Welterbe-Titel in Gefahr

Von Ludger Fittkau · 14.06.2013
Dem Loreleytal droht der Verlust des UNESCO-Gütesiegels. Streitpunkt ist eine Gondelbahn über den Rhein, die seit der Bundesgartenschau 2011 das Koblenzer Stadtbild prägt. Die Seilbahn muss wieder weg, sagt die UNESCO. Die Seilbahn muss bleiben, forderten jetzt mehr als 3000 Menschen.
Sprechchor: Die Seilbahn muss bleiben, die Seilbahn muss bleiben!

Wer nicht gerade in einem Polizeihubschrauber sitzt, hat wahrscheinlich selten Gelegenheit, aus dem Himmel zu einer politischen Demonstration einzuschweben. Wie heute Karl Hoffmann aus dem Westerwaldort Eitelborn.

"Die Seilbahn muss bleiben" steht auf dem Plakat, das er sich um den Hals hängt, als er aus einer geräumigen Gondel steigt. Die hat ihn von der Festung Ehrenbreitstein hoch über dem gegenüberliegenden Rheinufer sanft zur Demo in der Koblenzer Altstadt geschaukelt. Karl Hoffmann benutzt die Seilbahn aber nicht nur für politische Zwecke, sondern als alltägliches Verkehrsmittel:

"Ich fahr oben hin, parke oben, ohne Parkgebühr. Selbst wenn ich einen kleinen Obolus zahlen müsste, gerne. Gehe dann zu Fuß, tue noch was für meine Fitness und fahre dann wieder hoch."

Anna-Marie Schuster steht direkt an der Talstation und sammelt während der Kundgebung noch fleißig Unterschriften zum Erhalt der Seilbahn:

"Wir warten auf die große runde Zahl, die Kolleginnen und Kollegen sammeln hier noch fleißig und ich denke, wir werden sie heute knacken, die 100.000. Neun Monate geackert und jetzt haben wir 100.000."

Roger Lewentz, SPD-Landesvorsitzender in Rheinland-Pfalz und Innenminister vertrat heute bei der Koblenzer Demo gegen die UNESCO-Pläne die rot-grüne Mainzer Landesregierung:

"Für mich gehören auch als Bewohner dieses Tals die Seilbahn und das Weltkulturerbe fest zusammen. Und die Seilbahn erschließt eine der wichtigsten kulturellen Einrichtungen hier, nämlich die Festung Ehrenbreitstein auf eine Weise, wie es das noch nie gegeben hat. Und von daher wird das glaube ich am Schluss von der UNESCO auch so akzeptiert werden."

Politiker wie er müssen manchmal verschlungene Pfade wählen, um ihre kulturpolitischen Ziele zu erreichen. Sogar vor dem besonders verschlungenen und versteckten Ho Chi Minh-Pfad darf die rheinland-pfälzischen Landesregierung jetzt nicht zurückschrecken.

Der Dschungelpfad diente während des Vietnamkrieges zur Versorgung des Vietkongs im Kampf gegen die Amerikaner und verlief zum Teil durch Kambodscha. Heute ist er eine Touristenattraktion. Ganz in der Nähe trifft sich ab Montag das UNESCO-Welterbekomitee.

Ein schwebendes Verfahren
Mit dabei in Kambodscha ist dann der Zweckverband "UNESCO-Welterbe Oberes Mittelrheintal", in dem sich die Kommunen der Welterberegion rund um Koblenz zusammengetan haben. Sie werden in Kambodscha für die Koblenzer Seilbahn und gleichzeitig für den Erhalt des Welterbestatus kämpfen. Ein Argument von Günter Kern, dem Vizechef des Zweckverbandes: Seilbahnen gibt es auch an anderen UNESCO-Welterbestätten - etwa an der Chinesischen Mauer.

"In Badaling in China geht unmittelbar an der Mauer eine Seilbahn entlang oder an der Masada - Festung in Israel, wo es eine Seilbahn gibt, dann muss es auch hier im Mittelrheintal geben. Ich denke, wenn man die Dinge insgesamt abwägt, kann man durchaus einen Kompromiss für das Mittelrheintal finden."

Der verschlungene Pfad des Kompromisses könnte die Zeitschiene sein. Am Mittelrhein wäre man erst einmal damit zufrieden, wenn man die Seilbahn noch rund zehn Jahre betreiben könnte. Dann müsste sie eh erneuert werden und es würde sich zeigen, ob sich eine Neuinvestition zu diesem Zeitpunkt noch lohnt. Bis dahin bliebe alles ein schwebendes Verfahren, die UNESCO müsste ihre grundsätzliche Forderung, die Seilbahn abzubauen, nicht einmal zurücknehmen.

Ein weiteres Argument ist die kulturelle Bedeutung der Festung Ehrenbreitstein selbst, zu der die Seilbahn von der Koblenzer Innenstadt aus schwebt. In der gigantischen Festungsanlage, die im 19. Jahrhundert als uneinnehmbar galt, sind in den letzten Jahren gleich mehrere Dauerausstellungen entstanden: etwa zum bedeutenden preußischen Landschaftsarchitekten Peter Joseph Lenné, dem Schöpfer der Außenanlagen von Sanssouci, der Pfaueninsel oder des Berliner Tiergartens.

Lennés rheinischen Gartenkunstprojekten, etwa den fünf Gärten von Schloss Stolzenfels bei Koblenz, ist in der Festung eine sehenswerte Dauerausstellung gewidmet. Die Fotografie und die Archäologie der Region sowie die Geschichte der Festung selbst, eine der größten Europas, sind Themen weiterer Dauerausstellungen. Dazu kommen Wechselausstellungen und Konzerte auf dem labyrinthartigen Areal von Ehrenbreitstein. Roger Lewentz, der rheinland-pfälzische SPD-Chef:

"Die Festung ist im letzten Jahr von 446.000 Menschen besucht worden, viele kamen mit der Seilbahn. Das ist eine Abstimmung mit den Füßen."

Wenn die UNESCO hart bleiben sollte, haben die Koblenzer Seilbahnliebhaber noch einen listigen Vorschlag. Die Pariser Kulturorganisation der Vereinten Nationen könnte einfach die Mittelrhein-Stadt Koblenz aus dem Welterbe herausnehmen. Das ländlich geprägte Tal der Loreley soll auf der Welterbeliste bleiben, aber die Koblenzer dürften weiterhin in ihren lieb gewonnenen Gondeln über dem Strom schweben. Frei nach dem Motto: Ein etwas kleineres Welterbe - und beide Seiten haben ihren Frieden.

Es ist allerdings sehr wahrscheinlich, dass das Welterbekomitee dies als "faulen Kompromiss" ablehnt. Die Zeitschiene - also quasi ein sehr lange schwebendes Verfahren - klingt erfolgversprechender.