"Wem würde bei den Summen nicht immer wieder mulmig?"

15.10.2011
Hermann Gröhe, Generalsekretär der CDU, glaubt dass die Euro-Gruppe in den Letzten Monaten stärker zusammengerückt und um eine "Analyse der Ursachen der Krise" bemüht ist. Doch einfache Antworten könne es nicht geben. Schließlich ginge es darum, Fehleentwicklungenn von Jahrzehnten zu korrigieren.
Deutschlandradio Kultur: Herr Gröhe, haben Sie die Computer in der Parteizentrale und bei sich zu Hause schon auf Trojaner untersuchen lassen?

Hermann Gröhe: Da gibt’s keine Veranlassung drüber nachzudenken, dass jemand auf die Idee kommt, dass auf meinem Bildschirm Verbrechen geplant werden. Insofern gehe ich davon aus, dass nichts passiert. Ich gehe gleichzeitig davon aus, dass alle Sicherheitskräfte in Deutschland wissen, dass sie sich an Recht und Gesetz halten müssen. Wir brauchen Möglichkeiten auf dem Stand der Technik, auch mit terroristischen Bedrohungen umzugehen. Aber wir schätzen zu Recht den Schutz der Privatsphäre hoch ein. Es gibt eine klare Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. An die müssen sich alle halten.

Deutschlandradio Kultur: Kommen wir zu dem Thema, das alle seit Wochen, seit Monaten beschäftigt – die Politik wie die Menschen –, die Frage, wie es mit dem Euro weitergeht, die Frage auch, wie es mit den Banken weitergeht, das neue Sorgenthema. Sind wir auf dem Weg in eine neue Krise?

Hermann Gröhe: Nein, denn im Kern beschäftigen wir uns ja damit, dass seit vielen Jahren die Staaten in Europa, auch in Nordamerika, ihre Staatsleistungen, ihre Ausgaben immer häufiger durch Schulden finanzieren. Und dies hat vielfältige Auswirkungen. Es hat inzwischen die Dimension auch eines, fast möchte man sagen, Wettstreits der Systeme, wenn man daran denkt, die überschuldeten Demokratien und die Geldreserven hortenden Staaten wie China und anderswo.

Diese krisenhafte Zuspitzung ist über Jahrzehnte gewachsen. Insofern entlädt sich das jetzt in verschiedener Weise. Und es wird uns auch noch über Jahre fordern, wie wir damit umgehen, dass Länder die dramatisch angestiegene Schuldenlast infolge der Finanzmarktkrise der letzten zwei Jahre nun endgültig in die Situation zwingt, ihren Haushalt in Ordnung zu bringen. Insofern sind wir in der Notwendigkeit, eine lange Fehlentwicklung zu korrigieren. Und da ist nicht einfach.

Deutschlandradio Kultur: Kann das denn gelingen, den Schuldenstand zu senken, wenn man jetzt gerade wieder, wie es die Kanzlerin die Tage getan hat, wie es der Finanzminister getan hat, über eine "Rekapitalisierung der Banken" spricht, weil man wohl merkt, dass ein Kollaps von Griechenland dazu führt, dass auch einige Banken wieder systemrelevant kollabieren könnten?

Hermann Gröhe: Also, die Situation in Griechenland ist ja in der Tat so, dass wir uns Sorgen machen müssen über die Schuldentragfähigkeit und ob das, was bereits verabredet worden ist an Beitrag der Banken, also durch Verzicht auf Rückzahlung, auch von Zinszahlungen die Schuldentragfähigkeit Griechenlands gestärkt werden kann, gesichert werden kann, ausreicht. Das hat Konsequenzen auf die deutschen Banken, nach allem, was wir wissen, wohl nicht in der dramatischen Weise, wie möglicherweise in anderen Ländern.

Deutschlandradio Kultur: Frankreich zum Beispiel?

Hermann Gröhe: In Frankreich zum Beispiel. Wir wissen auch nicht, welche Auswirkung eine solche Situation dann auf Länder wie Italien hat, deren Staatsanleihen auch in weit stärkerem Umfang auch dann bei deutschen Banken und Versicherungen und anderen zu finden sind.

Das wirft Fragen auf. Aus meiner Sicht muss klar sein: Erst sind die Banken selbst gefordert, sich um notwendiges Kapital zu bemühen, dann die nationalen Regierungen. Und dann kann gegebenenfalls unter strengen Auflagen auch die europäische Solidarität eine Hilfe sein.

Wir tun dies dann, um den Wirtschaftskreislauf, die Versorgung unserer Wirtschaft mit Krediten zu sichern, um die Spareinlagen zu sichern. Ich glaube, dass es falsch wäre, das allein mit einem Banken-Bashing, so modisch das gelegentlich ist, zu verbinden.

Deutschlandradio Kultur: Aber lassen Sie uns da mal konkret nachfragen und das vielleicht übersetzen. Heißt das, dass wir wieder Steuergelder, Milliarden Steuergelder für die Banken aufbringen müssen?

Hermann Gröhe: Also, beispielsweise hat eine Bank wie die Commerzbank mit Gebühren zurückgezahlt. Und da ist nicht Steuergeld versenkt worden, sondern es sind Gebühren zurückgezahlt worden. Das ist wichtig. Aber das klingt so, als seien das abstrakt "die Banken", so, als würde es gleichsam zum Wohle der Vorstände da an jemanden überwiesen. Es sind auch Ihre, meine und die unserer Zuhörerinnen und Zuhörer Spareinlagen, um die es da geht. Es geht um Lebensversicherungen, die in der Vergangenheit gesagt haben, Staatsanleihen, die bringen weniger Rendite als hoch riskante Finanztransaktionen – dafür sind sie sicher. Und jetzt erleben wir, dass – jedenfalls im Fall von Griechenland – nicht von dieser uneingeschränkten Sicherheit ausgegangen werden kann. Das jetzt sozusagen zum Schaden derjenigen, die eine Lebensversicherung oder ein Konto haben, nach dem Motto "Pech gehabt" abzuwickeln, wäre auch falsch.

Funktionierende Kreditwirtschaft ist zentral für eine funktionierende Wirtschaft. Richtig ist allerdings, dass wir insgesamt aus der Fehlentwicklung, die im Bankenbereich in den letzten Jahren sich offenbart hat, zwar national schon, aber noch nicht international ausreichend Konsequenzen gezogen haben.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Sie werden wirklich dafür sorgen, dass der Steuerzahler jetzt nicht den Eindruck hat, dass die Gewinne privatisiert werden, nur den Aktionären der Banken zugute kommen, und die Verluste werden sozialisiert, das heißt, auf die Masse der Steuerzahler verteilt?

Hermann Gröhe: Deswegen war es uns ein Anliegen, die private Gläubigerbeteiligung zu haben. Im Fall von Griechenland ist dort eine Gläubigerbeteiligung von 20 Prozent bereits verabredet. Und die weitere Entwicklung muss zeigen, ob das ausreicht. Insofern wird man die Banken auch heranziehen müssen.

Im Übrigen diskutieren wir auch das Thema Finanzmarkttransaktionssteuer unter zwei Gesichtspunkten, eben einmal unter diesem Gerechtigkeitsaspekt, den Sie ansprechen, Heranziehen eines Geschäftsbereichs, aber auch im Hinblick auf die Frage, ob ein heute weitgehend computergesteuerter Finanzmarkt nicht auch Elemente der Entschleunigung braucht. Und wenn jede Transaktion einen eigenen Steuertatbestand auslöst, dann kann das eine heilsame Entschleunigung sein im Hinblick auf diese Bruchteilssekundengeschäfte und ständiges Hin und Her in der Hoffnung, Dinge auszunutzen. Und im Übrigen ist es auch ein wichtiger Punkt der Gerechtigkeit. Deswegen diskutieren wir das. Wir wollen es weltweit, am liebsten in der Europäischen Union insgesamt. Aber ich bin persönlich auch deutlich der Meinung, dass die Eurogruppe hier gegebenenfalls vorangehen muss.

Ich nehme die Sorgen, die da mancher äußert, ernst. Man muss bei der Ausgestaltung genau hinschauen. Aber ich glaube, es ist ein Gebot der Stunde, bald zu einer Finanzmarkttransaktionssteuer zu kommen.

Deutschlandradio Kultur: Schauen wir noch mal kurz auf den Schuldenschnitt, also die Beteiligung der Banken, die Frage, wie viel die Banken letztendlich loslassen müssen, wie viel Geld sie verlieren.

Wolfgang Schäuble hat jetzt offen angesprochen, dass es dazu wohl kommen muss im Falle Griechenlands. Wie viel Schuldenschnitt brauchen wir?

Hermann Gröhe: Ich vermag jetzt noch nicht über Prozentsätze zu reden. Da bitte ich um Verständnis, weil es nun schon mit der Einschätzung der Schuldentragfähigkeit beziehungsweise deren Wiederherstellung zu tun hat. Es ist sehr gut in dieser Situation, dass es Angela Merkel war, die die Beteiligung des Internationalen Währungsfonds durchgesetzt hat. Denn da haben wir eine Expertise, der man nicht sozusagen so schnell unterstellen kann, dass das halt eine primär politisch motivierte Betrachtungsweise europäischer Institutionen sein mag. Und deswegen sollten wir da auch die Empfehlungen hören, wenn es darum geht, in welcher Weise gegebenenfalls jetzt weitere private Gläubigerbeteiligung erforderlich ist.

Deutschlandradio Kultur: Aber es gibt ja schon Studien, unter anderem auch von den Grünen hier im Bundestag angestrengt, die sagen: Unter 50 Prozent braucht man erst gar nicht drüber nachzudenken. Teilen Sie diese Einschätzung?

Hermann Gröhe: Also, ich schaue mit Interesse darauf, wie mancher das schon genau weiß und offensichtlich über Expertisen verfügt, an denen selbst Institutionen wie der IWF, der Internationale Währungsfond, noch arbeiten muss.

Deutschlandradio Kultur: Und es gibt noch eine andere Zahl, die ich da erwähnen kann. Jean-Claude Juncker spricht von 60 bis 70 Prozent.

Hermann Gröhe: Ja, und das zeigt jedenfalls, dass die Sorgen im Hinblick auf die Schuldentragfähigkeit Griechenlands durch die Entwicklung der letzten Wochen nicht kleiner geworden sind. Und das ist ja mehr als wahr. Und die Frage ist ja nicht, leugnet man diesen Umstand, sondern wie geht man mit ihm so um, dass unkontrollierbare Entwicklungen zum Schaden auch der europäischen Wirtschaft insgesamt – mit Folgen für Arbeitsplätze und Export in unserem Land – einhergehen, sondern möglichst geordnet. Dafür haben wir erste Voraussetzungen mit der Ertüchtigung des europäischen Rettungsschirms geschaffen. Weitere werden mit dem dauerhaften Stabilitätsmechanismus geschaffen. Also, wir bereiten uns auf diese Lage ja auch vor.

Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Herr Gröhe, um das noch mal zu summieren: Sie gehen davon aus, dass ein Schuldenschnitt Griechenlands unausweichlich ist?

Hermann Gröhe: Ich gehe davon aus, dass vieles dafür spricht, dass der IWG eine unzureichende Schuldentragfähigkeit bescheinigt. Aber ich halte es nicht für angemessen, vorher darüber zu spekulieren. Und deswegen bin ich nicht derjenige, der feststellt, dass dieser Zustand nun erreicht ist oder nicht. Aber es ist gut, dass wir uns darauf vorbereiten.

Deutschlandradio Kultur: Wochenlang, monatelang hat die Öffentlichkeit in Deutschland über die Griechenlandkrise, über die Eurokrise debattiert. Bundeskanzlerin Merkel wie auch Wolfgang Schäuble haben dabei immer wieder das Wort einer "geordneten Insolvenz" zurückgewiesen, auch das Wort "Schuldenschnitt" vermieden. Dann gab es die Abstimmung im Bundestag. Und jetzt seit einer Woche ist auf einmal dieses Thema auf dem Tisch. Wurde da nicht mit offenen Karten gespielt vorher?

Hermann Gröhe: Der Kern der Argumentation von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble war stets: Wie vermeiden wir unkontrollierbare Entwicklungen? Und mancher nutzt beherzt die relativ geringe Marktrelevanz – ich könnte auch sagen, Bedeutungslosigkeit – von Äußerungen aus der Opposition, über Dinge öffentlich zu reden, die, kämen sie aus dem Mund von Regierungspolitikern, dramatische Folgen für bestimmte Entwicklungen haben könnten.

Im Übrigen haben wir die Schaffung des europäischen Stabilitätsmechanismus stets damit begründet, dass wir die Vorkehrungen für eine Restrukturierung im Falle einer nicht vorhandenen Schuldentragfähigkeit schaffen müssen. Nur, der erste Schritt muss gemacht werden. Das Netz muss gebaut sein, bevor man sagt, es geht nicht anders. Und wir haben auch die Ertüchtigung des europäischen Rettungsschirms damit begründet, dass wir die Ansteckungsgefahren einer etwaigen Insolvenz eines Landes auf andere Länder beispielsweise durch vorbeugende Hilfsprogramme mit Auflagen, beispielsweise durch Rekapitalisierungsmöglichkeiten für die Banken abschirmen.

Insofern haben wir nie ausgeschlossen und im Bundestag schon gar nicht, dass eine Situation entstehen könnte, wo die Bewertung der Troika beispielsweise die nächste Kreditrate für Griechenland unmöglich macht. Dass ist unter bestimmten Umständen nicht zu weiteren Auszahlung kommen kann im Rahmen unserer eigenen Festlegung, das ist hat Wolfgang Schäuble ausdrücklich im Deutschen Bundestag ausgeführt.

Deutschlandradio Kultur: Herr Gröhe, Sie haben den Rettungsschirm angesprochen. Es war jetzt ja nun ein Kraftakt, den auch in den eigenen Reihen der Regierungskoalition durch den Bundestag zu bringen. Jetzt sprechen wir von Rekapitalisierung der Banken. Befürchten Sie nicht, dass Sie demnächst noch mal vor den Bundestag treten müssen als Regierung und sagen müssen, wir brauchen jetzt doch mehr Geld? Wie wollen Sie dann vor allen Dingen die Schwesterpartei CSU überzeugen?

Hermann Gröhe: Gerade diejenigen, die sich mit den bisherigen Rettungsmechanismen schwer getan haben, haben ja häufig betont, dass es wichtiger ist, die eigenen Banken abzuschirmen als das Risiko einzugehen, in andere Bereiche – sozusagen ohne Netz und doppelten Boden – immer mehr Geld zu überweisen. Insofern hat mancher Kritiker des Rettungsschirms oder weiterer Griechenlandhilfen uns in den letzten Monaten ja geradezu immer wieder hartnäckig gesagt: Kümmert euch darum, die Banken für den Tag X vorzubereiten und glaubt nicht, ihr könntet das hinauszögern.

Nein, was sich zeigt, und das hat sich in diesen Tagen in der Slowakei gezeigt und das zeigt sich natürlich in unseren Debatten auch, wir reden über ein schieres Volumen. Wir reden über reale Risiken, die es weiß Gott schwer machen, sich für solche Maßnahmen zu entscheiden, zumal es sehr schwer ist, etwa die Kosten einer Nichtentscheidung zu beziffern und zu sagen: Was bedeutet es eigentlich, wenn wir nicht helfen? Was bedeutete es eigentlich, wenn wir nicht stabilisieren, wenn also sozusagen etwas passiert, dass ein Land möglicherweise so unkontrolliert Wirtschaft in den Abgrund reißt, wie das mit Lehman Brothers als einer großen Bank geschehen ist.

Ich finde, es ist völlig normal, dass sich Parteien, dass sich Parlamente, dass sich Länder der Eurozone damit schwer tun. Wem würde bei den Summen, über die wir hier reden, nicht immer wieder mulmig? Und wer fragte sich hier nicht immer wieder: Sind wir auf dem richtigen Weg?

Das stärkt manchmal die Sehnsucht nach der schnellen einfachen Antwort. Und die gibt es eben nicht. Wir korrigieren eine Fehlentwicklung wahrscheinlich insgesamt von Jahrzehnten. Und das wird ein beharrlicher Weg sein, vielleicht erst der akuten Krisenbannung, aber die Korrektur wird sicher ein Jahrzehnt in Anspruch nehmen.

Deutschlandradio Kultur: Herr Gröhe, die CDU will auf ihrem Parteitag Wege aus dieser Krise skizzieren. "Mehr Europa", so kann man das zusammenfassen, ist dabei Ihr Ansatz. Wie passt das zusammen zum Beispiel mit Ihrer Schwesterpartei, aber auch mit der FDP, die ja ganz große Schwierigkeiten hat, in diese Richtung zu gehen?

Hermann Gröhe: Also, wenn es darum geht, jetzt die Lehren aus der Krise zu ziehen, also aus der Währungsunion eine Stabilitätsunion zu machen, durchzusetzen, dass die Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts wirklich eingehalten werden, dann sind CDU, FDP und CSU sehr nahe beieinander.

Deutschlandradio Kultur: Aber dann muss man doch diese Fehlkonstruktion in Europa, dass die Finanzminister, die selbst ihre Haushalte überziehen, sich enorm verschulden und dann selbst in der Eurogruppe bestrafen müssen dafür, dass sie das getan haben. Das ist ja absurd. Keiner bestraft sich selbst. Da muss doch dieser Konstruktionsfehler der Europäischen Union behoben werden. Wie wollen Sie das angehen?

Hermann Gröhe: Wir sind mit der jetzt schon, in der letzten Woche dann auch im Europaparlament beschlossenen Verschärfung des Stabilitätspakts da ein gutes Stück weiter. Es ist viel schwerer geworden, Sanktionen durch politische Koalitionen der Schuldensünder aufzuhalten, aber wir wollen das weiter mit weiteren Zähnen versehen. Ein Teil davon lässt unser Vertragswerk zu, aber auch Bundesaußenminister Westerwelle hat keinen Zweifel dran gelassen, dass auch er Vertragsveränderungen für erforderlich hält.

Deutschlandradio Kultur: Konkret wo?

Hermann Gröhe: Zum Beispiel im Hinblick auf die Ausgestaltung eines Durchgriffsrechts der europäischen Ebenen gegenüber Ländern, die konsequent sich entweder nicht in der Lage sehen oder nicht willens sind, Sparvorgaben gerecht zu werden.

Beispiel, indem wir diese Regelung aus dem Stabilitätspakt selbst in die Verträge übernehmen, sie damit zum Bestandteil des europäischen Rahmenswerkes machen, sie damit wirklich, die Schuldenbremse in unserem Grundgesetz mit einer Rechtsqualität auszustatten, die dann auch dazu führen kann, dass man mit dauerhafter Übertretung vor den Kadi, nämlich vor den Europäischen Gerichtshof, gezogen wird, das setzt Vertragsveränderungen voraus, die dem Stabilitätspakt deutlich mehr Biss geben.

Deutschlandradio Kultur: Sind die bei Einstimmigkeit durchsetzbar?

Hermann Gröhe: Ich glaube, dass die Europäische Union, in Sonderheit die Euro-Gruppe, in den letzten Monaten sehr viel mehr zusammengerückt ist im Hinblick auf die Analyse der Ursachen der Krise. Denn das ist kein deutscher Fimmel mehr, dass Stabilität etwas Wichtiges war, sondern das sehen heute alle als eine Fehlentwicklung der letzten Jahre an, dass man dort gegenüber einer solchen Stabilitätskultur sich versündigt hat.

Und ja, ich bin zuversichtlich, Europa hat mitunter die wichtigsten Schübe nach vorn auch als Antwort auf Krisen gemacht, ich bin zuversichtlich, wir können das, weil alle begriffen haben, Stabilität muss sein.

Deutschlandradio Kultur: In der Krise ist man sich schnell einig. Aber die Frage der Einstimmigkeit, die bleibt auf dem Tisch. Wenn man so vorgehen will, wie Angela Merkel und Nicola Sarkozy vorgehen wollen bei der Wirtschaftsregierung, bedeutet das weiter, man bleibt bei dem Prinzip: Die 17 Staaten der Eurozone müssen sich einig sein. Und wie wollen Sie das herstellen, dass alle immer dabei sind?

Sie haben es gesehen, Sie erwähnen es immer wieder, dass die Regierung Schröder, eine deutsche Regierung, sich daran nicht gehalten hat.

Hermann Gröhe: Ja, und sie war eben in der Lage, dann durch Aufweichen Sanktionen auszuweichen. Und wir haben jetzt schon erreicht eine deutliche Erschwernis dieser Möglichkeit, sich Sanktionen zu entziehen.

Deutschlandradio Kultur: Wodurch?

Hermann Gröhe: Ja, weil in Zukunft Sanktionen früher greifen können, weil es schwieriger ist, wenn ein Verfahren einmal eingeleitet ist, es zu stoppen. Manche haben dafür den etwas schwierigen Begriff von "Quasi-Automatismus" erfunden. Also, es ist viel schwerer geworden für ein Land, seiner Sanktionierung auszuweichen.

Und es ist ein Empfinden dafür da, dass wir vor der Frage stehen, dass die Währungsunion eine politische Union braucht. Deswegen sagen wir ja: Die Antwort ist "mehr Europa", im Wissen darüber, dass, wer das sagt in der heutigen Situation vieler kritischer Anfragen zum europäischen Integrationsprozess, genau erklären muss, was er damit meint.

Deutschlandradio Kultur: Aber mehr Europa bedeutet dann mehr Macht für die Regierungschefs?

Hermann Gröhe: Nein, es wird sicher so ein, dass es in Teilen die ersten Schritte, die beim Euro-Plus-Pakt zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Regierungsabsprachen sind, dann erfolgt die demokratische Legitimation und Kontrolle durch die nationalen Parlamente, aber Unions-Europapolitik war immer auch die schrittweise Überführung sozusagen in die Gemeinschaftsmethode, also die Zuständigkeit der europäischen Organe. Und dann erfolgt die Kontrolle durch das Europäische Parlament.

Deutschlandradio Kultur: Aber so, wie momentan die Wirtschaftsregierung von Nicola Sarkozy, dem französischen Präsidenten, und von Kanzlerin Angela Merkel konzipiert wurde, bedeutete das ja intergouvernementale Zusammenarbeit. Sollte man nicht eine parlamentarische Kontrolle schaffen, wie es Gerhard Schröder, der Ex-Kanzler von der SPD, angeregt hat, indem der Währungsausschuss des Europaparlaments diese Rolle übernimmt?

Hermann Gröhe: Also, da kommt's ja sehr drauf an, über welche Gebiete wir reden. Denn die Idee einer besseren Koordination der Wirtschaftspolitiken – Frankreich redet gern von der "Wirtschaftsregierung" –, die greift ja nun weit über die Zuständigkeiten der EU hinaus. Sie verpflichtet die Länder, im Rahmen ihrer eigenen Zuständigkeit, sich besser zu koordinieren. Und dann sind die nationalen Parlamente die richtigen, einen solchen Prozess zu begleiten und zu kontrollieren.

In anderen Bereichen wird es auch eine Stärkung europäischer Institutionen geben müssen. Und ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir Folgendes sagen: Wir brauchen in Europa stärkere Leitplanken, aber wirklich nicht noch mehr Verkehrsschilder. Wir müssen auch deutlich machen, dass wir Europa dort stark machen, wo Staaten allein in Wahrheit ihre Souveränität allein gar nicht wahrnehmen können. Da poolen wir Sie gleichsam in europäischen Institutionen. Aber es gibt weiß Gott Naturschutzgebiete, da weiß der Landrat oder der Landesnaturschutzminister besser Bescheid als eine Brüsseler Bürokratie. Ich bin also auch für Subsidiarität und Aufgabenkritik und gleichzeitig für ein starkes Europa da, wo es gefordert ist.

Deutschlandradio Kultur: Die Stärkung der europäischen Institutionen – da werden Sie vielleicht noch Debatten haben mit Ihrer Schwesterpartei CSU, die ja gesagt hat, "bis hier hin und nicht weiter".

Hermann Gröhe: Das hat sie gesagt im Hinblick auf die Haftungssituation. Sie bekennt sich ausdrücklich auch zu einem Stabilitätspakt mit Biss, auch mit Durchgriffsrechten gegenüber dauerhaften Schuldensündern. Also, wenn's dann ans Konkrete geht, sind wir weniger auseinander, als manche Tonlage vermuten lässt.

Deutschlandradio Kultur: Da machen Sie sich keine Sorgen. Machen Sie sich Sorgen über den Mitgliederentscheid der FDP über den dauerhaften Rettungsmechanismus?

Hermann Gröhe: Ich bin davon überzeugt, dass die FDP sich bewusst in die Tradition einer Partei stellt, die von ihrer Gründung an, dann ganz stark auch in der von Hans Dietrich Genscher, Otto Graf Lambsdorff geprägten Zeit, die Vorteile des europäischen Einigungsprozesses für die Wohlstandsentwicklung, für die Erringung der deutschen Einheit stets erkannt hat. Ich vertraue darauf, dass diese FDP-Tradition, zu der sich Philipp Rösler ausdrücklich bekennt, sich durchsetzt und nicht euroskeptische Töne.

Deutschlandradio Kultur: Also, von der Atomkraft, von der Wehrpflicht und von der Hauptschule hat sich ja die Union schon verabschiedet. Will sie sich jetzt demnächst auch von der 1,8-Prozent-Partei hier in Berlin – das letzte Ergebnis der FDP –, von der FDP, vom Koalitionspartner verabschieden?

Hermann Gröhe: Wir wollen den Erfolg der christlich-liberalen Koalition. Wir haben mit der FDP gemeinsam eine zukunftsfähige Bundeswehrreform auf den Weg gebracht. Und wir diskutieren in Leipzig, wie wir das gegliederte Schulwesen in eine gute Zukunft tragen. Das ist unsere Aufgabe.

Deutschlandradio Kultur: Herr Gröhe, wir wollen das Format zum Ende unseres Interviews ein bisschen ändern. Wir werden Ihnen Halbsätze geben mit der Bitte, diese dann zu ergänzen.

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Deutschlandradio Kultur: Aber hätten Sie als Generalsekretär Ihrer Partei nicht da den Ball aufgreifen müssen hier von dem Altkanzler und Ehrenvorsitzenden und eine intensive parteiinterne Debatte über Ziel und Stoßrichtung der Politik dann noch mal führen müssen?

Hermann Gröhe: Wir diskutieren auf dem Bundesparteitag über den zukünftigen Kurs für ein starkes Europa. Im Vorfeld dieses Parteitags haben fast 7000 Menschen dies diskutiert auf Regionalkonferenzen, 400 auf einer Fachkonferenz im Adenauerhaus, viele in den Landes- und Kreisverbänden. Da ist eine ganz starke politische Diskussion entstanden. Und auf die freue ich mich und die steht einer Volkspartei gut zu Gesicht.

Deutschlandradio Kultur: Aber gibt es denn da überhaupt Alternativen, die die Mitglieder, die die Menschen zu diskutieren haben?

Hermann Gröhe: Es gibt immer Alternativen, aber wir sind davon überzeugt, dass das, was wir vorschlagen, richtig ist. Und dafür werben wir.

Deutschlandradio Kultur: Vielen Dank.

Hermann Gröhe: Vielen Dank Ihnen.