Wenn D und F zusammenprallen

Von Burkhard Birke · 24.01.2013
Probleme bei der Steuer, bei der Jobsuche, bei der Sprache. Im deutsch-französischen Grenzgebiet reden die Alten zwar noch den gemeinsamen Dialekt, doch die Bürokratie macht den gemeinsamen Alltag der jüngeren Deutschen und Franzosen nicht immer leicht.
"Willkommen bei den Saarfranzosen"

"Die Franzosen Entre la Sarre el la Lorraine"

Wanderer kommst Du ins Saarland, dann klingt Dein Autoradio beim Zappen so.

Und selbst die deutschen Sender spielen häufig noch französische Titel!
Willkommen bei den Saarfranzosen!

"Der Saarländer will vor allem nicht als Saarfranzose wahrgenommen werden. Das ist das, was immer an ihn rangetragen wird. Es gibt sicher auch noch einen Unterschied zwischen den Leuten, die direkt an der Grenze sind, also Saartal und den Leuten, die weiter im Hinterland leben, aber im Grunde, auch in der Lebenseinstellung und in vielen anderen Dingen, ist der Saarländer sehr, sehr nah an Frankreich dran."

Rundfunkmoderator Gerd Heger – genannt Monsieur Chanson.

"Im Saarland, im moselfränkischen Gebiet, in Saarlouis, da fühl ich mich dahemm, Saarlouis is mei Stadt. Die Saarländer esse ungefähr so wie mir, denke so wie mir, sie schwätze so dumm als wo wie mir – also ich fühl mich ganz dahemm."

Pensionär Jean Louis Kiefer war Französischlehrer im lothringischen Bouzonville. Jetzt widmet der Franzose sich seiner Muttersprache, dem Moselfränkischen und das grenzüberschreitend. Wie der Deutsche Patrick Feltes kämpft er für den Erhalt des moselfränkischen Platts, neben dem Rheinfränkischen einer der beiden im Saarland, aber vor allem auch in Lothringen gesprochenen Dialekte.

"Die Saarländer sprechen vielleicht nicht sehr gut Französisch, aber es gibt eine Kompetenz, das Französische zu leben oder ein bisschen von der französischen Kultur in einen deutschen Kontext hinüberzuretten und darin sind die Saarländer Meister."

Vor allem einer: Claus Erfort. Er meistert das, was die Saarländer wohl ganz besonders an der Kultur des zweifachen Besatzer- und Nachbarlandes schätzen:

"Alle hier im Grenzbereich, ich denk das gilt auch ein Stück für Baden Württemberg mit, die haben die französische Philosophie übernommen. Und dazu gehört einfach gut essen und trinken."

Hauptsach gutt gess! - Deutsche und Franzosen vereint im Genuss
Drei Sternekoch Erfort trägt seinen Teil bei, dieses französische Bedürfnis zu befriedigen, Mahlzeiten zu zelebrieren. Kein Wunder, wenn sich die Menschen von jenseits der Staatsgrenze heimisch fühlen und das sicher nicht nur, weil die Straßenschilder häufig zweisprachig sind.

"Ich weiß nicht, ob ich das als Franzose sagen darf, aber ich glaube, dass Saarbrigge [Saarbrücken] eigentlich keine deutsche Stadt ist, weil so viel französische Sachen im Saarland sind. Und dass Saarbrigge auch uns so nah ist, dass mir uns hier wirklich ach dehemm fiehle, dass mir ach sprachlich ohne Probleme – ob man nur Französisch schwätzt oder Platt oder Hochdeutsch, dass mir uns wirklich hier dahemm fiehle."

Hervé Atamaniuk, der Mann, der für Kultur im Grenzstädtchen Sarreguemines - Saargemünd - in Frankreich zuständig ist, sollte es wissen.

Supermarkt

"300 grammes de steak haché. Ich hann’s doch schon."

"Ca c’est du veau? Ja, ja das is Kalb …"

Eine ganz normale Szene in einem grenznahen deutschen Supermarkt! Und wenn’s Mal nicht so klappt mit den Fragen auf Französisch und den deutschen Antworten, wird eine Kollegin von jenseits der Grenze herbeigerufen. Seit 16 Jahren steht Marilyn schon an der Fleischtheke beim Globus und hat ihre Stammkunden.

"Die kenne mich jetzt mit der Zeit. Die wisse, was se wolle …"

"Mir erkläre dann, wenn was sollte schief laafe. Aber normal ist das kein Thema, kein Problem. Mir hann gutes Fleisch, deshalb komme die, und Preise: Günstiger wie in Frankreich."

"On pourra vous servir – ca devrait aller."

"Ja die Metzgereitheke hat fast 40 Prozent französische Mitarbeiter, die zweisprachig sind. Die können die deutsche Sprache besser beherrschen als wir die französische. Die Mitarbeiter hier werden nach Tarifgesetz bezahlt, das um einiges höher liegt als das in Frankreich der Fall ist."

Nicht erst seit der Einführung des Euro, der den Preisvergleich enorm erleichtert hat, erklärt Frank Benoit, stellvertretender Leiter der Globusfiliale in Güdingen, beschäftigt die Supermarktkette französisches Personal in ihren grenznahen Filialen. Bis zu einem Drittel des Umsatzes wird mit französischen Kunden erzielt. Neuerdings werden die Werbehochglanzbroschüren bis weit hinter die Grenze verteilt, mit Erfolg.

"Il y a un autre choix …"

"Das Warenangebot ist anders, und es gibt Artikel die billiger sind: Drogerieartikel, Babynahrung, Windeln, Dekoration sind viel billiger als bei uns und anders."

"C’est different."

"Les yaourts sont moins cher qu’en France. Il y a des produits qu’on trouve pas. Il y a plus de choix."

Der deutsche Joghurt und die andere Angebotspalette hat es dieser Französin angetan.

Weinzelt - Korken knallen

Wenige Kilometer auf der anderen Seite der Grenze bei Saargemünd knallen die Korken! In einem Weinzelt bei einem Supermarkt preisen französische Winzer ihre Rebensäfte an.

"Wenn Sie wollen … Sie können alles probieren.
Ich spreche nicht gut deutsch. Nur ein bisschen."

Dem Geschäft scheint dies keinen Abbruch zu tun: 90 Prozent der Kunden kommen aus Deutschland, erklärt die charmante Verkäuferin. Die wenigsten sprechen mehr als ein paar Brocken Französisch.

Ob der Wein die Zunge und den Geldbeutel lockerer sitzen lässt? Auf dem Parkplatz sieht man überwiegend deutsche Nummernschilder. Dieser Herr lädt gerade zehn Kisten Wein und Champagner in seinen Kofferraum:

"Die sind billiger und man hat hier die Möglichkeit zu probieren. Alles, was das Haus bietet, kann getestet werden, und das ist eine schöne Gelegenheit, sich Mal erstens zu informieren und zweitens auch preiswerten guten Wein einzukaufen."

"Ja, wenn wir hier sind, dann kaufen wir natürlich auch Lebensmittel: Brot vor allen Dingen, das ist halt hier besonders gut, Flûtes nennt man das, und auch Fisch und Fleisch."

Die Fischtheke hat es auch diesem Stammkunden des französischen Supermarktes angetan:

"Die Auswahl der Fischtheke, die etwa 15 Meter lang ist, beinhaltet im Winter die besten Speisefische der Welt, die es überhaupt gibt. Es gibt dort Austern zu kaufen, Langusten, Hummer, Muscheln, alle Sorten von Muscheln. Es ist wie im Paradies – wie in den Ferien im Sommer."

Auch die französischen Supermärkte beschäftigen zu einem Teil zweisprachiges Personal, um ihre deutsche Kundschaft bedienen zu können. Mit Beilagen in deutschen Zeitungen werben sie: Immer erfolgreicher, denn dank der staatlich verordneten Benzinpreiskontrolle in Frankreich können Deutsche nicht nur bei Wein und Spirituosen in Frankreich günstiger auftanken. Interessanterweise sind aufgrund staatlicher Kontrollen, fehlender Apothekertaxe und niedriger Mehrwertsteuer auch Medikamente erheblich billiger.

"Ungefähr fünf Prozent unserer Kunden sind Deutsche",

erzählt eine Apothekerin in Forbach.

"Sie kommen, weil die Medikamente günstiger sind. Gekauft werden vor allem Verhütungs- und Schlafmittel."

Profitieren können natürlich nur Privatversicherte oder diejenigen, die frei verkäufliche Medikamente erwerben wollen.

Das Landeswappen vom Saarland
Landeswappen des Saarlands© picture alliance / dpa / Fredrik Von Erichsen
Die Schlagbäume sind verschwunden, Stolpersteine bleiben
Seit Grenzöffnung und Euro-Einführung boomt das grenzüberschreitende Shopping: Preisvergleiche sind einfacher geworden, die Straßenbahn fährt von Saarbrücken bis ins französische Saargemünd und vor allem die lästige Frage Avez vous quelque chose à déclarer? – Haben Sie etwas anzumelden? - ist weggefallen.

Seit nunmehr fast drei Jahrzehnten sind die Schlagbäume verschwunden, Stolpersteine bleiben, wenn französische und deutsche Kultur aufeinanderprallen. Etwa in der Arbeitswelt.

"Wir stellen fest, dass die nationalen Systeme weder Ausbildungszeugnisse oder Diplome oder Arbeitszeugnisse so ausstellen, dass es die Nachbarseite versteht. Da wird noch ne Menge auf uns zukommen. Da kann man noch viel vereinfachen, um es den Bewerbern aus der Nachbarregion einfacher zu machen. Das ist glaub ich prioritär wichtig."

Achim Dürschmid kümmert sich bei der Arbeitsagentur um Grenzgänger. 19.000 Lothringer kommen alltäglich ins Saarland zum Arbeiten – in umgekehrter Richtung sind nur 1000 Beschäftigte unterwegs.

Während in Lothringen wie überall in Frankreich vor allem unter den Jugendlichen viele Probleme haben einen Job zu finden – die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 20 Prozent, werden im Saarland Fachkräfte und Auszubildende gesucht.

Heinz Patrick Felsch leitet die Arbeitsagentur im Saarland:

"In Frankreich ist die Ausbildung ja im Wesentlichen verschult und wenn Sie da mit einem Abi-Bac herauskommen, haben Sie einen vollgültigen beruflichen Abschluss. Und wenn wir in Frankreich versuchen, Jugendliche zu gewinnen, die in eine berufliche Ausbildung hineingehen, dann hat das von französischer Seite aus betrachtet einen relativ geringen Stellenwert, weil in Frankreich die betriebliche Ausbildung eher nachrangig zur schulischen ist. Für uns ist es wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, dass für uns in Deutschland die duale Ausbildung eigentlich der Königsweg für eine Ausbildung ist und weniger die schulische. Und da passen die Sichtweisen noch nicht zueinander."

700 offene Ausbildungsstellen hat das Saarland zu bieten: Trotz hoher Arbeitslosigkeit in Frankreich geht nur ein Hundertstel an junge Menschen aus dem Nachbarland, obwohl auf Jobmessen aktiv geworben wird. Julia Schwammbach von der Handwerkskammer des Saarlandes:

"Im Moment ist es nicht so viel, aber wir haben zuletzt eine Statistik gemacht: Also die letzten Jahre waren es sechs rein französische Jugendliche, also die auch eine französische Staatsangehörigkeit haben. Zum einen ist es oft die Sprache, da die Franzosen sehr an ihrer Sprache hängen – was ja auch gut ist, dass sie so an ihrer Kultur und ihrer Sprache hängen – als auch, dass es die Franzosen nicht gewohnt sind, eine dreijährige Ausbildung zu machen."

Julia Schwammbach von der Handwerkskammer, Achim Dürschmid von der Arbeitsagentur werben weiter: Jobmessen, Seminare für Hochschulabsolventen … - kein einfaches Unterfangen, liegen die Probleme doch auf höherer Ebene.

Die Vereinheitlichung und Anerkennung von Ausbildungen und Abschlüssen etwa ist eine Aufgabe für die Politik: Trotz EU Binnenmarkt liegt da noch viel im Argen. Eine für die Grenzregion Saar Lor Lux, mit 200.000 Pendlern insgesamt die größte Grenzgängerregion Europas, vor gut einem Jahr eigens eingerichtete Task Force soll’s jetzt richten. Verantwortlich für die zunächst bis 2014 angelegte Aktion ist Kerstin Geginat im saarländischen Arbeitsministerium:

"Aufgabe der Task Force Grenzgänger ist es, juristische oder administrative Lösungsvorschläge zu erarbeiten von Problemen von Grenzgängern, die grundsätzlicher Natur sind, aber auch von Unternehmen, die Grenzgänger beschäftigen."

Und daran herrscht kein Mangel.

Was ist geschieht bei Arbeitslosigkeit, bei Rente, Krankheit, bei der Besteuerung?!

Für einige Bereiche existieren klare Regelungen: Wird beispielsweise ein in Deutschland angestellter Franzose arbeitslos, so ist das französische Arbeitsamt zuständig, obwohl Beiträge an die deutsche Sozialversicherung geflossen sind.

Achim Dürschmid: "Bei uns in Deutschland gilt die frühzeitige Arbeitslosmeldung, das heißt bis zu drei Monate vorher kann ich mich arbeitslos melden, und in Frankreich gilt die Arbeitslosmeldung nach Eintreten der Arbeitslosigkeit. Also hier haben wir einfach von der Chronologie her den richtigen Rhythmus: Das heißt, ich melde mich in Deutschland, kümmere mich um meine Formulare und melde mich dann mit meinen Formularen in Frankreich, und das passt zufällig, auch weil die Abläufe sehr stark angepasst sind."

Und gezahlt wird in Frankreich auch länger Arbeitslosengeld …

Problematischer wird es bei der Steuer. Das Doppelbesteuerungsabkommen regelt nämlich nur Grundsätzliches. Für viele ehemalige Grenzgänger, die in Frankreich mit deutscher Rente ihren Lebensabend genießen wollen, birgt deshalb die seit 2005 geltende Rentenbesteuerung in Deutschland große Tücken: Vielen flatterten Nachforderungen des Finanzamtes über gleich mehrere tausend Euro ins französische Häuschen, denn sie gelten als beschränkt steuerpflichtig in Deutschland.

Marianne Bosse-Zadé von der Task Force: "Das bedeutet für sie, dass sie keinen Grundfreibetrag geltend machen können, aber auch familien- und personenbezogene Vergünstigungen, die ihnen normalerweise zustünden, wenn sie einen Wohnsitz in Deutschland gehabt hätten, in dem Fall gar nicht in Anspruch nehmen können. Was wiederum dazu führt, dass ihre Steuern höher liegen als bei Personen, die in Deutschland Rentenbezüge erhalten. Betroffen sind etwa 50.000 Personen."
Angesichts dieser Dimension musste die Task Force aktiv werden: Nicht das Kassenland, also das Land, das das Geld - in diesem Fall die Rente - zahlt, sollte für die Besteuerung zu sein, sondern:

"Wir würden gerne diese Besteuerungshoheit umwandeln und zwar nach dem Wohnsitzstaatprinzip. Das hätte den Vorteil, dass der ehemalige Grenzgänger im Alter nur noch einem Besteuerungssystem ausgesetzt ist, das heißt. er muss nur eine Steuererklärung abgeben. Er kann seine Grundfreibeträge geltend machen, er kann seine persönlichen Verhältnisse geltend machen bei der Steuererklärung, wenn er sie im Wohnsitzland abgibt, und dadurch erhoffen wir uns natürlich auch, dass die Mobilität für die Zukunft auch gefördert wird, denn diese negativen Erfahrungen, die im Moment die Rentner-Grenzgänger machen, können dazu führen, dass sie natürlich ihren Kindern und Kindeskindern davon abraten, eine Arbeit im Nachbarland aufzunehmen."

Die Politik muss jetzt über den von Marianne Bosse-Zadé und ihren Kollegen von der Task Force ausgearbeiteten Vorschlag entscheiden. Hoffentlich bald. Denn nicht nur Deutsch lernen, sondern im Alter noch mehr Steuern zahlen: Das wäre wohl der Hemmnisse zuviel.

Parler Platt c’est schick! - Doch es bleibt die Grenze der Sprache
Und so bleibt die Grenze in Form bürokratischer Hürden, es bleibt für die meisten auch die Grenze der Sprache, die eigentlich einst tief in Lothringen verlief, wo auch heute noch 200.000 Personen Platt, also deutschen Dialekt sprechen.

In den Sonntagsreden der Politiker ist längst zusammengewachsen, was auch zusammengehört.
Der Dialekt hüben und drüben ist identisch oder ähnlich, nur wurde er den Franzosen damals teils mit Repression ausgetrieben. Saarländer sprechen häufiger Französisch als andere Bundesbürger, weil Französisch Pflichtfach war in der Schule, aber es wäre vermessen zu behaupten, dass die breite Masse die Sprache Voltaires beherrscht.

Mehr als 100 frankophone Konzerte im Saarland, ein Zehntel französische Titel im Radio, Perspective du Theâtre, das französische Theaterfestival sensibilisieren für die Kultur des Nachbarn: Umgekehrt hören die älteren Lothringer gerne deutsche Volksmusik und rufen attention ca rutsche, wenn es auf dem Trottoir, dem Gehweg rutschig ist.

Der Saarländer grüßt gerne mit Salü, hat die Flemme, wenn er depressiv ist, und legt sich dann auf Chaiselongue.

Die Nachbarn jenseits der Grenze bezeichnet der Saarländer abfällig als Wackese.

"Die Lothringer nennen die Elsässer auch Wackese und umgekehrt. Also Wackese kommt von Vagabund aus dem Lateinischen."

Tausende von Ausdrücken hat Mundartforscherin Edith Braun untersucht und mehr Gemeinsamkeiten als Gegensätze über die Grenze hinweg entdeckt. Vor allem aber kennt Edith Braun das Rezept dafür, dass die deutsche und französische Kultur hüben und drüben nicht aufeinanderprallen, sondern noch besser miteinander klarkommen:

"Die Franzosen und Lothringer haben gesagt: Parler Platt c’est schick. Und das versuchen die Jungen auch bei uns."


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