Weltraum-Mission

Schwitzen für den großen Traum

Der ESA-Astronaut Alexander Gerst
Der ESA-Astronaut Alexander Gerst © dpa / pa / Oliver Berg
Von Norbert Zeeb und Claas Christophersen · 17.03.2014
Im Mai wird der deutsche Astronaut Alexander Gerst zur Raumstation ISS fliegen. Ausgebildet wurde der künftige Weltraumfahrer in den USA, Russland - und in Köln. Wir haben ihn bei einer schweißtreibenden Trainingseinheit begleitet.
Kahlrasierter Schädel, schmaler Vollbartstreifen, verschmitzt schauende braune Augen - und Turnschuhe. Dazu trägt der Astronaut Shorts und unter einer Daunenjacke ein spezielles, von einer Schweizer Firma hergestelltes T-Shirt. Alexander Gerst geht mit schnellem Schritt nach draußen, auf das Gelände des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums DLR. Er ist auf dem Weg zu einem Experiment namens "Space-Tex", also "Weltall-Textilien".
In einem Raum mit einer großen silberfarbenen Waage erwartet ihn bereits Projektleiter Jan Beringer. Für ein Textilinstitut aus dem Schwäbischen hat er das "Space-Tex"-Experiment entwickelt.
"Wir machen Forschung im Weltraum, um die Produkte auf der Erde zu verbessern. Sporttextilien gibt's ja jetzt schon relativ lange auf dem Markt, aber wir finden, dass wir ein bisschen an einem toten Punkt angekommen sind mit der Weiterentwicklung, und wir erhoffen uns jetzt, dass wir durch die Experimente hier am Boden und dann auf der ISS neue Impulse kriegen, wo wir die Sachen weiterentwickeln können, um das noch mal deutlich zu verbessern."
Gerst stellt sich auf die Waage. Auch sein spezielles Sport-T-Shirt und sogar sein Handtuch werden im trockenen Zustand gewogen. Dann muss er aufs Laufband.
Textilingenieur Jan Beringer will vor allem herausfinden, wie viel Gerst schwitzt, wie viel Schweiß in seinem T-Shirt landet und wie es um den "Tragekomfort" des Kleidungsstücks im nassen Zustand bestellt ist.
Mehr als 100 Experimente im All
Während der Mission auf der internationalen Raumstation muss Gerst das Experiment in der Schwerelosigkeit durchführen - wo der Schweiß nicht am Körper herunterläuft, sondern an der Stelle bleibt, an der er austritt. "Schweißtransport" und "Tragekomfort" in allen Ehren - doch muss dafür wirklich ein Menschen ins All geschossen werden? Würden nicht Roboter vollkommen ausreichen? Alexander Gerst muss schmunzeln. Diese Frage kennt er natürlich schon.
"Die Antwort, kurz gefasst, ist, dass wir Menschen Intuition haben und Entscheidungsfähigkeiten, die kein Roboter bisher hat."
Die internationale Raumstation ISS umkreist die Erde
Die internationale Raumstation ISS umkreist die Erde© AP
Zwar läuft ein Großteil der rund einhundert Experimente, die Gerst während seiner Zeit auf der ISS betreuen wird, automatisch. Aber wenn doch mal eine Maschine ausfalle oder ein unerwartetes Ergebnis herauskomme, seien Menschen eben unverzichtbar, sagt Gerst. Und dann gerät der gut durchtrainierte Astronaut nicht nur zunehmend aus der Puste, sondern auch ins Schwärmen - wenn er erzählt, weshalb er eigentlich ins Weltall will.
"Für mich ist der wichtigste Grund, dass wir als Menschen Entdecker sind. Dass wir essenziell davon abhängen, dass wir unsere Umgebung erforschen und verstehen. Dass wir Gefahren verstehen, die daraus drohen. Im Weltall sind das zum Beispiel Sonnenwetter, Sonnenstürme; Meteoriten können das Leben auf der Erde bedrohen."
"So, das ist jetzt die Trainingshalle des Europäischen Astronauten-Zentrums hier in Köln, in der wir trainieren, wie man die Systeme bedient, die die ESA zur Raumstation beiträgt."
Alexander Gerst ist ein Grenzgänger
Die halbe Stunde auf dem Laufband ist vorbei. Jan Beringer hat die Gewichtszahlen des verschwitzten Astronauten, seines Handtuchs und T-Shirts erneut in ein Formular eingetragen, und jetzt, frisch geduscht, klettert Alexander Gerst in den Nachbau des europäischen Moduls der internationalen Raumstation.
Gerst startet eine Aufnahme mit den Original-Funkgeräuschen auf der ISS. Mehrere Stunden hatte er heute schon hier im Modul und in angrenzenden Räumen Training für verschiedene Experimente. Als eines der wichtigsten seiner Mission bezeichnet er einen Schmelzofen für bestimmte Legierungen, die sich in der Schwerelosigkeit besser untersuchen lassen.
"Man bringt dann diese Proben zurück oder man untersucht sie auf physikalische Parameter, und diese Daten gehen dann in Computermodelle ein auf der Erde - dass man dann in Zukunft diese Legierungen sogar modellieren kann, in Computermodellen und dadurch neue Legierungen finden kann, die dann in zehn Jahren Einzug finden in Kraftwerks-Brennkammern, in Turbinenschaufeln, in leichtere Autos."
So sehr Gerst in den Jahren seiner Ausbildung zum Medienprofi geworden ist, so freundlich, aber bestimmt er für die Europäische Raumfahrt-Agentur ESA den gesellschaftlichen Nutzen der Experimente verteidigt - so echt ist doch die Leidenschaft geblieben, die ihn antreibt. Gerst ist ein Grenzgänger, schon als Kind wollte er ins All. Nun wird sich sein Traum bald erfüllen, aber ganz bewusst wurde ihm das erst, als er im vergangenen November den Start seiner Vorgängermission zum kasachischen Weltraumbahnhof Baikonur begleitete.
"Da, als ich die Rakete habe starten sehen, da ist es natürlich schon sehr real geworden, wenn man dann sieht, dass die Freunde, mit denen man die letzten zwei Wochen jeden Tag verbracht hat, oben auf der Rakete draufsitzen und jetzt in den Weltraum fliegen, das ist schon sehr eindrucksvoll und emotional."
… spricht's, bückt sich und klettert aus der runden Luke des Moduls heraus.
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