Wein mit Frostschutz

Von Irene Meichsner · 09.07.2005
Der Skandal begann vor zwanzig Jahren am idyllischen Neusiedler See und erschütterte wenig später die internationale Weinwelt in ihren Grundfesten. In vermeintlich edlen Tropfen war plötzlich das Frostschutzmittel "Diethylenglykol" aufgetaucht.
" Am Anfang war es schon ganz arg. Und zwar: In einen Topf mit den Panschern geworfen zu werden - diese pauschalen Verdächtigungen, die haben uns ganz hart getroffen. Wir sind hier in einen Skandal reingezogen worden, das war für uns ganz enorm. Wir wussten von dem gar nichts, und das hat uns mit voller Härte getroffen. "

Sie kämpften um ihre Existenz: die Weinbauern aus der alteingesessenen Gemeinde Rust im Burgenland. Dabei hatten sie selber gar nichts zu tun mit diesem Skandal, der im April 1985 in Österreich aufgeflogen war und wenig später auch hierzulande Schlagzeilen machte. Am 9. Juli warnte das Bundesgesundheitsministerium vor dem Genuss burgenländischer Weine. Kriminelle Abfüller hatten, in Absprache mit Großhändlern, Billigweine mit dem Frostschutzmittel "Diethylenglykol" versetzt, um ihnen das süßliche Bouquet einer Spätlese, Auslese oder Beerenauslese zu verleihen. Sie wurden später zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt: Weit über tausend Weine waren verseucht, vereinzelt fanden sich sogar potentiell tödliche Mengen von Glykol - einer Chemikalie, die Leber, Niere und Nerven schädigen kann.
Und dann tauchte das Gift plötzlich auch in deutschen Weinen auf, abgefüllt vom Marktführer, der rheinland-pfälzischen Weinkellerei Pieroth. Sie hatte deutschen mit österreichischem Wein gestreckt - ohne von dem Glykol zu wissen. Auch bei Kontrollen war die Substanz nicht aufgefallen; wie sollte sie auch: bislang hatte man danach nicht einmal gesucht, wie eine Sprecherin des Chemischen Untersuchungsamts in Mainz versicherte.

" Nein, das war nicht im Analyseraster drin. Das konnte also bei den üblichen Analyse-Verfahren nicht auffallen. "

Manche hofften noch, die Geschichte unter den Teppich kehren zu können. Alfred Hildebrandt vom Bundesgesundheitsamt berichtete, aus Rheinland-Pfalz sei angefragt worden,

" inwieweit hier eine Ausnahmegenehmigung möglich ist, das heißt: dass was dort ist, möglicherweise verschnitten werden kann, um doch nicht zu zu großem wirtschaftlichen Schaden zu führen. "

Ferdinand Stark, Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, ließ kritische Nachfragen nicht gelten.

" Wenn der so gefährlich wäre, müsste der ja unter die Giftstoffe eingereiht sein - das ist er aber nicht. Sie gehen von der außergewöhnlichen Giftigkeit dieses Stoffes aus - das ist nach meinen Erkenntnissen so aber nicht der Fall. Denn wenn dann dieser Stoff als Frostschutzmittel in den Handel käme, müsste er ja eine Giftwarnung haben, die hat der nicht! "

Stark wurde entlassen. Ministerpräsident Bernhard Vogel preschte im Namen der Landesregierung nach vorn:

" Sie wird alles tun, um 1.) den Verbraucher so umfassend wie möglich zu schützen, 2.) das Vertrauen in die Qualität des deutschen Weines zu erhalten und, wo nötig, wieder herzustellen, 3.) den unverschuldet in eine wirtschaftliche Notlage geratenen Weinwirtschaftsbetrieben zu helfen, und 4.) die Übeltäter einer harten Bestrafung zuzuführen. "

"Glykol" avancierte zum "Wort des Jahres". Doch die Ermittlungen zogen sich hin. Acht Jahre vergingen, bis der rheinland-pfälzische Justizminister Peter Caesar endlich verkündete,

" dass jetzt 5000 Akten des Hauptverfahrens und 20.000 Beiblatt, jedenfalls nach Mitteilung der Staatsanwälte, vorhanden sind - das macht deutlich, in welchem Umfang hier ermittelt worden ist und ermittelt werden musste. "

Hilflos machten Weinbauern an der Mosel vor Beginn des Pieroth-Prozesses im Mai 1993 ihrem Zorn noch einmal Luft.

" Auch das verschlafene Politikervolk muss endlich mal wachgerüttelt werden. Entweder raus aus ihren Bereichen - rausschmeißen, abwählen. Und ich fordere die Enteignung aller Großkellereien. "

Das Mammutverfahren endete mit einem Debakel. Nicht für die Angeklagten, sechs ehemals leitende Mitarbeiter des Pieroth-Konzerns. Sondern für die rheinland-pfälzische Justiz, die ihnen keine persönliche Schuld nachweisen konnte. Ende 1995 wurde der Prozess vom Landgericht Koblenz gegen ein Bußgeld von einer Million Mark eingestellt.

Doch ein Gutes hatte der Skandal immerhin, der die deutsche Weinwirtschaft nach eigenen Angaben mindestens eine Milliarde Mark kostete. Dank schärferer Weingesetze blieb die Branche seitdem von größeren Panschereien verschont. Auch das Burgenland genießt wieder einen ausgezeichneten Ruf. Bleibt zu hoffen, dass man heute früher Verdacht schöpfen würde. Denn das steht fest: Bei einem Preis von umgerechnet 1.50 Euro für eine Spätlese kann es beim besten Willen nicht mit rechten Dingen zugehen.