Weill in der Wiener Staatsoper

Von Bernhard Doppler · 24.01.2012
Wenn Kurt Weills Opernklassiker "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" 82 Jahre nach der Uraufführung zum ersten Mal in der Wiener Staatsoper gezeigt wird, ist nur die musikalische Interpretation durch Ingo Metzmacher modern und faszinierend.
Was in allen großen Opernhäusern der Welt, in der Mailänder Scala oder der New Yorker Met schon vor Jahrzehnten bereits geschehen ist, nämlich Kurt Weills "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny", eine der zentralen Opern des 20. Jahrhunderts, ins Repertoire zu integrieren, fand in der Wiener Staatsoper nun erst, 82 Jahre nach der Uraufführung, statt.

Erst 2012 scheint der stillschweigende Boykott dieser österreichischen Institution gegen Weills Musiksprache und gegen seinen Librettisten Bertolt Brecht aufgehoben. An den Theatervorlieben der Wiener kann es nicht gelegen sein: Bereits 1932 war "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" in Österreich ein großer Erfolg, damals vor allem für die nach Wien zurückgekehrte Wienerin Lotte Lenja in der Rolle der Jenny - freilich nicht in der Staatsoper, sondern im kleinen Raimundtheater.

Kann denn, muss man nach so langer Verweigerung fragen, das Konzept eines in den 30er-Jahren neuen Musiktheaters nach so langer Zeit noch Innovation bedeuten, heute noch frischen Wind bringen und eine Alternative zu Ritualen und zum Musikverständnis der Oper darstellen? Die Inszenierung von Jérome Deschamps zeigt das Gegenteil: Vorgeführt wird die Ausgrabung eines Werks, das bereits ganz aus der Zeit gefallen zu sein scheint.

Dass Deschamps dabei auf museale Versatzstücke von Brechts epischem Theater, wie Brecht-Gardine oder einem "Regisseur auf der Bühne", der die Geschichte erzählt, zurückgreift, stört weniger. Doch Brecht und Weills Reflexionen, Choräle, Zynismen über den Kapitalismus aus den dreißiger Jahren sind bei ihm 2012 zum Märchenstoff verharmlost. Deschamps setzt nämlich, sonst wenig einfallsreich, ganz auf die fantastischen Kostüme von Vanessa Sannino: Barockfiguren mit Reifröcken, roten Handschuhen, hohen gelben Zylindern über den abenteuerlichen Frisuren: Mahagonny – eine Fantasy-Stadt.

Und dennoch: Weills Werk bringt 2012 durchaus einen neuen Klang in die Wiener Staatsoper! Denn wie Ingo Metzmacher das "Bühnenorchester der Wiener Staatsoper", sonst durchaus nicht immer ein Spitzenorchester, die unterschiedlichen Farben von Weills Musik differenzieren und auskosten lässt, wie er Zitate von Opernpathos mit fast süßlich zarter Schlagermusik, dann wieder mit akzentuierten Choralstücken zu verbinden weiß und genüsslich die höchst originelle Instrumentation Weills mit Banjos, Gitarren u.a. auskostet, lässt staunen!

Die Sängerinnen und Sänger - abgesehen davon, dass sie wegen ihrer Fantasy-Kostüme zu bedauern sind - imponieren zwar durchaus, aber sind nicht ganz so überzeugend wie das Orchester: Sie verstehen in der Wiener Staatsoper ihre Rollen als große dramatische Opernrollen. Der Wagnertenor Christopher Ventris erinnert an Parsifal – keine ganz falsche Assoziation, denn auch der Holzfäller Jim Mahoney ist in Mahagonny ein "reiner Tor"; Elisabeth Kulmann hat als Witwe Leokadja Begbick, sehr jung für diese Rolle, beeindruckende dramatische Ausbrüche. Angelika Kirchschlager, die mit der Rolle der Hure Jenny, wie sie in einem Interview sagte, eine Verbindung der Songsängerin Lotte Lenja und dramatischen Sopranistin Anja Silja anstrebt, schaltet als Einzige immer wieder auf verschiedene "Artikulations-Modi": Sprechgesang, Opernpathos, ja manchmal lässt sie auch ihren Mozartsopran durchklingen: ein interessantes Experiment durchaus, das jedoch nicht allen im Publikum gefiel.

Überhaupt wurde, sieht man von Ingo Metzmacher ab, die späte Eingemeindung Weills in die Wiener Staatsoper wohlwollend, aber doch eher reserviert aufgenommen. Der Regisseur musste auch Buhs einstecken.


Wiener Staatsoper: "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny"