Wende-Museum in Kalifornien

Früher Stasi, heute Facebook?

Biometrische Gesichtserkennung
Software für eine biometrische Gesichtserkennung © imago/Science Photo Library
Von Kerstin Zilm · 28.12.2015
Das Wende Museum in Los Angeles beherbergt auch das Archiv eines ehemaligen DDR-Grenzsoldaten, der Passkontrolleure ausbildete. Dieses Ausbildungsmaterial ist jetzt in einer Ausstellung über Methoden zur Gesichtserkennung zu sehen.
"Mein Name ist Peter Bochmann."
Die Stimme des ehemaligen Passkontrolleurs kommt aus einem kleinen Fernseher.
"Ich war viele Jahre diensthabender Offizier an der Grenzübergangsstelle Friedrich/Zimmerstraße, bekannt als Checkpoint Charlie."
Das Interview haben Mitarbeiter des Wende Museums vor fast zehn Jahren in Bochmanns Wohnung in Deutschland aufgezeichnet. Der Rentner hat kurze, graue Haare, trägt Brille, beiges Hemd und Hose und sitzt an einem Küchentisch.
"Ich selbst war eigentlich immer stolz, dass ich dort als Offizier meinen Dienst verrichten durfte."
Besonders stolz war Bochmann auf das von ihm zusammengestellte Material zur Passkontrolle.
"So here we see some pencil drawings ..."
Offizielles Stasi-Schulungsmaterial
Wende-Museums-Kurator Joes Segal führt vorbei an Glasvitrinen, zeigt auf kariertes Notizpapier mit kindlichen Filzstift-Zeichnungen von Augen, Ohren, Augenbrauen, Stirn- und Kinnformen. Daneben: handschriftliche Kategorisierungen in blau, rot und grün: "Kartoffelnase", "fliehende Stirn", "gewinkeltes Ohr". Zeichnungen und Schrift wirken wie ein Schulprojekt. Seltsam naiv. Doch es ist von Bachmann zusammen gestelltes offizielles Stasi-Schulungsmaterial. Joes Segal erklärt: es ging um unveränderbare Gesichtsmerkmale.
"Die Pass-Kontrolleure sollten besonders auf den Augenabstand, Form von Kinn und Ohren achten. Dinge, die interessanterweise heute von Software für Gesichtserkennung und von Überwachungskameras benutzt werden."
Drei Jahre dauerte die Ausbildung der Passkontrolleure. Bachmann Material war ein essentieller Teil davon: Zeichnungen, Schriften und Schwarz-Weiss-Fotos. In der mehrstündigen Abschlussprüfung bekamen die angehenden Grenzer Pass-Fotos vorgelegt, die sich sehr ähnlich sahen. Sie mussten erkennen, ob die Portraits denselben Menschen abbildeten oder die entscheidenden Merkmale nicht übereinstimmten. Bochmann sagt, durch sein System seien an der deutsch-deutschen Grenze zahlreiche gefälschte Pässe entdeckt worden. Zahlen, die das belegen, gibt es nicht.
Die Ausstellung "Facial Recognition" zeigt Bochmanns Lehrmaterial neben Arbeiten von Kriminologen und Psychologen, die seit dem 18. Jahrhundert auf oft zweifelhaftem Weg versuchten, Verbindungen zwischen Äußerem und Charakter herzustellen. Schon sie bezogen sich auf unveränderliche Gesichtsmerkmale. Genauso wie Computeralgorithmen der Gegenwart von facebook und FBI. Wende Museumsdirektor Justin Jampol sagt: Gesichtserfassung hatte immer zu tun mit Überwachung, Kontrolle und Diskriminierung.
"Diese Themen haben uns nicht verlassen, der Ansatz hat sich nur verändert. In mancherlei Hinsicht ist das Risiko, die Bedrohung heute größer, weil die Methoden billiger und die Technologien leichter zugänglich und fortgeschritten sind."
Mit einer Maske die Identität verbergen
Wie man dieser Gesichterkennung entgehen kann, zeigen in der Ausstellung zeitgenössische Werke amerikanischer Künstler. Leonardo Selvaggio stellt Kunstharz-Nachbildungen seines eigenen Gesichts der Öffentlichkeit zur Verfügung. Wer eine solche Maske aufsetzt, verbirgt die eigene Identität. Kathleen McDermott webt Rotlichtsensoren in Kleidung und verhindert dadurch die Identifizierung durch Überwachungskameras. Diese nehmen statt eines Gesichts nur eine diffuse Fläche wahr.
"Wir nehmen Geschichte als Anfang für Diskussionen um Themen, die uns jetzt bewegen. Nur so bleiben wir relevant. Sonst wären wir ja nur eine seltsame Institution, die sich mit Dingen befasst, die vor 25 Jahren tausende von Meilen entfernt passiert sind."
Die Ausstellung "facial recognition" erzeugt die beklemmende Erkenntnis: Bochmanns Stasi-Arbeit hat dieselben Grundlagen wie moderne Überwachungs-Algorithmen. Doch weniger als damals wissen wir, wer unsere Gesichtszüge analysiert und wofür die gesammelten Daten benutzt werden.

Die Ausstellung "Facial Recognition" ist noch bis zum 18. März in Los Angeles im Wende Museum zu sehen.
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