Weltwirtschaft

Warum die Erdöl-Länder am Abgrund stehen

Erdöltanks bei Yanbu in Saudi-Arabien.
Erdöltanks bei Yanbu in Saudi-Arabien. © picture alliance / dpa / Mehmet Biber
Moderation: Liane von Billerbeck  · 19.12.2014
Der Volkswirt Henning Vöpel sieht die Weltwirtschaft an der Schwelle zu einer neuen Ordnung, in der Öl weniger wichtig wird. Erdölexportierende Länder wie Russland oder Venezuela verlören deshalb zunehmend an Einfluss.
Die Bedeutung des Erdöls für die Weltwirtschaft nimmt ab, sagte der Volkswirt Henning Vöpel. Andere Rohstoffe würden dagegen für die Weltwirtschaft wichtiger, so der Direktor des Hamburgischen WeltwirtschaftsInstitutes (HWWI) im Deutschlandradio Kultur. Deshalb versuche China beispielsweise sich den Zugriff auf Seltene Erden in Afrika zu sichern. Dennoch bleibe Öl ein wichtiger geopolitischer Faktor. Ölkrisen hätten immer wieder politische Krisen hervorgerufen und umgekehrt.
Neue Energiequellen durch Fracking in den USA
„Tatsächlich erleben wir, dass Öl weniger wichtig wird", sagte Vöpel. „Das hat damit zu tun, dass wir andere Energiequellen haben, seit die Energieeffizienz zugenommen hat." Außerdem seien mit dem Fracking in den USA neue Energiequellen erschlossen worden. Die Verhandlungsmacht der ölexportierenden Länder nehme ab. „Russland, Venezuela, auch Nigeria sind alles Länder, die gerade in der Phase der beschleunigten Globalisierung Anfang der 2000er Jahre sich im Grunde sehr stark verlassen haben auf das Ölvorkommen", sagte Vöpel.
Startpunkt für die Globalisierung
Das Ende des Ost-West-Konfliktes sei im Grunde der Startpunkt der Globalisierung gewesen. Danach sei der Ölpreis vor allem für die Schwellenländer zunächst sehr wichtig gewesen. Sie hätten sich damals für die Weltwirtschaft geöffnet, aber ihre eigene Wirtschaft aufgrund der Rohstoffvorkommen nicht stark genug diversifiziert. „Das heißt, die Abhängigkeit vom Öl ist jetzt stärker auf Seiten der erdölexportierenden Länder und das bedeutet eben, dass die Verhandlungsmacht dieser Länder abnimmt und auch die Krisenanfälligkeit dieser Länder stark zugenommen hat", so Vöpel.

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: "Blut ist ein ganz besonderer Saft". Diesen Satz aus dem Munde Mephistos gegenüber Faust, als die beiden ihren Bund besiegelten, den könnte man abgewandelt auch auf einen anderen Stoff anwenden: Öl ist nämlich auch ein ganz besonderer Saft. Ob und wie dieses Öl quasi Schmiermittel ist und die Macht- und Kräfteverhältnisse auf der Welt beeinflusst, darüber will ich jetzt mit Henning Vöpel sprechen. Er ist Direktor des Hamburgischen Instituts für Weltwirtschaft. Herr Vöpel, schönen guten Morgen!
Henning Vöpel: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Stimmt das? Ist Öl ein ganz besonderer Saft, weltpolitisch gesehen?
Vöpel: Ja, auf jeden Fall. Wir haben in den letzten 20, 30 Jahren gesehen, dass Öl natürlich ganz dringend erforderlich ist für Wirtschaftswachstum. Die Welt ist in den letzten 20, 30 Jahren sehr stark gewachsen. Nun befindet sich das Öl nicht dort im Boden, wo auch das Wirtschaftswachstum stattfindet, und daraus folgt natürlich, dass Öl eine ganz besondere geopolitische Bedeutung hat.
von Billerbeck: Welche denn?
Vöpel: Nun, wir brauchen Öl für Wirtschaftswachstum, und das heißt, wir müssen uns einigen mit den Ländern, in denen Öl liegt. Das sind nun gerade solche Länder, die natürlich auch kulturell zum Teil etwas weiter entfernt liegen von Europa, von den USA, also den Wachstumszentren im Grunde der letzten 20, 30 Jahre. Und das bedeutet eben, dass immer wieder Ölkrisen politische Krisen hervorgerufen haben, aber auch umgekehrt politische Krisen in diesen Regionen natürlich auch Ölkrisen ausgelöst haben.
von Billerbeck: Nun erleben wir ja gerade einen sinkenden Ölpreis und haben ja gestern gerade einen Wladimir Putin gesehen, der da Erklärungen geliefert hat und zum Beispiel von der Diversifizierung der russischen Wirtschaft gesprochen hat, die so stark auf diese Rohstoffe, eben auch aufs Öl gesetzt hat. Venezuela hat lange vom hohen Ölpreis profitiert, und man spricht davon, dass sogar die Verhandlungen, die Abkommen, die jetzt zwischen Kuba und den USA getroffen wurden, dass die auch etwas mit dem Ölpreis zu tun haben. Belegt das ihre These, dass das Öl eben immer noch so wichtig ist, auch für politische Verhältnisse?
USA in Zukunft Nettoexporteur an Energie
Vöpel: Tatsächlich erleben wir, dass Öl weniger wichtig wird. Das hat damit zu tun, dass wir andere Energiequellen haben, dass einerseits natürlich die Energieeffizienz des Wirtschaftswachstums oder die Energieeffizienz zugenommen hat, damit die Abhängigkeit des Wirtschaftswachstums von Energie abgenommen hat und zudem andere Energiequellen erschlossen werden. Denken Sie an das Fracking in den USA, was dazu führen wird, dass die USA in Zukunft Nettoexporteur an Energie sein werden. Das führt dazu, dass natürlich die geopolitische Rolle der USA natürlich eine ganz andere sein wird in Zukunft, also das Engagement im Nahen Osten zurückgehen wird, die Bedeutung von Energie für die USA abnehmen wird, zumindest außenpolitisch. Und zum anderen sehen wir, dass die OPEC eben im Grunde es nicht mehr schafft, sich zu einigen, die Fördermengen zurückzufahren. Das heißt, das Kartell der OPEC oder die Stabilität des Kartells der OPEC nimmt ab. Und das führt eben dazu, dass der Ölpreis jetzt so stark gefallen ist.
von Billerbeck: Nun erleben wir das ja nicht zum ersten Mal, dass der Ölpreis Auswirkungen, massive Auswirkungen auf die Industrieländer hat. Wir erinnern uns, die Älteren vielleicht noch, an die Ölkrisen in den 1970er-Jahren. Was unterscheidet denn nun die Krise der Jetztzeit von diesen damaligen Krisen?
Vöpel: Im Grunde sind es genau umgekehrte Vorzeichen. Damals lag die Verhandlungsmacht oder das Druckmittel lag im Grunde bei der OPEC, die damals ja auch versucht haben, gerade in der Ölkrise '73, politisch Einfluss zu nehmen auf den Westen, damals auch im Zusammenhang mit Israel. Nun erleben wir genau das Gegenteil, nämlich dass die Verhandlungsmacht der Öl exportierenden Länder abnimmt. Sie haben das erwähnt, Russland, Venezuela, auch Nigeria, sind alles Länder, die gerade in der Phase der beschleunigten Globalisierung Anfang der 2000er-Jahre, sich im Grunde sehr stark verlassen haben auf das Ölvorkommen und im Grunde, auch das haben Sie gesagt, ihre eigene Wirtschaft nicht stark genug diversifiziert haben. Das heißt, die Abhängigkeit vom Öl ist jetzt stärker aufseiten der Erdöl exportierenden Länder, und das bedeutet eben, dass die Verhandlungsmacht dieser Länder abnimmt und eben auch die Krisenanfälligkeit dieser Länder stark zugenommen hat.
von Billerbeck: Hat auch das Ende des Ost-West-Konfliktes zu einem größeren Einfluss des Ölpreises geführt oder die Machtverhältnisse zwischen den Ländern geändert.
Umkehrung früherer Verhältnisse
Vöpel: Im Grunde ist das Ende des Ost-West-Konfliktes natürlich so etwas wie der Startpunkt der Globalisierung. Und danach haben wir im Grunde gesehen, dass der Ölpreis wichtiger geworden ist, weil Energie natürlich sehr wichtig war für die Schwellenländer, die sich sehr stark entwickelt haben im Anschluss an den Ost-West-Konflikt, und insoweit haben wir gesehen, dass diese Länder, die Erdöl exportieren, eben profitiert haben von dieser Entwicklung, von der zunehmenden Öffnung vieler Länder in Richtung Weltwirtschaft. Und jetzt genau sehen wir eine Umkehrung dieser Verhältnisse, nämlich dass Öl weniger wichtig wird, dass die Abhängigkeit des Erdöls wirtschaftlich aufseiten dieser Länder eben zugenommen hat, die Krisenanfälligkeit zugenommen hat und wir im Grunde an einer Schwelle gewissermaßen stehen zu einer neuen Weltwirtschaftsordnung, in der Öl weniger wichtig wird, in der andere Rohstoffe aber wichtiger werden. Wir sehen, dass China sehr strategisch sich versucht, den Zugriff auf Seltene Erden zum Beispiel in Afrika zu sichern, und das ist auch ein weiterer Hinweis darauf, dass im Grunde eine Neuordnung der Kräfteverhältnisse in der Weltwirtschaft stattfindet.
von Billerbeck: Und wie groß ist dann noch der Einfluss des Ölpreises auf diese Neuordnung der Welt?
Vöpel: Nach wie vor relativ stark. Aber wie gesagt, eben mit umgekehrten Vorzeichen. Es sind gar nicht mehr die Länder, die in der Vergangenheit auf Erdöl angewiesen waren, die jetzt darunter leiden. Die profitieren natürlich eher davon. Sondern es sind im Gegenteil Länder wie Russland, die darunter leiden, dass der Ölpreis so stark zurückgegangen ist. Auch Venezuela leidet sehr stark darunter, und gerade das Beispiel Russland zeigt ja, dass ein so starkes, politisches und militärisches Land auf der Suche ist nach einer neuen Rolle, die auch im Einklang steht mit dem Selbstverständnis Russlands. Und das führt natürlich innenpolitisch, aber, wie wir sehen, auch außenpolitisch zu starken Konflikten.
von Billerbeck: Henning Vöpel über die Rolle des Ölpreises und des Öls. Der Direktor des Hamburgischen Instituts für Weltwirtschaft war mein Gesprächspartner. Ich danke Ihnen!
Vöpel: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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