiöse Motive, dass Menschen an der Spiritualität der Klöster, der Mönche und Nonnen teilhaben möchten, an deren Gebetsleben und an dem Lebensrhythmus."

Arnulf Salmen, Sprecher der Deutschen Ordensobernkonferenz:

Arnulf Salmen: "Dann sind es natürlich auch Menschen, die eben auch vorwiegend an dieser Spiritualität, an diesem Lebensrhythmus interessiert sind, allerdings dann eher um Abstand von ihrem Alltag zu gewinnen und möglicherweise in Krisensituationen ihres eigenen Lebens zu neuer Orientierung zu kommen und die Gedanken ordnen zu können."

Einer Umfrage der Deutschen Ordensobernkonferenz zufolge, ist die Beliebtheit der Klöster in den letzten Jahren gestiegen: 40 Prozent der fast 300 befragten Ordensgemeinschaften verbuchten einen Besucherzuwachs. Das starke Interesse an den deutschen Klöstern begann im Zuge eines allgemeinen neuen Interesses an Spiritualität bereits in den 1980er Jahren.

Arnulf Salmen: "Das fällt eigentlich mit der Phase zusammen, in der Ordensgemeinschaften einen starken Schrumpfungsprozess eigentlich durchmachen und damit auch in der Gesellschaft wesentlich weniger sichtbar sind. Das heißt, dieses sich öffnen für Gäste bedeutet auch eine neue Möglichkeit, den Menschen Anteil an dem eigenen Lebenskonzept, an der eigenen Spiritualität zu geben."

Schwester Josefa: "Also wir nennen es nicht Hotel, für uns ist es ein Gästehaus, es mag einen Hotelcharakter haben und hat auch einen Standard, denke ich wie ein Hotel."

Ordensschwester Josefa, Dominikanerin. Als "Wellness-Kloster" ging vor zwei Jahren das Gästehaus der Dominikanerinnen durch die Presse. Im Kloster Arenberg bei Koblenz bieten die Schwestern ein umfangreiches Kurangebot mit spiritueller Begleitung:

Schwester Josefa: "Es ist eigentlich das Anliegen unserer Ordensgemeinschaften, Menschen einen Urlaub zu ermöglichen, der ihnen hilft zur Ruhe zu kommen, aber auch viele spirituelle Angebote wahrnehmen kann und auch für den Körper was tut."

Hier geht es zahlenden Gästen mit Meditation und Selbsterfahrung um ihre Gesundheit. Die Teilnahme am Gottesdienst und Stundengebet ist freiwillig.

Schwester Josefa: "Wir bieten den Gästen Erholung für den Körper, Erholung für die Seele und auch für den Geist. Wir würden es nie selbst Wellness nennen, das hat für uns auch so ein bisschen die Presse gemacht, Wellness Hotel, oder Wellness Kloster, so sehen wir das nicht, wobei es vom Ursprung des Wellnessgedanken, der also eine ganzheitliche Erholung auch das Herz und die Seele nicht ausschließt, ich glaube, da treffen wir voll ins Schwarze."

Das Kloster Arenberg ist aber nur ein Beispiel für die unterschiedlichen Angebote deutscher Klöster. Ganz im Süden Deutschlands in Stühlingen bieten Kapuziner und Franziskanerinnen seit 25 Jahren ein "Kloster zum Mitleben" an. Keine Kurse, keine Kuren. Angeboten wird hier der gemeinsame Alltag, mehr nicht:

Bruder Markus: "Einfach dass man weiß, morgens um sieben ist das Morgengebet und das ist halt jeden Tag so und wenn mittags kurz vor 12 die Glocke läutet, bleibt die Arbeit liegen und man geht zum Beten und dann wird halt später oder am nächsten Morgen halt weitergearbeitet."

Bruder Markus, der Guardian, der Abt des Klosters Stühlingen.

Bruder Markus: "Und das ist sicherlich so mit die große positive Erfahrung, die die Menschen mitnehmen, dass man so die Regelmäßigkeit und die Struktur im Tag im Leben ein Stückchen Hilfe gibt."

Mit dem gemeinsamen ersten Gebeten, mit der Laudes, beginnt in Stühlingen der Alltag. Um sieben. Nach dem Frühstück geht es an die Arbeit:
im Garten, in der Wäscherei, im Hühner- und Schweinestall. Gemeinsame Mahlzeiten, gemeinsame Chorgebete und Gruppen- und Bibelgespräche wechseln sich ab.

Bruder Markus: "Ich glaube, das Wesentliche an Stühlingen ist kein Programm, sondern das Wesentliche ist einfach das Leben, der Alltag, wie er im Kloster gelebt wird, mit allem was dazugehört, also Beten, Arbeiten, Freizeit, Essen ebenso was das Leben im Kloster dann halt im Alltäglichen auch ausmacht."

Im Klosteralltag sitzt der Bankdirektor neben der Putzfrau und macht mit ihr die gleiche Arbeit, erzählt Bruder Markus. In den letzten 25 Jahren hat sich auch das Profil der Gäste in Stühlingen gewandelt. War es am Anfang noch eine sehr jugendliche Klientel, kommen heute Männer und Frauen aus unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen im Kloster zusammen.

Benjamin Kerst: "Ja, es war nicht so mit Masken belegt wie auf der Straße. Die Menschen waren alle offener und Leute wo ich eigentlich gesagt hätte: Das ist ein Idiot so auf der Straße hat man da einfach akzeptiert, hat sich dann plötzlich unterhalten, sonst hätte man die vielleicht gar nicht beachtet."

Benjamin Kerst aus Stuttgart, 25 Jahre alt, vier Wochen in Stühlingen, im Rückblick verblüfft über die grenzenlose Offenheit des Klosters.

Benjamin Kerst: "Schon als ich mich angemeldet habe, habe ich geschrieben, dass ich eigentlich nicht gläubig bin und ob das ein Problem gibt, weil ja im Kloster schon viermal am Tag sind Gebetszeiten, ja aber da ist sofort zurück geschrieben worden, also ich muss mich zwar drauf einlassen bei einer gläubigen Gemeinschaft mit zu leben, aber ich kann auch bei den Gebetszeiten passiv teilnehmen und es hat sich auch erwiesen – also ich hab da net so mitgemacht, ich bin halt aus Respekt mit aufgestanden, hab mich hingesetzt, aber keiner hat mich deswegen schief angeguckt oder irgendwie Bemerkungen gemacht."

Stühlingen finanziert sich ohne Mittel aus der Kirchensteuer. Überwiegend sind es Spenden der Gäste und die Zuwendungen seitens der Provinzleitung der Kapuziner. Stühlingen ist gerade für viele Nichtkatholiken eine Art "workshop” – ein Heranführen an die "katholische Version” von Christentum.

Benjamin Kerst: "Manchmal denke ich, dass ich ganz einfach Stille brauche und da ist halt von einem Ort berichtet worden, der alle Leute aufnimmt und einfach um zu sich selber zu finden und Zeit zu haben, aber auch, mich interessiert auch das Leben von den Mönchen."

Nach mindestens einer und maximal vier Wochen schließt sich die Klosterpforte wieder hinter den Gästen und die fünf Patres und die zwei Schwestern erwarten wieder neue Mitbewohner. Der Alltag in Stühlingen wird bestimmt von ständig wechselnden Gästen – etwa 10 bis 15 pro Woche - und ihren immer wiederkehrenden Fragen. Das ist eine besondere Herausforderung für die Mönche und Nonnen, die sich eigentlich für einen herkömmlichen Klosteralltag entschieden hatten. So ist diese besondere Form des "Kloster zum Mitleben” auch nur möglich, weil die franziskanische Ordensregel eine "besondere Flexibilität” beinhaltet:

Bruder Markus: "Also die Erfahrung ist sicherlich die, dass Stühlingen ein Ort ist, wo man nicht sein ganzes Leben lebt und das unterscheidet uns auch von den Mönchen in den Abteien, die halt an einem Ort ihre Stabilitas haben und wenn man so ein Kloster dann praktisch zum Mitleben machen würde, dann hätte man wirklich keinen festen Punkt mehr und ich denke, es ist bei uns schon so – Kapuziner werden immer wieder versetzt man ist auf Zeit da, vielleicht 6 Jahre, vielleicht 9 Jahre, aber dann steht auch meistens dann ein Wechsel an."

Wie Bruder Markus, der Stühlingen im Herbst verlassen wird und eine neue Aufgabe in einem anderen Kapuzinerkloster übernehmen wird. Was die Gäste mit nach Hause nehmen, ist sehr unterschiedlich. Für den einen ist Stühlingen eine wohltuende Erholung, für den anderen auch Wiederbegegnung mit dem christlichen Glauben:

Benjamin Kerst: "Glaubenstechnisch hat sich auch was getan, ich würd schon sagen, dass Gott wieder angeklopft hat und die ganzen Jahre davor hatte ich mit Gott eigentlich wenig am Hut. Wobei ich jetzt noch nicht weiß, ob das jetzt noch die Illusion ist vom Ort, denn das ist normal, ich war vier Wochen im Kloster und wenn man vier Wochen vier mal am Tag ständig betet und dabei ist, irgendwann reißt es einen mit, aber ich bin jetzt gespannt, wenn ich in vier Wochen noch das Gleiche sage, dann habe ich Gott echt gespürt."