Weltpremiere

Keine Gefahr für die Aura des Originals

Apoll, eine Bronzestatue aus dem 15. Jahrhundert, wird am 22.07.2014 im Liebieghaus in Frankfurt (Hessen) auf einer sogenannten mobilen Scanstraße (Cultlab3D) fotografiert.
Apoll, eine Bronzestatue aus dem 15. Jahrhundert, auf der mobilen Scanstraße im Liebieghaus in Frankfurt. © picture alliance / dpa / Roland Holschneider
Von Rudolf Schmitz · 27.07.2014
Ein bronzener Apoll wird in der Frankfurter Skulpturensammlung von einem Lichtbogen zärtlich umgarnt. Der Scan erzeugt ein 3D-Modell, das die globale Forschung an Kunstobjekten enorm erleichtert.
Eine Szenerie wie im Science-Fiction-Film: Die 40 Zentimeter große Bronzefigur des "Apoll vom Belvedere“ steht auf dem Drehteller eines Fließbandes, ein kreisender Lichtbogen umfährt sie und stoppt in sechs Positionen, dann geht es weiter zu einem mobilen Roboterarm, der den Apoll fast zärtlich umgarnt. Das alles findet statt im Mittelaltersaal des Frankfurter Liebieghauses, wo eine 3D-Scanstraße Weltpremiere feiert. Binnen weniger Minuten ist der "Apoll vom Belvedere", ein Werk des Renaissance-Bildhauers Antico, eingescannt. Etwa 80 Aufnahmen aus unterschiedlichen Blickwinkeln erzeugen jetzt ein 3D-Modell, das die anwesenden Journalisten auf einem von sechs Bildschirmen bestaunen können.
Vinzenz Brinkmann, Leiter der Frankfurter Antikensammlung, ist begeistert, weil sich jetzt die Bronzefigur in zahlreichen Belichtungen und Ansichten darstellen lässt.
"Das ist ein Riesensprung in eine Objektivierung auch einer Bilddokumentation für die Forschung, für die Analyse.“
Bei diesem vollautomatisierten Scanverfahren entstehen Datenmengen, die zum Beispiel die Rekonstruktion fehlender Elemente im Rechner sehr viel plausibler machen. Und außerdem: Demnächst könnten Wissenschaftler in aller Welt simultan an einer solchen digitalen Kopie forschen, ohne das Original auf gefährdende Reisen zu schicken.
Zusammenführung von Kunstobjekten
"Der Gewinn für die Wissenschaft ist enorm, das beginnt bei der Fragestellung: Wir haben einen Kopf im Museum A, wir haben einen Torso im Museum C, wie oft haben wir uns gefragt, passen die eigentlich zusammen? Früher hat man das mit Fotos versucht, aber das Ergebnis war immer nur fragwürdig, dann hat man gefragt, darf ich einen Gipsabdruck machen, um das mal zu überprüfen, dann hat man die Antwort bekommen: nein, wir machen keine Gipsabdrücke mehr, das schadet dem Objekt, dann kam man wieder nicht weiter. Das heißt die Zusammenführung von auseinander gerissenen Kunst- und Kulturobjekten ist eine ganz zentrale Aufgabe“.
Das Fraunhofer-Institut Darmstadt hat diese Scanstraße mit dem futuristischen Namen CultLab3D entwickelt und hofft auf Marktreife in circa eineinhalb Jahren. Die Möglichkeiten dieser Technologie stünden mit dem Testlauf in Frankfurt erst am Anfang, wie Pedro Santos, Leiter der Entwicklungsabteilung, betont:
"Im Moment ist es auch so, dass wir Tageslicht verwenden für den Scan, aber wir denken auch multispektral zu gehen, heißt soviel wie: Wenn ich ultraviolettes Licht nehme, und damit eine Holzstatue beleuchte, kann ich sogar die Spuren von Meißeln sichtbar machen, die diese Statue erschaffen haben, das heißt wir sind in der Lage, eventuell noch viel mehr Informationen über das Objekt herauszukriegen, als jetzt nur seine Form und sein Aussehen."
Doch die Sache hat einen Haken: der Preis für eine solche Digitalisierung. Er ist bis jetzt noch viel zu hoch, als dass die Museen sich diese Dokumentationstechnologie tatsächlich leisten könnten.
Astronomische Summen
"Was wir allerdings möchten ist, dass der Preis für eine Digitalisierung des Artefakts um Magnituden fällt. Denn wenn man sich vorstellt, dass die Berliner Museen 120.000 Neuzugänge pro Jahr haben, wenn jetzt eine Büste im klassischen Ansatz 1000 Euro kostet und man das mal 120.000 nimmt, dann sind das astronomische Summen, die kein Museum bezahlen könnte. Das heißt der Preis für die Digitalisierung eines 3D-Artefaktes sollte mindestens um den Faktor 10 bis 20 sinken, bis es bezahlbar wird, ganze Sammlungen einzuscannen“.

Diese schon jetzt perfekt wirkende Technologie wird es in naher Zukunft auch erlauben, dass Kopien geprintet werden. Werden wir dann mit Ausstellungen überschwemmt, in denen nicht mehr die Originale, sondern täuschend ähnlichen Hybride stehen? Pedro Santos wehrt ab: Es gehe nicht darum, das Original zu ersetzen, sondern seinen Erhaltungszustand zu dokumentieren. Oder auch Kulturgut zu bewahren, das durch Naturkatastrophen und Kriege sonst unrettbar verloren ginge. Auch Vinzenz Brinkmann sieht in der Möglichkeit einer Millimeter genauen, Materialität, Oberfläche und Farbe simulierenden Reproduktion keine Bedrohung des Museums, keine Gefährdung von Aura und Einmaligkeit.
"Durch die verstärkte Reproduzierung des Kunstobjektes wird die Neugierde, die Sehnsucht noch gesteigert werden, sich selbst an den Ort zu begeben, an dem sich das Original befindet."
Die Technologie für das Scannen von Statuen bis zu drei Metern Höhe ist bereits entwickelt. Und für alles Weitere gibt es dann die luftgestützten Systeme, zum Beispiel Drohnen. Die Akropolis soll bereits eingescannt sein. In überzeugender Qualität. Jetzt fehlt wohl nur noch der entsprechende Drucker.
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