Wenig vom Künstler, viel vom Regimekritiker

08.06.2012
Der chinesische Künstler Ai Weiwei ist Chinas bekanntester Dissident. Doch auch als Blogger hat er sich international einen Namen gemacht. Der Verlag Hörbuch Hamburg hat eine Auswahl seiner Texte nun mit prominenten Stimmen vertont.
Ai Weiwei, gelesen von Elisabeth Schwarz: "Lebt offen und ehrlich. Achtet die Geschichte und seht der Wirklichkeit ins Auge. Hütet euch vor denen die richtig und falsch verwechseln, vor den heuchlerischen Nachrichtenmedien, die geschickt Gefühle manipulieren und die Menschen in Versuchung führen, den Funktionären, die aus der Tragödie Kapital für Politik und Nationalismus schlagen und den Geschäftemachern, die die Seelen der Toten für den gepanschten Wein ihrer Moral verkaufen."

Mit diesem Posting vom 22. Mai 2008 wendet sich Ai Weiwei unmittelbar an seine chinesischen Landsleute. Er ruft sie zur Wachsamkeit auf. Kritisch sollen sie die offizielle Politik und die Meldungen der Medien hinterfragen. Ein Appell, der in der Tradition der europäischen Aufklärungsbewegung steht.

Ai Weiwei, gelesen von Joachim Lux: "Natürlich wäre es besser für dich, wenn du nicht selbständig denken könntest. Das wäre sicherer, harmonischer. [...] Deine Unwissenheit und dein Schweigen sind der Preis, den du für die Sicherheit deines Lebens bezahlst."

Das Hörbuch versammelt Blogeinträge, die Ai Weiwei zwischen 2006 und 2009 gepostet hat. 100.000 Menschen haben täglich seine kritischen Bemerkungen gelesen. Den Mächtigen in China waren diese Beobachtungen ein Dorn im Auge. Im Mai 2009 wurde der Blog geschlossen und sein Inhalt gelöscht.

Zwei Jahre später, im Juni 2011, wurde Ai Weiwei verhaftet - man wollte ihn zum Schweigen bringen, löste aber dadurch eine internationale Protestwelle aus, durch die Ai Weiwei noch bekannter wurde, als er es ohnehin schon war. Sein verbotener Blog erschien als Buch. Für das vorliegende Hörbuch wurde aus den mehr als 100 Postings eine Auswahl getroffen. 26 Texte werden von bekannten "deutschen Kulturschaffenden" - gelesen u.a. von Herta Müller, Klaus Staeck, Matthias Brandt, Jürgen Flimm, Elisabeth Schwarz - oder Ulrich Noethen.

Ai Weiwei, gelesen von Ulrich Noethen: "Welche Not müssen wir noch ertragen, ehe unsere Herzen anfangen zu leiden? Welches Leid kann uns Erleuchtung bringen?"

... fragt Ai Weiwei in einem Blogeintrag. Am 12. Mai 2008 wurde die Provinz Sichuan durch ein verheerendes Erdbeben erschüttert, bei dem Zehntausende - unter ihnen viele Schulkinder - ums Leben kamen. Ai Weiwei klagt die Offiziellen an. Sein Ton wird schärfer und in der Anklage schwingt neben der Klage eine stärker werdende Wut mit. Man lernt Ai Weiwei auf diesem Hörbuch als mutigen, Gefahren nicht fürchtenden Regimekritiker kennen, der sich, als engagierte Ankläger, gegen das offizielle China stellt.

Ai Weiwei, Eva Mattes: "Sie sagen, sie hätten nichts mit dem Tod der Schulkinder zu tun. [...] Sie vertuschen die Wahrheit und sprechen nicht über die Korruption, sie vermeiden es, sich zu den Tofu-Konstruktionen zu äußern. Sie verbergen die Fakten und im Namen der Stabilität verfolgen, bedrohen und verhaften sie die Eltern der toten Kinder, weil diese Menschen die Wahrheit wissen wollen."

Sieben der 26 Hörbuch-Texte befassen sich mit den Folgen der Erdbebenkatastrophe. Es handelt sich - ohne Frage - um wichtige Texte, die Ai Weiwei als Ankläger und auch als Sprecher der Opfer zeigen.

Ai Weiwei, gelesen von Andrea Sawatzki: "Nicht nur die maroden Schulgebäude sind eingestürzt, mit ihnen stürzten auch das gute Gewissen und die Ehre eines ganzen Landes ein. An diesem Tag ist die Schönheit zugrunde gegangen."

Der Dissident Ai Weiwei ist aber auch ein künstlerischer Visionär, dessen Name in der internationalen Kunstszene ein Klang hat. Auf dem Hörbuch aber - und das macht die zugrundeliegende Auswahl problematisch - findet sich nur ein auf die Kunst bezogener Blogeintrag, in dem es um die Aktualität der Fotografie geht und der von Klaus Staeck gelesen wird.

Ai Weiwei, gelesen von Klaus Staeck: ""Fotografieren ist nicht länger ein Mittel, um die Realität zu dokumentieren, sie ist vielmehr zur Realität selbst geworden."

Die Auswahl lässt den Eindruck entstehen, als wäre die Ai Weiwei weltweit entgegengebrachte Aufmerksamkeit seinem mutigen Eintreten für Freiheit und Gerechtigkeit in seinem Land geschuldet. Wird ihm ein solches Bild gerecht? In guter Absicht stellt das Hörbuch den Regimekritiker vor. Dessen Größe vermag es zu zeigen, aber es macht gleichzeitig den Künstler klein. Vom Künstler ist, abgesehen von einem Eintrag, keine Rede.

Besprochen von Michael Opitz

Ai Weiwei: Macht euch keine Illusionen über mich. Der verbotene Blog.
Gelesen von Matthias Brandt, Jürgen Flimm, Margot Käßmann, u.a.
Hörbuch Hamburg, Hamburg 2012, 14,99 Euro

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